In der Ukraine toben die schwersten Kämpfe auf europäischem Boden seit 1945, in Israel ist ein Ende der Gewalt nicht abzusehen. Beide Kriege drohen sich zu größeren internationalen Konflikten auszuweiten. Die alte Weltordnung ist offensichtlich an ein Ende gekommen. Wie agieren die USA und der Westen in diesen geopolitischen Krisen? Welche Konflikte warten auf die nächste US-Präsidentschaft? Bob Woodward, zweifacher Pulitzer-Preisträger und einst Aufdecker der Watergate-Affäre, gibt einmalige Einblicke hinter die Kulissen der internationalen Politik: Telefonate zwischen Putin und Biden, hektische Diplomatie in Hinterzimmern, gewagte Geheimdienstoperationen. Sein Buch nimmt uns mit an die entscheidenden Schauplätze der Gegenwart und vermittelt ein Gefühl für die Komplexität und das Risiko politischer Entscheidungen in Zeiten des Krieges. Eine investigative Reportage aus dem Maschinenraum der Diplomatie, wie sie nur Bob Woodward schreiben kann.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ein lesenswertes Buch mit ein paar Schwächen legt Bob Woodward hier pünktlich zur amerikanischen Präsidentschaftswahl vor, urteilt Rezensent Matthias Kolb. Im Zentrum des Bandes, der sich mit der Präsidentschaft Joe Bidens beschäftigt, stehen zwei Kriege, beschreibt Kolb. Zunächst geht es um den Überfall Russlands auf die Ukraine und die Versuche der USA, auf Putin einzuwirken, später, fährt die Zusammenfassung fort, um den Kampf Israels gegen die Hamas, wobei Woodward unter anderem die Beschimpfungen Bidens gegen Benjamin Netanyahu protokolliert. Insgesamt zieht Woodward laut Kolb ein positives Fazit der Biden-Präsidentschaft, da der Demokrat das Land verantwortungsbewusst aus derartigen Konflikten herausgehalten hat. Donald Trump hingegen wird ein weiteres Mal als Gefahr für die amerikanische Demokratie beschrieben, heißt es weiter. Kolb kritisiert, dass Woodward sich oft nicht für die Hintergründe der dargestellten Ereignisse interessiert, wie etwa die israelische Innenpolitik, außerdem merkt man dem nicht immer felsenfesten Lektorat den Zeitdruck an, unter dem es entstanden ist. Dennoch ein wichtiges Buch über unsere Zeit, so das Fazit.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Das Buch ist immer dann stark und lesenswert, wenn man durch wortgenaue Zitate direkt dabei zu sein scheint." Ralf Borchard, Deutschlandfunk, 21.10.24
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.10.2024Respekt für Biden, Angst vor Trump
Bob Woodward beschreibt, wie der US-Präsident versucht, die Eskalation der Konflikte in der Ukraine und Nahost zu verhindern. Und was am 5. November auf dem Spiel steht.
Auch wenn der Präsidentschaftswahlkampf 2024 ganz anders ablief als die sonstigen Kampagnen, so gibt es doch eine Konstante. Wieder bringt die Reporterlegende Bob Woodward kurz vor dem Wahltermin ein Enthüllungsbuch heraus. Mit Carl Bernstein deckte der Washington-Post-Reporter die Watergate-Affäre auf, die 1974 zum Rücktritt von Richard Nixon führte. Im Herbst 2020 schrieb er in „Wut“, dass Donald Trump Monate zuvor die Öffentlichkeit bewusst über die Gefährlichkeit des Coronavirus belogen hatte.
Joe Biden ist der zehnte US-Präsident, über den Woodward ein Buch verfasst hat. Der Hanser-Verlag hat „Krieg“ kurz nach dem Erscheinen in den USA und mithilfe von elf Übersetzerinnen und Übersetzern vor einigen Tagen auf Deutsch herausgebracht. Natürlich enthält es brisante Details und viele Szenen in Dialogform, aber für Woodward war diese Recherche „eine ganz neue Erfahrung“: Dieses Buch handelt nicht „vom Scheitern, von Missmanagement und der Korruption der Exekutivgewalt“, was vor allem seine Werke über Richard Nixon und Donald Trump dominiert habe.
Stattdessen gehe es „um die Bemühungen, Kriege beziehungsweise deren Eskalation zu verhindern“, und dies sei Biden gut gelungen, urteilt Woodward. Der 81-Jährige weiß natürlich, wie genau seine Werke in der ganzen Welt studiert werden. Alles spreche dafür, „dass Biden und sein Team bei künftigen Historikern als Beispiel beständiger und zielgerichteter Führung gelten werden“.
