Dieses Buch ist grundlegend für die historische Aufarbeitung von Kunstwerken im Zusammenhang mit Kreditgeschäften. Die erstmalige Veröffentlichung der Herkunft der Kunstwerke ist Voraussetzung für die Provenienzforschung heutiger Eigentümer.
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Raubkunst oder nicht? Lynn Rother untersucht zum ersten Mal systematisch das größte Kunstgeschäft im nationalsozialistischen Deutschland
Als dieses Buch kürzlich in Berlin vorgestellt wurde, twitterte sogar der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. "Wichtige Neuerscheinung zu Kunstgeschäft 1935 wird heute vorgestellt", schrieb Hermann Parzinger. Und: "Ist Basis für Provenienzforschung zu Einzelfällen in Museen." Dass es um Kunstwerke in der deutschen Hauptstadt gehen würde, verrät bereits der Buchtitel: "Kunst durch Kredit. Die Berliner Museen und ihre Erwerbungen von der Dresdner Bank 1935". Der Tweet klang gut, überzeugend war diese Aktion nicht. Warum nämlich hatte die SPK die Autorin Lynn Rother nicht mit ihrem wichtigen Buch zu einem Vortrag eingeladen? Stattdessen richtete die Commerzbank den Abend aus, die 2008 die Dresdner Bank gekauft hatte. Es knirschte im Gebälk der Berliner Museen. Warum, versteht schon, wer die Einleitung des Buchs liest.
Auf den knapp fünfhundert Seiten werden Kunstbestände unter die Lupe genommen, die sich nur in Superlativen beschreiben lassen: Es geht um den größten Kunstdeal, der im Nationalsozialismus abgeschlossen wurde. Es war gleichzeitig auch die größte Erwerbung en bloc in der bis dahin fast hundertjährigen Geschichte der Berliner Museen. Der Preis war ein Rekord. Gezahlt wurden vom Land Preußen 7,5 Millionen Reichsmark, eine Summe, für die man fünfzig Luxusvillen am Berliner Wannsee hätte kaufen können. Stattdessen wurden aber etwa viereinhalbtausend Kunstwerke und kunstgewerbliche Gegenstände erworben. Bis heute sind fast ein Drittel davon, mindestens 1600 Objekte, im Besitz der Berliner Museen.
Dass es diese Bestände gibt, ist in Fachkreisen kein Geheimnis. Vor drei Jahren machte Schlagzeilen, dass "NS-Raubkunst beim SPK-Chef Parzinger" im Büro hängen würde. Gemeint war Oskar Kokoschkas Gemälde "Pariser Platz in Berlin", das eben 1935 von der Dresdner Bank an das Land Preußen verkauft worden war. Vorbesitzerin war die Münchner Kunsthändlerin Annie Caspari, die wegen ihrer jüdischen Herkunft verfolgt und 1941 ermordet wurde.
Die Kunsthistorikerin Lynn Rother hat nun in ihrer Dissertation zum ersten Mal das Konvolut, das von der Dresdner Bank verkauft wurde, systematisch erforscht. Sie ist den Besitzverhältnissen nachgegangen: Was sich bei der Dresdner Bank befand, waren Kunstwerke, die Schuldner gegen Kredit bei der Bank einlieferten; viele der Schuldner waren jüdisch. Damit beginnen die Fragen: Wie viel zahlte ihnen die Bank 1935 nach dem Verkauf? Und warum hatten sie ihre Kredite nicht zurückzahlen können? Weil sie verfolgt wurden? Wenn die Bank die lebensbedrohliche Notlage ihrer jüdischen Schuldner ausnutzte oder diese bereits die Geschäftsgrundlage zerstört hatte, dann wäre es NS-Raubkunst. Zu deren Restitution haben sich die Berliner Museen verpflichtet.
Der Fall Caspari macht deutlich, welche Schicksale sich hinter den Werken verbergen können: Caspari war der Name einer Münchner Galerie, gegründet kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs. Liebermann und Corinth gehörten zu ihren Künstlern, auch Picasso und Maria Caspar-Filser. Gehandelt wurden von den Casparis ebenso Alte Meister. 1930 starb Georg Caspari, Annie, die Witwe, führte die Geschäfte weiter. Sie arbeitete mit anderen Händlern zusammen und erwarb zum Teil gemeinsam mit diesen Werke. Bei den Gemälden, die bei der Dresdner Bank für Kredite eingeliefert wurden, besaß Caspari häufig nur ein Drittel oder die Hälfte.
