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Bitte mehr Sinn für Theorie, wenn es um etwas so Handfestes wie den Körper geht: Annelie Ramsbrock fördert Funde und Schwierigkeiten einer Kulturgeschichte der kosmetischen Korrektur zutage.
Schönheit ist eine Kategorie der Kunstbetrachtung, wird aber auch auf die äußere Erscheinung des Menschen angewandt. Hier wie dort kann "Natürlichkeit" als Maßstab dienen - was zu Widersprüchen führt, wird Schönheit durch Manipulation künstlich hergestellt. Ist das geschminkte oder gar das chirurgisch veränderte Gesicht "schön"? Diese Frage begleitet die Bemühungen um das eigene Äußere auch heute noch. Dennoch sind die Zeiten einer Ästhetik der Naturnachahmung, Kennzeichen des bürgerlichen Geschmacks des beginnenden 19. Jahrhunderts, lang vorbei. Moderne Kosmetik wird im Namen der "Gesundheit" verschönernd tätig, erfindet zuvor unbekannte Techniken und sucht sich unter medizinischem Vorzeichen neue ästhetische Werte. Welchen Kriterien kommen dabei ins Spiel?
Unter dem ambitionierten Titel einer Geschichte künstlicher Schönheit in der Moderne hat die Potsdamer Kulturhistorikerin Annelie Ramsbrock eine Untersuchung vorgelegt, die solchen Fragen nachgeht. Fünf Kapitel widmen sich verschiedenen Feldern der Körperverbesserung und zugleich verschiedenen Zeiten: Zunächst geht es um die Tradition der "trockenen Toilette", nämlich der wasserlosen Reinigung und Pflege der Haut, die Ende des 18. Jahrhunderts abgelöst wird durch Bäder und neue Schminkstoffe, die der Hautatmung entgegenkommen. Die Schönheitsratgeber des 19. Jahrhunderts - Frauen sind die Zielgruppe - behalten zwar Versatzstücke traditioneller Säftelehren und auch Verhaltenspostulate des 18. Jahrhunderts bei, stützen sich aber auf physiologische Erkenntnisse und folgen den Zielstellungen der Hygiene.
"Gesundheit" wird zum Gesichtspunkt und statistisch gemessene "Normalität" zur Richtgröße. Weiter geht es um "Natur", aber doch weniger im ästhetischen als im medizinisch-naturwissenschaftlichen Sinn. Im dritten Kapitel behandelt Ramsbrock Dermatologie (Stichwort Höhensonne) und Wiederherstellungschirurgie als Felder einer medizinischen Kosmetik in der Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg. Bereits im 19. Jahrhundert werden zerstörte Gesichtspartien, namentlich durch Säbelhieb verlorene Nasen, chirurgisch rekonstruiert. Eigentlicher Pate der Schönheitschirurgie ist dann der große Krieg, der eine große Zahl von Kriegskrüppeln hinterlässt. Ärzte spezialisieren sich, und eine medizinische Teildisziplin entsteht, die auch unverletzten Kunden nachbessernde Verschönerungsleistungen anbietet, etwa das Anlegen von Ohren, Brustverkleinerungen und so weiter. Genutzt werden die neuen Möglichkeiten der Anästhesie, die auch langwieriges Umoperieren erlauben.
Unter dem Titel "Simulierte Körper" skizziert das vierte Kapitel des Buches die kosmetische Konsumkultur der Zwischenkriegszeit, die neue Schönheitspraktiken rund um die "schlanke Silhouette" vermarktet. Das androgyne Ideal der "neuen Frau" fordert mindestens ebenso intensive kosmetische Anstrengungen wie dasjenige der dezidiert "weiblichen" Erscheinung, welches ihm in Frauenzeitschriften und überhaupt in der öffentlichen Wahrnehmung widerstreitet. In einem fünften Kapitel behandelt Ramsbrock schließlich das durch den Schönheitschirurgen Martin Gumpert und den Sozialdemokraten Julius Moses im Jahr 1929 vorangetriebene Reformprojekt einer "sozialen Kosmetik", das immerhin (wenn auch gescheiterten) zu einem Vorstoß im Reichstag führte. Mit dem Argument, ärmere Schichten seien durch kassenfinanzierte medizinische Eingriffe vor einer durch körperliche Entstellung bedingten Benachteiligung am Arbeitsmarkt zu bewahren, schlägt sich die Schönheitschirurgie auf die Seite der Sozialmedizin.
Ramsbrocks historischer Durchgang ist anschaulich organisiert. Er bietet Einblicke, allerdings nicht unbedingt Orientierung. Das Quellenmaterial ist divers, vom Leserbrief über Ratgeberbücher, medizinische Fachliteratur, Werbeanzeigen bis zu Biographien, über Auswahlkriterien und Repräsentativität erfährt man wenig. Dazu wechseln die Perspektivierungen: Teils werden große Bögen der Wissenschafts-, Körper- und Geschlechtergeschichte nur sehr kurz an ausgewählten Quellen exemplifiziert. Teils werden ganze Genres - die Schönheitsratgeber - angegangen. Teils kreist die Darstellung biographisch-erzählend um Personen.
