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Ein zerrissenes Land. Eine zerrissene Seele.
Im Werk des weltberühmten Schriftstellers Lobo Antunes haben die Kolonialkriege seines portugiesischen Heimatlandes schon immer einen festen Platz. Nun geht er einen Schritt weiter und schreibt über das postkoloniale Angola, über die Zeit nach der Befreiung von der portugiesischen Herrschaft, als die damalige kommunistische Regierung auf brutale Weise gegen Oppositionelle in den eigenen Reihen vorging. Und es wäre kein Roman von Lobo Antunes, dem Meister der Polyphonie, wenn es nicht viele widerstreitende, melodische und rhythmisch sich…mehr

Produktbeschreibung
Ein zerrissenes Land. Eine zerrissene Seele.

Im Werk des weltberühmten Schriftstellers Lobo Antunes haben die Kolonialkriege seines portugiesischen Heimatlandes schon immer einen festen Platz. Nun geht er einen Schritt weiter und schreibt über das postkoloniale Angola, über die Zeit nach der Befreiung von der portugiesischen Herrschaft, als die damalige kommunistische Regierung auf brutale Weise gegen Oppositionelle in den eigenen Reihen vorging. Und es wäre kein Roman von Lobo Antunes, dem Meister der Polyphonie, wenn es nicht viele widerstreitende, melodische und rhythmisch sich abwechselnde Stimmen wären, die von der »Kommission der Tränen« und ihren fatalen Folgen erzählen und davon, wie ein Land seine Unschuld verlor.

Cristina lebt in der Altstadt von Lissabon, in der Nähe des Tejo, hin und wieder aber auch in einer psychiatrischen Klinik, denn sie hört Stimmen, die ihr keine Ruhe lassen. Auch Gegenstände und Pflanzen sprechen zu ihr, aber vor allem sind es ihre frühen Erinnerungen, die sie nicht mehr loslassen. Sie wurde in Luanda, der Hauptstadt Angolas geboren, ihr Vater war Mitglied der MPLA, der marxistischleninistischen Befreiungsbewegung, die nach der Unabhängigkeit des Landes an die Regierung kam. Ihre Mutter, eine weiße Portugiesin, hat er in dem Nachtclub kennengelernt, in dem sie als Tänzerin auftrat. Als es in den späten Siebzigern zu grausamen »Säuberungen« innerhalb der MPLA kam, mit Schnellgerichten, Folterungen und Hinrichtungen, lud er schwere Schuld auf sich und floh später mit seiner Familie nach Portugal. Damals war Cristina fünf Jahre alt. Und doch kann sie nicht vergessen, wie manche der Opfer so lange tanzten, sangen und lachten, bis sie für immer verstummten.

Flirrende Erinnerungen, in denen die Grenzen zwischen Realität und Phantasie verschwimmen, Traumgebilde und Halluzinationen, Wahrheiten und Gegenwahrheiten zeichnen in Lobo Antunes’ neuem Roman ein düster leuchtendes Bild Angolas und Portugals, das vielleicht stimmigste Bild einer Zeit, die geprägt war von Schuld und Rache, von Rassismus, Angst und Grausamkeit, einer Zeit, die bis heute nachwirkt.

Autorenporträt
António Lobo Antunes wurde 1942 in Lissabon geboren und hat Medizin studiert. Während des Kolonialkrieges war er als Militärarzt in Angola, arbeitete danach in der Psychiatrie und war lange Jahre Chefarzt in einer Psychiatrischen Klinik in Lissabon. Heute lebt er als Schriftsteller in seiner Heimatstadt. Lobo Antunes zählt zu den wichtigsten Autoren der europäischen Gegenwartsliteratur. Sein umfangreiches Werk wurde mit zahlreichen Preisen, zuletzt dem Camões-Preis, ausgezeichnet und ist in vierzig Sprachen übersetzt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.09.2016

NEUE TASCHENBÜCHER
Die Heimsuchungen der Töchter,
beschworen von António Lobo Antunes
Der Tod einer Puppe, in obsessiver Ausführlichkeit beschrieben, eine Szene in Luanda, zur Zeit der Säuberungen, nach dem Sieg der MPLA gegen die portugiesischen Kolonisatoren, der Volksbewegung zur Befreiung Angolas. Ein Minister hat sich vor dem Liquidationskommando in seinem Haus ins Zimmer der Tochter zurückgezogen, er kann den Mordbefehl des Präsidenten nicht begreifen. „Das muss ein Irrtum sein“, ein Gewehrkolben zerstört das Türschloss, eine Puppe blökt ihr Mama. „Tut der Puppe nichts“, sie gehört der unsichtbaren Tochter. Aber „die Puppe starb zuerst in Plastikteilchen, die sich unvermittelt verteilten, die drallen Wangen, der Miniaturmund, die Nylonwimpern, von der Träne weiß ich nichts.“ Danach stirbt der Minister, immer noch sein „Das muss ein Irrtum sein“, aber was heißt hier Irrtum, Herr Minister . . .
  Cristina erinnert sich an die Szene, ihr Vater war es, der den Minister erledigte. Aber was heißt schon Erinnerung, Cristina lebt nun in Lissabon, wird ärztlich versorgt, geplagt von Stimmen aus der Vergangenheit, die das grausame Geschehen präsent halten. Mit fünf hat die Familie Angola verlassen, der Vater, ein Schwarzer, hatte zur „Kommission der Tränen“ gehört, die nach dem Sieg brutal das Geschäft jeder erfolgreichen Revolution betrieb, die Selbstzerfleischung.
  Ein schwarzer Vater, eine weiße Mutter, die als Tänzerin und im Bett für ihren Lebensunterhalt sorgte. Der Portugiese António Lobo Antunes ist einer der großen radikalen Erzähler, er holt uns an den Nullgrad des Erzählens zurück, an die Erinnerungsmaterie im Rohzustand, assoziativ, von bohrender Insistenz, in sich kreisend, jegliche Hoffnung auf Identität zunichte machend. Details sind wichtiger als Ordnungen, nichts geht voran, nichts löst sich.
Und was die Väter angeht und die Töchter, da gibt es „Leute, die erfinden Töchter und tragen eine Abwesenheit auf dem Arm herum, bis ein Weinen, das sonst niemand hört, verstummt und sie sie schlafend in die Wiege legen können, sich lautlos von einem Nichts entfernen . . .“ FRITZ GÖTTLER
António Lobo Antunes: Kommission der Tränen. Roman. Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann. btb, München 2016. 380 Seiten, 11,99 Euro.
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