Das literarische Werk von Siegfried Lenz (Jg. 1926) ist ohne das Meer, ohne die norddeutschen Küstenlandschaften, ohne Flüsse, Häfen und Inseln nicht vorstellbar. Fast alle seine Romane und Erzählungen haben eine enge Beziehung zum Wasser; er beschrieb darin immer wieder das Meer, die Gezeiten und
das Leben der Menschen, die hier ihren schweren Broterwerb hatten. Der Schriftsteller sagte von sich…mehrDas literarische Werk von Siegfried Lenz (Jg. 1926) ist ohne das Meer, ohne die norddeutschen Küstenlandschaften, ohne Flüsse, Häfen und Inseln nicht vorstellbar. Fast alle seine Romane und Erzählungen haben eine enge Beziehung zum Wasser; er beschrieb darin immer wieder das Meer, die Gezeiten und das Leben der Menschen, die hier ihren schweren Broterwerb hatten. Der Schriftsteller sagte von sich selbst einmal: „Ich lernte fischen und schwimmen, bevor ich lesen lernte.“
Im Deutschen Taschenbuch Verlag ist nun mit „Küste im Fernglas“ ein Sammelband mit Erzählungen erschienen, in denen diese Schauplätze die Hauptrolle spielen. Der Herausgeber Helmut Frielinghaus, der auch ein kurzes Nachwort verfasste, hat 22 Geschichten aus dem großen Schaffenszeitraum von 1950 bis 1982 ausgewählt.
In der Auftaktgeschichte „Küste im Fernglas“ (1958) sucht ein einsamer Mann mit dem Fernglas vergeblich das Meer und die Bucht ab: seine Frau ist spurlos verschwunden, seitdem sie mit dem Boot gekentert war. Die Geschichte „Das Wrack“ (1952) handelt von einem Fischer und seinem Sohn, die all ihre Hoffnung auf ein gesunkenes Schiff und seine Ladung setzen. Am Ende müssen sie jedoch enttäuscht feststellen, dass der Laderaum des Frachters nur Schlamm und die Knochen toter Pferde birgt.
Eine der bekanntesten und zugleich eine der schönsten Geschichten ist „Einstein überquert die Elbe bei Hamburg“ (1969) - eine „Geschichte in drei Sätzen“, wie es im Untertitel heißt. Auf einer Fähre kommt ein alter, einzelgängerischer Passagier den anderen Fahrgästen irgendwie bekannt vor. Die Geschichte „Der Abstecher“ (1982) beschließt den Sammelband. Wie in vielen seiner Erzählungen greift Lenz hier das Thema von Befehl und Gehorsam, von der Schuldfrage ganz allgemein auf.
In den 22 Geschichten erweist sich Siegfried Lenz als der geborene Geschichtenerzähler, dessen große Erzählkunst man in ihnen vielleicht am besten entdecken kann.
Manfred Orlick