Millionen Menschen auf der Flucht, auch zu uns nach Europa. Blinder Terror uberall, auch bei uns in Europa. Krieg und Chaos drohen uberhandzunehmen. Was ist nur im Nahen und Mittleren Osten passiert? Mit viel Sachverstand, Gefuhl und Ironie richtet der ehemalige al-Dschasira-Korrespondent einen speziellen, arabischen Blick auf die krisenhaften Entwicklungen der letzten 25 Jahre zwischen dem Westen und der Arabisch-Islamischen Welt. Der Autor zeichnet die unsichtbare Verbindungslinie zwischen dem Islamischen Staat, dem Arabischen Frhling, dem Irak-Krieg, den Angriffen vom 11. September und dem zweiten Golfkrieg. Er versucht das Muster hinter dem Chaos zu erkennen und nimmt dabei seine Leser mit auf eine spannende analytische, journalistische und biografische Reise. Das Buch ist ein Aufschrei gegen Erdl-, Anti-Terror-, Prventiv-, Demokratisierungs-, Schutzverantwortungs-, Regime-Change- und Wie-Auch-Immer-Kriege im Nahen und Mittleren Osten, mit besonderem Augenmerk auf Medien und Kriegspropaganda. "e;Weder wstengelb, noch himmelblau: Blutrot war die eigentliche Farbe von Bagdad im Jahr 2003, denn das Zeitalter des gesichtslosen Todes war angebrochen."e; Aktham Suliman
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.01.2018Krieg gegen Terror kommt immer zu spät
Aktham Suliman und Omid Nouripour über die Lage im Nahen Osten und den Dschihad
Diese beiden Blicke auf den Nahen Osten könnten unterschiedlicher nicht sein. Dabei stammen beide Autoren aus der Krisenregion, leben aber seit langem in Deutschland. Aktham Suliman, geboren in Damaskus und von 2002 bis 2012 Korrespondent des Nachrichtensenders Al Dschazira in Berlin, macht für die Kriege und das Chaos im Nahen Osten "ausländische Mächte" verantwortlich; er wirft ihnen vor, ein großes Komplott gegen die arabische Welt geschmiedet zu haben. Hingegen sieht Omid Nouripour, geboren in Teheran und Bundestagsabgeordneter der Grünen, die Regime des Nahen Ostens als verantwortlich für den Kollaps in der Region an. Er räumt jedoch ein, dass die westliche Politik einen Beitrag dazu geleistet habe und daher überprüft werden müsse.
Suliman will seine Darstellung der Kriege als den "Lebenslauf des Todes im Nahen Osten" verstanden wissen. Der habe mit dem Zweiten Golfkrieg 1991 begonnen. Damals, bei der Befreiung von Kuweit, hätten die Amerikaner die Weichen für das "Amerikanische Jahrhundert" gestellt, und seither befinde sich die arabische Welt in einem "Dritten Weltkrieg", der nahtlos an den Kalten Krieg anknüpfe, der 1991 zu Ende gegangen ist.
Dieser Dritte Weltkrieg diene dazu, die Herrschaft des Westens über den Nahen Osten zu errichten. Der Autor unterscheidet verschiedene Formen von Krieg: Der Zweite Golfkrieg sei ein Antwortkrieg auf die irakische Invasion gewesen; der Anti-Terror-Krieg von 2001 an ein Vergeltungskrieg; der Irak-Krieg 2003 ein Präventivkrieg; der Libyen-Krieg ein Schutzverantwortungskrieg; der Syrien-Krieg eine Mischung aus Bürger-, Demokratisierungs- und Anti-IS-Krieg.
Nouripour stellt indessen den Terror in den Vordergrund, und für den macht er die autokratischen Regime des Nahen Ostens verantwortlich. Sie produzierten Korruption, herrschten mit Repression und zeichneten sich durch schlechte Regierungsführung aus. Instabilität sei die Folge. Das alles spiele den Dschihadisten in die Hände, die mit ihrem Gegenentwurf zu den repressiven Staaten Anhänger finden. Nouripours großes Thema ist, dass der Dschihadismus und der Terror lokale Ursachen haben, er zeigt das anhand von fünfunddreißig Länderstudien. Man könne dem Terror nicht mit dem immer gleichen Rezept begegnen, argumentiert er.
