Stellvertreter Christi: Die Besetzung dieses einzigartigen Postens ist geheimnisumwittert. Hubert Wolf erzählt, was hinter den verschlossenen Toren des Vatikan geschieht. Er erläutert, wie die Regeln und Rituale entstanden sind, und macht deutlich, welche Traditionsbrüche, gerade auch in jüngster Zeit, sich hinter der Fassade der uralten heiligen Handlung verbergen. Keine andere Wahl wird weltweit von so großer Anteilnahme begleitet wie die Wahl des Papstes. Doch die Zuschauer sehen immer nur die Außenseite: den Einzug der Kardinäle ins Konklave, den Schornstein der Sixtinischen Kapelle, aus dem schwarzer oder endlich weißer Rauch aufsteigt, die Präsentation des Gewählten mit den Worten "Habemus papam". Dieses Buch erklärt, was wirklich passiert: wie die Wahl im Detail abläuft, von welchem Moment an der Gewählte Papst ist, warum das Konklave erfunden wurde und wie die Kardinäle zu den einzigen Wählern und schließlich auch zu den einzig Wählbaren wurden. Zur Sprache kommt auch der Papstrücktritt, der zur Regel werden und die Aura des Amtes beschädigen könnte. Besonderes Augenmerk gilt den Neuregelungen Johannes Pauls II., durch die die Wahl noch sakraler, noch weniger weltlich und noch geheimer geworden ist. Am Ende seines höchst anschaulich erzählten Buches zeigt Hubert Wolf, wie eine zeitgemäße Wahl ablaufen könnte, die zugleich den Ursprüngen des 2000 Jahre alten Amtes gerecht wird.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.01.2017Dass alles pervertiert ist
Die Wahl des Papstes ist ein Ritual voller Geheimnisse - das Buch "Konklave" wirft ein Licht darauf. Und wagt einen Ausblick. Ein Vorabdruck
Von Hubert Wolf
Vatikan, 12. April 2059. Am heutigen Tag hat Papst Hadrian VII. ein neues Papstwahldekret mit dem Titel "In Nomine Domini" in Kraft gesetzt, das seine Bewährungsprobe in der Praxis freilich erst noch bestehen muss. Regeln kann man viel, ob die Verantwortlichen sich daran auch halten, steht auf einem ganz anderen Blatt, wie über zweitausend Jahre Kirchengeschichte lehren. Auf den Tag genau tausend Jahre, nachdem Nikolaus II. die Papstwahl grundlegend reformiert und das aktive Wahlrecht erstmals exklusiv auf die Kardinäle übertragen hat, promulgiert der Reformpapst Hadrian VII. seine Konstitution.
Die Reaktionen fallen heftig und kontrovers aus. Konservative wittern einen Verrat an der altehrwürdigen Tradition der heiligen katholischen Kirche, den Liberalen gehen die Veränderungen wie immer nicht weit genug. Ein Großteil der gläubigen Katholiken aber zeigt sich erleichtert, dass sich in der Kirche nach quälend langen Reformdiskussionen, die sich seit der Einberufung des Zweiten Vatikanischen Konzils durch Papst Johannes XXIII. 1959 ein ganzes Jahrhundert hingezogen haben, endlich überhaupt etwas bewegt.
Zwei Jahre zuvor hat erstmals seit mehr als fünfhundert Jahren wieder ein Papst diesen Namen gewählt: Hadrian, der siebte. Die katholische Welt war noch überraschter als damals im Jahr 2013, als Kardinal Jorge Mario Bergoglio sich Franziskus nannte. Dieser sorgte zwar für einen neuen Stil der Einfachheit und franziskanischen Anspruchslosigkeit an der Kurie und setzte sich im Sinne des Poverello von Assisi für eine arme Kirche im Dienst für die Armen ein, aber wirkliche Reformen konnte er nicht auf den Weg bringen.
Die Hardliner an der Kurie torpedierten alle Reformbemühungen, nachdem Franziskus 2014 in seiner berühmten Gardinenpredigt in der Weihnachtsansprache bei seinen engsten Mitarbeitern schlimmste Kurienkrankheiten diagnostiziert hatte, die von existentieller Schizophrenie über Selbstherrlichkeit bis zum geistlichen Alzheimer reichten. Despektierlich bezeichneten sie Franziskus als "Sozialarbeiter aus Argentinien". Sie hofften, das Pontifikat auszusitzen und nach dem Gesetz der Alterität danach wieder einen Papst ihrer Partei zu bekommen. Und sie wurden zunächst nicht enttäuscht. Ein armer, frommer Papst, der Grundstandards der Bequemlichkeit und europäischen Lebensart ablehnt, war für Kardinäle, die etwas auf sich halten, auf Dauer doch zu anstrengend.
Unter den "normalen" Päpsten, die nach Franziskus wieder im Papstpalast wohnten und wie üblich Urlaub in Castel Gandolfo machten, war das Leben der Eminenzen zwar einfacher und bequemer, die Krise der katholischen Kirche aber spitzte sich weiter zu. Missbrauchsskandale häuften sich, immer neue Geldwäschetransaktionen durch Subunternehmen der Vatikanbank kamen ans Licht - und vor allem kehrten immer mehr frustrierte Gläubige wegen ausbleibender Reformen und Pseudo-Dialogprozesse ihrer Kirche den Rücken, Ehrenamtliche für die Mitarbeit in den Gemeinden waren kaum mehr zu finden.
Da schlägt Mitte des einundzwanzigsten Jahrhunderts doch noch einmal die Stunde der Reformer. Hadrian VII. wird im Herbst 2057 nach langem Konklave gewählt. Mehr als dreißig Wahlgänge sind nötig, bis endlich weißer Rauch aus dem Schornstein der Sixtina aufsteigt. Man munkelt von heftigen Auseinandersetzungen unter den Kardinälen. Nach dem "Habemus Papam" auf der Loggia des Petersdoms und vor dem Segen "Urbi et orbi" zitiert der neue Papst aus dem berühmten Schuldbekenntnis, das sein Namenspatron Hadrian VI. (1522-1523) im Jahr 1522, vier Jahre nach Luthers Thesenanschlag und ein Jahr nach dem Wormser Edikt, ablegte. Und alle Welt horcht auf.
