Fälschungen, Geldwäsche, Steuerbetrug, Plünderung antiker historischer Stätten. Die Liste der Verbrechen, die in Zusammenhang mit Kunst begangen werden, ist lang. Mit dem enormen Anstieg der Preise und der Globalisierung des Kunstmarktes hat die Kriminalität jedoch eine neue Qualität erreicht - so ist etwa Artnapping, bei dem ein Kunstwerk als Geisel genommen und erst gegen Lösegeld wieder zurückgegeben wird, heute keine Seltenheit mehr. Die Kunstexperten Stefan Koldehoff und Tobias Timm nehmen vom Kleinganoven bis zum schwerreichen Meisterfälscher all jene in den Fokus, die sich illegalerweise an Kunst bereichern wollen. Und denen es selbst, wenn sie geschnappt werden, gelegentlich gelingt, sich als genial-charmante Trickser zu inszenieren. Wie hoch der materielle und immaterielle Schaden ist, den sie in den Duty-Free-Zonen und Dark Rooms des globalen Kunstbetriebs anrichten, kommt nur selten ans Tageslicht. Doch »Kunst und Verbrechen« sammelt nicht nur spannende, erschreckende und irrwitzige Geschichten - die beiden Autoren liefern auch eine fundierte Analyse, was sich am System Kunstmarkt und in den Museen ändern muss. Ein fundiert recherchiertes, brisantes und hochaktuelles Buch, dessen einzelne Kapitel sich so spannend lesen wie kleine Krimis vom Autorenduo des Bestsellers »Falsche Bilder, echtes Geld« zum Fall Beltracchi.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.04.2020Zwei Gauguins sind besser als einer
Stefan Koldehoff und Tobias Timm gehen der engen Verzahnung von Kunst und Kriminalität nach.
Das ist ein elegantes Verbrechen, von einer eleganten Person verübt. Hier geht es nicht um Geld." So beschreibt im Film "Die Thomas Crown Affäre" von 1999 die attraktive Versicherungsdetektivin Catherine Banning, gespielt von Rene Russo, den ausgeklügelten Diebstahl eines auf hundert Millionen Dollar geschätzten Monet-Gemäldes aus dem Metropolitan Museum of Art. Der Dieb, Pierce Brosnan alias Thomas Crown, klaut tatsächlich nicht um des Geldes wegen: Er ist ein steinreicher smarter Lebemann, der schöne Frauen, die Kunst und den Nervenkitzel liebt.
Was ein solches Hollywood-Klischee mit der Realität zu tun hat, zeigt das neue Buch der Journalisten Stefan Koldehoff und Tobias Timm. Vor acht Jahren schrieben die beiden bereits gemeinsam über den Fälscher Wolfgang Beltracchi und die Profiteure seiner Machenschaften. Nun legen sie ein Buch vor, das an vielen Beispielen zeigt, wie eng Kriminalität und Kunst miteinander verzahnt sind und welche Strukturen diese Verzahnung überhaupt erst ermöglichen.
Erzählt wird auch davon, wie sich das Verhalten von Kunstdieben im Laufe der Jahre verändert hat. Thomas Crown schnappt sich im Film, unbewaffnet und unmaskiert, mit Hilfe eines raffinierten Ablenkungsmanövers den Monet und spaziert, das Bild im Aktenkoffer, unbemerkt aus dem Museum. Ein echter Raub, der der "Mona Lisa" im Sommer 1911, verlief teils ähnlich. Zwar existiere der "geheimnisvolle unbekannte Millionär", der Kunst um der Kunst willen stiehlt, wohl gar nicht, so Tim und Koldehoff. Jedenfalls sei seit Jahrzehnten kein einziger dingfest gemacht worden. Dennoch handelte es sich etwa bei den Räubern der "Mona Lisa" noch um "Gentleman-Täter": Vincenzo Peruggia, der im Louvre als Glaser gearbeitet hatte, verfolgte einen simplen wie genialen Plan: Er versteckt sich mit zwei Komplizen in einer kleinen Kammer und lässt sich über Nacht im Museum einsperren. Am nächsten Tag - es sind nur Angestellte im Haus - trägt er Leonardos Meisterwerk, versteckt unter einem Kittel, unbehelligt durch einen Seiteneingang hinaus. Einige Jahre später flog der Coup allerdings auf, 1914 kam die "Mona Lisa" zurück in den Louvre.
