Magisterarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Geschichte Deutschlands - 1848, Kaiserreich, Imperialismus, Note: 1,0, Universität Münster (Historisches Seminar), Sprache: Deutsch, Abstract: „Verbrecher, Trinker, Unsittliche und Zivileheherren.“ Dies sind die Schlagworte einer Diskussion im Kaiserreich, die die Massenzuwanderung ländlicher Unterschichten ins Ruhrgebiet an Gewalt, Sittlichkeitsverbrechen und Alkoholismus koppelt. Unter den Bedingungen einer entstehenden Einwanderungsgesellschaft mit all ihren Transformationen und Verwerfungen reagiert das deutsche Bürgertum seit Ende des 19. Jahrhunderts mit Konzepten, die dem bundesdeutschen Angstmotiv „Ausländerkriminalität“ ähneln. Es ist nicht so, dass Geschichte sich wiederholt. Die strukturellen Bedingungen und gesellschaftlich-sozialen Formationen in der Bundesrepublik sind mit denen des Kaiserreichs nicht zu vergleichen. Trotzdem führt der gekappte Traditionszusammenhang zu verblüffenden Doppelungen. Da die eigene Geschichte als `Einwanderungsland wider Willen´ aus dem kollektiven und dem politischen Gedächtnis getilgt scheint, beginnt die Diskussion um Zuwanderung, „Gastarbeit“, Integration und „Ausländerkriminalität“ an einem nur imaginierten Punkt Null. Eine dieser Doppelungen ist die analytische Unschärfe des Begriffes `Ausländer´ und der Kategorie `Fremdheit´. Im Gegensatz zur Bundesrepublik vollzieht sich im Kaiserreich jedoch dieser Prozess, mit dem `Fremde´ zu `Tätern´ werden, ohne ideologiekritische Einwände und ohne `politisch korrekte´ Sprachregelungen. Umso aufschlussreicher sind die gesellschaftlichen und diskursiven Transformationen, in denen sich aus einer zuvor unbeachteten Gruppe fremdsprachiger Arbeiter ein Feindbild konturiert, das zum Objekt von Zuschreibungen wird, die zuvor anders kodiert waren. Kriminalität bildet das Strukturmuster der neuzeitlichen Gesellschaften ab, „mit all den Ahndungsritualen, Sanktionseinrichtungen, aber auch den Gerechtigkeits- und Justizvorstellungen der Bevölkerung sowie den eigentümlichen sozialkulturellen Empfindlichkeiten.“ Eben diese Vorstellungen und Empfindlichkeiten sind der Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Ziel ist es, die diskursiven Prozesse im Feld `Kriminalität´ zu beschreiben, mit denen die bürgerliche Gesellschaft auf das Phänomen der Massenmigration ins Ruhrgebiet reagiert. Wie wird aus proletarischer Kriminalität polnische Kriminalität? Wie entsteht aus den `Sicherheitspaniken´ der 1870er Jahre angesichts der durch deutsche Arbeiter verübten Gewalttaten die `Kroatengefahr´ des frühen 20. Jahrhunderts? Welche Entwicklungen sind für die Ethnisierung von Tätern verantwortlich?