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"Komplizen": Anuschka Roshani hat einen Roman über ihre Eltern geschrieben
Es gibt Bücher, die will man schon allein ihres Covers wegen mögen. Anuschka Roshanis "Komplizen. Erinnerungen an meine noch lebenden Eltern" gehört zu dieser Sorte Buch dazu. Zumal man ahnt, dass diese zwei Menschen, die man dort einmal von einem knallgelben, einmal von einem sanft-blauen Lichtpunkt umrahmt über den Buchdeckel laufen sieht, wahrscheinlich genau jene "noch lebenden Eltern" sind, von denen die Autorin erzählen wird. Sie sehen aus wie Filmstars aus den sechziger Jahren. Valerie, die Mutter, wirkt mit ihren stark geschminkten Augen, ihrer Lederweste, der überrunden Brille und dem schwarzen Rollkragenpulli wie eine Frau aus "Qui êtes-vous, Polly Maggoo?". Biouk, der Vater, hat mit seinem perfekt fallenden Anzug und dem sanften Lächeln mehr von einer persischen Version von Marcello Mastroianni in "La Dolce Vita". Und natürlich denkt man auch sofort - wegen des Looks, wegen des Titels, wegen des weißen Cabrios im Hintergrund - an "Bonnie and Clyde". Eine Geschichte, die um diese zwei Figuren kreist, kann gar nicht langweilig werden. Und sie wird es auch nicht.
Auch nicht für solche Leser, die sich mit dem derzeit florierenden Genre der "Memoirs" und der Annahme, jede Existenz könne ein gutes Buch ergeben, schwertun und sich beim Lesen solcher Selbsterkundungen manchmal fühlen, als seien sie aus Versehen in eine fremde Therapiesitzung geplatzt. Nicht jedes Leben ist für Fremde spannend, vor allem aber können nur sehr wenige so erzählen, dass es das wird. Genau das kann Anuschka Roshani, Journalistin und mitverantwortlich für einen der größten Literatur-Coups der letzten Jahre, die Veröffentlichung zuvor unbekannter Kurzgeschichten des amerikanischen Autors Truman Capote, sehr gut. Sie nimmt uns einfach mit und stellt sie uns vor, diese Eltern, die genau so schillernd und toll waren und sind, wie sie auf dem Titel wirken. Da ist der Vater, ein Arzt, dem wir gleich auf der dritten Seite dabei begegnen, wie er sich mit knapp siebzig Jahren darüber empört, dass ihm mittlerweile nur noch die Dreißigjährigen hinterherschauen. Man muss dazusagen, dass dieser aufbrausende Mann aus Teheran als Student wohl so atemberaubend schön war, dass er sich eine Glatze scheren musste, damit die deutschen Frauen ihn in Ruhe ließen.
Und da ist die Mutter, ehemaliges Model, Pädagogin, die mit wehendem Haar in VW-Cabrios sitzt, ihre Töchter vergöttert und offenbar Humor hat: Ihre Furcht vor dem Altern versucht sie bereits mit Mitte dreißig dadurch zu entschärfen, dass sie ihren vierzigsten Geburtstag Jahr um Jahr wie ein Theaterstück vorzelebriert. Um das Alter, das eigene, aber vor allem das der Eltern, geht es in diesem Buch: Was, so fragt sich die Autorin angesichts der Krankheit ihres Vaters, passiert, wenn die immer jungen, fitten, unabhängigen Eltern auf einmal alt, krank und hilfsbedürftig sind? Wie geht man damit um? Die Antwort liegt im Titel: Man erinnert sich an ihr Leben - und damit an das eigene.
In einer fast psychoanalytischen Geste kramt die Autorin in ihren Erinnerungen. Als stünden wir zusammen auf einem Dachboden, zieht sie Bilder und Geschichten und Düfte und Kleider heraus, die für sie besonders einprägsam waren, erzählt und knüpft aus all diesen nicht chronologisch geordneten Anekdoten ein Netz, das mehrere Lebensgeschichten und Generationen miteinander verwebt. Im Zentrum stehen immer Valerie und Biouk. Die Komplizen, die auch solche bleiben, als der in Liebesdingen wohl etwas naive Vater einer Patientin verfällt und die Ehe deshalb auseinanderbricht. Diese Komplizenschaft äußert sich am Ende vor allem darin, dass Roshani ohne jeden Gram und mit viel Liebe, ja sogar Bewunderung von diesem Vater schreibt, der aus ihren Erinnerungsbildern besonders leuchtend und mit vielen Fragezeichen besetzt hervorsticht. Etwa wenn sie erzählt, wie ihr Vater eines Tages aus einem Operationssaal gestürmt sei und seinen Chef als Arschloch beschimpft habe, der wiederum kurz darauf anrief, er möge doch jetzt bitte zurückkommen, man brauche ihn noch. Oder wie er einmal mit ihr in seinem orangefarbenen Ro 80 zum feinsten Eiscafé am Kurfürstendamm fährt und neunundvierzig Kugeln Vanilleeis bestellt. Oder ihr das Anschnallen verbietet, weil das Leben Risiko sei und man es auch so nehmen müsse. Einmal, da leben sie bereits seit Jahrzehnten getrennt, nimmt er sie und ihre Mutter mit nach Teheran, um seiner Familie das perfekte Glück vorzuspielen.
Das Buch ist voll von kleinen Geschichten, über die man mal lacht, mal staunt, weil diese Eltern so reizend frei sind und so gar nicht dem etwas öden Bild dessen entsprechen, was man heute "gute Eltern" nennt. Dass sie das aber genau durch ihre Andersartigkeit waren, das zeigt dieses Buch. Und zeichnet dabei noch ein Sittenbild des West-Deutschlands der sechziger, siebziger Jahre: Da muss man zum Abtreiben nach Holland fahren, da sind die Eltern der anderen nie getrennt und sprechen sich statt mit Vornamen als "Vati" und "Mutti" an. Anuschka Roshanis Eltern sind all das, also dieses Deutschland, nicht. Sie leben anders. Ihnen dabei zuzusehen macht großen Spaß. Man muss weder in der Mitte seines Lebens stehen noch mit der Krankheit der Eltern konfrontiert sein, um dieses Buch und seine Protagonisten gern zu haben.
ANNABELLE HIRSCH
Anuschka Roshani: "Komplizen. Erinnerungen an meine noch lebenden Eltern". Roman. Kein & Aber, 256 Seiten, 20 Euro
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Perlentaucher-Notiz zur FAS-Rezension
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