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Preis der Leipziger Buchmesse 2020 Die Diagnose »Krebs« war früher ein Todesurteil. Heute ist dies nicht mehr der Fall. Es dauerte lange, bis Ärzte, Krankenschwestern, Krebspatienten und ihre Angehörigen sich auf ihre Gefühle einließen, die Krebskrankheiten auslösen: Zuversicht, Lebensangst, Lebensfreude, Verzweiflung, Mut, Trauer, Leid, Apathie. Bettina Hitzer schildert, wie es zu dieser Gefühlsrevolution in Medizin und Gesellschaft kam. Konfrontiert mit Krebs nehmen wir heute unseren menschlichen Körper anders wahr. Krankheit, Behinderung, Leiden und Tod empfinden wir heute ganz anders, denn…mehr

Produktbeschreibung
Preis der Leipziger Buchmesse 2020 Die Diagnose »Krebs« war früher ein Todesurteil. Heute ist dies nicht mehr der Fall. Es dauerte lange, bis Ärzte, Krankenschwestern, Krebspatienten und ihre Angehörigen sich auf ihre Gefühle einließen, die Krebskrankheiten auslösen: Zuversicht, Lebensangst, Lebensfreude, Verzweiflung, Mut, Trauer, Leid, Apathie. Bettina Hitzer schildert, wie es zu dieser Gefühlsrevolution in Medizin und Gesellschaft kam. Konfrontiert mit Krebs nehmen wir heute unseren menschlichen Körper anders wahr. Krankheit, Behinderung, Leiden und Tod empfinden wir heute ganz anders, denn wir sind fähig, unsere Gefühle auszudrücken. Heute wird in Krankenhäusern, in Reha-Zentren und bei öffentlichen Kampagnen zur Früherkennung wie auch im Vier-Augen-Gespräch empathischer mitempfunden und dies den Patienten mitgeteilt. Bettina Hitzer schildert historische Zusammenhänge zwischen Krankheit und Gefühl, die bisher kaum beachtet werden. Einfühlsam, beispielhaft und ermutigend schildert sie diese bis heute unbemerkte Kulturgeschichte der Gefühle am Beispiel von Krebs, dem »König aller Krankheiten«. Diese Revolution der Gefühle hat die Medizin grundlegend verändert und die deutsche Gesellschaft erstaunlich gewandelt. Der Mensch steht im Mittelpunkt der Humanen Medizin, die von Technik, Maschinen und Programmen unterstützt wird, ohne unser Gesundheitssystem zu beherrschen. Gefühle helfen zu überleben und im eigenen Leben anzukommen. Gerade Krebserkrankungen zeigen, dass wir dem Leben nicht mehr Tage, aber unseren Tagen mehr Leben geben können – vor allem durch das, was wir empfinden.

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Autorenporträt
Bettina Hitzer studierte Geschichte, habilitierte sich und lehrt als Privatdozentin an der FU Berlin. Seit 2014 leitet sie eine Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung (Berlin), die Krankheit als Emotionsgeschichte erforscht. Ihre Arbeiten zur Wissens- und Wissenschaftsgeschichte sowie zur Migrations- und Religionsgeschichte wurden 2016 mit dem Walter-de-Gruyter-Preis der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften ausgezeichnet. Bettina Hitzer lebt mit ihrer Familie in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.03.2020

Das Erbe der Psychosomatik

Zwischen Angst und Hoffnung: Die Historikerin Bettina Hitzer geht der Rolle der Gefühle in der Krebsmedizin nach.

Von Joachim Müller-Jung

Die erste Berührung ist eine emotionale, wie sollte es auch anders sein. Wer die Diagnose Krebs erhält, für sich selbst oder für Nahestehende, sieht in den Abgrund. Das ist noch immer so, auch wenn inzwischen zwei Drittel der Krebspatienten im medizinischen Sinne als geheilt gelten, die Krankheit also mindestens fünf Jahre nicht wieder aufgetreten ist. Aber auch für sie, die erfolgreich Therapierten, von denen mittlerweile mehr als vier Millionen in Deutschland leben, gilt: Man fühlt den Krebs, bevor man sein Wissen darüber abfragt. Dieses Fühlen sitzt allen Fortschritten zum Trotz so unabweisbar tief, dass Bettina Hitzer, die diesem Thema aus der Perspektive der Historikerin auf den Grund gegangen ist, von "Gefühlsmanagement" als Ziel einer "Gefühlsarbeit" in der Bewältigung der Tumorkrankheiten spricht.

Zweifellos gilt heute, dass den Gefühlen von Patienten und Angehörigen eine fast ähnliche Bedeutung beigemessen wird wie Diagnose und Therapie. Sei es in der Nachsorge, sei es in Gesprächen mit Ärzten, den Pflegekräften, Psychoonkologen und Psychotherapeuten; ablesbar auch an der Bedeutung, die der Lebensqualität von Krebskranken zukommt, wo früher noch fast ausschließlich die Lebensverlängerung das Maß der Dinge war.

Bettina Hitzer hat die "Gefühlsgeschichte" dargestellt, die mit dieser Entwicklung einherging. Genauer: Sie widmet sich dieser Entwicklung in Deutschland - die DDR eingeschlossen - vom Ende des neunzehnten Jahrhunderts bis Anfang der neunziger Jahre, um etwas über die Veränderungen in der emotionalen Dimension des Krebsleidens zu erfahren. Ausgangspunkt ist ihre eigene wissenschaftliche Arbeit am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, wo seit 2008 der Forschungsbereich "Geschichte der Gefühle" eingerichtet ist.

