Wer braucht noch Ritterromane und Soldatenlieder – die Zeit der Helden ist lang vorbei. Monumente sind heute gegen Entgelt zu betreten, im Schatten des Mausoleums liegt die Shoppingmall. In Teheran werben Kinder auf Plakaten für das Jenseits, Orient ist nur der Name eines Wiener Hotels. Please hurry, we close!, mahnt ein Soldat im Felsendom, und im Radio sprechen sie nach dem Gebet über Krieg.
Nora Bossong reist in ihrem neuen Gedichtband von der deutschen Provinz übers Mittelmeer ins Heilige Land und weiter, der Zeitsprung ist ihre natürliche Gangart. Erfahrungshungrig spürt sie poetische Szenen zwischen jahrhundertealter Vergangenheit und konzentrierter Gegenwart auf. Fast beiläufig nimmt sie Menschen, Orte, Traditionen in den Blick und beschreibt sie mit subtilem Humor und Feingefühl, ohne ihnen ihre Geheimnisse zu nehmen.
Nora Bossong reist in ihrem neuen Gedichtband von der deutschen Provinz übers Mittelmeer ins Heilige Land und weiter, der Zeitsprung ist ihre natürliche Gangart. Erfahrungshungrig spürt sie poetische Szenen zwischen jahrhundertealter Vergangenheit und konzentrierter Gegenwart auf. Fast beiläufig nimmt sie Menschen, Orte, Traditionen in den Blick und beschreibt sie mit subtilem Humor und Feingefühl, ohne ihnen ihre Geheimnisse zu nehmen.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Rezensentin Uta Grossmann fühlt sich wohl im lyrischen Universum von Nora Bossong. Bossongs neuer Gedichtband führt sie mittels reimlosen Versen in Assoziationsräume, zu Erlebtem und Erfundenem, auf Reisen und zu Erinnerungen an verlorene Geliebte, schließlich recht häufig zu Tieren, für Grossmann Boten der poetischen Welt. Wie die Autorin dem Leser eine Tagtraum-Sphäre in Teheran eröffnet oder eine Moschee in Isfahan und brennende PET-Flaschen in einem Text vereint, findet die Rezensentin lesenswert. Politisch, poetisch eine Bewegung von West nach Ost vollziehend, scheinen ihr diese Gedichte aufs große Ganze zu zielen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.12.2018Wie Brot schmeckt,
wenn’s keins gibt
Unterwegs sein heißt, nie wirklich anzukommen:
Nora Bossongs Gedichtband „Kreuzzug mit Hund“
VON KRISTOFFER PATRICK CORNILS
Wenn Nora Bossong über und an Europa schreibt, dann mit einem Seufzer. Steckt darin Larmoyanz oder Erschöpfung? Ist es ein liebevoller Ausstoß vielleicht? Ganz so eindeutig wird das selbst dann nicht, wenn „Ach Europa,“ auf den Worten „Wir muntern / sie auf und beteuern, dass es einmal gut ausgeht mit ihr“ endet. Denn als erstes Gedicht in Bossongs drittem Lyrikband markiert es den Auftakt eines Kapitels namens „Kurzes Asyl“ und zusammengenommen stecken diese drei Titel ein brisantes Themenfeld ab. Durch dieses führt Bossong ihr Publikum, indem sie einmal lyrisch quer durch die Welt reist und dabei in wenigen Worten viele Widersprüche freilegt. Es geht nämlich ums Ganze in „Kreuzzug mit Hund“, soll heißen um die Globalisierung der Welt und ihrer Geschichte.
Erfahrungen von unterwegs hat Bossong zweifellos einige gesammelt. Sei es zuletzt für ihre Reportagensammlung „Rotlicht“, die sie an der Schnittstelle von Sex und Kommerz von einem schummrigen Nicht-Ort zum nächsten führte, oder aber als Schriftstellerin; Stipendien in und Lesereisen durch irgendwelche mittelgroße Städte gehören ebenso zum Job wie der gelegentliche Aufenthalt in Rom oder Stippvisiten in den Nahen Osten.