Das Urteil über Trump, über den er drei Bücher geschrieben, ist noch deutlicher: Der Republikaner sei „schlichtweg nicht geeignet, das Land zu führen“ und würde „alles sagen und tun, von dem er glaubt, dass es seinen Interessen dient“. Und nicht ohne Grund berichtet er, was Mark Milley, der frühere Generalstabschef der US-Streitkräfte, über Trump denkt: „Er ist ein totaler Faschist. Er ist die größte Gefahr für dieses Land.“
Die zwei Kriege, die so viel von Bidens Zeit und Energie in Anspruch nehmen, sind natürlich Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und der am 7. Oktober 2023 eskalierte Konflikt zwischen der Terrororganisation Hamas und Israel. Woodward erzählt wie immer strikt chronologisch, und so dreht sich anfangs alles um die fast 200 000 Soldaten, die Wladimir Putin im Frühjahr 2021 an den Grenzen der Ukraine aufmarschieren ließ. Im Juni trifft Biden den russischen Präsidenten noch in Genf, doch schnell wird klar, dass es keine „berechenbare und stabile Beziehungen“ geben kann.
Packend sind die Schilderungen, wie die US-Geheimdienste Biden die Pläne für Russlands Angriff präsentierten. Schon im Oktober war klar, welche ukrainischen Städte erobert werden sollten und wie sich Armee und Sicherheitsbehörden die Zuständigkeiten aufteilen wollten. Dass die CIA eine „menschliche Quelle im Innersten des Kremls“ hatte, ist längst bekannt. Woodward zeichnet genau nach, wie die Amerikaner den Russen klarmachten, dass sie alles wissen und Putin die Konsequenzen aufzählten: umfassende Wirtschaftssanktionen des Westens und der Wille, Moskau international zu isolieren.
Außer Biden spielen Außenminister Antony Blinken, CIA-Chef Bill Burns und Sicherheitsberater Jake Sullivan zentrale Rollen und werden als intelligente und rund um die Uhr arbeitende Profis beschrieben. Sie alle dürften zu Woodwards Quellen zählen und sind beteiligt, die Nato-Partner und natürlich die Ukrainer zu informieren und sich für den Ernstfall zu rüsten, von dem alle hoffen, dass er nicht eintritt. Vergebens: Am 24. Februar 2022 marschieren russische Truppen in die Ukraine ein, aber anders als im Jahr 2014 bei der Invasion auf der Halbinsel Krim ist die Reaktion vorbereitet.
Dass Biden seinem früheren Chef Obama vorwirft, damals zu lasch reagiert zu haben („Barack hat Putin nie ernst genommen“), ist eines der Infonuggets, für die Woodward berühmt ist. Schlagzeilen machte auch die Meldung, Trump habe 2020 als US-Präsident Covid-Tests aus amerikanischer Produktion nach Moskau liefern lassen, zur persönlichen Verwendung Putins – als diese Mangelware waren. Außerdem will Woodward erfahren haben, dass die beiden zwischen 2021 und 2024 bis zu siebenmal telefoniert hätten, was Trumps Sprecher dementiert. Doch angesichts der jahrelangen Schwärmereien des Republikaners von Putin und dessen Erfahrung als Manipulator erscheint dies denkbar.
Biden hingegen soll Putin als „Verkörperung des Bösen“ bezeichnen und fürchtete im Herbst 2022, der Russe könnte eine taktische Atomwaffe zünden. Weil die Geheimdienste die Wahrscheinlichkeit mit fifty-fifty angaben, kündigte Washington Moskau für diesen Fall Vergeltung an. Auch darüber wurde bereits berichtet, doch Woodward macht aus der Episode 20 fesselnde Seiten. Demnach sagte etwa US-Verteidigungsminister Lloyd Austin zu seinem Amtskollegen Sergej Schojgu: „Ich stehe an der Spitze des mächtigsten Militärs der Weltgeschichte. Ich drohe nicht.“
Nicht nur, weil der Verteidigungskampf der Ukrainer bald ins vierte Jahr geht, ist es wichtig, die Vorgeschichte des Krieges nicht zu vergessen. Doch wie so oft bei Woodward fehlt es an Einordnung: Er hinterfragt nicht, ob Biden nicht zu zögerlich in Sachen Waffenlieferungen war und Wolodimir Selenskij nicht mehr hätte helfen können.