"Wir wissen, dass es an diesem Heiligen Stuhl schon seit einigen Jahren viele greuliche Missbräuche in geistlichen Dingen und Exzesse gegen die göttlichen Gebote gegeben hat, ja dass eigentlich alles pervertiert worden ist. So ist es kein Wunder, wenn sich die Krankheit vom Haupt auf die Glieder, das heißt von den Päpsten auf die unteren Kirchenführer, ausgebreitet hat. Wir alle - hohe Prälaten und einfache Kleriker - sind abgewichen, ein jeder sah nur auf seinen eigenen Weg, und da ist schon lange keiner mehr, der Gutes tut, auch nicht einer."
Hadrian VII. fügt hinzu, Hadrian VI. habe es in der Zeit der beginnenden Kirchenspaltung nicht bei der Diagnose der Krankheitssymptome von Kirche und Kurie belassen. Vielmehr habe er sich und seiner Kirche sofort die notwendige, wenn auch insbesondere für die römische Zentrale bittere Medizin verordnet, was er selbst genauso zu tun gedenke. Er versichert den Gläubigen auf dem Petersplatz in den Worten seines Namenspatrons, "dass Wir jede Anstrengung unternehmen werden, dass als erstes diese Kurie, von der das ganze Übel ausgegangen ist, reformiert wird, damit sie in gleicher Weise wie sie zum Verderben der Untergebenen Anlass geboten hat, nun auch ihre Genesung und Reform bewirkt. Dazu fühlen Wir Uns umso mehr verpflichtet, als Wir sehen, dass die ganze Welt eine solche Reform sehnlichst begehrt."
Hadrian VI. betrachtete es 1522 - so fügt der neue Papst auf der Loggia hinzu - als seine erste Aufgabe, "den Unterdrückten zu Hilfe zu kommen, und die Gelehrten und Tugendhaften, die schon lange keiner mehr beachtet, aufzurichten und auszuzeichnen - kurz: alles zu tun, was ein guter Papst und rechtmäßiger Nachfolger des seligen Petrus tun muss". Die "Krankheit "habe sich aber im Laufe der Zeit "so tief eingefressen", die Kirche sei dadurch derartig "deformiert" worden, dass zur Heilung und Reform eine einzige Maßnahme auf gar keinen Fall ausreiche. Vielmehr müssten "viele verschiedene Mittel angewandt" und zahlreiche Reformmaßnahmen ergriffen werden.
Eines dieser Mittel, um künftig gute und rechtmäßige Nachfolger des heiligen Petrus zu garantieren, ist das Papstwahldekret von 2059, durch das der Papst seine Reform verstetigen möchte. Für die Papstwahl selbst hält Hadrian VII. an allen Vorschriften seiner Vorgänger fest, die eine Beeinflussung der Wähler während der Wahl von außen verhindern sollen. Er befürwortet die Spiritualisierung der Wahl und des Amtes, die Möglichkeit zur freien Gewissensentscheidung, die Ausschaltung jedes politischen Einflusses von außen.
Als Ort der Papstwahl hält das Dekret "In Nomine Domini" am Konklave fest, weil es sich über viele Jahrhunderte bewährt hat. Idealerweise findet es auch im Vatikan statt, wobei der ganze Vatikanstaat zum Konklavebereich erklärt wird. Die vatikanische Mauer und die Kolonnaden des Petersplatzes bilden die Grenze. Während der Zeit der Wahl dürfen sich nur die Wähler selbst und das für ihre Versorgung absolut notwendige Personal hier aufhalten, die alle auf strikte Geheimhaltung vereidigt werden. Die Sixtinische Kapelle bleibt der Wahlort, weil das Jüngste Gericht Michelangelos jedem Wähler die Ernsthaftigkeit seiner Entscheidung drastisch vor Augen führt.
Die heftigsten Diskussionen löst die Regelung des passiven Wahlrechts durch Hadrian VII. aus. Hier kehrt der Papst zur Praxis des ersten Jahrtausends zurück. Bischöfe können nicht mehr zum Papst gewählt werden, weil der Wechsel von einer Diözese in eine andere das geistliche Band durchschneidet, das durch die Bischofsweihe zwischen Bischof und Bistum entstanden ist. In Anlehnung an das Konzil von Nizäa von 325, das auch entscheidende Passagen des Glaubensbekenntnisses formuliert hat, versteht Hadrian VII. die Translation als geistlichen Ehebruch und Missachtung des Weihesakraments. Wählbar ist demnach künftig jeder männliche katholische Laie sowie jeder Priester und Diakon. Zu einer Ausweitung des passiven Wahlrechts auf Frauen kann der Papst sich jedoch nicht durchringen.
Gleichzeitig hebt Hadrian VII. die erst in den sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts eingeführte Vorschrift wieder auf, nach der alle Kardinäle die Bischofsweihe empfangen haben müssen. Das gilt ab jetzt nur noch für die Kardinalbischöfe, die wirklich irgendwo in der Welt eine Diözese leiten. Alle anderen Kardinäle sollen wie früher - je nach Aufgabe - lediglich die Priester- oder Diakonenweihe empfangen. Auch Kardinäle ohne Weihe sollen wieder möglich sein. Damit ist der Weg zur Kardinalswürde prinzipiell auch für Frauen offen; die Details werden Ausführungsbestimmungen regeln, die bereits in Vorbereitung sind. Zur Leitung der Vatikanbank, so argumentiert Hadrian VII. anhand eines Beispiels, sei vor allem finanzieller Sachverstand erforderlich und keine besondere Weihegnade. Kardinalpriester und Kardinaldiakone verfügen selbstverständlich über das passive Wahlrecht, da sie noch keine Bischofsweihe empfangen haben.
Beim aktiven Wahlrecht bietet die Konstitution Hadrians VII. einen Kompromiss zwischen Tradition und Erneuerung. Hadrian schafft ein neues Gremium, die sogenannte Kirchenversammlung, deren einzige Aufgabe die Papstwahl ist. Es setzt sich aus zwei Gruppen zusammen. Die eine Hälfte der neuen Kirchenversammlung bildet das Kardinalskollegium, das damit grundsätzlich das Papstwahlrecht behält. Es wird aber viel stärker internationalisiert, Italiener und andere Europäer sollen nicht mehr überrepräsentiert sein. Die Zahl der Kardinäle eines Landes oder einer Gruppe von kleineren Staaten entspricht künftig der Zahl der dort lebenden Katholiken. Die Obergrenze von einhundertzwanzig bleibt erhalten. Um ein Zeichen gegen die Altersdiskriminierung zu setzen, schafft Hadrian die Obergrenze von achtzig Jahren für das aktive Wahlrecht ab.