Was von außen betrachtet aufregend klingt, das kann banaler Arbeitsalltag sein. In „Kreuzzug mit Hund“ arbeitet Bossong aus dieser alltäglichen Banalität konzise die Konflikte heraus, die sich während einer kontinuierlichen Reise ohne endgültige Ankunft offenbaren.
In insgesamt neun Kapiteln geht es über viele Querverbindungen von der deutschen Küste durch die Bürostuben der Bürokratie auf die iberische Halbinsel, nach Israel und nach Iran. In erster Linie allerdings geht es vor und zurück durch alle Zeiten. In Spanien wird an die Pogrome gedacht, in Israel an die Ghettos von Galizien. Die Geschichte des beseufzten Europas flackert zwischen den dicht gestrickten Zeilen als gewalttätiger Spiegeleffekt auf. Von den Häuserwänden lässt Bossong ihr Publikum ablesen, wie tief sich Kreuzzüge, Kolonialismus und Kapitalismus in das globale Reich der Zeichen hineingeschrieben haben und was sie eint.
Ob da nun in Jaffa das Logo einer niederländischen Biermarke blinkt, in Wien ein „Hotel Orient“ steht oder tief in der Provinz eine im See festgefrorene Einkaufstüte daran erinnert, dass selbst die ödesten aller öden Orte noch mit dem Rest der Welt verbunden sind, solange es Discounter-Supermärkte gibt. Wohin der Weg auch führt: Alles ist miteinander verflochten, die Texte ebenso wie das, was sie beschreiben.
Das allerdings heißt nun keineswegs, dass „Kreuzzug mit Hund“ ein ganzheitliches Bild anbieten würde. Bossong schreibt zwar in knappen, manchmal verknappten Sätzen, ihr Modus aber bleibt einer der lyrischen Aufarbeitung und zieht die Mehrdeutigkeit der Situation allen einfachen Erklärungsversuchen vor.
Die Autorin spielt die vermeintliche Homogenität einer auskartografierten Welt im Jahr 2018 gegen die Heterogenität individueller Erfahrungsweisen aus, schiebt Bilder ineinander wie Vielfliegende ihre Bordkarte über einen QR-Code-Scanner: lässig, beinahe nebensächlich und doch ungemein präzise.
So frontal der Ton in ihren Gedichten dabei bisweilen ist, wird ihre Sprache selten explizit. „Alles blieb näher, / solang ich dich abwies. Paradox des Fremden“, heißt es im Gedicht „Hotel“. Damit wäre das Hin und Her zwischen eindringlichem Blick aufs Geschehen und der poetischen Distanz der Gedichte perfekt umrissen: Es wird beobachtet, nicht geurteilt.
In Israel und in Iran, den Reisezielen der letzten beiden Kapitel, baut sich ein Ich vor den Erfahrungen auf, wie um das Gesehene zusätzlich zu filtern. Die Mutter dieses Ichs ruft in Jerusalem an, wieder wird geseufzt: „Ach, Israel!, da muss ich auch mal hin.“ Da schwingt auf kleinstem Raum eine große Sehnsucht nach einem Abschluss der Erinnerungsarbeit mit, die vermutlich nie ein Ende finden wird oder überhaupt sollte.
In Teheran hingegen gibt es Lektionen hinzunehmen: „Aber du weißt nichts, sagt sie, / du weißt nicht, wie Brot schmeckt, wenn es kein Brot gibt“. Das klingt allerhöchstens isoliert nach moralinsaurem Pathos. Aber Bossong isoliert nichts, sondern führt Erleben und Erlebtes eng, um subtil Bruchstellen offenzulegen. Individuelles Wunschdenken und die große ernüchternde Welt, Privilegien und eine grundsätzlich andere soziale Realität: Weil sich das in diesem gekonnt komponierten Gedichtband Zeile an Zeile miteinander reibt, entsteht erst eine Eindringlichkeit, die nur selten forciert wirkt.