So finden sich im Kapitel "Renovierte Körper", das die Schönheitschirurgie behandelt, ausführliche Schilderungen zu Leben und Wirken einzelner Chirurgen, und auch das Fallbeispiel der "sozialen Kosmetik" porträtiert Gumpert eingehend als Person. Unter anderem erfahren wir, dass zu Gumperts Netzwerk der sozialistische Eugeniker Alfred Grotjahn gehörte. Dessen Theorieprogramm und seinen möglichen Einfluss auf die "soziale Kosmetik" diskutiert Ramsbrock jedoch nicht.
Überhaupt fehlt es dem Buch, das mit der Schönheit, der Verbesserung sowie verschiedenen fragilen Kriterien der Normierung körperlichen Aussehens und beruflicher Zielstellungen zu tun hat, an Mut zur Auseinandersetzung mit Begriffen. Auf der Gegenstandsebene klammert Ramsbrock ästhetische oder medizinische Theoriebildung nahezu vollständig aus. Leibniz, Hume oder Hufeland werden nach Sekundärliteratur zitiert, und als Gewährsmann für Erkennbarkeit des Schönen "im Sinne einer vermeintlich objektiven Einsicht" dient ausgerechnet Kant (für den das ästhetische Urteil nur subjektive Allgemeinheit besitzt). Auch die Terminologie von Lehrbüchern und Artikeln wird nicht ernst genommen. So entsteht selbst vom zentralen Begriff der "Entstellung" - die Autorin deutet hier einen Wandel an - mangels Präzisierung der Kontexte kein klares Bild. Ob "Korrektur" ein wichtiger Terminus der Quellen ist, bleibt ebenso offen wie die Frage, ob "Normalität" oder "Regulierung" bereits um 1900 verhandelt wurden (oder sich als Foucaultsche Schlagworte erst nachträglich nahelegen) und was eigentlich ab wann als "kosmetisch" bezeichnet wurde und was nicht. Auch Ramsbrocks eigene Wortwahl lässt variable Deutungen zu. "Reguliert", "renoviert", "simuliert", "korrigiert", dazu das traditionsreiche Motiv der "zweiten Natur" - diese Ausdrücke nehmen Schlüsselpositionen ein. Sie werden aber weder bestimmt noch voneinander abgegrenzt und kaum kommentiert.
Entsprechend dünn sind die Erträge, fragt man abschließend nach Thesen. Lässt man Trivialitäten beiseite wie die Feststellung, Körperkorrekturen gäben "Auskunft über soziale, kulturelle und politische Werte" oder "auch persönliche Vorstellungen von Normalität" seien "niemals frei von ,Gesellschaft'", so betont Ramsbrocks Geschichte künstlicher Schönheit erstens gewisse Freiheitsgrade bei der Nutzung von Schönheitstechniken: Kosmetik und auch Schönheitschirurgie werden gewollt, wachsenden Schönheitspflichten im 19. und 20. Jahrhundert entsprechen neue Ansprüche im Schönheitskonsum. Und zweitens läuft das Buch darauf hinaus, die Entstehung der modernen Kosmetik als Naturwissenschaftsfolge zu deuten. "Verwissenschaftlichung" lautet das Stichwort. Gemeint ist populäre "Orientierung an naturwissenschaftlichen Leitbildern", aber auch eine Art historischer Kausalität naturwissenschaftlicher Einsichten: Aus der Entdeckung der physiologischen Funktion der Haut folgt eine Veränderung der Kosmetika. Dass zugleich Schönheitsvorstellungen durchweg einer gewissen Naturästhetik huldigen, also eigenartig anachronistisch bleiben, steht als weitere Einsicht daneben: Noch in der Zwischenkriegszeit wurde dekorative Kosmetik "mit einer Strategie der Unentschiedenheit vermarktet", "die sich zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit, Tradition und Moderne bewegte".
Man liest das Buch nicht ungern, aber was zurückbleibt, ist der Eindruck einer Umschau, die den Zuschnitt ihres Gegenstandes verfehlt. An der Materialmenge liegt das nicht, eher an der Methodik. Ein diskursiv derart spannungsreiches Thema wie die kosmetische Verschönerung - zwischen Ästhetik und Therapie, zwischen Forschung, Technik und Politik - muss einer Geschichtsschreibung entgleiten, die das "Bewerten" als soziale Praktik zu rekonstruieren versucht und die begriffliche Seite dieser Praktik dabei nur kursorisch betrachtet.
Was lernt man daraus? Kulturgeschichte ist schwierig, wo es nur vordergründig ums Sichtbare geht. Zwar ist Kosmetik eine praktische Anstrengung. Aber wer sich für sie im Rahmen einer Kulturgeschichte künstlicher Schönheit interessiert, kann Texte nicht nur als Erläuterungen für etwas im Wesentlichen Handfestes, Anschauliches nehmen. Schönheitshandeln, Kriterien medizinischer Körperoptimierung und die Frage nach der Attraktionskraft neuer kosmetischer Möglichkeiten: Für all das braucht Geschichtsschreibung diskurs- und begriffsgeschichtliche Methoden. Sowie Sinn für Theorie.
PETRA GEHRING
Annelie Ramsbrock: "Korrigierte Körper". Eine Geschichte künstlicher Schönheit in der Moderne.
Wallstein Verlag, Göttingen 2011. 307 S., Abb., geb., 29,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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