2015 stellte die Londoner Dulwich Picture Gallery ihre Besucher auf die Probe. Statt des 1769 entstandenen Ölgemäldes Porträt einer jungen Frau von Jean-Honoré Fragonard hängte sie eine für gerade einmal siebzig Pfund angefertigte Fälschung auf. Das Publikum war eingeladen, das fingierte Kunstwerk unter den Exponaten ausfindig zu machen. Das Ergebnis war erstaunlich: Zum einen erkannten gerade einmal zehn Prozent die Täuschung - zum anderen vervierfachten sich die Besucherzahlen.
Kunstfälschungen und das Interesse an ihnen haben Hochkonjunktur. Für den globalisierten Kunstbetrieb aber sind sie zur Herausforderung geworden. Massenhafte Fälschungen erzeugen nicht nur erheblichen finanziellen Schaden, sie führen auch immer wieder Museen und die Forschung auf peinliche Irrwege. Hubertus Butin zeigt, dass sich das Phänomen nicht auf einzelne Straftäter reduzieren lässt. Wie das Doping im Sport, so ist die Fälschung in der Kunst ein systemisches Problem. Anhand zahlreicher, zum Teil irrwitziger, auch bislang unbekannter Fallbeispiele geht Hubertus Butin den Ursachen nach, schildert das Vorgehen berühmter Fälscher wie Wolfgang Beltracchi und erläutert, wie wir uns besser gegen Betrug und Täuschung wappnen können.
Kunstfälschungen und das Interesse an ihnen haben Hochkonjunktur. Für den globalisierten Kunstbetrieb aber sind sie zur Herausforderung geworden. Massenhafte Fälschungen erzeugen nicht nur erheblichen finanziellen Schaden, sie führen auch immer wieder Museen und die Forschung auf peinliche Irrwege. Hubertus Butin zeigt, dass sich das Phänomen nicht auf einzelne Straftäter reduzieren lässt. Wie das Doping im Sport, so ist die Fälschung in der Kunst ein systemisches Problem. Anhand zahlreicher, zum Teil irrwitziger, auch bislang unbekannter Fallbeispiele geht Hubertus Butin den Ursachen nach, schildert das Vorgehen berühmter Fälscher wie Wolfgang Beltracchi und erläutert, wie wir uns besser gegen Betrug und Täuschung wappnen können.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.03.2020Alles andere als Kavaliersdelikte
Wie Sammler, Auktionshäuser und Museen Betrügern aufsitzen: Hubertus Butin macht kenntnisreich mit allen Aspekten von Kunstfälschungen vertraut.
Von Rose-Maria Gropp
Der Kunstmarkt ist, darin dem Fußballplatz nicht unähnlich, ein Feld, auf dem sich anscheinend viel mehr Leute auskennen, als es je betreten haben. Die gepflegte starke Meinung paart sich gern mit weitgehender Kenntnisfreiheit. Dazu gesellen sich leicht durchschaubare psychologische Komponenten. Angeprangerter Besitzgier und Geltungsbedürfnis stehen genauso unschöne Motive gegenüber, bis hin zum banalen Sozialneid. Am einfachsten greifen solche Mechanismen beim Thema der Kunstfälschung. So wenn sich schadenfrohes Einverständnis, gar offene Sympathie für Fälscher breitmachen, denen noch dazu Anerkennung für ihre imitatorische Begabung gezollt wird.
Der Kunsthistoriker Hubertus Butin, ausgewiesen neben anderen Publikationen durch den Catalogue Raisonné von Gerhard Richters "Editionen 1965-2013" (mit Stefan Gronert), räumt damit gründlich auf. Zunächst differenziert er den Überbegriff "Fälschungen" in Abgrenzung zu Kopien und Verfälschungen, und er leuchtet die "Grauzonen" der Originale aus; das ist äußerst hilfreich. Vor diesem Hintergrund seziert Butin das Vorgehen der Fälscher, so kühl wie kenntnisreich und meinungsstark. Auf fast fünfhundert Seiten entfaltet sich ein klar gegliedertes Panorama, das alle möglichen Fälle von Fälschungen - samt deren Ermöglichungsbedingungen - in zwölf Kapiteln durcharbeitet. Butin scheut sich nicht, Ross und Reiter zu nennen, wo er seiner Belege sicher ist. Und so darf gelegentlich durchaus gestaunt werden.