Nicht um das über die Jahrhunderte und mittlerweile fast unüberschaubare medizinische Krebswissen geht es der Autorin also. Vielmehr zeigt sie, wann und wie das Emotionale in der Krebsmedizin Einzug gehalten hat, wie vor allem Angst, Hoffnung und Ekel - um die für Hitzer wichtigsten Gefühle zu nennen - die persönlichen und auch die politischen Räume ausgefüllt haben.

Ein wichtiger Aspekt ist dabei die Instrumentalisierung der Gefühle, insbesondere der Angst. Mit Angst geht man heute meist offen um, sie gilt als angemessene, wie Hitzer feststellt, "fast rationale Reaktion". Im Laufe der Geschichte jedoch wurde die Angst immer wieder politisch zielgerichtet erzeugt, wie in der DDR, wo der Optimismus von Staats wegen gefordert war und es die Menschen zu Prophylaxe und gesunder Lebensweise zu bewegen galt. Auch in der Weimarer Zeit und erst recht im Nationalsozialismus wurde Angst vor Krebs positiv besetzt, um der Krankheit mit Mut entgegenzutreten. Ganz anders später in der Bundesrepublik, wo es ein Auf und Ab gab, die Moralisierung zu dominieren begann und die Angst in mehreren Schüben mal zur Abschreckung (auf Zigarettenschachteln), mal als für die erfolgreiche Bewältigung und Therapie notwendige Haltung adressiert wurde.

Ein besonders trübes Kapitel im Hinblick auf die Gefühlshistorie wird von Hitzer akribisch aufgearbeitet: Es geht um die vermeintliche "Krebspersönlichkeit". Ein provokantes Konzept zur Krebsentstehung, das seine Wurzeln in der Psychosomatik der dreißiger Jahre hatte, aber vor allem später in Heidelberg und Berlin akademisch verfolgt wurde. Es hatte geradezu diskriminierende, vor allem auf Frauen zielende Züge. Die vermeintlich überschüssige Emotionalität, die vor allem auf die Vernachlässigung durch die Mütter zurückgehen sollte, und die Unfähigkeit, "echte" Gefühle zu empfinden, wurden als Auslöser von Krebserkrankungen ausgemacht. In die DDR-Politik passte diese Idee natürlich nicht. Experimentell ließ sie sich auch nicht nachweisen. Ganz anders dagegen die Fortschreibung dieses Konzepts, das den emotionalen Stress als wesentlichen Auslöser von Tumoren nachzuweisen versuchte. Tatsächlich spielt dabei der Einfluss der Psyche auf das Immunsystem, damit auch auf die Bekämpfung bösartig wuchernder Zellen, eine prominente Rolle. Zunehmend geht es dabei um "negative" Emotionen, die das Krebsrisiko förderten. Die Diskussion über unverarbeitete Ängste und Gefühle trieb im Laufe der Zeit freilich wissenschaftlich immer fragwürdigere Blüten, wie Hitzer beschreibt, die in diesem Kapitel auch wirklich Ross und Reiter nennt. Dazu gehören insbesondere die Versuche der Psychosomatiker in Heidelberg, Krankheitsrisiko und Persönlichkeitstyp in direkten Zusammenhang zu bringen. Statt die dominante Rolle anzuerkennen, die Umweltfaktoren und genetische Auslöser spielen, provozierten viele Psychosomatiker lange unnötigerweise Scham- und Schuldgefühle bei Patienten und Ärzten.

Später allerdings mündete die Psychosomatik mit der medizinischen Psychologie therapeutisch in eine durchaus konstruktive, die Konstitution des Patienten fördernde Entwicklung. Wenn man so will, nahm mit diesem neuerlichen Schwenk der Erfolg der Selbsthilferatgeber seinen Anfang. Heute geht es, wie Hitzer erkennt, vor allem um die heilungsfördernden Aspekte der Gefühle, um Hoffnung ganz besonders. Ihr Buch wissenschaftlichen Zuschnitts reiht sich in diese Lebenshilfe-Schriften natürlich nicht ein. Gerade deshalb macht es die "Befreiung der Gefühle" plausibel.

Bettina Hitzer: "Krebs fühlen". Eine Emotionsgeschichte des 20. Jahrhunderts.

Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2020. 540 S., Abb., geb., 28,- [Euro].

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»[D]ie Geschichte der Gefühle [hat sich] in den letzten zehn Jahren zu einem lebendigen Zweig entwickelt, die zugehörigen Publikationen sind nicht mehr zu überblicken. In guten Fällen verstehen diese Werke den Menschen als Wesen, das biologisch und kulturell zugleich geprägt ist, und die Gefühle demnach als Sache, die sich wohl im Körper nachweisen lässt, aber erst im Kontext einer sozialen Existenz ihre Bedeutung erhält. Und im besten Fall tragen solche Studien dadurch zu einer Differenzierung der Debatte rund um die Gefühle bei das Buch von Bettina Hitzer ist so ein Bestfall.[...] Manche Gefühle mögen also kommen und gehen, eines bleibt aber sicher: Ein Buch wie jenes von Bettina Hitzer löst grosses Leseglück aus.« Claudia Mäder, Neue Zürcher Zeitung, 27.03.2020 Claudia Mäder Neue Zürcher Zeitung 20200327