Seit rund fünfzehn Jahren gehen Kunstdiebe immer brutaler vor. 2004 bedrohten maskierte Männer Besucher und Wärter des Munch-Museums in Oslo, bevor sie sich mit zwei Werken davonmachten. Einige Jahre später tauchten, ebenfalls tagsüber, vermummte bewaffnete Räuber im Museum der Sammlung Bührle in Zürich auf und rissen vier Gemälde von der Wand. Auch die Männer, die 2017 die hundert Kilo schwere Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum stahlen, agierten nicht gerade sanft: Sie zerschmetterten die Panzerglasvitrine der "Big Maple Leaf" mit "einer Axt, Modell Tomahawk" - ein ähnliches Werkzeug verwendeten kürzlich auch die Räuber der Juwelen im Grünen Gewölbe in Dresden. Hinter solchen Taten stecken in der Regel keine Kunstliebhaber, sondern kriminelle Banden und professionelle Verbrecher. Sie interessieren sich vermehrt für den Materialwert ihrer Beute. Edelsteine etwa werden zerlegt, umgeschliffen und weiterverkauft.
Gestohlene Bilder dagegen benutzen die Diebe gern zum sogenannten Artnapping. Weil das Diebesgut durch Verkauf heute kaum noch zu Geld zu machen ist - die Nachricht vom Raub verbreitet sich binnen kürzester Zeit -, stiehlt man Werke, um sie den Eigentümern oder deren Versicherungen später gegen Geldzahlungen (die offiziell gern als Finderlohn bezeichnet werden) zurückzugeben. Über diesen Weg, bei dem mit Kriminellen Geschäfte gemacht werden, gelangten etwa zwei 1994 aus der Frankfurter Schirn gestohlene Gemälde von William Turner in Geheimaktionen zurück in die Londoner Tate Gallery, die die Werke für eine Ausstellung verliehen hatte.
Das Buch bietet einige unerhörte, absurde oder kuriose Fälle. Da arbeitet die staatlich finanzierte Bundeskunsthalle in Bonn 2009 für eine spektakuläre Modigliani-Retrospektive mit einem Kunsthistoriker von bekanntermaßen zweifelhaftem Ruf zusammen und muss wenig später feststellen, dass mindestens neunzehn der gezeigten Arbeiten - darunter auch das Bild auf dem Werbeplakat der Schau - unter Fälschungsverdacht stehen. Da kauft eine Kuratorin des renommierten Getty Museum in den achtziger und neunziger Jahren wissentlich Antiken aus illegalen Grabungen, wodurch von 104 antiken Arbeiten, die dem Museum heute als Meisterwerke der eigenen Sammlung gelten, 54 eine "fragwürdige Provenienz" haben. Da erwirbt ein gewiefter New Yorker Kunsthändler "echte Werke echter Meister" und streicht viele Millionen ein, indem er ein Bild in gewissem zeitlichen Abstand gleich doppelt weiterverkauft, einmal das Original und einmal eine Fälschung. Eine Masche, die so lange gutging, bis im Jahr 2000 vermeintlich ein und dasselbe Gauguin-Gemälde im Abstand von wenigen Tage zuerst in einem Katalog des Auktionshauses Christie's und dann bei Sotheby's auftauchte.
"Kunst und Verbrechen" ist keine trockene Analyse, sondern kurzweilig zu lesen, gespickt mit Informationen aus Insiderkreisen, Einblicken in Polizeiakten und Gerichtssäle. Es geht um schlecht bezahltes Sicherheitspersonal, um leichtgläubige oder korrupte Experten, die mittelmäßige Fälschungen zu echten Werken erklären, um erfundene Provenienzen, um aberwitzige anonyme Bargeldgeschäfte, die im Kunstbetrieb keine Seltenheit sind, um Briefkastenfirmen und Geldwäsche, um Strafminderung gegen Geständnis, verjährte Fälle und um Zollfreilager, die "Dark Rooms" und "schwarzen Löcher" des Kunstsystems, weil hier nicht nur "alles möglich ist und jeder anonym bleibt", sondern Werke für viele Jahre gebunkert und so regelrecht verschluckt werden können. Die beiden Autoren haben ein Werk vorgelegt, das Licht auf die dunklen Seiten einer wenig regulierten Branche wirft, in der Jahr für Jahr mit immer absurderen Summen jongliert wird. Man wolle keinesfalls die ganze Kunstszene unter Generalverdacht stellen, betonen Tim und Koldehoff mit Nachdruck. Dennoch ist ihr Buch auch ein Aufruf, die "schwarzen Schafe" klar zu benennen und für mehr Transparenz zu sorgen.
