Frowalt Hiffenmarkt aus Grollstadt-Sauger arbeitet rechtschaffen als Vertreter für eigentümliche Sanitärartikel, folgt einem starken Drang, an Bahnhöfen Reden zu halten und unterhält in Meppen ein Schreibrefugium, von dem nicht einmal seine Frau weiß.
Der arglose Mann gerät auf so alberne wie unaufhaltsame Weise ins Gefängnis. Täglich wird er von einem offenbar nur für ihn zuständigen, räsonierwütigen Kommissar verhört. Wir erfahren davon in seinen Häftlingsaufzeichnungen, die ihre erschütternde Wahrkraft größtenteils einer ihm seit je zugewandten Brummspezies verdanken: einer Art Kotfliege (Scathophaga), die nach Sonnenuntergang Hiffenmarkts Hirn und Gedankenwelt überfällt und Schriftspuren hinterlässt ...
Ein Sittenthriller aus der bösen neuen Zeit, als das Schwadronieren noch geholfen hat.
Der arglose Mann gerät auf so alberne wie unaufhaltsame Weise ins Gefängnis. Täglich wird er von einem offenbar nur für ihn zuständigen, räsonierwütigen Kommissar verhört. Wir erfahren davon in seinen Häftlingsaufzeichnungen, die ihre erschütternde Wahrkraft größtenteils einer ihm seit je zugewandten Brummspezies verdanken: einer Art Kotfliege (Scathophaga), die nach Sonnenuntergang Hiffenmarkts Hirn und Gedankenwelt überfällt und Schriftspuren hinterlässt ...
Ein Sittenthriller aus der bösen neuen Zeit, als das Schwadronieren noch geholfen hat.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Uwe Ebbinghaus bedauert den Sturz Thomas Kapielskis in die Niederungen des Altherrenwitzes. Früher konnte der Autor noch kalauern und trotzdem zu einer Einsicht oder wenigstens Pointe gelangen, erinnert sich Ebbinghaus wehmütig. Das ist im neuen Buch nicht mehr so, dessen irrsinnige Waghalsigkeit der Rezensent darin erkennt, dass der Autor auf erzählerische Dramaturgie und Sinn gleich ganz verzichtet und gleich zwei Schwadronöre als Helden einführt. Für Ebbinghaus mindestens einer zu viel, auch wenn Jean-Paul-Bezüge und eine Fantastik wie bei Hoffmann ihn ab und zu doch ganz gut unterhalten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.09.2020Schweifend schwiff ich schwarbelnd ab
Thomas Kapielskis Roman "Kotmörtel" ist trotzig sinnverweigernd und erzählerisch völlig enthemmt.
Ob es am Bamberger Rauchbier lag - Teile des neuen Romans von Thomas Kapielski wurden während eines Stipendiumaufenthalts in der Villa Concordia am linken Regnitzarm geschrieben - oder der fränkischen Inspirationsnähe zu E. T. A. Hoffmann und Jean Paul? Jedenfalls ist in "Kotmörtel", dem neuen, recht beleibten Werk des Berliner Autors, endgültig die erzählerische Enthemmtheit, man könnte auch von dramaturgischem Wahnsinn sprechen, ausgebrochen.
Nun war Kapielski schon immer ein Freund der Abschweifung und des gewissenlosen Kalauerns, in seinen früheren Büchern aber speisten sich beide Eigenarten aus einer überbordenden und sehr einnehmenden Lust am Erzählen sowie am doppelbödigen Spiel mit der Sprache. Dabei konnte der Leser meist gewiss sein, dass Abschweifung wie Albernheit früher oder später zum Ziel führen, in eine zündende Pointe, eine erlesene Absurdität oder eine unerwartete Einsicht münden würden. Das ist in dem neuen Buch, das sich im Untertitel "Roman eines Schwadronörs" nennt, anders.
In den ersten Kapiteln ist die trotzige Sinnverweigerung noch witzig. Die Hauptfigur könnte skurriler kaum sein. Frowalt Heimwée Irrgang Hiffenmarkt ist Bürstenvertreter mit Glück bei Fußballwetten (davon lebt er im Grunde) und Hang zur Stegreifrede auf Bahnhofsvorplätzen. In Grollstadt-Sauger wohnend - einer erfundenen deutschen Kleinstadt -, zieht er sich gelegentlich in sein geheimes "Schreibrefugium" in Meppen zurück, wo unsystematische "Kammerschriften", die sogenannten "Kalamitäten" entstehen, aber auch Werke wie die "Gottesbeweise", die an frühere Bücher Kapielskis erinnern.