Zu Recht hält Nouripour den "Krieg gegen den Terror" für gescheitert, mit fatalen Folgen für uns alle. Er bezeichnet ihn als ein irreführendes Etikett für einen außenpolitischen Aktionismus unter Führung der Vereinigten Staaten. Aus ihm sei fatalerweise - mit Interventionen und Bombardements - letztlich ein "Krieg für den Terror" geworden, da er ja den Terroristen in die Hände spiele. Statt immerzu kurzatmig neue Koalitionen für Interventionen zusammenzuzimmern, will Nouripour weiter denken - geopolitisch, sozial, ökonomisch. Und er warnt: "Im Kampf gegen den Dschihadismus rennt uns die Zeit davon."
In seinem Buch entwirft Nouripour eine neue Strategie gegen den Dschihad. Zum einen empfiehlt er ein "entglobalisiertes" Vorgehen, das in jedem Land die besonderen lokalen Umstände in den Blick nimmt. Zum anderen müsse man sich um die Köpfe und Herzen jener bemühen, die sonst bei den Dschihadisten landen würden. Die militärische und polizeiliche Arbeit sei gewiss notwendig; aber weit über sie hinaus gehe es um langwierige Arbeit, die nicht an der Front und ganz ohne Waffen stattfinde.
Im letzten Drittel seines lesenswerten Buches skizziert der Autor Maßnahmen eines lokal geführten Kampfes gegen den Dschihad. Sie umfassen ein Umdenken in der Integrationspolitik in Deutschland, wo der Dschihadismus Fuß gefasst hat und hausgemacht ist; schließlich gehe der Radikalisierung meist die Erfahrung von Diskriminierung und Exklusion voraus. Auf Extremismus will Nouripour daher mit Toleranz, Chancengleichheit und Pluralität antworten. Hass dürfe nicht die Antwort auf Hass sein. Nouripour fordert zudem eine härtere Politik gegenüber den Regimen im Nahen Osten. Dort habe Repression den Terror geschaffen, und heute rechtfertige man mit diesem Terror neue Repression.
Holzschnittartiger geht Suliman vor. Er knüpft an die in der arabischen Welt verbreiteten Verschwörungstheorien an, die auch unter deutschen Autoren Anhänger finden. Im zweiten Golfkrieg von 1991 sieht er eine Zäsur. Die vier Kapitel des Buches befassen sich mit vier Kriegen: mit dem von 1991, dem Krieg gegen den Terror nach 2001, dem Irak-Krieg 2003 und schließlich mit den Kriegen, die die Arabellion des Jahres 2011 nach sich zog.
Stets blickt der Autor aus der internationalen Vogelperspektive auf die Region. Im Vordergrund stehen Intrigen und Machenschaften der Staatengemeinschaft gegenüber einer passiv und schuldlos erscheinenden arabischen Welt. Nur kurz widmet sich der Autor den "hausgemachten politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Problemen" der Länder. Er unterschlägt damit, welchen Betrag die Diktaturen, die gescheiterten Staaten und die kaputten Gesellschaften geleistet haben, er unterschlägt auch den sunnitisch-schiitischen Gegensatz und die Verschiebung des Gravitationszentrums in der Region Richtung Iran.
Suliman wirft dem Westen vor, moderne Staaten wie den Irak, Libyen und Syrien zerstört zu haben, Monarchien ohne Parlamente aber zu unterstützen. Schon 1991 habe Washington gegenüber dem Irak eine "Steinzeitstrategie" verfolgt; 2003 sei der Eindruck entstanden, der Irak werde im Rahmen eines großen Kriegs gegen die arabisch-islamische Welt besetzt. Nach 2011 habe der Westen in Libyen seine verhängnisvollen Interventionen mit einem Angriffskrieg fortgesetzt. Dabei hätten sich die Libyer, die sich gegen Gaddafi erhoben hatten, auf das Format von "Manga-Comics" reduziert, spottet der Autor. Suliman schreibt von "Demokratisierungsflüchtlingen", die ihre arabische Heimat verlassen mussten, weil Westmächte über sie hergefallen waren, um angeblich die Demokratie einzuführen und den Terror zu bekämpfen.
Bedenkenswert sind die Passagen, in denen sich Suliman mit dem "Sieg des Bildes über das Wort als Informationsträger" beschäftigt. So glaubten die Menschen nur noch, was sie sähen. Als Beispiel führt er an, dass sein früherer Arbeitgeber Al Dschazira mit ein paar Aufnahmen desertierter Soldaten 2011 die gemäßigte "Freie Syrische Armee" geschaffen habe, die es in Wirklichkeit nie gegeben habe.
RAINER HERMANN.