Und wieder die Superlative: Die Werke aus dem Engagement Galerie Caspari wurden von Preußen 1935 für 570 000 Reichsmark angekauft - 102 Kunstwerke, zum Durchschnittspreis von 5600 Reichsmark. Es handelte sich um Gemälde und Zeichnungen, zu einem Drittel Alte Meister, zu zwei Dritteln Moderne. Vier Altmeistergemälde gehörten zu den teuersten des Deals, darunter solche, die Tintoretto oder Rubens zugeschrieben wurden.
Alles Raubkunst? Lynn Rothers Buch ist kein Nachschlagewerk für die Frage, was nun restituiert werden muss. Die Pionierleistung besteht darin, dass sie erstmals die 34 Engagements mit der Dresdner Bank auflistet - nur bei sechs kann ein verfolgungsbedingter Entzug ausgeschlossen werden. Es ist ein großer Schritt und trotzdem nur ein erster. Für die Frage der Restitution muss jeder Einzelfall geprüft werden.
Angefangen hat Rother als Mitarbeiterin der SPK, inzwischen ist sie Provenienzexpertin des New Yorker MoMA. Auch dort landete ein Gemälde, das 1935 für die Berliner Museen erworben wurde, ein Chagall. Auf der Website des MoMA ist die Herkunft benannt. Auf der der Berliner Museen finden sich dagegen nur drei Werke - von weit mehr als tausend -, bei denen auf die Dresdner Bank verwiesen wird. Weshalb? Die amerikanischen Museen folgen der Aufforderung der Opferverbände, so viel Information wie möglich online verfügbar zu machen. Die Berliner Museen dagegen hüten Daten wie einen Schatz, bis sie alles selbst durchgearbeitet haben und im Alleingang entscheiden, wie es weitergeht.
Auf Anfrage bestätigt die SPK, mit den Erben des Kokoschka-Bildes im Gespräch zu sein. Ins Netz aber würde man zu den übrigen Werken des Deals von 1935 fast nichts stellen, weil "kein eindeutiger Verdacht auf verfolgungsbedingten Verlust" vorläge. Es liegt in dieser Logik, dass Hermann Parzinger dieses Buch erst empfahl, nachdem Presseberichte einsetzten. Im letzten Moment wurde noch schnell eine Studie umarmt, die öffentlich macht, was man lieber hinter geschlossenen Türen beforscht hätte. Dieses Verhalten führt zum letzten traurigen Superlativ: Ohne öffentliche Datenbanken dauert die Provenienzforschung am längsten und ist am wenigsten transparent.
JULIA VOSS
Lynn Rother: "Kunst durch Kredit". Die Berliner Museen und ihre Erwerbungen von der Dresdner Bank 1935.
De Gruyter Verlag, Berlin 2017.
490 S., Abb., geb., 49,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Anja Heuß in: h-soz-kult 16.03.2018http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2018-1-160
"Eine vorbildliche Fallstudie [...] Lynn Rothers Studie über den 'großen Kunstdeal' von 1935 ist nicht der Abschluss einer Provenienzgeschichte, sondern der Auftakt zu zahllosen einzelnen, auf Grundlage dieser Arbeit noch zu schreibenden Werkbiografien."
Rainer Stamm in: Kunstbuchanzeiger 18.01.2018 http://www.kunstbuchanzeiger.de/de/themen/kunst/rezensionen/1845/
"Raubkunst oder nicht? Lynn Rother untersucht zum esten Mal systematisch das größte Kunstgeschäft im nationalsozialistischen Deutschland"
Julia Voss in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. November 2017, S. 12
"Akribisch schildert die New Yorker Provenienzforscherin, wie Kunstgegenstände während der NS-Zeit über eine Bankenrettung in die Bestände hiesiger Museen gelangten. Dennoch ist die Dissertation an der TU Berlin nicht nur für Experten interessant: Wie Rother Kunst- und Wirtschaftsgeschichte verbindet, regt dazu an, auch neuere Sammlungen aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten."
Claudia Wahjudi in: Zitty, 08.12.2017 https://www.zitty.de/kunstbuecher-zu-berlin-debatten-2017/