Selbst wenn im Anfangskapitel, in „Hanseträume“, von Insekten die Rede ist, die als „Containergut mit leisem Klang“ in deutschen Häfen einlaufen und die Gedichte eine ganz andere Geschichte der Migration erzählen, machen sie das nicht offensichtlich. Weil sie nicht müssen, weil der Konflikt zwischen Sprache und Zeitgeschehen sich wie von selbst entspinnt und weil schon das nächste Kapitel mit einem Rundgang durch deutsche Behörden aufwartet, wo nur müde „bitte wenden Sie sich an Schalter 2 aber der hat der bleibt geschlossen“ gestottert wird. Es geht weiter, und sei es nur ins nächste Wartezimmer.
So entwirft Bossong in „Kreuzzug mit Hund“ sieben Jahre nach ihrem letzten Gedichtband „Sommer vor den Mauern“ eine Poetologie der beobachtenden Welterfahrung, die wenig mit erbaulicher Reiseliteratur auf der einen oder dogmatisch-politischer Lyrik auf der anderen Seite zu tun hätte. Unterwegs zu sein heißt in diesen Gedichten eben auch, nie wirklich anzukommen. In keinem Zuhause, bei keiner definitiven Wahrheit.
So ist auch die Anrufung Europas am Anfang des Buchs zwiespältig: Sie ließe sich leicht als wohlwollende Kapitulation lesen. Womöglich aber auch als Mahnung, über all die Hoffnung auf eine bessere Zukunft das Handeln nicht zu vergessen. Es ist, mit einem Wort, kompliziert.
Mit Europa, mit Bossongs Gedichten. „Kreuzzug mit Hund“ ist eine der wichtigsten Lyrikveröffentlichungen der jüngeren Zeit. Denn wo andere noch nach der Sprache suchen, mit der sie den Murks der großen weiten Welt erfassen und beschreiben möchten, hat Bossong sie ebendort gefunden.
Nora Bossong: Kreuzzug mit Hund. Gedichte. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 101 Seiten, 20 Euro.
Wohin der Weg auch führt:
Alles ist miteinander
verflochten
„Alles blieb näher, /
solang ich dich abwies.
Paradox des Fremden“
Nora Bossong, 1982 in Bremen geboren, debütierte 2006 mit dem Roman „Gegend“.
Foto: dpa/ Patrick Seeger
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
wenn’s keins gibt
Unterwegs sein heißt, nie wirklich anzukommen:
Nora Bossongs Gedichtband „Kreuzzug mit Hund“
VON KRISTOFFER PATRICK CORNILS
Wenn Nora Bossong über und an Europa schreibt, dann mit einem Seufzer. Steckt darin Larmoyanz oder Erschöpfung? Ist es ein liebevoller Ausstoß vielleicht? Ganz so eindeutig wird das selbst dann nicht, wenn „Ach Europa,“ auf den Worten „Wir muntern / sie auf und beteuern, dass es einmal gut ausgeht mit ihr“ endet. Denn als erstes Gedicht in Bossongs drittem Lyrikband markiert es den Auftakt eines Kapitels namens „Kurzes Asyl“ und zusammengenommen stecken diese drei Titel ein brisantes Themenfeld ab. Durch dieses führt Bossong ihr Publikum, indem sie einmal lyrisch quer durch die Welt reist und dabei in wenigen Worten viele Widersprüche freilegt. Es geht nämlich ums Ganze in „Kreuzzug mit Hund“, soll heißen um die Globalisierung der Welt und ihrer Geschichte.
Erfahrungen von unterwegs hat Bossong zweifellos einige gesammelt. Sei es zuletzt für ihre Reportagensammlung „Rotlicht“, die sie an der Schnittstelle von Sex und Kommerz von einem schummrigen Nicht-Ort zum nächsten führte, oder aber als Schriftstellerin; Stipendien in und Lesereisen durch irgendwelche mittelgroße Städte gehören ebenso zum Job wie der gelegentliche Aufenthalt in Rom oder Stippvisiten in den Nahen Osten.
Was von außen betrachtet aufregend klingt, das kann banaler Arbeitsalltag sein. In „Kreuzzug mit Hund“ arbeitet Bossong aus dieser alltäglichen Banalität konzise die Konflikte heraus, die sich während einer kontinuierlichen Reise ohne endgültige Ankunft offenbaren.