Omid Nouripour: "Was tun gegen Dschihadisten?" Wie wir den Terror besiegen können.
dtv Verlagsgesellschaft, München 2017. 304 S., br., 16,90 [Euro].
Aktham Suliman: "Krieg und Chaos in Nahost". Eine arabische Sicht.
Nomen Verlag, Frankfurt am Main 2017. 232 S., br., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Aktham Suliman und Omid Nouripour über die Lage im Nahen Osten und den Dschihad
Diese beiden Blicke auf den Nahen Osten könnten unterschiedlicher nicht sein. Dabei stammen beide Autoren aus der Krisenregion, leben aber seit langem in Deutschland. Aktham Suliman, geboren in Damaskus und von 2002 bis 2012 Korrespondent des Nachrichtensenders Al Dschazira in Berlin, macht für die Kriege und das Chaos im Nahen Osten "ausländische Mächte" verantwortlich; er wirft ihnen vor, ein großes Komplott gegen die arabische Welt geschmiedet zu haben. Hingegen sieht Omid Nouripour, geboren in Teheran und Bundestagsabgeordneter der Grünen, die Regime des Nahen Ostens als verantwortlich für den Kollaps in der Region an. Er räumt jedoch ein, dass die westliche Politik einen Beitrag dazu geleistet habe und daher überprüft werden müsse.
Suliman will seine Darstellung der Kriege als den "Lebenslauf des Todes im Nahen Osten" verstanden wissen. Der habe mit dem Zweiten Golfkrieg 1991 begonnen. Damals, bei der Befreiung von Kuweit, hätten die Amerikaner die Weichen für das "Amerikanische Jahrhundert" gestellt, und seither befinde sich die arabische Welt in einem "Dritten Weltkrieg", der nahtlos an den Kalten Krieg anknüpfe, der 1991 zu Ende gegangen ist.
Dieser Dritte Weltkrieg diene dazu, die Herrschaft des Westens über den Nahen Osten zu errichten. Der Autor unterscheidet verschiedene Formen von Krieg: Der Zweite Golfkrieg sei ein Antwortkrieg auf die irakische Invasion gewesen; der Anti-Terror-Krieg von 2001 an ein Vergeltungskrieg; der Irak-Krieg 2003 ein Präventivkrieg; der Libyen-Krieg ein Schutzverantwortungskrieg; der Syrien-Krieg eine Mischung aus Bürger-, Demokratisierungs- und Anti-IS-Krieg.
Nouripour stellt indessen den Terror in den Vordergrund, und für den macht er die autokratischen Regime des Nahen Ostens verantwortlich. Sie produzierten Korruption, herrschten mit Repression und zeichneten sich durch schlechte Regierungsführung aus. Instabilität sei die Folge. Das alles spiele den Dschihadisten in die Hände, die mit ihrem Gegenentwurf zu den repressiven Staaten Anhänger finden. Nouripours großes Thema ist, dass der Dschihadismus und der Terror lokale Ursachen haben, er zeigt das anhand von fünfunddreißig Länderstudien. Man könne dem Terror nicht mit dem immer gleichen Rezept begegnen, argumentiert er.
Zu Recht hält Nouripour den "Krieg gegen den Terror" für gescheitert, mit fatalen Folgen für uns alle. Er bezeichnet ihn als ein irreführendes Etikett für einen außenpolitischen Aktionismus unter Führung der Vereinigten Staaten. Aus ihm sei fatalerweise - mit Interventionen und Bombardements - letztlich ein "Krieg für den Terror" geworden, da er ja den Terroristen in die Hände spiele. Statt immerzu kurzatmig neue Koalitionen für Interventionen zusammenzuzimmern, will Nouripour weiter denken - geopolitisch, sozial, ökonomisch. Und er warnt: "Im Kampf gegen den Dschihadismus rennt uns die Zeit davon."
In seinem Buch entwirft Nouripour eine neue Strategie gegen den Dschihad. Zum einen empfiehlt er ein "entglobalisiertes" Vorgehen, das in jedem Land die besonderen lokalen Umstände in den Blick nimmt. Zum anderen müsse man sich um die Köpfe und Herzen jener bemühen, die sonst bei den Dschihadisten landen würden. Die militärische und polizeiliche Arbeit sei gewiss notwendig; aber weit über sie hinaus gehe es um langwierige Arbeit, die nicht an der Front und ganz ohne Waffen stattfinde.