"Das sind keine guten Aussichten: Gemeinsam mit den Alchemisten sitzen die Fälscher in der Hölle." So beginnt die Einführung, und so sah es jedenfalls Sandro Botticelli um 1480 auf einem Blatt seines Zeichnungszyklus zu Dantes "Göttlicher Komödie". In der Hölle sitzen die Fälscher aber längst nicht mehr, sondern sie spreizen sich eher in Talkshows, "eine erstaunliche Entwicklung vom Verbrecher zum Medienstar", so findet Butin mit Recht. Angespielt ist damit natürlich auf den hierzulande notorischen Wolfgang Beltracchi mit seinem gelinden Größenwahn. Allerdings auch auf die Mitwirkung der Öffentlichkeit an dessen zweifelhaftem Ruhm: Sie lässt sich gern Fälschergeschichten als "glamouröse Skandale" vorsetzen, Karrieren von "Meisterfälschern" wie Han van Meegeren, Elmyr de Hory, Eric Hebburn oder Edgar Mrugalla.
Genau das macht Butin nicht: Biographien von Fälschern kulinarisch aufbereiten. Und schon gar nicht stilisiert er sie zu Heroen. Er ordnet auf allen Ebenen ein, buchstäblich von der Antike an, was sie einzig können: mehr oder minder geschickt nachahmen, was Künstler geleistet haben. Entsprechend handelt er im fünften Kapitel, "Fälscher", kaum von den Akteuren, sondern setzt sich mit Einschätzungen zum Thema auseinander, wie der folgenden eines Kunsttheoretikers: "Was spricht gegen den Anspruch eines Malers, das OEuvre eines Künstlers wie das von Max Ernst oder Heinrich Campendonk um weitere Werke zu bereichern, als die bloße Tatsache, dass sie mit einem falschen Namen, falscher Provenienz und irrenden Gutachten versehen wurden?" Es braucht schon arg viel Naivität, um solche Verbrechen wie Urkundenfälschung, Betrug und vorsätzliche Täuschung als - wie hier geschehen - vernachlässigbare Kleinigkeiten zu behandeln.
Butin wird nicht müde, darauf hinzuweisen, was darüber hinaus noch gegen Fälschungen spricht: Es ist zumal die nachhaltige Verfälschung von Werkzusammenhängen einzelner Künstler, entsprechend von deren Werkverzeichnissen, was am Ende bis in die Museen hineinwirkt, die bei aller ausgewiesenen Expertise auch nicht gefeit sind vor jedem Betrug. Denn es handelt sich ja nicht um Kavaliersdelikte, mit denen ein paar vermögenden Menschen Geld aus der Tasche gezogen wird; allein diese Sicht ist schon üble Verharmlosung. Sondern es geht um eine Kunstgeschichtsschreibung, die unser aller kulturelles Erbe mitbestimmt. Wem egal ist, ob diese auf zuverlässigen Daten aufruht, der hat überhaupt nicht begriffen, was die Ubiquität von fake in der Gesellschaft anrichtet.
Butin liefert zahlreiche Beispiele, auch im Fall von Arbeiten Gerhard Richters. Zu ihnen zählt die Identfälschung, also Fälschung nach einem existierenden Bildmotiv, eines Blatts aus Richters Edition "Kerze III" von 1989. Sie kam aus einer bekannten Sammlung und tauchte 2016 in einem New Yorker Auktionskatalog auf, mit einer Schätzung bis 80 000 Dollar versehen. Butin benennt die "groben Fehler" des Betrügers - inklusive der zittrigen Signatur auf der Rückseite. Dennoch war bei den Experten kein Zweifel an der Echtheit aufgekommen. Das Bild wurde erst kurz vor der Auktion, aufgrund eines Hinweises, aus dem Angebot entfernt.
