Die Geschichte der Philosophie ist eine Geschichte des denkenden Sehens. Zwar bedeutet dieses Sehen Aufklärung, jedoch wächst kulturgeschichtlich zugleich seine Tendenz zum instrumentellen Registrieren, zur „Okulartyrannis“. Es sind die im Zuge dieses Prozesses vernachlässigten Potentiale des Hörens, die einen kritischen Einspruch gegen solche Verdinglichung geltend machen können. Diese These der späten Arbeiten Ulrich Sonnemanns nimmt Martin Mettin zum Ausgangspunkt. Dabei rekonstruiert er entlang des Sonnemannschen Œuvres die Untergrundgeschichte einer verdrängten Philosophie des Hörens. Aufklärung erweist sich hier als Forderung nach Hellhörigkeit, nach einer sensiblen Aufmerksamkeit für die von Widersprüchen verdunkelte Welt. Erstmalig stellt das vorliegende Buch alle Werkphasen Ulrich Sonnemanns in ihrem systematischen Zusammenhang dar und ruft damit einen zu Unrecht vergessenen Denker des 20. Jahrhunderts wieder ins öffentliche Bewusstsein. Im Zentrum steht Sonnemanns Ansatzder Negativen Anthropologie (1969). Anhand dieser ergründet der Autor die philosophische Bedeutung von Hörerfahrungen im Zusammenspiel von Ideen- und Zeitgeschichte, Erkenntnistheorie, Sprachphilosophie und Psychoanalyse.
Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Sehr angeregt stellt Rezensent Christian Berndt Martin Mettins "Kritische Theorie des Hörens" vor. Mettin nimmt darin die Spur des Denkers Ulrich Sonnemann auf, der sich gegen die "Tyrannei des Auges" in der Geistesgeschichte wandte. Mit dem Auge lassen sich natürlich Dinge erkennen, aufklären, fixieren, lernt Rezensent Berndt, aber das sollte nicht taub machen für die Vorzüge des Hörens in der Philosophiegeschichte, das kritischer sei als das Sehen, mehr Bewusstsein für die Flüchtigkeit und Kontroverse. Als zentralen Begriff übernehme Mettin dabei auch von Sonnemann die Spontaneität, erklärt der Rezensent, die Hellhörig mache für das Mögliche und die dieser als "Sabotage des Schicksals" bezeichnete.
© Perlentaucher Medien GmbH
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