Mehr Kontext hätte auch den Kapiteln über den Überfall der Hamas auf Israel mit knapp 1200 Toten und der Verschleppung von 250 Geiseln in den Gazastreifen und dem folgenden Krieg gutgetan. Dass Biden Premier Benjamin Netanjahu kaum noch vertraut, ist längst bekannt. Die Bandbreite der Schimpfwörter, die Joe für Bibi verwendet, reicht von „Mistkerl“ über „Lügner“ bis zu „eines der größten Arschlöcher der Welt“.
Natürlich ist es aufschlussreich zu lesen, was die Amerikaner alles versuchen, damit die Israelis mehr Hilfsgüter nach Gaza lassen und sich bei Vergeltungsaktionen mäßigen, um eine Eskalation mit Iran zu verhindern. Seinen Umgang mit Netanjahu beschreibt ein frustrierter Biden so: „Er wird bestimmt etwas unternehmen, aber ich halte es in Grenzen, indem ich ihm sage, er solle nichts machen.“ Die jüngsten Entwicklungen, mit den Tötungen der Führer von Hamas und Hisbollah durch Israels Armee, konnte Woodward natürlich nicht erahnen, aber Netanjahus Agieren lässt sich nicht verstehen ohne Hintergründe aus der israelischen Innenpolitik – und die fehlen im Buch.
Bidens Rückzug als Präsidentschaftskandidat und die Kür von Kamala Harris konnte Woodward noch einarbeiten. Knapp beschreibt er, wie Bidens „Verfall“ zunahm. Er zitiert viele Spender der Demokraten, die entsetzt über Bidens Auftritte waren, bei denen dem Präsidenten Wörter wie „Faxgerät“ nicht mehr einfielen. „Er hat keinen Satz zu Ende gebracht“, erinnert sich der Verleger Bill Reichblum. Auf Blinken und Sullivan, die ihn täglich erleben, macht Biden einen geistigen fitten Eindruck – aber auch sie müssen dem 81-Jährigen sagen, dass die Mehrheit der US-Bürger ihn für zu alt hält und sein Vermächtnis in Gefahr sei, wenn er nochmals antritt.
Eher nebenbei berichtet Woodward von Bidens „wahrem Krieg“: Ein enger Freund berichtet, was Biden emotional „mehr in Mitleidenschaft zog als die Ukraine, mehr als Israel“: Ihn plagen Schuldgefühle gegenüber seinem Sohn Hunter, den die Republikaner gnadenlos wegen einer früheren Drogensucht und windiger PR-Geschäfte verfolgen, um dem Vater zu schaden. „Biden wollte Hunter schützen, war aber gescheitert“, hält Woodward fest – und nicht nur hier spürt man die Sympathie der Reporterlegende für den nur vier Monate älteren Politiker.
Dass auch dieses Buch ein Bestseller werden wird, steht außer Frage. Solange offen ist, wer Biden nachfolgt, verdeutlicht „Krieg“, was bei der Wahl am 5. November für die Welt auf dem Spiel steht. Und weitere Auflagen werden hoffentlich genutzt, um einige dem Zeitdruck geschuldeten Flüchtigkeitsfehler in Übersetzung und Lektorat zu korrigieren.
MATTHIAS KOLB
Es ist das zehnte Buch
des Star-Reporters über
einen US-Präsidenten
Das erste Duell, September 2020 – der damals amtierende Präsident könnte nun der Nachfolger seines Nachfolgers werden.
Foto: Sarah Silbiger / AFP
Bob Woodward:
Krieg.
Übersetzt von S. Bieker,
A. Domainko, G. Fichtl,
S. Kleiner, J. Neubauer,
H. Reese, N. Stingl, A. Wagner-Wolff, A. Weber,
A. Wirthensohn, H. Zeltner-Shane. Hanser, München 2024. 480 Seiten, 25 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Bob Woodward beschreibt, wie der US-Präsident versucht, die Eskalation der Konflikte in der Ukraine und Nahost zu verhindern. Und was am 5. November auf dem Spiel steht.
Auch wenn der Präsidentschaftswahlkampf 2024 ganz anders ablief als die sonstigen Kampagnen, so gibt es doch eine Konstante. Wieder bringt die Reporterlegende Bob Woodward kurz vor dem Wahltermin ein Enthüllungsbuch heraus. Mit Carl Bernstein deckte der Washington-Post-Reporter die Watergate-Affäre auf, die 1974 zum Rücktritt von Richard Nixon führte. Im Herbst 2020 schrieb er in „Wut“, dass Donald Trump Monate zuvor die Öffentlichkeit bewusst über die Gefährlichkeit des Coronavirus belogen hatte.
