Vier ausführliche Zeitzeugeninterviews mit ehemaligen ZwangsarbeiterInnen runden den Band ab.
Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, HR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Wie die Bayerischen Motoren Werke während des Zweiten Weltkriegs die Zwangsarbeiter behandelten
Die Bayerischen Motoren Werke zählen heute zu den bekanntesten Automobil- und Motorradherstellern der Welt. Das war nicht immer so. Bis 1945 führte der Automobilbau bei den Münchenern ein Schattendasein. Neben Junkers und Daimler-Benz gehörte das Unternehmen zu den führenden Herstellern von Flugmotoren. Der schrittweise Rückzug aus diesem Kerngeschäft erfolgte parallel zum Auf- und Ausbau der Motorrad- und Automobilproduktion seit 1949 beziehungsweise 1953. Seinen Abschluß fand er 1965, als die Flugmotoren- und Triebwerkaktivitäten endgültig in der MAN-Turbo GmbH aufgingen, die wiederum 1969 mit Daimler-Benz die Motoren- und Turbinen-Union München GmbH (MTU) aus der Taufe hoben.
Diese Geschichte erklärt, warum die MTU Aero Engines GmbH 1999 zwei Historikerinnen damit beauftragte, dem Problemkomplex Kriegswirtschaft und Zwangsarbeit bei BMW auf den Grund zu gehen. Die Münchener BMW Group beteiligt sich seit 2001 an dem Projekt. Jetzt liegen Constanze Werners Ergebnisse im ersten Band der neuen Reihe "Perspektiven. Schriftenreihe der BMW Group - Konzernarchiv" vor. Ausdrücklich betonen die "auftraggebenden Firmen", der Autorin "inhaltlich keinerlei Vorgaben oder Einschränkungen auferlegt" zu haben. Ein Wissenschaftlicher Beirat, dem mit Mark Spoerer einer der Pioniere der Zwangsarbeiterforschung in Deutschland angehört, hielt diesen Aspekt im Auge.
So ist eine Untersuchung entstanden, die hohen Ansprüchen genügt und einen gewichtigen Beitrag nicht nur zum Thema Kriegswirtschaft und Zwangsarbeit liefert. Das liegt unter anderem an der ausgezeichneten Quellenauswertung: Frau Werner hat für ihre Studie neben den Archiven von BMW und MTU zwei Dutzend staatliche und kommunale Archive des In- und Auslands durchforstet und außerdem in Deutschland, der Tschechischen Republik, Polen und der Ukraine Interviews mit ehemaligen Zwangsarbeitern geführt, von denen einige im Anhang wiedergegeben sind. Herausgekommen ist die Geschichte einer "Deformation, . . . die sich nicht nur auf die Organisation, Produktion und die Unternehmensfunktionen erstreckte, sondern die auch die in und für das Unternehmen arbeitenden Menschen, insbesondere die führenden Manager erfaßte". Im Nachzeichnen dieses Prozesses liegt eine besondere Stärke der Untersuchung. Die Autorin belegt, wie sehr auch BMW von "Chaos und Improvisation" der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft geprägt worden ist. "Die Folge war die Zersplitterung der werksinternen Fertigungsabläufe, begleitet von absurden Irrfahrten von Menschen und Maschinen" sowie Kapazitätsengpässen in einigen Werken, Überkapazitäten in anderen. Das alles geschah vor dem Hintergrund eklatanten Rohstoffmangels, kaum zu erfüllender Produktionsvorgaben, unausgereifter Technologien, nicht serienreifer Produkte und nicht zuletzt: "eines massiven Arbeitskräfteproblems."
So gesehen kann der immense Bedarf an Arbeitskräften nicht überraschen. Die Vorgaben des Reichsluftfahrtministeriums vor Augen, die Konkurrenz im Visier und die Zukunft des Unternehmens im Blick nahm man, was man bekommen konnte: Ostarbeiter, Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene, SS-Strafgefangene und KZ-Häftlinge. Allein im Werk München II in Allach, das als ",Zwangsarbeiter-Werk' aus dem Boden gestampft" wurde, waren 1944 von gut 17 300 Arbeitern 67 Prozent Ausländer, vor allem Zwangsarbeiter aus etwa 30 Ländern. In dieser Hinsicht ist die Entwicklung bei BMW ein typisches Beispiel für die deutsche Rüstungsindustrie in der Zeit des "Dritten Reiches".
Aber es gab auch Unterschiede. Sieht man einmal von den Arbeitsbedingungen im Zusammenhang mit der Untertageverlagerung ganzer Produktionsbereiche in der Endphase des Krieges ab, "wurden die ZwangsarbeiterInnen bei BMW zweifellos besser behandelt als bei Daimler-Benz und anderen deutschen Rüstungsunternehmen". So nutzte das Management seine guten Verbindungen und intervenierte bei den zuständigen Stellen nicht selten mit Erfolg, um zum Beispiel die Unterkunfts- und Ernährungsverhältnisse der KZ-Arbeiter zu verbessern. Dahinter standen zwar weniger humanitäre als vielmehr pragmatische Erwägungen - aber immerhin. Übergriffe, Strafen und Schläge waren in aller Regel nicht von oben angeordnet, sondern "hingen sehr von einzelnen Personen", also von Werksleitern oder Meistern ab. Auch hier bestätigt die Untersuchung andernorts gemachte Beobachtungen. Das gilt schließlich für ein Thema, das im allgemeinen eher selten in den Horizont wissenschaftlicher Analysen rückt: die Unternehmenskultur. Soweit sich das auf der Basis bislang vorliegender Ergebnisse generalisieren läßt, bestand zwischen der Kultur eines Unternehmens und seiner Einstellung zu den Auswüchsen nationalsozialistischer Rüstungs- und Kriegswirtschaft ein Bedingungsverhältnis.
Bei BMW fiel schon 1933 mit der nationalsozialistischen Machtübernahme die Entscheidung, sich in den Dienst des Regimes zu stellen. Damit öffnete die Unternehmensführung, ohne das zunächst zu wollen oder auch nur zu ahnen, einem "tiefgreifenden Veränderungsprozess" Tür und Tor: "Was BMW gegenüber den Herausforderungen und Pressionen des NS-Regimes so anfällig gemacht hatte, war letztendlich eine nur schwach ausgebildete Unternehmenskultur." Nicht nur war der Konzern "von seiner Identität her im Grunde mit dem Stammwerk in Milbertshofen gleichzusetzen", weil die Fusionen und Erweiterungen nie verarbeitet und verkraftet wurden. Es fehlte auch - und zum Teil ebendeshalb - "die Solidarität und die Verbundenheit oder zumindest die Verständigung über gemeinsame Unternehmens- und Konzerninteressen auf seiten des Führungspersonals". Im Umkehrschluß könnte das bedeuten, daß Betriebe mit einer ausgeprägten Unternehmenskultur sogar unter den Bedingungen von Kriegswirtschaft und Zwangsarbeit ein anderes Profil erkennen lassen müßten als Konzerne wie BMW. Damit rücken vor allem Familienunternehmen ins Blickfeld der Forschung.
GREGOR SCHÖLLGEN
Constanze Werner: Kriegswirtschaft und Zwangsarbeit bei BMW. Im Auftrag von MTU Aero Engines und BMW Group. R. Oldenbourg Verlag, München 2005. X und 447 S., 39,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main