Das Strafen gehört zu unserem Alltag und ist doch vehementer Kritik ausgesetzt. Wenn der vorliegende Essay dieses Unbehagen am Strafen erneut aufgreift, dann nicht um Altes zu wiederholen. Vielmehr geht es in diesem Essay darum, der Kritik eine neue Seite abzugewinnen. Dafür soll an der aktuellen Debatte um Verletzlichkeit und verletzliche Leben angeknüpft werden. Die heute übliche Rede von Verletzlichkeit betont das Verbindende und Prekäre, das Fragile und Konflikthafte freier Lebensformen. Das Strafrecht versucht, diese lebensweltlichen Erfahrungen durch ein expressives Schmerzregime zu stabilisieren. Dass es daran allzu oft scheitert, ist kein Geheimnis. Aus der Perspektive der Verletzlichkeit lässt sich aber besser verstehen, warum. Denn auf erfahrenes Leid mit Strafschmerz zu reagieren zeigt, dass auch noch das liberale Recht einem Mythos aufsitzt: Es glaubt verletzliche Rechtssubjekte durch Leiden zur Vernunft bringen und auf diese Weise der existentiellen Not der Opfer gerecht werden zu können. Ein Recht, das den darin liegenden Widerspruch erkennt, muss andere Antworten finden. Geboren 1969; Studium der Rechtswissenschaft, anschließend der Philosophie und Komparatistik; 2007 Promotion (Dr. jur.); 2014 Habilitation; 2015-21 Universitätslehrer an der Universität Bonn; seit 2021 Universitätslehrer an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
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