«In jeder Hinsicht ein bedeutendes Buch - überwältigend und beeindruckend.» Simon Sebag Montefiore Peter Frankopan betrachtet eine der folgenreichsten kriegerischen Expeditionen der Weltgeschichte in völlig neuem Licht. Im Jahr 1096 zogen rund achtzigtausend Kreuzfahrer los, um Jerusalem und die Grabstelle Jesu nach über vierhundert Jahren wieder unter christliche Herrschaft zu bringen. Was sie in Angriff nahmen, war ein mehrjähriges, von Grausamkeit, Krankheit und Tod gezeichnetes Unterfangen, das die Welt für lange Zeit prägen sollte: Europa profitierte von der kulturellen Blüte des Morgenlandes, der Orienthandel und mit ihm die italienischen Hafenstädte florierten, vier Kreuzfahrerstaaten wurden errichtet. Auf der Grundlage von bislang kaum beachteten Quellen erzählt Peter Frankopan die Geschichte dieses «Heiligen Krieges» - und rückt erstmals Alexios, den Kaiser des Byzantinischen Reiches, ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Denn ebenjener Herrscher aus dem Osten war der eigentliche Initiator des Kreuzzuges und nicht, wie gemeinhin angenommen, der römische Papst. Frankopan wagt eine bemerkenswerte Neuinterpretation jenes epochalen Ereignisses, die unser Verständnis der Kreuzfahrerbewegung verändern wird. Geschichtsschreibung, wie sie sein sollte: anschaulich, spannend und voller neuer Erkenntnisse.
Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, CY, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, IRL, I, L, M, NL, P, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.12.2017Mutter des Gemetzels
Peter Frankopan erzählt die Geschichte des ersten Kreuzzugs
Die Christen waren nicht zimperlich, und das sagt sich so einfach aus der historischen Distanz von gut 900 Jahren. „Die kleinen Kinder hieben sie in Stücke oder steckten sie auf Holzspieße und brieten sie über dem Feuer, und gegenüber den Älteren wandten sie jede Art von Quälerei an“, schreibt eine Chronistin. Doch was man von den Muslimen gehört hatte, war auch nicht gerade zivilisiert. Sie würden die Christen beschneiden, predigte im Herbst 1095 Papst Urban II., und das Blut der Beschneidung würden sie auf Altäre schütten. „Denen, die sie schändlich töten wollen, schlitzen sie den Bauch auf, ziehen den Anfang der Gedärme heraus, binden ihn an einen Pfahl und treiben sie mit Geißelhieben so lange herum, bis die Eingeweide herausgezogen sind und sie am Boden zusammenbrechen.“ An solchen Stellen klappt man das Buch zu, um auf dem Deckel eine Altersfreigabe zu suchen. Ab 18? Ab 16? Spielten sich die beschriebenen Bilder in einem Kinofilm ab, wäre unter 16 nichts zu machen. Allein für Geschichtsbücher gibt es keine Altersgrenze, es geht um Wissenschaft, nicht um Unterhaltung.
Der britische Historiker und Byzantinist Peter Frankopan beschreibt in seinem Buch „Kriegspilger“ die Geschichte des ersten Kreuzzuges als Mutter aller Glaubensgemetzel. Er reklamiert für sich, dass er sich als erster Forscher den Quellen aus dem Osten in der gebührenden Ausführlichkeit widme. Die Geschichte sei bisher verzerrt dargestellt worden, schreibt Frankopan. Nämlich aus der Perspektive der christlichen Westeuropäer, die sich vorwiegend auf die in ihren Klöstern und Herrscherhäusern entstandenen Überlieferungen verließen. Frankopans östliche Leitquelle ist die „Alexias“. Dieses Werk entstand Mitte des 12. Jahrhunderts – etwa 50 Jahre nach dem ersten Kreuzzug. Urheberin war Anna Komnene, eine Tochter des byzantinischen Kaisers Alexios. Als Geschichtsschreiberin ist sie ein osteuropäisches Pendant zu Otto von Freising. Ihr Vater Alexios wiederum war es, der die christlichen Glaubensbrüder aus dem Westen zu Hilfe gerufen hatte. Die Geschichte des ersten Kreuzzuges beginnt also in Byzanz mit Alexios’ Initiative. Und nicht mit Papst Urbans Aufruf zum Kreuzzug.