Im letzten Drittel seines lesenswerten Buches skizziert der Autor Maßnahmen eines lokal geführten Kampfes gegen den Dschihad. Sie umfassen ein Umdenken in der Integrationspolitik in Deutschland, wo der Dschihadismus Fuß gefasst hat und hausgemacht ist; schließlich gehe der Radikalisierung meist die Erfahrung von Diskriminierung und Exklusion voraus. Auf Extremismus will Nouripour daher mit Toleranz, Chancengleichheit und Pluralität antworten. Hass dürfe nicht die Antwort auf Hass sein. Nouripour fordert zudem eine härtere Politik gegenüber den Regimen im Nahen Osten. Dort habe Repression den Terror geschaffen, und heute rechtfertige man mit diesem Terror neue Repression.
Holzschnittartiger geht Suliman vor. Er knüpft an die in der arabischen Welt verbreiteten Verschwörungstheorien an, die auch unter deutschen Autoren Anhänger finden. Im zweiten Golfkrieg von 1991 sieht er eine Zäsur. Die vier Kapitel des Buches befassen sich mit vier Kriegen: mit dem von 1991, dem Krieg gegen den Terror nach 2001, dem Irak-Krieg 2003 und schließlich mit den Kriegen, die die Arabellion des Jahres 2011 nach sich zog.
Stets blickt der Autor aus der internationalen Vogelperspektive auf die Region. Im Vordergrund stehen Intrigen und Machenschaften der Staatengemeinschaft gegenüber einer passiv und schuldlos erscheinenden arabischen Welt. Nur kurz widmet sich der Autor den "hausgemachten politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Problemen" der Länder. Er unterschlägt damit, welchen Betrag die Diktaturen, die gescheiterten Staaten und die kaputten Gesellschaften geleistet haben, er unterschlägt auch den sunnitisch-schiitischen Gegensatz und die Verschiebung des Gravitationszentrums in der Region Richtung Iran.
Suliman wirft dem Westen vor, moderne Staaten wie den Irak, Libyen und Syrien zerstört zu haben, Monarchien ohne Parlamente aber zu unterstützen. Schon 1991 habe Washington gegenüber dem Irak eine "Steinzeitstrategie" verfolgt; 2003 sei der Eindruck entstanden, der Irak werde im Rahmen eines großen Kriegs gegen die arabisch-islamische Welt besetzt. Nach 2011 habe der Westen in Libyen seine verhängnisvollen Interventionen mit einem Angriffskrieg fortgesetzt. Dabei hätten sich die Libyer, die sich gegen Gaddafi erhoben hatten, auf das Format von "Manga-Comics" reduziert, spottet der Autor. Suliman schreibt von "Demokratisierungsflüchtlingen", die ihre arabische Heimat verlassen mussten, weil Westmächte über sie hergefallen waren, um angeblich die Demokratie einzuführen und den Terror zu bekämpfen.
Bedenkenswert sind die Passagen, in denen sich Suliman mit dem "Sieg des Bildes über das Wort als Informationsträger" beschäftigt. So glaubten die Menschen nur noch, was sie sähen. Als Beispiel führt er an, dass sein früherer Arbeitgeber Al Dschazira mit ein paar Aufnahmen desertierter Soldaten 2011 die gemäßigte "Freie Syrische Armee" geschaffen habe, die es in Wirklichkeit nie gegeben habe.
RAINER HERMANN.
Omid Nouripour: "Was tun gegen Dschihadisten?" Wie wir den Terror besiegen können.
dtv Verlagsgesellschaft, München 2017. 304 S., br., 16,90 [Euro].
Aktham Suliman: "Krieg und Chaos in Nahost". Eine arabische Sicht.
Nomen Verlag, Frankfurt am Main 2017. 232 S., br., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.02.2018Wut auf
den Westen
Aktham Suliman analysiert die Lage im Nahen Osten.
