Das holsteinische Dorf Kronsnest in den 1920er-Jahren: Hier lebt der 15-jährige Hannes mit seinen Eltern auf einem Hof. Die Landarbeit ist hart, der Vater gewalttätig - und dann gibt es auch noch Mara, Tochter aus einem besseren Hause, die Hannes den Kopf verdreht. Wie geht ein empfindsamer
Jugendlicher mit seinen Gefühlen um, wenn um ihn herum die Welt langsam aber sicher auf dem Kopf steht? Wenn…mehrDas holsteinische Dorf Kronsnest in den 1920er-Jahren: Hier lebt der 15-jährige Hannes mit seinen Eltern auf einem Hof. Die Landarbeit ist hart, der Vater gewalttätig - und dann gibt es auch noch Mara, Tochter aus einem besseren Hause, die Hannes den Kopf verdreht. Wie geht ein empfindsamer Jugendlicher mit seinen Gefühlen um, wenn um ihn herum die Welt langsam aber sicher auf dem Kopf steht? Wenn ihm vor dem Erwachsenwerden schon die ganz großen Themen wie Liebe, Freundschaft und Tod streifen? Darüber und über noch viel mehr erzählt Florian Knöppler in seinem großartigen Debütroman "Kronsnest".
Als bekennender Freund von Entwicklungs- bzw. Coming-of-Age-Romanen möchte ich behaupten, dass ich in den letzten Jahren sehr viele Bücher aus diesem Bereich gelesen habe. Doch kaum eines konnte mich von vorn bis hinten so begeistern, wie es Knöppler mit "Kronsnest" geschafft hat.
Da ist zunächst einmal die große Empathie, die der Autor seinem Protagonisten Hannes entgegenbringt. Tatsächlich gibt es in diesem fast 450 Seiten schweren Werk nicht eine einzige Szene, die ohne ihn auskommt. Durchaus riskant, wenn beispielsweise eine Hauptfigur nicht die Erwartungen des Lesers erfüllt oder ihn gar langweilt. Nicht so in "Kronsnest": Das Vertrauen, das Knöppler Hannes entgegenbringt, ist mehr als gerechtfertigt. Von Beginn an spürte ich eine große Verbundenheit zu ihm. Er ist ein Junge, dem durchaus viel zugemutet wird. Er macht Fehler, auch schwere, wie sie ein Jugendlicher in seinem Alter eben macht. Und dennoch konnte ich Hannes sofort in mein Herz schließen. Auf seinem Weg zum Erwachsenen überwindet er zahlreiche Fallstricke und zeigt dabei einen fast schon unermüdlichen Kampfgeist. Der Tod eines ihm nahestehenden Menschen, unerwiderte Liebe und der beste Freund drauf und dran, ein Nationalsozialist zu werden? Hannes gibt nicht auf und geht seinen Weg.
Ein weiteres großes Plus von "Kronsnest" ist der eindringliche und einnehmende Schreibstil Florian Knöpplers. Vielleicht ist es von Vorteil, wenn man auch aus Norddeutschland kommt und eine Vorstellung hat von der Elbmarsch und ihrer für viele Menschen vielleicht unwirtlich wirkenden Rauheit. Ich konnte jedenfalls nahezu komplett abtauchen in dieser Landschaft, weil Knöppler es schafft, die Natur in all ihrer Schönheit zu erkennen und zu beschreiben. Dazu gehört auch die Empathie, die nicht nur Hannes, sondern auch der Autor den zahlreichen Tieren des Romans entgegenbringt.
Die Dialoge sind authentisch und klug. In Hannes' Verhältnis zu Mara, das immer zwischen Liebe und Faszination schwankt und zu dem später auch ein bewegender Briefwechsel gehört, erinnert "Kronsnest" in seiner Einzigartigkeit sogar an große Klassiker der Empfindsamkeit oder des Sturms und Drangs. So wundert sich nicht nur Hannes auf S. 361 über seinen Brief: "Wie von einem anderen, wie aus einem Roman, war der erste Gedanke", sondern auch ich blieb erstaunt darüber zurück, dass ein Roman der Gegenwart noch solche Worte findet.
Und auch wenn Hannes im Großen und Ganzen unpolitisch ist, gehen die politischen Wandel der Zeit nicht an ihm und an Kronsnest vorbei. Die aufbegehrende Landvolkbewegung in Schleswig-Holstein, der wachsende Antisemitismus - all dies sind Themen, von denen Hannes direkt betroffen ist, denn sein bester Freund Thies entwickelt sich in eine besorgniserregende Richtung.
Fazit: Mit "Kronsnest" hat Florian Knöppler einen atemberaubend-schönen Roman geschrieben, der trotz der durchweg ernsten Themen eine große Wärme und Intensität ausstrahlt, der man sich nicht entziehen kann. Schon jetzt gehört das Buch zu meinen absoluten Lieblingsbüchern und damit zu den Büchern, die ich immer wieder lesen möchte. Ein Muss, nicht nur für Freunde von Entwicklungsromanen, sondern auch für LeserInnen, die dem Charme der norddeutschen Landschaft erliegen möchten. Unvergesslich.