In den zentralen Kapiteln - zu "Kunstboom", "Sammlern und Sammlerinnen" und "Spekulanten" - läuft der Autor zu Hochform auf bei der Vivisektion jener unguten Verhältnisse, die von einer zunehmend rabiaten Ökonomisierung des Kunstmarkts, des Kunstsystems überhaupt, befördert werden. Vielleicht lässt sich sagen, dass die Funktion von Kunst als Prothetik sozialer Geltung derzeit einen Höhepunkt erreicht hat. Zu lernen ist, aus historischer Perspektive, allerdings auch, dass diese Entwicklung wirklich nicht brandneu ist, sondern in Abwandlungen wiederkehrt.
Sich selbst, und damit den Lesern, erspart Butin eine pauschale Verurteilung des Kunsthandels, zumal der Auktionshäuser. Er beschreibt deren Schwachpunkte in einem eigenen Kapitel, ohne sie unter Generalverdacht zu stellen, allerdings mit klarem Urteil über die Ursachen für die Nachlässigkeiten im Umgang mit Fälschungen. Der scharfe Wettbewerb, Zeitdruck und gelegentlich nicht ausreichende Kompetenz der angestellten Experten gehören dazu. Aber selbst wenn eine Fälschung vor der Auktion aus dem Verkehr gezogen wird, ist sie nicht unschädlich gemacht. Die Motive liegen auf der Hand: Die Häuser haben kein Interesse, ihre Kunden zu verprellen, meistens werden die falschen Werke einfach zurückgegeben. Und die einmal Gelackmeierten wollen ihrerseits oft nicht den doppelten Schaden haben.
Eng verquickt ist das Kapitel zu "Sachverständigen, Gutachtern und Experten" mit jenem zur Funktion der "Öffentlichen Medien". Diese Verbindung untersucht Butin auch anhand der Rolle, die dem entscheidenden Gutachter bei den Machwerken Beltracchis zukam, und mittels der Position, die der getäuschte Kunsthistoriker in der Causa um die Fälschung von Galileo Galileis "Sidereus Nuncius" einnahm, welche der italienische Bibliothekar Marino Massimo De Caro hergestellt hatte. Neben der so erzielten Breitenwirkung für das betrügerische Vorgehen - und womöglich einem gewissen Respekt vor dieser "Leistung" - wird noch etwas klar: Es ist ein Irrtum, dass ein Werk - wie alt, wie neu oder wie scheinbar entlegen, ob Buch oder Bild, Zeichnung oder Skulptur - schon nicht gefälscht sein wird, weil sich das nicht lohnen würde. Und hier ließe sich ergänzen, dass gerade auch Beltracchi Künstler gefälscht hat, wie etwa Johannes Molzahn, die nicht zum Hochpreissegment zählen, womit er leicht eine für vermeintlich günstige Käufe empfängliche Klientel bespielen konnte.
All die genannten Faktoren zusammengenommen befördern ein für Fälscher nachgerade günstiges Klima. Es ist Butins ceterum censeo, auf die drei Komponenten hinzuweisen, die zur Abklärung bei Zweifeln an der Echtheit eines Werks gemeinsam beitragen müssen: Zunächst sollte seine Provenienz, die Herkunft also, lückenlos nachvollziehbar sein. Dafür sind zumal die Rückseiten eines Gemäldes mit den Aufklebern von Galerien oder Sammlungen wichtig; solche Hinweise werden oft mitgefälscht. Hinzu kommt die materialtechnische Untersuchung, am besten in unabhängigen Speziallabors. Diese Methode kann zum Beispiel Leinwände oder Farben identifizieren, die zum Zeitpunkt der angeblichen Entstehung eines Gemäldes noch gar nicht existierten. Endlich ist da die Expertise unabhängiger Gutachter. Sie sollten freilich kein "Monopol" auf einen bestimmten Künstler haben und idealerweise bei einer Authentifizierung im Team arbeiten. Was so einleuchtend klingt, ist in der Realität keinesfalls die Regel; sei es aus finanziellen Gründen, aus Zeitersparnis - oder weil schlicht der Wille zum genauen Wissen fehlt.