Es ist ein Blick von innen – aber vieles bleibt ungesagt
VON SIMON WOLFGANG FUCHS
Aktham Suliman hat sich bewaffnet. Der syrisch-deutsche Journalist schwingt in seinem Abgesang auf den Nahen Osten behände die Keule der Ironie. Etwa gegen amerikanische Denkfabriken, die nach dem 11. September 2001 die Demokratisierung der islamischen Welt als den Königsweg zur Beendigung des Terrorismus vorgaben. Solch ein Politikwechsel wirke als Allheilmittel in der Region eben nicht nur gegen Fanatismus und Armut – sondern vermutlich auch gegen „Unkraut, Umweltverschmutzung, Haarausfall und Hämorrhoiden“. Suliman spottet beißend darüber, mit welcher medialen Raffinesse politische Hoffnungsträger für Afghanistan oder Libyen messiasgleich auf der internationalen Bühne vorgeführt wurden: „Die Zeit der Wunder ist, zumindest wenn sie sich der Westen tatkräftig zurückwünscht, noch nicht vorbei.“
Jedoch können diese zynischen Einwürfe nicht verdecken, dass der ehemalige Büroleiter des arabischen Satellitensenders Al Jazeera in Deutschland vor allem ratlos und bestürzt ist. Und das bereits seit Herbst 1990. Damals, als Zwanzigjähriger frisch in der Bundesrepublik zum Studium angekommen, empfand er Machtlosigkeit angesichts des heraufziehenden ersten Golfkrieges. Es ist dieser Konflikt, den Suliman als wahren Schuldigen für die heutige Situation, für Krieg und Chaos in Nahost, ausmacht. Bei der internationalen Intervention zur Befreiung Kuwaits von der irakischen Besatzung im Frühjahr 1991 habe es sich nur um den ersten Akt eines heimlichen und bis heute andauernden „Dritten Weltkrieges“ gehandelt. Der Westen und allen voran die USA hätten handfeste geostrategische Interessen im Blick gehabt und wollten gleichzeitig Russland schwächen. Empfindlich getroffen habe freilich alle Einmischung in erster Linie die arabische Zivilbevölkerung: Erst die gegen den Irak verhängten, umfassenden Sanktionen hätten diesen im Laufe der 90er-Jahre in einen „failed state“ verwandelt. Das Land konnte seine Kinder nicht mehr ernähren, sah sich mit einer zunehmend wertlosen Währung konfrontiert und verlor seine besten Köpfe durch Abwanderung.
Der Irak war in Sulimans Darstellung dabei nicht irgendein Akteur, sondern – gemeinsam mit Syrien und Libyen – einstmals ein arabischer Vorzeigestaat, ein Bollwerk von „weltlichen, progressiven und zukunftsorientierten Ideologien“. Alle diese politisch-gesellschaftlichen Überzeugungen, egal ob sozialistisch angehaucht oder am arabischen Nationalismus ausgerichtet, hätten in den vergangenen 25 Jahren im gesamten Nahen Osten mehr und mehr an Boden verloren. Suliman erkennt seine eigene Herkunftsregion nicht mehr wieder. Nach dem Krieg gegen den Terror und dem Arabischen Frühling habe heute von Nordafrika bis nach Mesopotamien allein der politische Islam das Sagen. Der Westen liege grundfalsch dabei, diese Entwicklung noch weiter zu befeuern und der Mär von gemäßigten Islamisten auf den Leim zu gehen. Die Revolutionen in Ägypten und Tunesien hätten lediglich „Fata-Morgana-Demokratien“ hervorgebracht. Dort seien politische Systeme entstanden, die ohne Religionsfreiheit, Minderheitenschutz, Bildung, Arbeitsplätze und Geschlechtergleichheit auszukommen glauben und sich lediglich ein parlamentarisches Mäntelchen umhingen.
Sulimans Hoffnungslosigkeit und Zynismus werden in den persönlichen Passagen des Buches verständlich. Diese schildern das tragische Schicksal dreier enger Freunde und Kollegen, die im Irak als Journalisten gewaltsam zu Tode kamen. Beschossen von einem US-amerikanischen Hubschrauber, entführt von islamistischen Gruppen, getroffen bei Filmaufnahmen im Kugelhagel. Schockiert berichtet Suliman, der von 2003 bis 2004 selbst aus dem Irak für Al Jazeera berichtete, von einer Szene, die ihm den Irrwitz der alltäglichen Gewalt im „neuen Irak“ vor Augen führte. In Panik geratene amerikanische Soldaten hatten „versehentlich“ zehn irakische Polizisten getötet, die ihnen eigentlich nach einem Anschlag zu Hilfe geeilt waren. Vom Ort der Explosion berichtend entdeckt Suliman ein gut sichtbares Stück heller menschlicher Hirnmasse auf dem dunklen Asphalt. Trotz aller Routine lähmt ihn dieser Anblick. Ein etwa zwölfjähriger Junge greift indes unbekümmert zu einem Stock und wendet das Stück toten Gehirns auf die blutige Seite. Er erklärt, den Reportern damit zu besseren Aufnahmen verhelfen zu wollen. An bewegenden Stellen wie dieser vermittelt der Autor eine packende Sicht des Krieges aus der Perspektive eines Augenzeugen und Medienschaffenden. Offen erzählt er davon, wie das Eilen zu Explosionen und Attentaten für ihn und seine aus dem Irak berichtenden Kollegen fast schon zum Pawlow’schen Reflex gerät.