Erzählt wird "Kotmörtel" aus dem Gefängnis heraus, wo Frowalt Hiffenmarkt von einer seltenen Art Musen heimgesucht wird, "Kotfliegen", die in seinem Hirn den titelgebenden Mörtel erzeugen und Schreibspuren hinterlassen, die er anschließend zu Papier bringt. Während die Phantastik an E.T.A. Hoffmann erinnert, weist die Verschrobenheit der Figuren auf Jean Paul. Die zahlreichen gewundenen Ansprachen des Lesers erinnern an beide, wobei Kapielski bewusst überzieht.
Warum Hiffenmarkt eingebuchtet wurde, das ist auch am Schluss des Buchs noch unklar. Auf einer Zugfahrt hat er sich von einer jungen Frau bezirzen lassen, zwei Pakete nach Grollstadt-Sauger zu transportieren. Doch an der vereinbarten Übergabestelle kommt kein Abholer, Hiffenmarkt machte sich verdächtig und wird schließlich ohne echte Anschuldigung verhaftet. Dass er im Gefängnis über Monate verbleibt, zuletzt freiwillig, versucht Kapielski mit einer Mischung aus Kafka-Determinismus und Stockholm-Syndrom plausibel zu machen. Denn Hiffenmarkt, von einem tiefliegenden schlechten Gewissen geplagt, ist nicht nur leicht abzuspeisen, er hängt auch an den Lippen des ihm gleichgesinnten Kommissars Rufus Röhr, mit dem ihn nach wenigen Verhören bereits eine Goethe-Eckermann-Beziehung verbindet, wobei Röhr die Rolle Goethes übernimmt. Hiffenmarkt schreibt die Lebensweisheiten des Kommissars im Geiste mit, wodurch der Löwenanteil des Romans "Kotmörtel" entsteht.
Im Grunde ist das alles komisch angelegt. Das Problem besteht darin, dass etwa die Hälfte des Buchs aus den Schwadronagen zweier älterer Herren besteht, die ganz offensichtlich nicht richtig im Kopf sind. Oberstes ästhetisches Prinzip ist dabei der Leitsatz "Nichts wird weggeworfen!", den Hiffenmarkt zur "Maxime wahrhaftigen Schreibens und freier Rede" erhebt. In ansatzweise selbstkritischen Bemerkungen wie "(,Schweifend schwiff ich wohl wieder schwarbelnd ab!' Auch notiert.)" zeigt sich aber deutlich der Nachteil eines Verzichts auf Gedankenfilter: Die literarische Formung bleibt auf der Strecke, ungebremst halten auch müde Kalauer und Altherrenwitze wie die notorisch erwähnte Bamberger Busenbürste Einzug, deren mangelnde Zündstufe meist durch nachgesetzte "hahas!", "hohos!", "oh Jus!" und Sprüche wie "hossa, helau!" ironisiert oder übertönt oder beides werden sollen.
Kapielski, der in seinen Büchern philosophisch bekanntlich locker drei, vier Reflexionsstufen auf einmal nimmt, ist sich dieses Formproblems natürlich bewusst, spricht es im Buch in der Figur Hiffenmarkts auch immer wieder an. Doch es siegt der erzählerische Übermut, der sich zunehmend als Eigensinn bemerkbar macht. Der Schwadronör als Romanheld ist für sich schon ein riskantes Unterfangen, in "Kotmörtel" hat der Leser es aber gleich mit zwei Schwadronören zu tun: Hiffenmarkt und Röhr, und beide spielen sich die Bälle zu. Und wo hat der Schwadronör am meisten Zeit, sich mal richtig auszusprechen? Im Gefängnis natürlich. Der Leser kann sich da nur noch als Geisel fühlen.