Manchen Mittelalter-Historiker kann bei der Lektüre dieses Buches Schwindel befallen. Frankopan, Jahrgang 1971, gehört zu den Vertretern einer angelsächsischen Schreibschule, die für ihre Geschichten keinen Superlativ auslassen und sich nicht scheuen, historische Ereignisse als „spektakulär“ zu bezeichnen. Oder als „sensationell“. Er ist ein Meister der Zuspitzung – und daher gewiss für manche Kollegen ein Ärgernis. Wo viele Mediävisten, um ihre Seriosität zu untermauern, noch seitenweise Quellenkritik üben, greift Frankopan herzhaft ins Material und lässt keine Zweifel daran aufkommen. Und wo andere Autoren unbehagliche Details diskret in Anmerkungen deponieren, stellt er sie aus. Etwa die jüdischen Mütter, die vor der Ankunft der Christenhorden „ihren saugenden Kindern mit dem Messer die Gurgel abschnitten, denn sie wollten alle lieber von eigenen Händen als durch die Waffen der Unbeschnittenen fallen“.
Bei Frankopan lesen sich viele dieser mittelalterlichen Geschichten wie Kriegsreportagen. Als hätten sie sich nicht im Jahr 1098 ereignet, sondern 1980. Besonders plastisch stellt er den sogenannten Volkskreuzzug dar, den ein Prediger aus Nordfrankreich im Jahr 1095 anzettelte: Peter der Einsiedler, ein Hetzer übelster Sorte. Dieser schuhlose Schrat brachte einen zahlenmäßig beachtlichen Mob hinter sich, mit dem er nach Konstantinopel zog, um von da aus die Türken zu bekämpfen. Frankopan nennt den Mob „Möchtegern-Kreuzritter“. Kaiser Alexios empfing sie mit Argwohn, der Volkskreuzzug erledigte sich schnell. Wie sowohl die Gesta Francorum als auch Anna Komnene überliefern, verarbeiteten die Türken die gemahlenen Knochen der Aggressoren zu Mörtel und besserten ihre Mauern damit aus.
Die im Militärwesen professionelleren Kreuzfahrer aus dem Westen rückten zwei Jahre später an. Das Gemetzel trat in seine entscheidende Phase. Am 15. Juli 1099 datiert der Sieg über „die Heiden“. Die Kreuzritter wüteten fürchterlich in Jerusalem. Man kann sich bei Frankopan aussuchen, welchem zeitgenössischen Chronisten man glauben will, er kompiliert das Grauen. Der eine schreibt über „Haufen von Köpfen, Händen und Füßen, die sich in den Häusern und Straßen stapelten“, ein anderer raunt: „Wenn ihr dabei gewesen wärt, so wären eure Füße bis zu den Knöcheln vom Blut der Erschlagenen befleckt worden.“ Peter Frankopans neue Abhandlung ist, um im Duktus des Verfassers zu bleiben, brutalst.
RUDOLF NEUMAIER
Peter Frankopan: Kriegspilger. Der erste Kreuzzug. Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2017. 393 Seiten, 26,95 Euro. E-Book 23,99 Euro.
Die Geschichte sei bisher
verzerrt dargestellt worden,
schreibt Frankopan
Großes Schlachten: eine mittelalterliche Illustration des Kreuzzugs.
Abb.: a. d. bespr. Band
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Peter Frankopan erzählt die Geschichte des ersten Kreuzzugs
Die Christen waren nicht zimperlich, und das sagt sich so einfach aus der historischen Distanz von gut 900 Jahren. „Die kleinen Kinder hieben sie in Stücke oder steckten sie auf Holzspieße und brieten sie über dem Feuer, und gegenüber den Älteren wandten sie jede Art von Quälerei an“, schreibt eine Chronistin. Doch was man von den Muslimen gehört hatte, war auch nicht gerade zivilisiert. Sie würden die Christen beschneiden, predigte im Herbst 1095 Papst Urban II., und das Blut der Beschneidung würden sie auf Altäre schütten. „Denen, die sie schändlich töten wollen, schlitzen sie den Bauch auf, ziehen den Anfang der Gedärme heraus, binden ihn an einen Pfahl und treiben sie mit Geißelhieben so lange herum, bis die Eingeweide herausgezogen sind und sie am Boden zusammenbrechen.“ An solchen Stellen klappt man das Buch zu, um auf dem Deckel eine Altersfreigabe zu suchen. Ab 18? Ab 16? Spielten sich die beschriebenen Bilder in einem Kinofilm ab, wäre unter 16 nichts zu machen. Allein für Geschichtsbücher gibt es keine Altersgrenze, es geht um Wissenschaft, nicht um Unterhaltung.