Suliman rechnet zudem deutlich mit seinem ehemaligen Arbeitgeber Al Jazeera ab, den er 2012 unter Protest verlassen hat. Der Sender habe sein einstiges Markenzeichen der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit gänzlich aufgegeben und sei zu einem reinen Sprachrohr des Emirates Katar verkommen. Al Jazeera habe sich seit 2011 in eine Fernsehstation verwandelt, die westliche militärische Interventionen „plakativ als humanitär ansieht, fordert und propagiert“. Im Falle Syriens habe der Sender mitgeholfen, die Illusion der Freien Syrischen Armee als Sammelbecken von Deserteuren zu erfinden – in Wahrheit seien aber von Anfang an Dschihadisten gegen die Regierung von Baschar al-Assad vorgegangen.
Gerade letzte, hochgradig problematische Bemerkung zeigt auf, wo die blinden Flecken des Buches liegen. Suliman sieht die Länder des Nahen Ostens – mit der Ausnahme von Saudi-Arabien und einigen anderen, pro-westlichen Golfstaaten – in erster Linie als Opfer finsterer Machenschaften Europas und der USA. Westliche Medien und selbst Universitäten erscheinen in diesem Buch gleichgeschaltet und darauf bedacht, stark ideologisch gefärbte Ansichten wie den von Samuel Huntington propagierten und berüchtigten „Kampf der Kulturen“ unhinterfragt zu verbreiten. In seinem nachvollziehbaren Sehnen nach einer säkularen Ordnung, wie sie beispielsweise immer noch die in Syrien regierende Baath-Partei verkörpert, ist Suliman bereit, selektiv mit der Geschichte zu hantieren. Das Erstarken des Islamismus lässt sich eben nicht bequem an der irakischen Niederlage von 1991 festmachen. Skrupellose Repression einerseits und bewusste Manipulation von Religion durch „weltliche“ (und gar „progressive“) autoritäre Herrscher andererseits bereiteten der Politisierung des Islam schon Jahrzehnte vorher den Boden, sei es in Ägypten, in Syrien oder im Irak. Dem Islamismus allein ein Entstehen aus einem „ideologischen Vakuum“ zuzuschreiben, greift zu kurz und verkennt die zwingende Macht von dessen Ideen. Interne Rivalitäten und das Streben um Vorherrschaft in der Region, manifestiert beispielsweise in der iranischen Revolution und ihrer Strahlkraft im Nahen Osten, kommen in Sulimans Darstellung praktisch nicht vor. Stattdessen bietet das Buch über weite Strecken wenig Neues. Der Autor handelt bekannte Aspekte wie die Diskussion um die angeblichen Massenvernichtungswaffen des Irak und die von den USA unterstellte Al-Qaida-Verbindung als konstruierten Kriegsgrund 2003 solide ab. Ausführlich widmet er sich der anti-muslimischen Hysterie westlicher Gesellschaften nach dem 11. September und zeichnet den chaotischen Verlauf des Arabischen Frühlings verständlich nach. Das alles ist durchaus lesenswert. Eine dezidiert erkenntnisreiche arabische Sicht ist es freilich nicht.
Simon Wolfgang Fuchs ist Akademischer Rat am Orientalischen Seminar der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.
Den ersten Golfkrieg sieht der
einstige Al-Jazeera-Journalist
als Auslöser von allem Übel
Die Probleme liegen aber tiefer,
der Autor hantiert oft allzu
selektiv mit der Geschichte
Aktham Suliman:
Krieg und Chaos in Nahost. Eine arabische Sicht. Nomen-Verlag,
Frankfurt a. M., 2017.
232 Seiten. 17,90 Euro.
Der „böse“ Präsident: George W. Bush auf einem US-Flugzeugträger im Jahr 2003. Ihm werfen viele vor, vor allem den Irak auf einen falschen Weg geführt zu haben. Doch ganz so einfach ist es nicht.
Foto: HECTOR MATA / AfP
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
den Westen
Aktham Suliman analysiert die Lage im Nahen Osten.