In der ersten Hälfte des Buchs treffen wir zuweilen noch auf den alten Kapielski. Da fallen Sprüche wie: "Wer zwei Mäntel hat, gebe einen ab, damit auch der zwei habe, der nur einen hat!"- großartig. Dann aber gewinnen zunehmend die Erregungsthemen "alter weißer Männer" die Oberhand, die dadurch nicht fesselnder werden, dass Hiffenmarkt sie als solche reflektiert: Rechtschreibreform, schlechtes Fernsehprogramm, nachlassende Jugend und Politik. Dem einträchtigen Kichern und Feixen Hiffenmarkts und Röhrs mag sich der Leser da nicht immer anschließen. Vielmehr fragt man sich bei der Lektüre zunehmend, ob es nicht ein Irrsinn ist, dem Buch und seiner in der zweiten Hälfte fast nur noch durch großflächige Aphorismen geprägten Dramaturgie bis zum Ende zu folgen, zumal man ahnt, dass sich die Kriminalgeschichte nicht originell auflösen wird. Auf Seite 78 bezeichnet Hiffenmarkt seine Niederschrift als "buchdicke Geschichte (. . .), die wirr wie sonstwas vorüberrumpelt und einfach nicht enden will." Ja, warum hat Kapielski denn keine bessere geschrieben?
UWE EBBINGHAUS
Thomas Kapielski: "Kotmörtel". Roman eines Schwadronörs.
Suhrkamp Verlag. Berlin 2020. 410 S., br., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Thomas Kapielskis Roman "Kotmörtel" ist trotzig sinnverweigernd und erzählerisch völlig enthemmt.
Ob es am Bamberger Rauchbier lag - Teile des neuen Romans von Thomas Kapielski wurden während eines Stipendiumaufenthalts in der Villa Concordia am linken Regnitzarm geschrieben - oder der fränkischen Inspirationsnähe zu E. T. A. Hoffmann und Jean Paul? Jedenfalls ist in "Kotmörtel", dem neuen, recht beleibten Werk des Berliner Autors, endgültig die erzählerische Enthemmtheit, man könnte auch von dramaturgischem Wahnsinn sprechen, ausgebrochen.
Nun war Kapielski schon immer ein Freund der Abschweifung und des gewissenlosen Kalauerns, in seinen früheren Büchern aber speisten sich beide Eigenarten aus einer überbordenden und sehr einnehmenden Lust am Erzählen sowie am doppelbödigen Spiel mit der Sprache. Dabei konnte der Leser meist gewiss sein, dass Abschweifung wie Albernheit früher oder später zum Ziel führen, in eine zündende Pointe, eine erlesene Absurdität oder eine unerwartete Einsicht münden würden. Das ist in dem neuen Buch, das sich im Untertitel "Roman eines Schwadronörs" nennt, anders.
In den ersten Kapiteln ist die trotzige Sinnverweigerung noch witzig. Die Hauptfigur könnte skurriler kaum sein. Frowalt Heimwée Irrgang Hiffenmarkt ist Bürstenvertreter mit Glück bei Fußballwetten (davon lebt er im Grunde) und Hang zur Stegreifrede auf Bahnhofsvorplätzen. In Grollstadt-Sauger wohnend - einer erfundenen deutschen Kleinstadt -, zieht er sich gelegentlich in sein geheimes "Schreibrefugium" in Meppen zurück, wo unsystematische "Kammerschriften", die sogenannten "Kalamitäten" entstehen, aber auch Werke wie die "Gottesbeweise", die an frühere Bücher Kapielskis erinnern.
Erzählt wird "Kotmörtel" aus dem Gefängnis heraus, wo Frowalt Hiffenmarkt von einer seltenen Art Musen heimgesucht wird, "Kotfliegen", die in seinem Hirn den titelgebenden Mörtel erzeugen und Schreibspuren hinterlassen, die er anschließend zu Papier bringt. Während die Phantastik an E.T.A. Hoffmann erinnert, weist die Verschrobenheit der Figuren auf Jean Paul. Die zahlreichen gewundenen Ansprachen des Lesers erinnern an beide, wobei Kapielski bewusst überzieht.