Der britische Historiker und Byzantinist Peter Frankopan beschreibt in seinem Buch „Kriegspilger“ die Geschichte des ersten Kreuzzuges als Mutter aller Glaubensgemetzel. Er reklamiert für sich, dass er sich als erster Forscher den Quellen aus dem Osten in der gebührenden Ausführlichkeit widme. Die Geschichte sei bisher verzerrt dargestellt worden, schreibt Frankopan. Nämlich aus der Perspektive der christlichen Westeuropäer, die sich vorwiegend auf die in ihren Klöstern und Herrscherhäusern entstandenen Überlieferungen verließen. Frankopans östliche Leitquelle ist die „Alexias“. Dieses Werk entstand Mitte des 12. Jahrhunderts – etwa 50 Jahre nach dem ersten Kreuzzug. Urheberin war Anna Komnene, eine Tochter des byzantinischen Kaisers Alexios. Als Geschichtsschreiberin ist sie ein osteuropäisches Pendant zu Otto von Freising. Ihr Vater Alexios wiederum war es, der die christlichen Glaubensbrüder aus dem Westen zu Hilfe gerufen hatte. Die Geschichte des ersten Kreuzzuges beginnt also in Byzanz mit Alexios’ Initiative. Und nicht mit Papst Urbans Aufruf zum Kreuzzug.
Manchen Mittelalter-Historiker kann bei der Lektüre dieses Buches Schwindel befallen. Frankopan, Jahrgang 1971, gehört zu den Vertretern einer angelsächsischen Schreibschule, die für ihre Geschichten keinen Superlativ auslassen und sich nicht scheuen, historische Ereignisse als „spektakulär“ zu bezeichnen. Oder als „sensationell“. Er ist ein Meister der Zuspitzung – und daher gewiss für manche Kollegen ein Ärgernis. Wo viele Mediävisten, um ihre Seriosität zu untermauern, noch seitenweise Quellenkritik üben, greift Frankopan herzhaft ins Material und lässt keine Zweifel daran aufkommen. Und wo andere Autoren unbehagliche Details diskret in Anmerkungen deponieren, stellt er sie aus. Etwa die jüdischen Mütter, die vor der Ankunft der Christenhorden „ihren saugenden Kindern mit dem Messer die Gurgel abschnitten, denn sie wollten alle lieber von eigenen Händen als durch die Waffen der Unbeschnittenen fallen“.
Bei Frankopan lesen sich viele dieser mittelalterlichen Geschichten wie Kriegsreportagen. Als hätten sie sich nicht im Jahr 1098 ereignet, sondern 1980. Besonders plastisch stellt er den sogenannten Volkskreuzzug dar, den ein Prediger aus Nordfrankreich im Jahr 1095 anzettelte: Peter der Einsiedler, ein Hetzer übelster Sorte. Dieser schuhlose Schrat brachte einen zahlenmäßig beachtlichen Mob hinter sich, mit dem er nach Konstantinopel zog, um von da aus die Türken zu bekämpfen. Frankopan nennt den Mob „Möchtegern-Kreuzritter“. Kaiser Alexios empfing sie mit Argwohn, der Volkskreuzzug erledigte sich schnell. Wie sowohl die Gesta Francorum als auch Anna Komnene überliefern, verarbeiteten die Türken die gemahlenen Knochen der Aggressoren zu Mörtel und besserten ihre Mauern damit aus.
Die im Militärwesen professionelleren Kreuzfahrer aus dem Westen rückten zwei Jahre später an. Das Gemetzel trat in seine entscheidende Phase. Am 15. Juli 1099 datiert der Sieg über „die Heiden“. Die Kreuzritter wüteten fürchterlich in Jerusalem. Man kann sich bei Frankopan aussuchen, welchem zeitgenössischen Chronisten man glauben will, er kompiliert das Grauen. Der eine schreibt über „Haufen von Köpfen, Händen und Füßen, die sich in den Häusern und Straßen stapelten“, ein anderer raunt: „Wenn ihr dabei gewesen wärt, so wären eure Füße bis zu den Knöcheln vom Blut der Erschlagenen befleckt worden.“ Peter Frankopans neue Abhandlung ist, um im Duktus des Verfassers zu bleiben, brutalst.
RUDOLF NEUMAIER
Peter Frankopan: Kriegspilger. Der erste Kreuzzug. Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2017. 393 Seiten, 26,95 Euro. E-Book 23,99 Euro.
Die Geschichte sei bisher
verzerrt dargestellt worden,
schreibt Frankopan
Großes Schlachten: eine mittelalterliche Illustration des Kreuzzugs.
Abb.: a. d. bespr. Band
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Eine sehr geglückte Mischung aus brillanter Darstellung und schlüssiger Argumentation. Bernhard Windisch Nürnberger Zeitung 20180906