Die andere Hälfte der zweihundertvierzig Personen umfassenden Versammlung bilden Vertreter der Laienräte, die nach repräsentativen Prinzipien in den einzelnen Ländern jeweils für fünf Jahre gewählt sind, so dass sie wie die Kardinäle im Falle einer Sedisvakanz unmittelbar für die Papstwahl bereitstehen.
Auf diese Weise knüpft der Papst an die altkirchliche Praxis der Wahl des Bischofs von Rom durch Klerus und Volk an und erweitert diese um eine internationale Komponente, die dem universal angelegten Petrusdienst des Bischofs von Rom entspricht. Indem Hadrian das Kardinalskollegium als ständigen Senat des Papstes paritätisch einbezieht, sorgt er zugleich für Kontinuität, schließlich sind Kardinäle auf Lebenszeit berufen.
Auch bei den Wahlarten kehrt Hadrian VII. zu der alten Vielfalt zurück. Zwar soll die geheime Wahl weiter der Normalfall bleiben. Daneben erhält die Kompromisswahl angesichts der großen Zahl von zweihundertvierzig Wählern aus aller Welt eine neue Chance. Mit mindestens Zweidrittelmehrheit können sie ein Vorauswahlrecht auf neun, elf oder dreizehn Wähler übertragen, die miteinander effizienter verhandeln und Kompromisse finden können als die große Gruppe. Diese schlagen einstimmig einen Kandidaten vor, der dann in geheimer Wahl mit Stimmzetteln mindestens eine Zweidrittelmehrheit aller zweihundertvierzig Papstwähler erhalten muss. Kommen die Kompromissäre innerhalb von fünf Tagen nicht an ihr Ziel, fällt das Wahlrecht wieder an die Kirchenversammlung zurück, die dann erneut mit einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln über das weitere Vorgehen entscheidet. Schließlich soll auch die Inspirationswahl zumindest als theoretische Möglichkeit wieder eingeführt werden.
Für den Fall, dass nach dreißig Wahltagen immer noch kein Papst gewählt ist, greift Hadrian VII. auf ein Modell zurück, mit dem manche östlichen Kirchen seit Langem erfolgreich ihre Vorsteher bestimmen. Die Kirchenversammlung erhält die Möglichkeit, mit Zweidrittelmehrheit eine Dreierliste von Kandidaten zu beschließen, die vorher durch Kompromissäre einstimmig nominiert worden sind. Während der Heilig-Geist-Messe wird aus der Apostelgeschichte der Abschnitt über die Nachwahl des Matthias anstelle des Judas (Apostelgeschichte 1,15-26) vorgelesen, dann entscheidet wie bei dieser ersten Apostelwahl das Los. Man überlässt nach einer Vorauswahl die letzte Entscheidung über den geeigneten Papst Gott selbst, menschliche Verantwortung und göttliche Gnade wirken zusammen, so jedenfalls begründet Hadrian VII. seine Entscheidung.
Auch die Frage, was den Papst eigentlich zum Papst macht und ab wann der Papst Papst ist, beantwortet "In Nomine Domini" eindeutig: Der Papst wird Papst durch seine Weihe zum Bischof von Rom, wie es der altehrwürdigen Tradition entspricht. Denn nur als Bischof von Rom kann er den Petrusdienst wahrnehmen. Deshalb datieren die Regierungsdaten der Päpste künftig auch nicht mehr vom Tag der Wahl, sondern vom Tag der Bischofsweihe an.
Hubert Wolf: "Konklave. Die Geheimnisse der Papstwahl". C. H. Beck, 220 Seiten, 19,95 Euro. Erscheint in diesen Tagen
Repro © Verlag C.H.Beck
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Wahl des Papstes ist ein Ritual voller Geheimnisse - das Buch "Konklave" wirft ein Licht darauf. Und wagt einen Ausblick. Ein Vorabdruck
Von Hubert Wolf
Vatikan, 12. April 2059. Am heutigen Tag hat Papst Hadrian VII. ein neues Papstwahldekret mit dem Titel "In Nomine Domini" in Kraft gesetzt, das seine Bewährungsprobe in der Praxis freilich erst noch bestehen muss. Regeln kann man viel, ob die Verantwortlichen sich daran auch halten, steht auf einem ganz anderen Blatt, wie über zweitausend Jahre Kirchengeschichte lehren. Auf den Tag genau tausend Jahre, nachdem Nikolaus II. die Papstwahl grundlegend reformiert und das aktive Wahlrecht erstmals exklusiv auf die Kardinäle übertragen hat, promulgiert der Reformpapst Hadrian VII. seine Konstitution.
Die Reaktionen fallen heftig und kontrovers aus. Konservative wittern einen Verrat an der altehrwürdigen Tradition der heiligen katholischen Kirche, den Liberalen gehen die Veränderungen wie immer nicht weit genug. Ein Großteil der gläubigen Katholiken aber zeigt sich erleichtert, dass sich in der Kirche nach quälend langen Reformdiskussionen, die sich seit der Einberufung des Zweiten Vatikanischen Konzils durch Papst Johannes XXIII. 1959 ein ganzes Jahrhundert hingezogen haben, endlich überhaupt etwas bewegt.
Zwei Jahre zuvor hat erstmals seit mehr als fünfhundert Jahren wieder ein Papst diesen Namen gewählt: Hadrian, der siebte. Die katholische Welt war noch überraschter als damals im Jahr 2013, als Kardinal Jorge Mario Bergoglio sich Franziskus nannte. Dieser sorgte zwar für einen neuen Stil der Einfachheit und franziskanischen Anspruchslosigkeit an der Kurie und setzte sich im Sinne des Poverello von Assisi für eine arme Kirche im Dienst für die Armen ein, aber wirkliche Reformen konnte er nicht auf den Weg bringen.