Im Nachwort formuliert Butin den Kern seiner These noch einmal bündig, dass nämlich "die Fälschung in der Tat nicht mehr nur als marginale Erscheinung oder als bloßes Skandalon der Kunstwissenschaft betrachtet werden sollte. Sie muss vielmehr als systemisches Problem begriffen werden, das von komplexen gesellschaftlichen Strukturen bedingt wird. Es wäre fatal, wenn die im gesamten Kunstbetrieb zunehmende Anzahl von Fälschungen nicht als ernste Herausforderung angenommen würde." Zudem, so lässt sich ergänzen, wirken die Fälschungen in die Gesellschaft zurück, und das erst recht, wenn sie als lässliche Verfehlungen vermeintlich gewitzter Zeitgenossen behandelt werden.
Nicht zuletzt in dieser Hinsicht ergeht ein moralischer Appell, der ins Mark des gesellschaftlichen Selbstverständnisses, weit über die Kunst hinaus, trifft. Er wird vorgetragen von einem Autor, der nicht Thesen arrangiert, sondern seine Ausführungen mit Belegen untermauert. So ist Hubertus Butins Buch zugleich packende Lektüre - und als Bericht zur Lage das aktuell gültige Standardwerk.
Hubertus Butin: "Kunstfälschung". Das betrügliche Objekt der Begierde.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020. 476 S., geb., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie Sammler, Auktionshäuser und Museen Betrügern aufsitzen: Hubertus Butin macht kenntnisreich mit allen Aspekten von Kunstfälschungen vertraut.
Von Rose-Maria Gropp
Der Kunstmarkt ist, darin dem Fußballplatz nicht unähnlich, ein Feld, auf dem sich anscheinend viel mehr Leute auskennen, als es je betreten haben. Die gepflegte starke Meinung paart sich gern mit weitgehender Kenntnisfreiheit. Dazu gesellen sich leicht durchschaubare psychologische Komponenten. Angeprangerter Besitzgier und Geltungsbedürfnis stehen genauso unschöne Motive gegenüber, bis hin zum banalen Sozialneid. Am einfachsten greifen solche Mechanismen beim Thema der Kunstfälschung. So wenn sich schadenfrohes Einverständnis, gar offene Sympathie für Fälscher breitmachen, denen noch dazu Anerkennung für ihre imitatorische Begabung gezollt wird.
Der Kunsthistoriker Hubertus Butin, ausgewiesen neben anderen Publikationen durch den Catalogue Raisonné von Gerhard Richters "Editionen 1965-2013" (mit Stefan Gronert), räumt damit gründlich auf. Zunächst differenziert er den Überbegriff "Fälschungen" in Abgrenzung zu Kopien und Verfälschungen, und er leuchtet die "Grauzonen" der Originale aus; das ist äußerst hilfreich. Vor diesem Hintergrund seziert Butin das Vorgehen der Fälscher, so kühl wie kenntnisreich und meinungsstark. Auf fast fünfhundert Seiten entfaltet sich ein klar gegliedertes Panorama, das alle möglichen Fälle von Fälschungen - samt deren Ermöglichungsbedingungen - in zwölf Kapiteln durcharbeitet. Butin scheut sich nicht, Ross und Reiter zu nennen, wo er seiner Belege sicher ist. Und so darf gelegentlich durchaus gestaunt werden.
"Das sind keine guten Aussichten: Gemeinsam mit den Alchemisten sitzen die Fälscher in der Hölle." So beginnt die Einführung, und so sah es jedenfalls Sandro Botticelli um 1480 auf einem Blatt seines Zeichnungszyklus zu Dantes "Göttlicher Komödie". In der Hölle sitzen die Fälscher aber längst nicht mehr, sondern sie spreizen sich eher in Talkshows, "eine erstaunliche Entwicklung vom Verbrecher zum Medienstar", so findet Butin mit Recht. Angespielt ist damit natürlich auf den hierzulande notorischen Wolfgang Beltracchi mit seinem gelinden Größenwahn. Allerdings auch auf die Mitwirkung der Öffentlichkeit an dessen zweifelhaftem Ruhm: Sie lässt sich gern Fälschergeschichten als "glamouröse Skandale" vorsetzen, Karrieren von "Meisterfälschern" wie Han van Meegeren, Elmyr de Hory, Eric Hebburn oder Edgar Mrugalla.