Es ist ein Blick von innen – aber vieles bleibt ungesagt
VON SIMON WOLFGANG FUCHS
Aktham Suliman hat sich bewaffnet. Der syrisch-deutsche Journalist schwingt in seinem Abgesang auf den Nahen Osten behände die Keule der Ironie. Etwa gegen amerikanische Denkfabriken, die nach dem 11. September 2001 die Demokratisierung der islamischen Welt als den Königsweg zur Beendigung des Terrorismus vorgaben. Solch ein Politikwechsel wirke als Allheilmittel in der Region eben nicht nur gegen Fanatismus und Armut – sondern vermutlich auch gegen „Unkraut, Umweltverschmutzung, Haarausfall und Hämorrhoiden“. Suliman spottet beißend darüber, mit welcher medialen Raffinesse politische Hoffnungsträger für Afghanistan oder Libyen messiasgleich auf der internationalen Bühne vorgeführt wurden: „Die Zeit der Wunder ist, zumindest wenn sie sich der Westen tatkräftig zurückwünscht, noch nicht vorbei.“
Jedoch können diese zynischen Einwürfe nicht verdecken, dass der ehemalige Büroleiter des arabischen Satellitensenders Al Jazeera in Deutschland vor allem ratlos und bestürzt ist. Und das bereits seit Herbst 1990. Damals, als Zwanzigjähriger frisch in der Bundesrepublik zum Studium angekommen, empfand er Machtlosigkeit angesichts des heraufziehenden ersten Golfkrieges. Es ist dieser Konflikt, den Suliman als wahren Schuldigen für die heutige Situation, für Krieg und Chaos in Nahost, ausmacht. Bei der internationalen Intervention zur Befreiung Kuwaits von der irakischen Besatzung im Frühjahr 1991 habe es sich nur um den ersten Akt eines heimlichen und bis heute andauernden „Dritten Weltkrieges“ gehandelt. Der Westen und allen voran die USA hätten handfeste geostrategische Interessen im Blick gehabt und wollten gleichzeitig Russland schwächen. Empfindlich getroffen habe freilich alle Einmischung in erster Linie die arabische Zivilbevölkerung: Erst die gegen den Irak verhängten, umfassenden Sanktionen hätten diesen im Laufe der 90er-Jahre in einen „failed state“ verwandelt. Das Land konnte seine Kinder nicht mehr ernähren, sah sich mit einer zunehmend wertlosen Währung konfrontiert und verlor seine besten Köpfe durch Abwanderung.
Der Irak war in Sulimans Darstellung dabei nicht irgendein Akteur, sondern – gemeinsam mit Syrien und Libyen – einstmals ein arabischer Vorzeigestaat, ein Bollwerk von „weltlichen, progressiven und zukunftsorientierten Ideologien“. Alle diese politisch-gesellschaftlichen Überzeugungen, egal ob sozialistisch angehaucht oder am arabischen Nationalismus ausgerichtet, hätten in den vergangenen 25 Jahren im gesamten Nahen Osten mehr und mehr an Boden verloren. Suliman erkennt seine eigene Herkunftsregion nicht mehr wieder. Nach dem Krieg gegen den Terror und dem Arabischen Frühling habe heute von Nordafrika bis nach Mesopotamien allein der politische Islam das Sagen. Der Westen liege grundfalsch dabei, diese Entwicklung noch weiter zu befeuern und der Mär von gemäßigten Islamisten auf den Leim zu gehen. Die Revolutionen in Ägypten und Tunesien hätten lediglich „Fata-Morgana-Demokratien“ hervorgebracht. Dort seien politische Systeme entstanden, die ohne Religionsfreiheit, Minderheitenschutz, Bildung, Arbeitsplätze und Geschlechtergleichheit auszukommen glauben und sich lediglich ein parlamentarisches Mäntelchen umhingen.
Sulimans Hoffnungslosigkeit und Zynismus werden in den persönlichen Passagen des Buches verständlich. Diese schildern das tragische Schicksal dreier enger Freunde und Kollegen, die im Irak als Journalisten gewaltsam zu Tode kamen. Beschossen von einem US-amerikanischen Hubschrauber, entführt von islamistischen Gruppen, getroffen bei Filmaufnahmen im Kugelhagel. Schockiert berichtet Suliman, der von 2003 bis 2004 selbst aus dem Irak für Al Jazeera berichtete, von einer Szene, die ihm den Irrwitz der alltäglichen Gewalt im „neuen Irak“ vor Augen führte. In Panik geratene amerikanische Soldaten hatten „versehentlich“ zehn irakische Polizisten getötet, die ihnen eigentlich nach einem Anschlag zu Hilfe geeilt waren. Vom Ort der Explosion berichtend entdeckt Suliman ein gut sichtbares Stück heller menschlicher Hirnmasse auf dem dunklen Asphalt. Trotz aller Routine lähmt ihn dieser Anblick. Ein etwa zwölfjähriger Junge greift indes unbekümmert zu einem Stock und wendet das Stück toten Gehirns auf die blutige Seite. Er erklärt, den Reportern damit zu besseren Aufnahmen verhelfen zu wollen. An bewegenden Stellen wie dieser vermittelt der Autor eine packende Sicht des Krieges aus der Perspektive eines Augenzeugen und Medienschaffenden. Offen erzählt er davon, wie das Eilen zu Explosionen und Attentaten für ihn und seine aus dem Irak berichtenden Kollegen fast schon zum Pawlow’schen Reflex gerät.
