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Pianist, Komponist und Theoretiker der Neuen Musik: Ein exzellenter Band holt Eduard Steuermann aus dem Schatten Schönbergs.
Von Wolfgang Matz
Die "Neue Musik" zählt zu den revolutionären Aufbrüchen der Kunst am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, dabei auch zu den einflussreichsten, denn sie dominiert die Musikentwicklung ihrer Epoche in ganzer Breite. Ihre Geschichtsschreibung jedoch folgte jahrzehntelang einer recht autoritären Orthodoxie, beschränkt auf die Heldenerzählung von ganz wenigen großen, stilbildenden Individuen. Schuld daran trug nicht nur Adornos Schwarz-Weiß-Bild von Fortschritt und Reaktion, Schönberg und Strawinsky, sondern auch die Wiener Schönberg-Schule selbst. Neben dem Lehrer und seinen Dioskuren Webern und Berg ist kaum ein anderer Name hinausgedrungen über den engeren Kreis, obwohl die Bedeutung der zahlreichen Schüler überaus beeindruckend ist. Aber dennoch, Komponisten wie Hans Erich Apostel, Josef Rufer, Max Deutsch, Winfried Zillig, um willkürlich ein paar Namen zu nennen, blieben dauerhaft im Schatten ihrer Meister.
Eduard Steuermann, 1892 in Sambor geboren, gestorben 1964 in New York, ist zwar durchaus präsent in der Geschichte der Neuen Musik, doch typischerweise nur als helfende Hand, nämlich als Schönberg-Schüler und Pianist bei vielen Uraufführungen seiner Werke. Dass diese Reduktion der singulären Gestalt nicht gerecht wird, demonstriert jetzt ein fast enzyklopädischer Band, der Steuermann in jeder Hinsicht vorstellt, als ausübenden Interpreten, als Theoretiker und Kritiker, am interessantesten aber auch als originellen, sehr eigenwilligen Komponisten. Denn die öffentliche Wahrnehmung der Wiener Schule hat gerade dies viel zu lange ausgeblendet: dass nämlich die besten Schüler nicht treue Epigonen waren, sondern produktive Künstler, die das Gelernte in eigenem Sinne weiterführten.
Der von Martin Zenck und Volker Rülke herausgegebene, umfangreiche Band firmiert als "Korrespondenz mit Arnold Schönberg, Theodor W. Adorno und René Leibowitz", doch er bietet sehr viel mehr - und das ist wenig gesagt. Schon die Einleitung ist ein komplettes Buch für sich allein, zweihundert Seiten über Steuermann, seine Rolle in der Neuen Musik, besonders jedoch über die vielfältigen, kontroversen Abweichungen von den Hauptströmungen der atonalen und Zwölfton-Orthodoxie, wofür bereits die Namen Adorno und Leibowitz stehen.
Die drei Briefwechsel bilden den materialreichen Kern, und sie könnten zugleich nicht unterschiedlicher sein. Das Verhältnis zu Schönberg ist geprägt von einer Hierarchie zwischen dem Meister, der gegenüber einem Adlatus zwischen Zorn und Gnade wechselt, und einem, der alles andere ist als ein Adlatus, die Rolle aber dennoch allzu unterwürfig akzeptiert; ein Machtanspruch, nicht untypisch für den alternden, sich in wachsende Egozentrik verrennenden Schönberg.
Gleich darauf das Gegenteil: Adorno, der bei Steuermann Klavier studierte, hält trotz aller Konflikte lebenslang fest an einer liebevollen, nun seinerseits fast schülerhaften Verehrung, bis hin zu dem Bekenntnis nach Steuermanns Tod: "Ich habe das Gefühl, daß von diesem Augenblick an das Leben nicht mehr dasselbe ist." Und in den Nachkriegsjahren, in den Darmstädter Ferienkursen, in den Auseinandersetzungen um Serialismus und Elektronik, tritt René Leibowitz hinzu, Steuermann nahe auch in seiner Doppelbegabung als Dirigent und Komponist, zugleich Repräsentant einer Generation, die zwar von Schönberg kommt, sich aber langsam von ihm wegbewegt. Schwere, zuweilen skurrile Konflikte mit dem alten Meister in Los Angeles bleiben bei allen dreien nicht aus, denn Schönberg akzeptiert nur noch bedingungslose Loyalität.
Die Edition erläutert all das mit einer Genauigkeit, die keine Wünsche offenlässt, manchmal sogar ein gutes Stück darüber hinaus. Die Fiktion, dass der Leser eines solchen, Kenntnis und Interesse voraussetzenden Bandes nicht lesen wolle, was vorne oder hinten steht, und dass deshalb "jeder Brief für sich selbst verständlich werden" soll, führt zu einem Wiederholungszwang im Kommentarteil, und wenn man bei jeder Namensnennung, sogar bei Schönberg, Steuermann et al., von Neuem über die Lebensdaten belehrt wird, wirkt auch das etwas komisch.
Der Einwand aber verblasst vor dem Detailreichtum, der hier gerade einmal angedeutet werden kann und dringend notwendig ist bei einer viel zu lang am Rande gebliebenen Gestalt. Die Edition ist mit der monographischen Einleitung, den drei separaten, essayistischen Einführungen zu jedem Briefwechsel, Bibliographien, Diskographien, einer eigens produzierten CD, mit den ergänzenden Materialien, Briefen von Dritten, Noten und Texten - darunter die bewegenden und doch ganz verschieden getönten Nachrufe von Adorno und Leibowitz auf Steuermann - nicht nur die exzellente Hinführung zu einer überaus einnehmenden Gestalt, sie zeichnet auch äußerst vielfältig einen bis dato unterbelichteten Teil der Musikgeschichte.
Besonders nämlich kommt jene Zeit in den Blick, als, nach dem Krieg und Schönbergs Tod 1951, Steuermann, Adorno und Leibowitz gleichzeitig und manchmal auch gemeinsam mitten in den Kämpfen um eine neueste zeitgenössische Musik stehen. Skeptisch sind sie alle. 1951 bekräftigt der junge Pierre Boulez in Darmstadt programmatisch "Schönberg ist tot", und der empörte Steuermann will Adorno zum gemeinsamen Widerspruch bewegen, vergeblich. Doch 1954 hält Adorno, trotz aller Distanz zu Stockhausen, Nono, Boulez, seinen berühmten Vortrag "Das Altern der Neuen Musik", der eben auch das Ende jener heroischen frühen Epoche konstatiert, deren drei Helden - Schönberg, Webern, Berg - jetzt nicht mehr leben.
Steuermann, Adorno und, als der Jüngste, Leibowitz verbinden sowohl künstlerisch als auch biographisch jene frühe Zeit vor dem Ersten mit dem neuen Aufbruch nach dem Zweiten Weltkrieg, und auch von daher ist die Zusammenstellung des Bandes eine sinnvolle, glückliche Wahl. Steuermann ist und bleibt, als Interpret und als Komponist, wohl derjenige, der an seiner ursprünglichen Prägung durch Schönberg am konsequentesten festhielt. Dass er auch im praktischen Musikleben noch einmal hinaustritt aus des Meisters Schatten, ist leider unwahrscheinlich; seine intellektuelle, künstlerische und persönliche Physiognomie ist nun zum Glück sichtbarer denn je.
Martin Zenck und Volker Rülke (Hrsg.): "Kontroverse Wege der Moderne". Der exilierte Komponist und Pianist Eduard Steuermann in seinen Briefen.
edition text + kritik, München 2022. 730 S., Abb., Audio-CD, geb., 75,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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