Joe Biden ist der zehnte US-Präsident, über den Woodward ein Buch verfasst hat. Der Hanser-Verlag hat „Krieg“ kurz nach dem Erscheinen in den USA und mithilfe von elf Übersetzerinnen und Übersetzern vor einigen Tagen auf Deutsch herausgebracht. Natürlich enthält es brisante Details und viele Szenen in Dialogform, aber für Woodward war diese Recherche „eine ganz neue Erfahrung“: Dieses Buch handelt nicht „vom Scheitern, von Missmanagement und der Korruption der Exekutivgewalt“, was vor allem seine Werke über Richard Nixon und Donald Trump dominiert habe.
Stattdessen gehe es „um die Bemühungen, Kriege beziehungsweise deren Eskalation zu verhindern“, und dies sei Biden gut gelungen, urteilt Woodward. Der 81-Jährige weiß natürlich, wie genau seine Werke in der ganzen Welt studiert werden. Alles spreche dafür, „dass Biden und sein Team bei künftigen Historikern als Beispiel beständiger und zielgerichteter Führung gelten werden“.
Das Urteil über Trump, über den er drei Bücher geschrieben, ist noch deutlicher: Der Republikaner sei „schlichtweg nicht geeignet, das Land zu führen“ und würde „alles sagen und tun, von dem er glaubt, dass es seinen Interessen dient“. Und nicht ohne Grund berichtet er, was Mark Milley, der frühere Generalstabschef der US-Streitkräfte, über Trump denkt: „Er ist ein totaler Faschist. Er ist die größte Gefahr für dieses Land.“
Die zwei Kriege, die so viel von Bidens Zeit und Energie in Anspruch nehmen, sind natürlich Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und der am 7. Oktober 2023 eskalierte Konflikt zwischen der Terrororganisation Hamas und Israel. Woodward erzählt wie immer strikt chronologisch, und so dreht sich anfangs alles um die fast 200 000 Soldaten, die Wladimir Putin im Frühjahr 2021 an den Grenzen der Ukraine aufmarschieren ließ. Im Juni trifft Biden den russischen Präsidenten noch in Genf, doch schnell wird klar, dass es keine „berechenbare und stabile Beziehungen“ geben kann.
Packend sind die Schilderungen, wie die US-Geheimdienste Biden die Pläne für Russlands Angriff präsentierten. Schon im Oktober war klar, welche ukrainischen Städte erobert werden sollten und wie sich Armee und Sicherheitsbehörden die Zuständigkeiten aufteilen wollten. Dass die CIA eine „menschliche Quelle im Innersten des Kremls“ hatte, ist längst bekannt. Woodward zeichnet genau nach, wie die Amerikaner den Russen klarmachten, dass sie alles wissen und Putin die Konsequenzen aufzählten: umfassende Wirtschaftssanktionen des Westens und der Wille, Moskau international zu isolieren.
Außer Biden spielen Außenminister Antony Blinken, CIA-Chef Bill Burns und Sicherheitsberater Jake Sullivan zentrale Rollen und werden als intelligente und rund um die Uhr arbeitende Profis beschrieben. Sie alle dürften zu Woodwards Quellen zählen und sind beteiligt, die Nato-Partner und natürlich die Ukrainer zu informieren und sich für den Ernstfall zu rüsten, von dem alle hoffen, dass er nicht eintritt. Vergebens: Am 24. Februar 2022 marschieren russische Truppen in die Ukraine ein, aber anders als im Jahr 2014 bei der Invasion auf der Halbinsel Krim ist die Reaktion vorbereitet.
Dass Biden seinem früheren Chef Obama vorwirft, damals zu lasch reagiert zu haben („Barack hat Putin nie ernst genommen“), ist eines der Infonuggets, für die Woodward berühmt ist. Schlagzeilen machte auch die Meldung, Trump habe 2020 als US-Präsident Covid-Tests aus amerikanischer Produktion nach Moskau liefern lassen, zur persönlichen Verwendung Putins – als diese Mangelware waren. Außerdem will Woodward erfahren haben, dass die beiden zwischen 2021 und 2024 bis zu siebenmal telefoniert hätten, was Trumps Sprecher dementiert. Doch angesichts der jahrelangen Schwärmereien des Republikaners von Putin und dessen Erfahrung als Manipulator erscheint dies denkbar.
