Hinter diesem Band steht der Verein "inter religion(e)s" - Forum für religiöse Bildung, der seit seiner Gründung im Jahre 2004 das Ziel verfolgt, das interreligiöse Lernen in Theorie und Praxis voranzubringen, und zwar im Sinne von Information und Beratung über Entwicklungen im Bereich der religiösen Bildung. Dazu gehören Anfragen und Desiderate im Blick auf religiöse und weltanschauliche Gemeinschaften sowie öffentliche Bildungseinrichtungen - auch wie interreligiöse Bildung weiter entwickelt werden sollte. Der Vorsitzende des Vereins, Aaron Schart, Professor für biblische Theologie an der Universität Duisburg-Essen, und Andreas Obermann, Privatdozent für Religionspädagogik an der Universität Bonn, auch Vorstandsmitglied, haben es vermocht, die Vielfältigkeit religiöser Bildung aus der Sicht verschiedener religiöser Traditionen anzusprechen. Sie heben zusammen mit den AutorInnen zum hervor, dass "Kompetenz Religion" die Bedeutung religiöser Identität und ihre Entwicklung insgesamt stärken sollte. Denn nur auf diese Weise werden für das friedliche Zusammenleben in Schule und Gesellschaft die multikulturellen und multireligiösen Vorgegebenheiten kreativ und sozial verantwortlich ungesetzt. Aus diesem Grund ist am Schluss des Buches ein Appell zur Diskussion um die Ausgestaltung der Kooperation zwischen den Fächern der religiösen und ethischen Bildung in den Schulen Nordrhein-Westfalens vom Januar 2009, der sog. ARI - Appell abgedruckt. Andreas Obermann, der zweite Herausgeber und Religionspädagoge an der Universität Bonn, beschreibt im Vorspann die im Appell vorgeschlagenen Integrationschancen im Blick auf die (rechtliche) Situation des Religionsunterrichts. Die im Buch versammelten Beiträge - alle im Umfeld von "inter religion(e)s" und der Universität Duisburg-Essen entstanden - nehmen nun die unterschiedlichen Voraussetzungen und Facetten auf, und zwar im Blick auf die Spannung von religiöser Pluralität, konfessionellem Religionsunterricht, Veränderungen der Religionspädagogik und interreligiöser Erziehung in der Schule. Der erste Abschnitt handelt von der Religionskultur im Wandel. Eckart Gottwald, Religionspädagoge und Mitgründer von "inter religion(e)s", macht deutlich, dass angesichts multireligiöser Situationen gesellschaftspolitische Verantwortung vorurteilsfreies, Interreligiöses Lernen notwendig macht, damit junge Leute ihre eigenständige religiöse Orientierung finden. Der Schulpädagoge Werner Habel ergänzt diese Überlegungen durch die Darlegung von Bildungsstandards, die religiöse Kompetenz ermöglichen. Die Konsequenz heißt für Eckart Gottwald darum, dass die religiöse Pluralität letztlich einen interreligiöser Religionsunterricht erfordert, der die Werte und Bekenntnistraditionen der verschiedenen Religionen aufnimmt und damit integrationsfördernd wirkt. Dies zeigt beispielhaft der schon klassische Film "Nazmiyes Kopftuch" (entstanden 1979/80). In einem zweiten Abschnitt geht es um Religion und Säkularität, eingeleitet aus philosophischer Sicht von Thorsten Bachmann. Sein Beitrag gipfelt in der Schlussfrage, "ob es nicht möglich ist, verschiedene Formen weltanschaulicher Orientierung im Sinne eines gesamtgesellschaftlichen Erziehungsauftrages koexistieren zu lassen" (S. 69). Und die Antwort heißt: Es geht! Dies zeigt das Fach "Praktische Philosophie" in NRW neben und nicht gegen den konfessionellen Religionsunterricht oder LER (Lebenskunde - Ethik - Religion) in Brandenburg. Aaron Schart, Bibelwissenschaftler, weist an Tendenzen im Alten und Neuen Testament nach, dass die Entzauberung der Welt und damit ihre Säkularisierung im Blick auf heutige Gegebenheiten in gewisser Weise schon biblisch vorgezeichnet ist. Auch wenn der Religionsunterricht in Deutschland durch die Konfessionalität geprägt ist und evangelischer und katholischer Religionslehrer trotz zunehmenden Ethik- und Phiosophie-Unterrichts in den meisten Bundesländern dominieren, so haben doch Religionsvertreter andere Religionen eine z.T. abweichende Sicht. Dies wird unterschiedlich, aber nicht generell gegensätzlich von christlichen wie nicht-christlichen AutorInnen im dritten Kapitel unter der Überschrift Religiöse und