Suliman rechnet zudem deutlich mit seinem ehemaligen Arbeitgeber Al Jazeera ab, den er 2012 unter Protest verlassen hat. Der Sender habe sein einstiges Markenzeichen der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit gänzlich aufgegeben und sei zu einem reinen Sprachrohr des Emirates Katar verkommen. Al Jazeera habe sich seit 2011 in eine Fernsehstation verwandelt, die westliche militärische Interventionen „plakativ als humanitär ansieht, fordert und propagiert“. Im Falle Syriens habe der Sender mitgeholfen, die Illusion der Freien Syrischen Armee als Sammelbecken von Deserteuren zu erfinden – in Wahrheit seien aber von Anfang an Dschihadisten gegen die Regierung von Baschar al-Assad vorgegangen.
Gerade letzte, hochgradig problematische Bemerkung zeigt auf, wo die blinden Flecken des Buches liegen. Suliman sieht die Länder des Nahen Ostens – mit der Ausnahme von Saudi-Arabien und einigen anderen, pro-westlichen Golfstaaten – in erster Linie als Opfer finsterer Machenschaften Europas und der USA. Westliche Medien und selbst Universitäten erscheinen in diesem Buch gleichgeschaltet und darauf bedacht, stark ideologisch gefärbte Ansichten wie den von Samuel Huntington propagierten und berüchtigten „Kampf der Kulturen“ unhinterfragt zu verbreiten. In seinem nachvollziehbaren Sehnen nach einer säkularen Ordnung, wie sie beispielsweise immer noch die in Syrien regierende Baath-Partei verkörpert, ist Suliman bereit, selektiv mit der Geschichte zu hantieren. Das Erstarken des Islamismus lässt sich eben nicht bequem an der irakischen Niederlage von 1991 festmachen. Skrupellose Repression einerseits und bewusste Manipulation von Religion durch „weltliche“ (und gar „progressive“) autoritäre Herrscher andererseits bereiteten der Politisierung des Islam schon Jahrzehnte vorher den Boden, sei es in Ägypten, in Syrien oder im Irak. Dem Islamismus allein ein Entstehen aus einem „ideologischen Vakuum“ zuzuschreiben, greift zu kurz und verkennt die zwingende Macht von dessen Ideen. Interne Rivalitäten und das Streben um Vorherrschaft in der Region, manifestiert beispielsweise in der iranischen Revolution und ihrer Strahlkraft im Nahen Osten, kommen in Sulimans Darstellung praktisch nicht vor. Stattdessen bietet das Buch über weite Strecken wenig Neues. Der Autor handelt bekannte Aspekte wie die Diskussion um die angeblichen Massenvernichtungswaffen des Irak und die von den USA unterstellte Al-Qaida-Verbindung als konstruierten Kriegsgrund 2003 solide ab. Ausführlich widmet er sich der anti-muslimischen Hysterie westlicher Gesellschaften nach dem 11. September und zeichnet den chaotischen Verlauf des Arabischen Frühlings verständlich nach. Das alles ist durchaus lesenswert. Eine dezidiert erkenntnisreiche arabische Sicht ist es freilich nicht.
Simon Wolfgang Fuchs ist Akademischer Rat am Orientalischen Seminar der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.
Den ersten Golfkrieg sieht der
einstige Al-Jazeera-Journalist
als Auslöser von allem Übel
Die Probleme liegen aber tiefer,
der Autor hantiert oft allzu
selektiv mit der Geschichte
Aktham Suliman:
Krieg und Chaos in Nahost. Eine arabische Sicht. Nomen-Verlag,
Frankfurt a. M., 2017.
232 Seiten. 17,90 Euro.
Der „böse“ Präsident: George W. Bush auf einem US-Flugzeugträger im Jahr 2003. Ihm werfen viele vor, vor allem den Irak auf einen falschen Weg geführt zu haben. Doch ganz so einfach ist es nicht.
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