Genau das macht Butin nicht: Biographien von Fälschern kulinarisch aufbereiten. Und schon gar nicht stilisiert er sie zu Heroen. Er ordnet auf allen Ebenen ein, buchstäblich von der Antike an, was sie einzig können: mehr oder minder geschickt nachahmen, was Künstler geleistet haben. Entsprechend handelt er im fünften Kapitel, "Fälscher", kaum von den Akteuren, sondern setzt sich mit Einschätzungen zum Thema auseinander, wie der folgenden eines Kunsttheoretikers: "Was spricht gegen den Anspruch eines Malers, das OEuvre eines Künstlers wie das von Max Ernst oder Heinrich Campendonk um weitere Werke zu bereichern, als die bloße Tatsache, dass sie mit einem falschen Namen, falscher Provenienz und irrenden Gutachten versehen wurden?" Es braucht schon arg viel Naivität, um solche Verbrechen wie Urkundenfälschung, Betrug und vorsätzliche Täuschung als - wie hier geschehen - vernachlässigbare Kleinigkeiten zu behandeln.
Butin wird nicht müde, darauf hinzuweisen, was darüber hinaus noch gegen Fälschungen spricht: Es ist zumal die nachhaltige Verfälschung von Werkzusammenhängen einzelner Künstler, entsprechend von deren Werkverzeichnissen, was am Ende bis in die Museen hineinwirkt, die bei aller ausgewiesenen Expertise auch nicht gefeit sind vor jedem Betrug. Denn es handelt sich ja nicht um Kavaliersdelikte, mit denen ein paar vermögenden Menschen Geld aus der Tasche gezogen wird; allein diese Sicht ist schon üble Verharmlosung. Sondern es geht um eine Kunstgeschichtsschreibung, die unser aller kulturelles Erbe mitbestimmt. Wem egal ist, ob diese auf zuverlässigen Daten aufruht, der hat überhaupt nicht begriffen, was die Ubiquität von fake in der Gesellschaft anrichtet.
Butin liefert zahlreiche Beispiele, auch im Fall von Arbeiten Gerhard Richters. Zu ihnen zählt die Identfälschung, also Fälschung nach einem existierenden Bildmotiv, eines Blatts aus Richters Edition "Kerze III" von 1989. Sie kam aus einer bekannten Sammlung und tauchte 2016 in einem New Yorker Auktionskatalog auf, mit einer Schätzung bis 80 000 Dollar versehen. Butin benennt die "groben Fehler" des Betrügers - inklusive der zittrigen Signatur auf der Rückseite. Dennoch war bei den Experten kein Zweifel an der Echtheit aufgekommen. Das Bild wurde erst kurz vor der Auktion, aufgrund eines Hinweises, aus dem Angebot entfernt.
In den zentralen Kapiteln - zu "Kunstboom", "Sammlern und Sammlerinnen" und "Spekulanten" - läuft der Autor zu Hochform auf bei der Vivisektion jener unguten Verhältnisse, die von einer zunehmend rabiaten Ökonomisierung des Kunstmarkts, des Kunstsystems überhaupt, befördert werden. Vielleicht lässt sich sagen, dass die Funktion von Kunst als Prothetik sozialer Geltung derzeit einen Höhepunkt erreicht hat. Zu lernen ist, aus historischer Perspektive, allerdings auch, dass diese Entwicklung wirklich nicht brandneu ist, sondern in Abwandlungen wiederkehrt.
Sich selbst, und damit den Lesern, erspart Butin eine pauschale Verurteilung des Kunsthandels, zumal der Auktionshäuser. Er beschreibt deren Schwachpunkte in einem eigenen Kapitel, ohne sie unter Generalverdacht zu stellen, allerdings mit klarem Urteil über die Ursachen für die Nachlässigkeiten im Umgang mit Fälschungen. Der scharfe Wettbewerb, Zeitdruck und gelegentlich nicht ausreichende Kompetenz der angestellten Experten gehören dazu. Aber selbst wenn eine Fälschung vor der Auktion aus dem Verkehr gezogen wird, ist sie nicht unschädlich gemacht. Die Motive liegen auf der Hand: Die Häuser haben kein Interesse, ihre Kunden zu verprellen, meistens werden die falschen Werke einfach zurückgegeben. Und die einmal Gelackmeierten wollen ihrerseits oft nicht den doppelten Schaden haben.