Die Hardliner an der Kurie torpedierten alle Reformbemühungen, nachdem Franziskus 2014 in seiner berühmten Gardinenpredigt in der Weihnachtsansprache bei seinen engsten Mitarbeitern schlimmste Kurienkrankheiten diagnostiziert hatte, die von existentieller Schizophrenie über Selbstherrlichkeit bis zum geistlichen Alzheimer reichten. Despektierlich bezeichneten sie Franziskus als "Sozialarbeiter aus Argentinien". Sie hofften, das Pontifikat auszusitzen und nach dem Gesetz der Alterität danach wieder einen Papst ihrer Partei zu bekommen. Und sie wurden zunächst nicht enttäuscht. Ein armer, frommer Papst, der Grundstandards der Bequemlichkeit und europäischen Lebensart ablehnt, war für Kardinäle, die etwas auf sich halten, auf Dauer doch zu anstrengend.
Unter den "normalen" Päpsten, die nach Franziskus wieder im Papstpalast wohnten und wie üblich Urlaub in Castel Gandolfo machten, war das Leben der Eminenzen zwar einfacher und bequemer, die Krise der katholischen Kirche aber spitzte sich weiter zu. Missbrauchsskandale häuften sich, immer neue Geldwäschetransaktionen durch Subunternehmen der Vatikanbank kamen ans Licht - und vor allem kehrten immer mehr frustrierte Gläubige wegen ausbleibender Reformen und Pseudo-Dialogprozesse ihrer Kirche den Rücken, Ehrenamtliche für die Mitarbeit in den Gemeinden waren kaum mehr zu finden.
Da schlägt Mitte des einundzwanzigsten Jahrhunderts doch noch einmal die Stunde der Reformer. Hadrian VII. wird im Herbst 2057 nach langem Konklave gewählt. Mehr als dreißig Wahlgänge sind nötig, bis endlich weißer Rauch aus dem Schornstein der Sixtina aufsteigt. Man munkelt von heftigen Auseinandersetzungen unter den Kardinälen. Nach dem "Habemus Papam" auf der Loggia des Petersdoms und vor dem Segen "Urbi et orbi" zitiert der neue Papst aus dem berühmten Schuldbekenntnis, das sein Namenspatron Hadrian VI. (1522-1523) im Jahr 1522, vier Jahre nach Luthers Thesenanschlag und ein Jahr nach dem Wormser Edikt, ablegte. Und alle Welt horcht auf.
"Wir wissen, dass es an diesem Heiligen Stuhl schon seit einigen Jahren viele greuliche Missbräuche in geistlichen Dingen und Exzesse gegen die göttlichen Gebote gegeben hat, ja dass eigentlich alles pervertiert worden ist. So ist es kein Wunder, wenn sich die Krankheit vom Haupt auf die Glieder, das heißt von den Päpsten auf die unteren Kirchenführer, ausgebreitet hat. Wir alle - hohe Prälaten und einfache Kleriker - sind abgewichen, ein jeder sah nur auf seinen eigenen Weg, und da ist schon lange keiner mehr, der Gutes tut, auch nicht einer."
Hadrian VII. fügt hinzu, Hadrian VI. habe es in der Zeit der beginnenden Kirchenspaltung nicht bei der Diagnose der Krankheitssymptome von Kirche und Kurie belassen. Vielmehr habe er sich und seiner Kirche sofort die notwendige, wenn auch insbesondere für die römische Zentrale bittere Medizin verordnet, was er selbst genauso zu tun gedenke. Er versichert den Gläubigen auf dem Petersplatz in den Worten seines Namenspatrons, "dass Wir jede Anstrengung unternehmen werden, dass als erstes diese Kurie, von der das ganze Übel ausgegangen ist, reformiert wird, damit sie in gleicher Weise wie sie zum Verderben der Untergebenen Anlass geboten hat, nun auch ihre Genesung und Reform bewirkt. Dazu fühlen Wir Uns umso mehr verpflichtet, als Wir sehen, dass die ganze Welt eine solche Reform sehnlichst begehrt."
Hadrian VI. betrachtete es 1522 - so fügt der neue Papst auf der Loggia hinzu - als seine erste Aufgabe, "den Unterdrückten zu Hilfe zu kommen, und die Gelehrten und Tugendhaften, die schon lange keiner mehr beachtet, aufzurichten und auszuzeichnen - kurz: alles zu tun, was ein guter Papst und rechtmäßiger Nachfolger des seligen Petrus tun muss". Die "Krankheit "habe sich aber im Laufe der Zeit "so tief eingefressen", die Kirche sei dadurch derartig "deformiert" worden, dass zur Heilung und Reform eine einzige Maßnahme auf gar keinen Fall ausreiche. Vielmehr müssten "viele verschiedene Mittel angewandt" und zahlreiche Reformmaßnahmen ergriffen werden.
Eines dieser Mittel, um künftig gute und rechtmäßige Nachfolger des heiligen Petrus zu garantieren, ist das Papstwahldekret von 2059, durch das der Papst seine Reform verstetigen möchte. Für die Papstwahl selbst hält Hadrian VII. an allen Vorschriften seiner Vorgänger fest, die eine Beeinflussung der Wähler während der Wahl von außen verhindern sollen. Er befürwortet die Spiritualisierung der Wahl und des Amtes, die Möglichkeit zur freien Gewissensentscheidung, die Ausschaltung jedes politischen Einflusses von außen.
Als Ort der Papstwahl hält das Dekret "In Nomine Domini" am Konklave fest, weil es sich über viele Jahrhunderte bewährt hat. Idealerweise findet es auch im Vatikan statt, wobei der ganze Vatikanstaat zum Konklavebereich erklärt wird. Die vatikanische Mauer und die Kolonnaden des Petersplatzes bilden die Grenze. Während der Zeit der Wahl dürfen sich nur die Wähler selbst und das für ihre Versorgung absolut notwendige Personal hier aufhalten, die alle auf strikte Geheimhaltung vereidigt werden. Die Sixtinische Kapelle bleibt der Wahlort, weil das Jüngste Gericht Michelangelos jedem Wähler die Ernsthaftigkeit seiner Entscheidung drastisch vor Augen führt.
Die heftigsten Diskussionen löst die Regelung des passiven Wahlrechts durch Hadrian VII. aus. Hier kehrt der Papst zur Praxis des ersten Jahrtausends zurück. Bischöfe können nicht mehr zum Papst gewählt werden, weil der Wechsel von einer Diözese in eine andere das geistliche Band durchschneidet, das durch die Bischofsweihe zwischen Bischof und Bistum entstanden ist. In Anlehnung an das Konzil von Nizäa von 325, das auch entscheidende Passagen des Glaubensbekenntnisses formuliert hat, versteht Hadrian VII. die Translation als geistlichen Ehebruch und Missachtung des Weihesakraments. Wählbar ist demnach künftig jeder männliche katholische Laie sowie jeder Priester und Diakon. Zu einer Ausweitung des passiven Wahlrechts auf Frauen kann der Papst sich jedoch nicht durchringen.
