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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Er ging ans Theater, um dem Leben zu entkommen: Peter Simonischek sprach vor seinem Tod über Dinge, die ihm wichtig waren.
Von Claudius Seidl
Peter Simonischek war ein eigensinniger, erstaunlicher und sehr liebenswerter Schauspieler, bewundert vom Publikum der Berliner Schaubühne, bejubelt als Salzburger Jedermann, verehrt als Ensemblemitglied des Burgtheaters und schließlich, 2016, mit siebzig Jahren, weltberühmt geworden als verrückter Vater in Maren Ades charmanter Komödie "Toni Erdmann". Als er im Mai dieses Jahres starb, gab es ganz gewiss ein paar Dinge, die er gerne noch getan, geschaffen, erledigt hätte.
Ob darunter auch der Vorsatz war, ein Buch mit dem Titel "Kommen Sie näher" zu schreiben, lässt sich, da man ihn nicht mehr fragen kann, nicht mit Bestimmtheit sagen. Sicher ist immerhin, dass er so ein Buch nicht geschrieben hat, auch wenn Titel und Umschlag genau das suggerieren. Geschrieben hat das Buch die österreichische Autorin und Journalistin Saskia Jungnikl-Gossy, und dass sie sich nicht als Ghostwriter versteht, betont sie schon auf einer der ersten Seiten: "Die gemeinsame Reise von Simonischek und mir beginnt ein halbes Jahr zuvor. Ab Dezember 2022 telefonieren wir, es folgen viele Treffen, intensive Gespräche."
Wie intensiv diese Treffen gewirkt haben und wie wichtig es ist, dass sich auch dem Leser diese Intensität erschließt, das sieht man, ohne viel gelesen zu haben, schon auf den ersten Seiten und auf den ersten Blick. Saskia Jungnikl-Gossy hat beim Schreiben den Hall bis zum Anschlag aufgedreht: "Simonischek kann sein, wer immer er mag.
Für die anderen."
Einsatzabsätze, viel Leere dazwischen. Große Worte, da, wo etwas steht: "Glück, Unglück." Absatz. Leerzeile.
Man möchte Simonischek in Schutz nehmen gegen diese Prosa. Es ist, als ob er, der als Schauspieler nicht immer cool war, aber meistens eine gewisse Unaufgeregtheit spüren ließ, eine Selbstgewissheit, die auf seinen imposanten Körper als Resonanzraum vertrauen konnte - als ob ebendieser Simonischek auf einmal die Hauptrolle in einer Inszenierung voller Pomp und Aufgeblasenheit hätte. Eine krasse Fehlbesetzung.
Wobei man zur Verteidigung des Verfahrens wohl zwei Dinge erwähnen muss: dass nämlich, erstens, wenn man den Text ohne Prätentionen einfach in Satz gegeben hätte, daraus kein Buch, nur eine schmale Broschüre geworden wäre, wofür man die Autorin nicht tadeln darf. Als die Arbeit begann, stand schon fest, dass Simonischek seine Krebserkrankung nicht überleben würde; das ganze Buch ist gewissermaßen dem Tod abgerungen, und es steht eben nur das drin, was vor dem Sterben noch gesagt werden konnte.
Und zweitens ist einmal im Text die Rede von der Schauspielmethode nach Stanislawsky, wonach ein Schauspieler, wenn Text und Inszenierung nach einer Emotion verlangen, diese Emotion nicht vortäuschen, sondern aus seinem Gefühlsgedächtnis herausholen soll. Was ja im Umkehrschluss bedeuten müsste, dass, wenn ein Schauspieler von einer Emotion ergriffen wird, sein Rollengedächtnis dann Tschechow, Beckett oder Thomas Bernhard aus ihm sprechen lässt. Weshalb man seine Worte nicht wichtig genug nehmen kann.
Peter Simonischek spricht vom Spielen und vom Leben in diesem Buch, und dass, was er zum Leben sagt, tiefer und interessanter ist, liegt vielleicht auch daran, dass er davon im Angesicht des Todes spricht. Es liegt aber auch daran, dass übers Spielen zu sprechen sich meistens wie die Gebrauchsanleitung anhört oder wie die Fußnote liest; beides braucht man nicht unbedingt, wenn man dabei zusieht, wie Simonischek den Jedermann oder den Toni Erdmann in sich erweckt. Dass, wer Hofmannsthals Verse wegen ihrer mittelalternden Gespreiztheiten nicht beim Nennwert nehmen wolle, besser in Hofmannsthals Stück nicht auftreten solle, fordert Simonischek, der den Jedermann acht Mal gespielt hat. Und vorher den Tod.
"Kommen Sie näher", sagt, ohne Ausrufezeichen, dieses Buch - und am nächsten, glaubt man beim Lesen, kommt man Simonischek, wenn der über die ferne Kindheit und Jugend spricht: nicht weil er da so plastisch und genau von seinen frühen Jahren erzählte, sondern weil diese Jahre offenbar nicht seine glücklichsten waren. Er kam zum Theater, um dem Leben zu entkommen, schreibt, zum Schluss des Buchs hin, Saskia Jungnikl-Gossy. Und dann wurde es sein Leben, das ihm eben jetzt, da er dessen Ende kommen sieht, so ungeheuer kostbar geworden ist.
In einer Salzburger Gasse, erzählt Simonischek, habe er einmal einen Hufnagel liegen sehen. Den habe er ins Portemonnaie gepackt, zusammen mit einem Schilling aus seinem Geburtsjahr, und von da an sei es bergauf gegangen mit seinen Rollen und dem Applaus. Und als er das Portemonnaie verloren habe, sei bald darauf die Diagnose gekommen. Einmal habe er, zu einer Jagdgesellschaft eingeladen, eine Gams geschossen. Und wie er das Tier da liegen sah, habe er gedacht, dass er dafür werde zahlen müssen.
Simonischek weiß, dass das alles ein Aberglauben ist. Beim Lesen rührt einen diese Sinnerzwingung viel tiefer als der Moment, da ihn die Autorin nach dem Sinn des Lebens fragt.
Ach, es sind solche Geschichten, die einen versöhnen mit den Prätentionen dieses Buchs. Und die einen dazu bewegen, jeden Film mit Simonischek, der überhaupt verfügbar ist, gleich noch einmal anzuschauen.
Peter Simonischek mit Saskia Jungnikl-Gossy. "Kommen Sie näher".
Molden Verlag, Wien 2023. 208 S., Abb., geb., 32,- Euro.
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