Eng verquickt ist das Kapitel zu "Sachverständigen, Gutachtern und Experten" mit jenem zur Funktion der "Öffentlichen Medien". Diese Verbindung untersucht Butin auch anhand der Rolle, die dem entscheidenden Gutachter bei den Machwerken Beltracchis zukam, und mittels der Position, die der getäuschte Kunsthistoriker in der Causa um die Fälschung von Galileo Galileis "Sidereus Nuncius" einnahm, welche der italienische Bibliothekar Marino Massimo De Caro hergestellt hatte. Neben der so erzielten Breitenwirkung für das betrügerische Vorgehen - und womöglich einem gewissen Respekt vor dieser "Leistung" - wird noch etwas klar: Es ist ein Irrtum, dass ein Werk - wie alt, wie neu oder wie scheinbar entlegen, ob Buch oder Bild, Zeichnung oder Skulptur - schon nicht gefälscht sein wird, weil sich das nicht lohnen würde. Und hier ließe sich ergänzen, dass gerade auch Beltracchi Künstler gefälscht hat, wie etwa Johannes Molzahn, die nicht zum Hochpreissegment zählen, womit er leicht eine für vermeintlich günstige Käufe empfängliche Klientel bespielen konnte.
All die genannten Faktoren zusammengenommen befördern ein für Fälscher nachgerade günstiges Klima. Es ist Butins ceterum censeo, auf die drei Komponenten hinzuweisen, die zur Abklärung bei Zweifeln an der Echtheit eines Werks gemeinsam beitragen müssen: Zunächst sollte seine Provenienz, die Herkunft also, lückenlos nachvollziehbar sein. Dafür sind zumal die Rückseiten eines Gemäldes mit den Aufklebern von Galerien oder Sammlungen wichtig; solche Hinweise werden oft mitgefälscht. Hinzu kommt die materialtechnische Untersuchung, am besten in unabhängigen Speziallabors. Diese Methode kann zum Beispiel Leinwände oder Farben identifizieren, die zum Zeitpunkt der angeblichen Entstehung eines Gemäldes noch gar nicht existierten. Endlich ist da die Expertise unabhängiger Gutachter. Sie sollten freilich kein "Monopol" auf einen bestimmten Künstler haben und idealerweise bei einer Authentifizierung im Team arbeiten. Was so einleuchtend klingt, ist in der Realität keinesfalls die Regel; sei es aus finanziellen Gründen, aus Zeitersparnis - oder weil schlicht der Wille zum genauen Wissen fehlt.
Im Nachwort formuliert Butin den Kern seiner These noch einmal bündig, dass nämlich "die Fälschung in der Tat nicht mehr nur als marginale Erscheinung oder als bloßes Skandalon der Kunstwissenschaft betrachtet werden sollte. Sie muss vielmehr als systemisches Problem begriffen werden, das von komplexen gesellschaftlichen Strukturen bedingt wird. Es wäre fatal, wenn die im gesamten Kunstbetrieb zunehmende Anzahl von Fälschungen nicht als ernste Herausforderung angenommen würde." Zudem, so lässt sich ergänzen, wirken die Fälschungen in die Gesellschaft zurück, und das erst recht, wenn sie als lässliche Verfehlungen vermeintlich gewitzter Zeitgenossen behandelt werden.
Nicht zuletzt in dieser Hinsicht ergeht ein moralischer Appell, der ins Mark des gesellschaftlichen Selbstverständnisses, weit über die Kunst hinaus, trifft. Er wird vorgetragen von einem Autor, der nicht Thesen arrangiert, sondern seine Ausführungen mit Belegen untermauert. So ist Hubertus Butins Buch zugleich packende Lektüre - und als Bericht zur Lage das aktuell gültige Standardwerk.
Hubertus Butin: "Kunstfälschung". Das betrügliche Objekt der Begierde.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020. 476 S., geb., 28,- [Euro].
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»... überaus kenntnisreich und mit besonderer Akribie.« Annegret Erhard DIE WELT 20200509