Warum Hiffenmarkt eingebuchtet wurde, das ist auch am Schluss des Buchs noch unklar. Auf einer Zugfahrt hat er sich von einer jungen Frau bezirzen lassen, zwei Pakete nach Grollstadt-Sauger zu transportieren. Doch an der vereinbarten Übergabestelle kommt kein Abholer, Hiffenmarkt machte sich verdächtig und wird schließlich ohne echte Anschuldigung verhaftet. Dass er im Gefängnis über Monate verbleibt, zuletzt freiwillig, versucht Kapielski mit einer Mischung aus Kafka-Determinismus und Stockholm-Syndrom plausibel zu machen. Denn Hiffenmarkt, von einem tiefliegenden schlechten Gewissen geplagt, ist nicht nur leicht abzuspeisen, er hängt auch an den Lippen des ihm gleichgesinnten Kommissars Rufus Röhr, mit dem ihn nach wenigen Verhören bereits eine Goethe-Eckermann-Beziehung verbindet, wobei Röhr die Rolle Goethes übernimmt. Hiffenmarkt schreibt die Lebensweisheiten des Kommissars im Geiste mit, wodurch der Löwenanteil des Romans "Kotmörtel" entsteht.
Im Grunde ist das alles komisch angelegt. Das Problem besteht darin, dass etwa die Hälfte des Buchs aus den Schwadronagen zweier älterer Herren besteht, die ganz offensichtlich nicht richtig im Kopf sind. Oberstes ästhetisches Prinzip ist dabei der Leitsatz "Nichts wird weggeworfen!", den Hiffenmarkt zur "Maxime wahrhaftigen Schreibens und freier Rede" erhebt. In ansatzweise selbstkritischen Bemerkungen wie "(,Schweifend schwiff ich wohl wieder schwarbelnd ab!' Auch notiert.)" zeigt sich aber deutlich der Nachteil eines Verzichts auf Gedankenfilter: Die literarische Formung bleibt auf der Strecke, ungebremst halten auch müde Kalauer und Altherrenwitze wie die notorisch erwähnte Bamberger Busenbürste Einzug, deren mangelnde Zündstufe meist durch nachgesetzte "hahas!", "hohos!", "oh Jus!" und Sprüche wie "hossa, helau!" ironisiert oder übertönt oder beides werden sollen.
Kapielski, der in seinen Büchern philosophisch bekanntlich locker drei, vier Reflexionsstufen auf einmal nimmt, ist sich dieses Formproblems natürlich bewusst, spricht es im Buch in der Figur Hiffenmarkts auch immer wieder an. Doch es siegt der erzählerische Übermut, der sich zunehmend als Eigensinn bemerkbar macht. Der Schwadronör als Romanheld ist für sich schon ein riskantes Unterfangen, in "Kotmörtel" hat der Leser es aber gleich mit zwei Schwadronören zu tun: Hiffenmarkt und Röhr, und beide spielen sich die Bälle zu. Und wo hat der Schwadronör am meisten Zeit, sich mal richtig auszusprechen? Im Gefängnis natürlich. Der Leser kann sich da nur noch als Geisel fühlen.
In der ersten Hälfte des Buchs treffen wir zuweilen noch auf den alten Kapielski. Da fallen Sprüche wie: "Wer zwei Mäntel hat, gebe einen ab, damit auch der zwei habe, der nur einen hat!"- großartig. Dann aber gewinnen zunehmend die Erregungsthemen "alter weißer Männer" die Oberhand, die dadurch nicht fesselnder werden, dass Hiffenmarkt sie als solche reflektiert: Rechtschreibreform, schlechtes Fernsehprogramm, nachlassende Jugend und Politik. Dem einträchtigen Kichern und Feixen Hiffenmarkts und Röhrs mag sich der Leser da nicht immer anschließen. Vielmehr fragt man sich bei der Lektüre zunehmend, ob es nicht ein Irrsinn ist, dem Buch und seiner in der zweiten Hälfte fast nur noch durch großflächige Aphorismen geprägten Dramaturgie bis zum Ende zu folgen, zumal man ahnt, dass sich die Kriminalgeschichte nicht originell auflösen wird. Auf Seite 78 bezeichnet Hiffenmarkt seine Niederschrift als "buchdicke Geschichte (. . .), die wirr wie sonstwas vorüberrumpelt und einfach nicht enden will." Ja, warum hat Kapielski denn keine bessere geschrieben?
UWE EBBINGHAUS
Thomas Kapielski: "Kotmörtel". Roman eines Schwadronörs.
Suhrkamp Verlag. Berlin 2020. 410 S., br., 20,- [Euro].
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»Keiner schwadroniert schöner, witziger, hinterhältiger als Thomas Kapielski.« Paul Jandl Neue Zürcher Zeitung 20200731