Gleichzeitig hebt Hadrian VII. die erst in den sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts eingeführte Vorschrift wieder auf, nach der alle Kardinäle die Bischofsweihe empfangen haben müssen. Das gilt ab jetzt nur noch für die Kardinalbischöfe, die wirklich irgendwo in der Welt eine Diözese leiten. Alle anderen Kardinäle sollen wie früher - je nach Aufgabe - lediglich die Priester- oder Diakonenweihe empfangen. Auch Kardinäle ohne Weihe sollen wieder möglich sein. Damit ist der Weg zur Kardinalswürde prinzipiell auch für Frauen offen; die Details werden Ausführungsbestimmungen regeln, die bereits in Vorbereitung sind. Zur Leitung der Vatikanbank, so argumentiert Hadrian VII. anhand eines Beispiels, sei vor allem finanzieller Sachverstand erforderlich und keine besondere Weihegnade. Kardinalpriester und Kardinaldiakone verfügen selbstverständlich über das passive Wahlrecht, da sie noch keine Bischofsweihe empfangen haben.
Beim aktiven Wahlrecht bietet die Konstitution Hadrians VII. einen Kompromiss zwischen Tradition und Erneuerung. Hadrian schafft ein neues Gremium, die sogenannte Kirchenversammlung, deren einzige Aufgabe die Papstwahl ist. Es setzt sich aus zwei Gruppen zusammen. Die eine Hälfte der neuen Kirchenversammlung bildet das Kardinalskollegium, das damit grundsätzlich das Papstwahlrecht behält. Es wird aber viel stärker internationalisiert, Italiener und andere Europäer sollen nicht mehr überrepräsentiert sein. Die Zahl der Kardinäle eines Landes oder einer Gruppe von kleineren Staaten entspricht künftig der Zahl der dort lebenden Katholiken. Die Obergrenze von einhundertzwanzig bleibt erhalten. Um ein Zeichen gegen die Altersdiskriminierung zu setzen, schafft Hadrian die Obergrenze von achtzig Jahren für das aktive Wahlrecht ab.
Die andere Hälfte der zweihundertvierzig Personen umfassenden Versammlung bilden Vertreter der Laienräte, die nach repräsentativen Prinzipien in den einzelnen Ländern jeweils für fünf Jahre gewählt sind, so dass sie wie die Kardinäle im Falle einer Sedisvakanz unmittelbar für die Papstwahl bereitstehen.
Auf diese Weise knüpft der Papst an die altkirchliche Praxis der Wahl des Bischofs von Rom durch Klerus und Volk an und erweitert diese um eine internationale Komponente, die dem universal angelegten Petrusdienst des Bischofs von Rom entspricht. Indem Hadrian das Kardinalskollegium als ständigen Senat des Papstes paritätisch einbezieht, sorgt er zugleich für Kontinuität, schließlich sind Kardinäle auf Lebenszeit berufen.
Auch bei den Wahlarten kehrt Hadrian VII. zu der alten Vielfalt zurück. Zwar soll die geheime Wahl weiter der Normalfall bleiben. Daneben erhält die Kompromisswahl angesichts der großen Zahl von zweihundertvierzig Wählern aus aller Welt eine neue Chance. Mit mindestens Zweidrittelmehrheit können sie ein Vorauswahlrecht auf neun, elf oder dreizehn Wähler übertragen, die miteinander effizienter verhandeln und Kompromisse finden können als die große Gruppe. Diese schlagen einstimmig einen Kandidaten vor, der dann in geheimer Wahl mit Stimmzetteln mindestens eine Zweidrittelmehrheit aller zweihundertvierzig Papstwähler erhalten muss. Kommen die Kompromissäre innerhalb von fünf Tagen nicht an ihr Ziel, fällt das Wahlrecht wieder an die Kirchenversammlung zurück, die dann erneut mit einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln über das weitere Vorgehen entscheidet. Schließlich soll auch die Inspirationswahl zumindest als theoretische Möglichkeit wieder eingeführt werden.
Für den Fall, dass nach dreißig Wahltagen immer noch kein Papst gewählt ist, greift Hadrian VII. auf ein Modell zurück, mit dem manche östlichen Kirchen seit Langem erfolgreich ihre Vorsteher bestimmen. Die Kirchenversammlung erhält die Möglichkeit, mit Zweidrittelmehrheit eine Dreierliste von Kandidaten zu beschließen, die vorher durch Kompromissäre einstimmig nominiert worden sind. Während der Heilig-Geist-Messe wird aus der Apostelgeschichte der Abschnitt über die Nachwahl des Matthias anstelle des Judas (Apostelgeschichte 1,15-26) vorgelesen, dann entscheidet wie bei dieser ersten Apostelwahl das Los. Man überlässt nach einer Vorauswahl die letzte Entscheidung über den geeigneten Papst Gott selbst, menschliche Verantwortung und göttliche Gnade wirken zusammen, so jedenfalls begründet Hadrian VII. seine Entscheidung.
Auch die Frage, was den Papst eigentlich zum Papst macht und ab wann der Papst Papst ist, beantwortet "In Nomine Domini" eindeutig: Der Papst wird Papst durch seine Weihe zum Bischof von Rom, wie es der altehrwürdigen Tradition entspricht. Denn nur als Bischof von Rom kann er den Petrusdienst wahrnehmen. Deshalb datieren die Regierungsdaten der Päpste künftig auch nicht mehr vom Tag der Wahl, sondern vom Tag der Bischofsweihe an.