KATHARINA RUDOLPH.
Stefan Koldehoff und Tobias Timm: "Kunst und Verbrechen".
Galiani Verlag, Berlin 2020. 328 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Stefan Koldehoff und Tobias Timm gehen der engen Verzahnung von Kunst und Kriminalität nach.
Das ist ein elegantes Verbrechen, von einer eleganten Person verübt. Hier geht es nicht um Geld." So beschreibt im Film "Die Thomas Crown Affäre" von 1999 die attraktive Versicherungsdetektivin Catherine Banning, gespielt von Rene Russo, den ausgeklügelten Diebstahl eines auf hundert Millionen Dollar geschätzten Monet-Gemäldes aus dem Metropolitan Museum of Art. Der Dieb, Pierce Brosnan alias Thomas Crown, klaut tatsächlich nicht um des Geldes wegen: Er ist ein steinreicher smarter Lebemann, der schöne Frauen, die Kunst und den Nervenkitzel liebt.
Was ein solches Hollywood-Klischee mit der Realität zu tun hat, zeigt das neue Buch der Journalisten Stefan Koldehoff und Tobias Timm. Vor acht Jahren schrieben die beiden bereits gemeinsam über den Fälscher Wolfgang Beltracchi und die Profiteure seiner Machenschaften. Nun legen sie ein Buch vor, das an vielen Beispielen zeigt, wie eng Kriminalität und Kunst miteinander verzahnt sind und welche Strukturen diese Verzahnung überhaupt erst ermöglichen.
Erzählt wird auch davon, wie sich das Verhalten von Kunstdieben im Laufe der Jahre verändert hat. Thomas Crown schnappt sich im Film, unbewaffnet und unmaskiert, mit Hilfe eines raffinierten Ablenkungsmanövers den Monet und spaziert, das Bild im Aktenkoffer, unbemerkt aus dem Museum. Ein echter Raub, der der "Mona Lisa" im Sommer 1911, verlief teils ähnlich. Zwar existiere der "geheimnisvolle unbekannte Millionär", der Kunst um der Kunst willen stiehlt, wohl gar nicht, so Tim und Koldehoff. Jedenfalls sei seit Jahrzehnten kein einziger dingfest gemacht worden. Dennoch handelte es sich etwa bei den Räubern der "Mona Lisa" noch um "Gentleman-Täter": Vincenzo Peruggia, der im Louvre als Glaser gearbeitet hatte, verfolgte einen simplen wie genialen Plan: Er versteckt sich mit zwei Komplizen in einer kleinen Kammer und lässt sich über Nacht im Museum einsperren. Am nächsten Tag - es sind nur Angestellte im Haus - trägt er Leonardos Meisterwerk, versteckt unter einem Kittel, unbehelligt durch einen Seiteneingang hinaus. Einige Jahre später flog der Coup allerdings auf, 1914 kam die "Mona Lisa" zurück in den Louvre.
Seit rund fünfzehn Jahren gehen Kunstdiebe immer brutaler vor. 2004 bedrohten maskierte Männer Besucher und Wärter des Munch-Museums in Oslo, bevor sie sich mit zwei Werken davonmachten. Einige Jahre später tauchten, ebenfalls tagsüber, vermummte bewaffnete Räuber im Museum der Sammlung Bührle in Zürich auf und rissen vier Gemälde von der Wand. Auch die Männer, die 2017 die hundert Kilo schwere Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum stahlen, agierten nicht gerade sanft: Sie zerschmetterten die Panzerglasvitrine der "Big Maple Leaf" mit "einer Axt, Modell Tomahawk" - ein ähnliches Werkzeug verwendeten kürzlich auch die Räuber der Juwelen im Grünen Gewölbe in Dresden. Hinter solchen Taten stecken in der Regel keine Kunstliebhaber, sondern kriminelle Banden und professionelle Verbrecher. Sie interessieren sich vermehrt für den Materialwert ihrer Beute. Edelsteine etwa werden zerlegt, umgeschliffen und weiterverkauft.