interreligiöse Kompetenz aus Sicht der Religionen behandelt. Der katholische Religionspädagoge Rudolf Englert geht recht zurückhaltend vor, indem er im Grunde für ein Kooperationsmodell der verschiedenen Religionsgemeinschaften zur Ausgestaltung des Religionsunterrichts plädiert. Georg Bubolz, bis 2008 Fachdezernent bei der Bezirksregierung Düsseldorf, nimmt diese Überlegungen am Beispiel der EKD-Leitlinien für die Einbindung des Ev. Religionsunterrichts in eine umgreifende Fächergruppe auf und stützt sich dabei auf die grundlegenden Arbeiten von Karl-Ernst Nipkow zu dessen evangelisch orientierter "Pädagogik und Theologie des Anderen". Er exemplifiziert diesen didaktischen Ansatz, indem er auf die Bearbeitung der "Kontexte" im interkonfessionellen und interreligiösen Lernen verweist und dies an einer Reihe von Unterrichtsmaterialien der Sekundarstufe I und II exemplifiziert. Welche organisatorischen Konsequenzen ein interreligiöse Didaktik haben müsste, wird in diesem Beitrag nicht behandelt. Die Rüsselsheimer Pfarrerin Annette Mehlhorn, Mitbegründerin der interreligiösen Sarah-Hagar-Initiative, fordert religiöse Kompetenz so ein, dass Differenzen bewusst erlebt und reflektiert werden, um auf diese Weise eine "multiperspektivische interreligiöse Pädagogik" zu entwickeln, die sich schulisch verorten lässt und den Kontext globalen Lernens mit einbezieht. Die folgenden Beiträge aus anderen Weltreligionen machen gleichzeitig besondere Probleme der Minderheitenreligionen in Deutschland deutlich: Aus jüdischer Sicht fordert Rachel Herweg, jüdische Theologin und Psychologin, deutlicher nationale Bildungsstandards für den jüdischen Religionsunterricht, Rabeya Müller vom Internationalen für Interreligiöse Pädagogik und Didaktik in Köln (IPD) setzt sich für eine korangemäße und gleichzeitig interreligiös offene Didaktik im Rahmen eines Islamischen Religionsunterrichts ein und der Sozialpädagoge Ismail Kaplan beschreibt aus alevitischer Sicht die derzeitige Situation eines Alevitischen Religionsunterrichts in den einzelnen Bundesländern mit der Zielprojektion alevitischer Identität für die SchülerInnen, aber auch mit dem Blick auf die Grundlagen und Werte der anderen Religionen. Es folgt aus buddhistischer Sicht der Beitrag von Vidyagita / Cordula Feld (Freunde des Westlichen Buddhistischen Ordens, Essen). Sie hält die stärkere Einbindung des Buddhismus beim Erlernen religiöser Kompetenz durch LehrerInnen und SchülerInnen für notwendig. Nicola Towfigh, Generalsekretärin des Nationalen Rates der Baha'i, akzeptiert ohne Probleme aufgrund der Wertevorstellung in der Baha'i-Religion die Teilnahme von Baha'i-Kindern am Religionsunterricht der anderen Religionen bzw. Konfessionen. Sie wünscht sich aber für die fernere Zukunft ein wirkliches gemeinsames Lernen der unterschiedlich religiös sozialisierten SchülerInnen (S. 234). Vielleicht stand das Modell eines schon existierenden Religionsunterrichts für alle in Hamburg indirekt bei ihren Überlegungen Pate. Ähnlich argumentiert die Montessori-Pädagogin Karen Reitz-Koncebovski, indem sie zum einen im Unterricht die gemeinsame Wahrheitssuche in den Vordergrund stellt, aber zum andern die individuelle Zielrichtung und Entscheidung des einzelnen im Blick auf die religiöse Identität einbezogen wissen will. Zum guten Schluss gibt es von Andreas Obermann - offensichtlich ermutigt durch Berufsschul-Erfahrungen -gewissermaßen archäologische Wegmarkierungen für interreligiöses Lernen. Er zeigt auf, welche Kraft von Orten wie Jerusalem, Hebron, Jerash, Rom oder gar von der Wüsteausgehen können, wenn diese nicht zum Konfliktfeld werden, sondern die in ihnen liegende Kraft multireligiöser Geschichte für interreligiöse Verständigung freigesetzt wird. Nach der Schlüsselkompetenz Religion hatten die AutorInnen gefragt. Ihre Antworten sind oft beschreibend nüchtern, und doch schimmert überall als Vision die Hoffnung durch, dass interreligiöse Bildung mehr und mehr zum selbstverständlichen Teil von Schule werden möge, damit die Aufgaben einer pluralen Gesellschaft adäquat bearbeitet werden können. Reinhard Kirste Rz-Schart, 11.04.10
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