Hubert Wolf: "Konklave. Die Geheimnisse der Papstwahl". C. H. Beck, 220 Seiten, 19,95 Euro. Erscheint in diesen Tagen
Repro © Verlag C.H.Beck
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.01.2017Die geheimste Wahl der Welt
Zweitausend Jahre als Kirchenthriller: Der Theologe Hubert Wolf erzählt die Geschichte des Konklave
Wie lang bleibt Papst Franziskus im Amt? Zugegeben, es waren eher feixende Gegner dieses Pontifex als seriöse Informanten, die im vergangenen Jahr Gerüchte über seine bevorstehende Resignation verbreiteten. Erst in der Kurie, dann im Internet. Franziskus hat viele Gegner, und überdurchschnittlich viele unter den eigenen Klerikern, weil er die katholische Kirche nach ihrem Geschmack zu unkonventionell führt. Er verachtet zum Beispiel Hierarchien. Doch wie es aussieht, lässt sich der 80 Jahre alte Argentinier die Arbeit noch nicht verdrießen, und er wirkt auch nicht gerade tattrig. Und obwohl ihm als Papst ein möglichst langes Leben beschieden sei und bis zum nächsten Konklave noch einige Zeit vergehen wird, ist das Buch des Kirchenhistorikers Hubert Wolf über die Geschichte der Papstwahl schon jetzt von akuter Bedeutung. Denn für die konservativen Gegner des Papstes ist es eine Zumutung.
Hubert Wolf, 57, ist: Priester der Diözese Stuttgart. Und Ordinarius an der Uni Münster. Und vielfach preisgekrönt. Und Drittmittelkönig in seinem Fach. Und ganz sicher alles andere als ein Gegner von Papst Franziskus. Und Bestseller-Autor – welcher andere katholische Kirchenhistoriker in Deutschland liegt in Buchhandlungen im Regal mit den Top-Lesetipps. Zum einen schreibt er im eloquenten angelsächsischen Stil – pointiert, aufs Wesentliche fokussiert, fast bis zur Zuspitzung auf seine Thesen konzentriert. Zum anderen zeigen seine Verkaufserfolge, und dies ist eine wichtige Erkenntnis: Kirchenthemen sind und bleiben gefragt in der säkularen Welt. Allein die Menschen fordern eher Aufklärung als Erbauung. Was die Bücher von Wolf traditionsgemäß gewährleisten.
Er ist unbequem für seine Kirche. Dabei behelligt er sie keineswegs mit Vorwürfen. Die Fakten, die der Quellenwühler in ihrer 2000-jährigen Geschichte findet, reichen locker aus, um ganze Kongregationen voller Dogmatiker zu düpieren. Dogmatiker berufen sich auf die immerwährend kontinuierliche Lehre der Kirche. Bei Wolf aber lernt man immer wieder, welcher Basis diese Einstellung zu den vermeintlich antiken Traditionen entbehrt: Sie sind erst im Laufe der Jahrhunderte entstanden, die Kirche hat sich den Erfordernissen der Zeiten angepasst. So gesehen müsste sie, hätte sie ihre Tradition der Flexibilität fortentwickelt, heute vor Reformeifer sprühen.
Man denke nur an die absurden Papstwahlen des Mittelalters, die Hubert Wolf beschreibt. In Rom bekriegten sich reiche lokale Clans, und einen Papst in der Familie zu haben, war mit Sicherheit opportun. Es galten damals noch die Bestimmungen, die das Konzil von Nicäa im Jahr 325 festgeschrieben hatte. Sie besagten, dass Kleriker grundsätzlich nicht von einer Diözese in eine andere wechseln durften. Wer sich in einer Diözese zum Bischof weihen ließ, war ihr verbunden wie in einer Ehe. Demnach konnte beispielsweise ein Bischof von Mailand keinesfalls Bischof von Rom werden. Und damit Papst. Nicäa legte fest: Wer in ein anderes Bistum abwandert und sich weigert, in sein Ursprungsbistum zurückzukehren, wird exkommuniziert. Höchststrafe: Verlust des Seelenheils.
In vielen Fragen ihres Glaubens halten sich die Dogmatiker des Vatikans noch heute an das Konzil von Nicäa. Das Verbot, sein Bistum zu wechseln, kennen sie nicht mehr. Es ist vergessen. Stattdessen verweisen sie umso beherzter auf andere, spätere Konzile, auf denen die Unauflöslichkeit der Ehe zementiert wurde. Dass die Kirche Nicäa verdrängte, hatte einen einfachen Grund: Es war wegen der Fehden der Clans nicht mehr praktikabel, einen Papst aus Rom selbst zu wählen. Hubert Wolf spricht von Mafiamethoden, mit denen sie sich bekämpften. Die Auseinandersetzungen gipfelten in der Leichensynode von 896: Der frisch gewählte Papst Stephan VI. ließ seinen Vorgänger Formosus exhumieren und der verwesenden Leiche den Prozess machen. Einer der Vorwürfe: Formosus war vor dem Pontifikat Bischof einer anderen Diözese. Man hackte der Leiche Finger ab, enthauptete und zerhackte sie und warf sie in den Tiber. Wolf schreibt: „Die Vorschriften des Konzils von Nikäa wurden nie explizit aufgehoben. Wie sollte man auch eine feierliche Entscheidung des kirchlichen Lehramtes verändern?“ Antwort: Die normative Kraft der faktischen Vernunft vermag’s offensichtlich von selbst.
Die Papstwähler werden von der Außenwelt abgeschottet. Inzwischen wirkt es wie ein fantastisches Ritual, das der Kirche wohl gerade wegen seiner anachronistischen Strenge und wegen seiner Seltenheit die besten Einschaltquoten beschert, die sie heute noch erzielen kann. Robert Harris’ im Herbst erschienener Roman „Konklave“ ist nicht der erste Thriller zum Thema. Das Konklave, das Eingesperrt-Sein der Kardinäle, kristallisierte sich erst im Mittelalter als günstigste Form zu wählen heraus. Papstwahlen gingen üblicherweise an den Orten über die Bühne, an denen der Vorgänger verschied. Ende November 1268 starb Papst Clemens IV. in Viterbo nördlich von Rom. Die Kardinäle versammelten sich dort jeden Tag in der Kathedrale, ihre Abstimmungen blieben jedoch ergebnislos. Sie gingen Abend für Abend nach Hause in ihre Residenzen, wo das nächste Gelage wartete. Anderthalb Jahre lang. Tag für Tag.