Biden hingegen soll Putin als „Verkörperung des Bösen“ bezeichnen und fürchtete im Herbst 2022, der Russe könnte eine taktische Atomwaffe zünden. Weil die Geheimdienste die Wahrscheinlichkeit mit fifty-fifty angaben, kündigte Washington Moskau für diesen Fall Vergeltung an. Auch darüber wurde bereits berichtet, doch Woodward macht aus der Episode 20 fesselnde Seiten. Demnach sagte etwa US-Verteidigungsminister Lloyd Austin zu seinem Amtskollegen Sergej Schojgu: „Ich stehe an der Spitze des mächtigsten Militärs der Weltgeschichte. Ich drohe nicht.“
Nicht nur, weil der Verteidigungskampf der Ukrainer bald ins vierte Jahr geht, ist es wichtig, die Vorgeschichte des Krieges nicht zu vergessen. Doch wie so oft bei Woodward fehlt es an Einordnung: Er hinterfragt nicht, ob Biden nicht zu zögerlich in Sachen Waffenlieferungen war und Wolodimir Selenskij nicht mehr hätte helfen können.
Mehr Kontext hätte auch den Kapiteln über den Überfall der Hamas auf Israel mit knapp 1200 Toten und der Verschleppung von 250 Geiseln in den Gazastreifen und dem folgenden Krieg gutgetan. Dass Biden Premier Benjamin Netanjahu kaum noch vertraut, ist längst bekannt. Die Bandbreite der Schimpfwörter, die Joe für Bibi verwendet, reicht von „Mistkerl“ über „Lügner“ bis zu „eines der größten Arschlöcher der Welt“.
Natürlich ist es aufschlussreich zu lesen, was die Amerikaner alles versuchen, damit die Israelis mehr Hilfsgüter nach Gaza lassen und sich bei Vergeltungsaktionen mäßigen, um eine Eskalation mit Iran zu verhindern. Seinen Umgang mit Netanjahu beschreibt ein frustrierter Biden so: „Er wird bestimmt etwas unternehmen, aber ich halte es in Grenzen, indem ich ihm sage, er solle nichts machen.“ Die jüngsten Entwicklungen, mit den Tötungen der Führer von Hamas und Hisbollah durch Israels Armee, konnte Woodward natürlich nicht erahnen, aber Netanjahus Agieren lässt sich nicht verstehen ohne Hintergründe aus der israelischen Innenpolitik – und die fehlen im Buch.
Bidens Rückzug als Präsidentschaftskandidat und die Kür von Kamala Harris konnte Woodward noch einarbeiten. Knapp beschreibt er, wie Bidens „Verfall“ zunahm. Er zitiert viele Spender der Demokraten, die entsetzt über Bidens Auftritte waren, bei denen dem Präsidenten Wörter wie „Faxgerät“ nicht mehr einfielen. „Er hat keinen Satz zu Ende gebracht“, erinnert sich der Verleger Bill Reichblum. Auf Blinken und Sullivan, die ihn täglich erleben, macht Biden einen geistigen fitten Eindruck – aber auch sie müssen dem 81-Jährigen sagen, dass die Mehrheit der US-Bürger ihn für zu alt hält und sein Vermächtnis in Gefahr sei, wenn er nochmals antritt.
Eher nebenbei berichtet Woodward von Bidens „wahrem Krieg“: Ein enger Freund berichtet, was Biden emotional „mehr in Mitleidenschaft zog als die Ukraine, mehr als Israel“: Ihn plagen Schuldgefühle gegenüber seinem Sohn Hunter, den die Republikaner gnadenlos wegen einer früheren Drogensucht und windiger PR-Geschäfte verfolgen, um dem Vater zu schaden. „Biden wollte Hunter schützen, war aber gescheitert“, hält Woodward fest – und nicht nur hier spürt man die Sympathie der Reporterlegende für den nur vier Monate älteren Politiker.
Dass auch dieses Buch ein Bestseller werden wird, steht außer Frage. Solange offen ist, wer Biden nachfolgt, verdeutlicht „Krieg“, was bei der Wahl am 5. November für die Welt auf dem Spiel steht. Und weitere Auflagen werden hoffentlich genutzt, um einige dem Zeitdruck geschuldeten Flüchtigkeitsfehler in Übersetzung und Lektorat zu korrigieren.
MATTHIAS KOLB
Es ist das zehnte Buch
des Star-Reporters über
einen US-Präsidenten
Das erste Duell, September 2020 – der damals amtierende Präsident könnte nun der Nachfolger seines Nachfolgers werden.
Foto: Sarah Silbiger / AFP
Bob Woodward:
Krieg.
Übersetzt von S. Bieker,
A. Domainko, G. Fichtl,
S. Kleiner, J. Neubauer,
H. Reese, N. Stingl, A. Wagner-Wolff, A. Weber,
A. Wirthensohn, H. Zeltner-Shane. Hanser, München 2024. 480 Seiten, 25 Euro.
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