Gestohlene Bilder dagegen benutzen die Diebe gern zum sogenannten Artnapping. Weil das Diebesgut durch Verkauf heute kaum noch zu Geld zu machen ist - die Nachricht vom Raub verbreitet sich binnen kürzester Zeit -, stiehlt man Werke, um sie den Eigentümern oder deren Versicherungen später gegen Geldzahlungen (die offiziell gern als Finderlohn bezeichnet werden) zurückzugeben. Über diesen Weg, bei dem mit Kriminellen Geschäfte gemacht werden, gelangten etwa zwei 1994 aus der Frankfurter Schirn gestohlene Gemälde von William Turner in Geheimaktionen zurück in die Londoner Tate Gallery, die die Werke für eine Ausstellung verliehen hatte.
Das Buch bietet einige unerhörte, absurde oder kuriose Fälle. Da arbeitet die staatlich finanzierte Bundeskunsthalle in Bonn 2009 für eine spektakuläre Modigliani-Retrospektive mit einem Kunsthistoriker von bekanntermaßen zweifelhaftem Ruf zusammen und muss wenig später feststellen, dass mindestens neunzehn der gezeigten Arbeiten - darunter auch das Bild auf dem Werbeplakat der Schau - unter Fälschungsverdacht stehen. Da kauft eine Kuratorin des renommierten Getty Museum in den achtziger und neunziger Jahren wissentlich Antiken aus illegalen Grabungen, wodurch von 104 antiken Arbeiten, die dem Museum heute als Meisterwerke der eigenen Sammlung gelten, 54 eine "fragwürdige Provenienz" haben. Da erwirbt ein gewiefter New Yorker Kunsthändler "echte Werke echter Meister" und streicht viele Millionen ein, indem er ein Bild in gewissem zeitlichen Abstand gleich doppelt weiterverkauft, einmal das Original und einmal eine Fälschung. Eine Masche, die so lange gutging, bis im Jahr 2000 vermeintlich ein und dasselbe Gauguin-Gemälde im Abstand von wenigen Tage zuerst in einem Katalog des Auktionshauses Christie's und dann bei Sotheby's auftauchte.
"Kunst und Verbrechen" ist keine trockene Analyse, sondern kurzweilig zu lesen, gespickt mit Informationen aus Insiderkreisen, Einblicken in Polizeiakten und Gerichtssäle. Es geht um schlecht bezahltes Sicherheitspersonal, um leichtgläubige oder korrupte Experten, die mittelmäßige Fälschungen zu echten Werken erklären, um erfundene Provenienzen, um aberwitzige anonyme Bargeldgeschäfte, die im Kunstbetrieb keine Seltenheit sind, um Briefkastenfirmen und Geldwäsche, um Strafminderung gegen Geständnis, verjährte Fälle und um Zollfreilager, die "Dark Rooms" und "schwarzen Löcher" des Kunstsystems, weil hier nicht nur "alles möglich ist und jeder anonym bleibt", sondern Werke für viele Jahre gebunkert und so regelrecht verschluckt werden können. Die beiden Autoren haben ein Werk vorgelegt, das Licht auf die dunklen Seiten einer wenig regulierten Branche wirft, in der Jahr für Jahr mit immer absurderen Summen jongliert wird. Man wolle keinesfalls die ganze Kunstszene unter Generalverdacht stellen, betonen Tim und Koldehoff mit Nachdruck. Dennoch ist ihr Buch auch ein Aufruf, die "schwarzen Schafe" klar zu benennen und für mehr Transparenz zu sorgen.
KATHARINA RUDOLPH.
Stefan Koldehoff und Tobias Timm: "Kunst und Verbrechen".
Galiani Verlag, Berlin 2020. 328 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Stefan Koldehoff und Tobias Timm streunen in ihrem Buch durch alle möglichen Verbrechen von, durch und mit Kunst: Von Fälschung, Steuerhinterziehung, Diebstahl bis hin zu Kunst als Bezahlung für illegale Geschäfte kommen ihn ihrem Buch neben der Sachlichkeit auch Anekdoten nicht zu kurz. Peter Bauer ORF 20200623