Drei Kardinäle starben, womöglich an den Folgen ihrer Völlerei, und einer suchte das Weite. Nicht nur die Christenheit verlor die Geduld, auch die Bewohner von Viterbo. Sie riegelten ihre Stadt ab, damit nicht noch ein Papstwähler abreisen konnte – und vor allem, damit keine Lobbyisten diverser Magnaten mehr in die Stadt gelangten, um die verbliebenen 16 Geistlichen zu korrumpieren. Die Viterber verschärften die Bedingungen von Monat zu Monat, dann von Woche zu Woche. Sie setzten die Kardinäle auf Wasser und Brot und sperrten sie ein. Doch erst als sie den Kardinälen das Dach über ihrem Versammlungsraum abbauten und ihnen auch Brot und Wasser entzogen, ging es schnell mit der Papstwahl. Seitdem wird der Papst im Konklave gewählt.
Wirkt die Kirche von Rom bei Wolfs Ausflügen ins Mittelalter wie das Gebilde eines fantasievollen Sagendichters, so erscheint sie in der Neuzeit, als die Päpste erst für unfehlbar erklärt wurden, und in der Gegenwart wie eine Intrigenfabrik, die zwischen Dogmatik und Wirklichkeit ständig Widersprüche produziert. Und der Rücktritt Benedikts XVI. wirft Fragen auf, die es vorher nie gab. Wolfs witzigste Pointe dazu: Gehört ein Hubschrauberflug nach Castel Gandolfo künftig zu den Ritualen des Amtsverzichts eines Papstes?
Zur Bestform läuft der Historiker am Ende auf, wo er sich als Prophet betätigt. Wolf blickt auf das Jahr 2059 voraus und von dort aus auf die Kirchengeschichte zurück. Sein fiktiver Protagonist ist Papst Hadrian VII. Ihm legt Wolf in den Mund, was er selbst denkt. Schon der Name ist Programm: Hadrian VI. hatte 1523 auf die Reformation damit reagiert, dass er die Missstände im Amtsklerus anprangerte, wofür er vermutlich vergiftet wurde. Wolfs Alter-ego-Hadrian rechnet nun ebenfalls mit der „deformierten“ Kirche ab, die ihre Gläubigen mit Skandalen und Pseudo-Dialogprozessen verprellt habe. Ein zentrales Mittel, sie zu erneuern, ist ein neuer Modus für die Papstwahl. Kardinäle brauchen keine Priesterweihe, grundsätzlich können auch Frauen Kardinäle werden, wählbar ist jeder männliche katholische Laie, Priester und Diakon, aber keine Bischöfe anderer Diözesen. Aberwitzig neue Ideen? Keinesfalls. Gab es alles schon irgendwann mal in den letzten 2000 Jahren. Hubert Wolf hat die Quellen.
RUDOLF NEUMAIER
Hubert Wolf: Konklave. Die Geheimnisse der Papstwahl. Verlag C.H. Beck, München 2017. 220 Seiten, 19,95 Euro. E-Book 15,99 Euro.
Wenn sie zu lange brauchten,
bekamen die Kardinäle nur noch
Wasser und Brot
Gerichtsprozess für eine Leiche – im Jahr 897 wurde der tote Papst Formosus exhumiert und geschändet.
Abb.: Papst Formosus und Stephan VI., Jean-Paul Laurens, 1870
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Zweitausend Jahre als Kirchenthriller: Der Theologe Hubert Wolf erzählt die Geschichte des Konklave
Wie lang bleibt Papst Franziskus im Amt? Zugegeben, es waren eher feixende Gegner dieses Pontifex als seriöse Informanten, die im vergangenen Jahr Gerüchte über seine bevorstehende Resignation verbreiteten. Erst in der Kurie, dann im Internet. Franziskus hat viele Gegner, und überdurchschnittlich viele unter den eigenen Klerikern, weil er die katholische Kirche nach ihrem Geschmack zu unkonventionell führt. Er verachtet zum Beispiel Hierarchien. Doch wie es aussieht, lässt sich der 80 Jahre alte Argentinier die Arbeit noch nicht verdrießen, und er wirkt auch nicht gerade tattrig. Und obwohl ihm als Papst ein möglichst langes Leben beschieden sei und bis zum nächsten Konklave noch einige Zeit vergehen wird, ist das Buch des Kirchenhistorikers Hubert Wolf über die Geschichte der Papstwahl schon jetzt von akuter Bedeutung. Denn für die konservativen Gegner des Papstes ist es eine Zumutung.
Hubert Wolf, 57, ist: Priester der Diözese Stuttgart. Und Ordinarius an der Uni Münster. Und vielfach preisgekrönt. Und Drittmittelkönig in seinem Fach. Und ganz sicher alles andere als ein Gegner von Papst Franziskus. Und Bestseller-Autor – welcher andere katholische Kirchenhistoriker in Deutschland liegt in Buchhandlungen im Regal mit den Top-Lesetipps. Zum einen schreibt er im eloquenten angelsächsischen Stil – pointiert, aufs Wesentliche fokussiert, fast bis zur Zuspitzung auf seine Thesen konzentriert. Zum anderen zeigen seine Verkaufserfolge, und dies ist eine wichtige Erkenntnis: Kirchenthemen sind und bleiben gefragt in der säkularen Welt. Allein die Menschen fordern eher Aufklärung als Erbauung. Was die Bücher von Wolf traditionsgemäß gewährleisten.
Er ist unbequem für seine Kirche. Dabei behelligt er sie keineswegs mit Vorwürfen. Die Fakten, die der Quellenwühler in ihrer 2000-jährigen Geschichte findet, reichen locker aus, um ganze Kongregationen voller Dogmatiker zu düpieren. Dogmatiker berufen sich auf die immerwährend kontinuierliche Lehre der Kirche. Bei Wolf aber lernt man immer wieder, welcher Basis diese Einstellung zu den vermeintlich antiken Traditionen entbehrt: Sie sind erst im Laufe der Jahrhunderte entstanden, die Kirche hat sich den Erfordernissen der Zeiten angepasst. So gesehen müsste sie, hätte sie ihre Tradition der Flexibilität fortentwickelt, heute vor Reformeifer sprühen.
Man denke nur an die absurden Papstwahlen des Mittelalters, die Hubert Wolf beschreibt. In Rom bekriegten sich reiche lokale Clans, und einen Papst in der Familie zu haben, war mit Sicherheit opportun. Es galten damals noch die Bestimmungen, die das Konzil von Nicäa im Jahr 325 festgeschrieben hatte. Sie besagten, dass Kleriker grundsätzlich nicht von einer Diözese in eine andere wechseln durften. Wer sich in einer Diözese zum Bischof weihen ließ, war ihr verbunden wie in einer Ehe. Demnach konnte beispielsweise ein Bischof von Mailand keinesfalls Bischof von Rom werden. Und damit Papst. Nicäa legte fest: Wer in ein anderes Bistum abwandert und sich weigert, in sein Ursprungsbistum zurückzukehren, wird exkommuniziert. Höchststrafe: Verlust des Seelenheils.