In insgesamt neun Kapiteln geht es über viele Querverbindungen von der deutschen Küste durch die Bürostuben der Bürokratie auf die iberische Halbinsel, nach Israel und nach Iran. In erster Linie allerdings geht es vor und zurück durch alle Zeiten. In Spanien wird an die Pogrome gedacht, in Israel an die Ghettos von Galizien. Die Geschichte des beseufzten Europas flackert zwischen den dicht gestrickten Zeilen als gewalttätiger Spiegeleffekt auf. Von den Häuserwänden lässt Bossong ihr Publikum ablesen, wie tief sich Kreuzzüge, Kolonialismus und Kapitalismus in das globale Reich der Zeichen hineingeschrieben haben und was sie eint.
Ob da nun in Jaffa das Logo einer niederländischen Biermarke blinkt, in Wien ein „Hotel Orient“ steht oder tief in der Provinz eine im See festgefrorene Einkaufstüte daran erinnert, dass selbst die ödesten aller öden Orte noch mit dem Rest der Welt verbunden sind, solange es Discounter-Supermärkte gibt. Wohin der Weg auch führt: Alles ist miteinander verflochten, die Texte ebenso wie das, was sie beschreiben.
Das allerdings heißt nun keineswegs, dass „Kreuzzug mit Hund“ ein ganzheitliches Bild anbieten würde. Bossong schreibt zwar in knappen, manchmal verknappten Sätzen, ihr Modus aber bleibt einer der lyrischen Aufarbeitung und zieht die Mehrdeutigkeit der Situation allen einfachen Erklärungsversuchen vor.
Die Autorin spielt die vermeintliche Homogenität einer auskartografierten Welt im Jahr 2018 gegen die Heterogenität individueller Erfahrungsweisen aus, schiebt Bilder ineinander wie Vielfliegende ihre Bordkarte über einen QR-Code-Scanner: lässig, beinahe nebensächlich und doch ungemein präzise.
So frontal der Ton in ihren Gedichten dabei bisweilen ist, wird ihre Sprache selten explizit. „Alles blieb näher, / solang ich dich abwies. Paradox des Fremden“, heißt es im Gedicht „Hotel“. Damit wäre das Hin und Her zwischen eindringlichem Blick aufs Geschehen und der poetischen Distanz der Gedichte perfekt umrissen: Es wird beobachtet, nicht geurteilt.
In Israel und in Iran, den Reisezielen der letzten beiden Kapitel, baut sich ein Ich vor den Erfahrungen auf, wie um das Gesehene zusätzlich zu filtern. Die Mutter dieses Ichs ruft in Jerusalem an, wieder wird geseufzt: „Ach, Israel!, da muss ich auch mal hin.“ Da schwingt auf kleinstem Raum eine große Sehnsucht nach einem Abschluss der Erinnerungsarbeit mit, die vermutlich nie ein Ende finden wird oder überhaupt sollte.
In Teheran hingegen gibt es Lektionen hinzunehmen: „Aber du weißt nichts, sagt sie, / du weißt nicht, wie Brot schmeckt, wenn es kein Brot gibt“. Das klingt allerhöchstens isoliert nach moralinsaurem Pathos. Aber Bossong isoliert nichts, sondern führt Erleben und Erlebtes eng, um subtil Bruchstellen offenzulegen. Individuelles Wunschdenken und die große ernüchternde Welt, Privilegien und eine grundsätzlich andere soziale Realität: Weil sich das in diesem gekonnt komponierten Gedichtband Zeile an Zeile miteinander reibt, entsteht erst eine Eindringlichkeit, die nur selten forciert wirkt.
Selbst wenn im Anfangskapitel, in „Hanseträume“, von Insekten die Rede ist, die als „Containergut mit leisem Klang“ in deutschen Häfen einlaufen und die Gedichte eine ganz andere Geschichte der Migration erzählen, machen sie das nicht offensichtlich. Weil sie nicht müssen, weil der Konflikt zwischen Sprache und Zeitgeschehen sich wie von selbst entspinnt und weil schon das nächste Kapitel mit einem Rundgang durch deutsche Behörden aufwartet, wo nur müde „bitte wenden Sie sich an Schalter 2 aber der hat der bleibt geschlossen“ gestottert wird. Es geht weiter, und sei es nur ins nächste Wartezimmer.
So entwirft Bossong in „Kreuzzug mit Hund“ sieben Jahre nach ihrem letzten Gedichtband „Sommer vor den Mauern“ eine Poetologie der beobachtenden Welterfahrung, die wenig mit erbaulicher Reiseliteratur auf der einen oder dogmatisch-politischer Lyrik auf der anderen Seite zu tun hätte. Unterwegs zu sein heißt in diesen Gedichten eben auch, nie wirklich anzukommen. In keinem Zuhause, bei keiner definitiven Wahrheit.
So ist auch die Anrufung Europas am Anfang des Buchs zwiespältig: Sie ließe sich leicht als wohlwollende Kapitulation lesen. Womöglich aber auch als Mahnung, über all die Hoffnung auf eine bessere Zukunft das Handeln nicht zu vergessen. Es ist, mit einem Wort, kompliziert.
Mit Europa, mit Bossongs Gedichten. „Kreuzzug mit Hund“ ist eine der wichtigsten Lyrikveröffentlichungen der jüngeren Zeit. Denn wo andere noch nach der Sprache suchen, mit der sie den Murks der großen weiten Welt erfassen und beschreiben möchten, hat Bossong sie ebendort gefunden.
Nora Bossong: Kreuzzug mit Hund. Gedichte. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 101 Seiten, 20 Euro.
Wohin der Weg auch führt:
Alles ist miteinander
verflochten
„Alles blieb näher, /
solang ich dich abwies.
Paradox des Fremden“
Nora Bossong, 1982 in Bremen geboren, debütierte 2006 mit dem Roman „Gegend“.
Foto: dpa/ Patrick Seeger
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.01.2019Das Licht des Jenseits
Nora Bossongs Gedichtband "Kreuzzug mit Hund"
Die aus Bremen stammende Nora Bossong ist eine vielseitige und versierte Autorin, die mit Gedichten, Essays und Romanen hervorgetreten ist und zuletzt auch eine Reportage über das Rotlichtmilieu publiziert hat. Wer vieles kann, muss nicht alles können; und das könnte durchaus im Fall ihres neuen Gedichtbandes gelten. Schon der Titel "Kreuzzug mit Hund" weckt Zweifel. Zwar gibt es im Band ein Gedicht dieses Titels, aber darin geht es bloß um eine Straßenszene in Teheran und das Interesse eines Taxifahrers an einem hinkenden Hund. Kein Kreuzzug also, nicht einmal metaphorisch.
Thematisch gliedert das Buch sich in zwei Teile. Der erste spielt in der deutschen Provinz und ist durchaus schwach. Er enthält meist kurze, doch wenig konzise Stücke. Da heißt es: "Daneben Wohnungsgesuche, / doch wer könnte sagen, wenn jetzt die Miete / fällig wird, wer wüsste noch, in welche Richtung / die Sonne läuft." Oder man liest: "Gestern noch / standen die Türken vor Wien, morgen schon / war August." Angestrengt originell sind solche Vorstellungssprünge und quasi surrealen Erfindungen.
Durchaus anders dagegen der zweite Teil des Lyrikbandes. Er ist realistischer und präziser. Die Gedichte erzählen von Reisen in Italien, Israel und Iran. Hier sind der Betrachterin die Blicke geschärft, und die Denkbewegungen geraten originell. Dabei ist Nora Bossong klar, dass ihr Exotismus eine Kompensation ihrer Provinzialität ist: "Wem die Heimat zu klein ist, / dem bleibt nur der Himmel." Wenn der Orient für den Himmel eintreten muss, schafft er eine Fülle durch Detailreichtum und Realismus. Die Einzelheiten ersetzen ein Paradies, "obwohl doch niemand / Karten schreibt von dort". Die Esel von Teheran tragen die Dinge heran auf ihren Rücken: "Reis, Orangen, Engel, / winzig, in Schalen verschlossen, die sich erst, / wenn man sie mit dem Nagel aufbricht, / zu Flügeln breiten."