In vielen Fragen ihres Glaubens halten sich die Dogmatiker des Vatikans noch heute an das Konzil von Nicäa. Das Verbot, sein Bistum zu wechseln, kennen sie nicht mehr. Es ist vergessen. Stattdessen verweisen sie umso beherzter auf andere, spätere Konzile, auf denen die Unauflöslichkeit der Ehe zementiert wurde. Dass die Kirche Nicäa verdrängte, hatte einen einfachen Grund: Es war wegen der Fehden der Clans nicht mehr praktikabel, einen Papst aus Rom selbst zu wählen. Hubert Wolf spricht von Mafiamethoden, mit denen sie sich bekämpften. Die Auseinandersetzungen gipfelten in der Leichensynode von 896: Der frisch gewählte Papst Stephan VI. ließ seinen Vorgänger Formosus exhumieren und der verwesenden Leiche den Prozess machen. Einer der Vorwürfe: Formosus war vor dem Pontifikat Bischof einer anderen Diözese. Man hackte der Leiche Finger ab, enthauptete und zerhackte sie und warf sie in den Tiber. Wolf schreibt: „Die Vorschriften des Konzils von Nikäa wurden nie explizit aufgehoben. Wie sollte man auch eine feierliche Entscheidung des kirchlichen Lehramtes verändern?“ Antwort: Die normative Kraft der faktischen Vernunft vermag’s offensichtlich von selbst.
Die Papstwähler werden von der Außenwelt abgeschottet. Inzwischen wirkt es wie ein fantastisches Ritual, das der Kirche wohl gerade wegen seiner anachronistischen Strenge und wegen seiner Seltenheit die besten Einschaltquoten beschert, die sie heute noch erzielen kann. Robert Harris’ im Herbst erschienener Roman „Konklave“ ist nicht der erste Thriller zum Thema. Das Konklave, das Eingesperrt-Sein der Kardinäle, kristallisierte sich erst im Mittelalter als günstigste Form zu wählen heraus. Papstwahlen gingen üblicherweise an den Orten über die Bühne, an denen der Vorgänger verschied. Ende November 1268 starb Papst Clemens IV. in Viterbo nördlich von Rom. Die Kardinäle versammelten sich dort jeden Tag in der Kathedrale, ihre Abstimmungen blieben jedoch ergebnislos. Sie gingen Abend für Abend nach Hause in ihre Residenzen, wo das nächste Gelage wartete. Anderthalb Jahre lang. Tag für Tag.
Drei Kardinäle starben, womöglich an den Folgen ihrer Völlerei, und einer suchte das Weite. Nicht nur die Christenheit verlor die Geduld, auch die Bewohner von Viterbo. Sie riegelten ihre Stadt ab, damit nicht noch ein Papstwähler abreisen konnte – und vor allem, damit keine Lobbyisten diverser Magnaten mehr in die Stadt gelangten, um die verbliebenen 16 Geistlichen zu korrumpieren. Die Viterber verschärften die Bedingungen von Monat zu Monat, dann von Woche zu Woche. Sie setzten die Kardinäle auf Wasser und Brot und sperrten sie ein. Doch erst als sie den Kardinälen das Dach über ihrem Versammlungsraum abbauten und ihnen auch Brot und Wasser entzogen, ging es schnell mit der Papstwahl. Seitdem wird der Papst im Konklave gewählt.
Wirkt die Kirche von Rom bei Wolfs Ausflügen ins Mittelalter wie das Gebilde eines fantasievollen Sagendichters, so erscheint sie in der Neuzeit, als die Päpste erst für unfehlbar erklärt wurden, und in der Gegenwart wie eine Intrigenfabrik, die zwischen Dogmatik und Wirklichkeit ständig Widersprüche produziert. Und der Rücktritt Benedikts XVI. wirft Fragen auf, die es vorher nie gab. Wolfs witzigste Pointe dazu: Gehört ein Hubschrauberflug nach Castel Gandolfo künftig zu den Ritualen des Amtsverzichts eines Papstes?
Zur Bestform läuft der Historiker am Ende auf, wo er sich als Prophet betätigt. Wolf blickt auf das Jahr 2059 voraus und von dort aus auf die Kirchengeschichte zurück. Sein fiktiver Protagonist ist Papst Hadrian VII. Ihm legt Wolf in den Mund, was er selbst denkt. Schon der Name ist Programm: Hadrian VI. hatte 1523 auf die Reformation damit reagiert, dass er die Missstände im Amtsklerus anprangerte, wofür er vermutlich vergiftet wurde. Wolfs Alter-ego-Hadrian rechnet nun ebenfalls mit der „deformierten“ Kirche ab, die ihre Gläubigen mit Skandalen und Pseudo-Dialogprozessen verprellt habe. Ein zentrales Mittel, sie zu erneuern, ist ein neuer Modus für die Papstwahl. Kardinäle brauchen keine Priesterweihe, grundsätzlich können auch Frauen Kardinäle werden, wählbar ist jeder männliche katholische Laie, Priester und Diakon, aber keine Bischöfe anderer Diözesen. Aberwitzig neue Ideen? Keinesfalls. Gab es alles schon irgendwann mal in den letzten 2000 Jahren. Hubert Wolf hat die Quellen.
RUDOLF NEUMAIER
Hubert Wolf: Konklave. Die Geheimnisse der Papstwahl. Verlag C.H. Beck, München 2017. 220 Seiten, 19,95 Euro. E-Book 15,99 Euro.
Wenn sie zu lange brauchten,
bekamen die Kardinäle nur noch
Wasser und Brot
Gerichtsprozess für eine Leiche – im Jahr 897 wurde der tote Papst Formosus exhumiert und geschändet.
Abb.: Papst Formosus und Stephan VI., Jean-Paul Laurens, 1870
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"Ein Glanzstück."
Werner Trutwin, Christ in der Gegenwart, 25. Juni 2017
Werner Trutwin, Christ in der Gegenwart, 25. Juni 2017