Das transzendiert ins Religiöse. Besonders deutlich geschieht das im Gedicht "Licht. Grabeskirche, Jerusalem". Dort heißt es angesichts einer Marmorschale: "Nur das Jenseits denkt sich solches Licht aus." Sind das Botschaften von Nora Bossong? Sie lassen sich allemal als solche lesen. Nicht jeder freilich mag sie hören wollen. Einmal heißt es nämlich: "Meine Mutter hatte längst aufgelegt." Mancher Leser mag da wie die Mutter denken. Andere wiederum mögen sich von den Orientgedichten in Nora Bossongs neuem Gedichtband anrühren lassen.
HARALD HARTUNG
Nora Bossong: "Kreuzzug mit Hund". Gedichte.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 107 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nora Bossongs Gedichtband "Kreuzzug mit Hund"
Die aus Bremen stammende Nora Bossong ist eine vielseitige und versierte Autorin, die mit Gedichten, Essays und Romanen hervorgetreten ist und zuletzt auch eine Reportage über das Rotlichtmilieu publiziert hat. Wer vieles kann, muss nicht alles können; und das könnte durchaus im Fall ihres neuen Gedichtbandes gelten. Schon der Titel "Kreuzzug mit Hund" weckt Zweifel. Zwar gibt es im Band ein Gedicht dieses Titels, aber darin geht es bloß um eine Straßenszene in Teheran und das Interesse eines Taxifahrers an einem hinkenden Hund. Kein Kreuzzug also, nicht einmal metaphorisch.
Thematisch gliedert das Buch sich in zwei Teile. Der erste spielt in der deutschen Provinz und ist durchaus schwach. Er enthält meist kurze, doch wenig konzise Stücke. Da heißt es: "Daneben Wohnungsgesuche, / doch wer könnte sagen, wenn jetzt die Miete / fällig wird, wer wüsste noch, in welche Richtung / die Sonne läuft." Oder man liest: "Gestern noch / standen die Türken vor Wien, morgen schon / war August." Angestrengt originell sind solche Vorstellungssprünge und quasi surrealen Erfindungen.
Durchaus anders dagegen der zweite Teil des Lyrikbandes. Er ist realistischer und präziser. Die Gedichte erzählen von Reisen in Italien, Israel und Iran. Hier sind der Betrachterin die Blicke geschärft, und die Denkbewegungen geraten originell. Dabei ist Nora Bossong klar, dass ihr Exotismus eine Kompensation ihrer Provinzialität ist: "Wem die Heimat zu klein ist, / dem bleibt nur der Himmel." Wenn der Orient für den Himmel eintreten muss, schafft er eine Fülle durch Detailreichtum und Realismus. Die Einzelheiten ersetzen ein Paradies, "obwohl doch niemand / Karten schreibt von dort". Die Esel von Teheran tragen die Dinge heran auf ihren Rücken: "Reis, Orangen, Engel, / winzig, in Schalen verschlossen, die sich erst, / wenn man sie mit dem Nagel aufbricht, / zu Flügeln breiten."
Das transzendiert ins Religiöse. Besonders deutlich geschieht das im Gedicht "Licht. Grabeskirche, Jerusalem". Dort heißt es angesichts einer Marmorschale: "Nur das Jenseits denkt sich solches Licht aus." Sind das Botschaften von Nora Bossong? Sie lassen sich allemal als solche lesen. Nicht jeder freilich mag sie hören wollen. Einmal heißt es nämlich: "Meine Mutter hatte längst aufgelegt." Mancher Leser mag da wie die Mutter denken. Andere wiederum mögen sich von den Orientgedichten in Nora Bossongs neuem Gedichtband anrühren lassen.
HARALD HARTUNG
Nora Bossong: "Kreuzzug mit Hund". Gedichte.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 107 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»'Wo zum Teufel bleiben die Lyrik-Hämmer der Saison?' hatte Robert Gernhardt vor Jahren einmal in einem Aufsatz geklagt. Die Frage ist ein Evergreen. Sie stellt sich jedes Jahr aufs Neue angesichts der vielen Mittelmäßigkeiten, die veröffentlicht werden. Hier schlägt einer zu.« André Hatting ZEIT ONLINE 20190128