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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Ab heute wird zurückgepredigt: Preston Nortons Roman "Kurz mal mit dem Universum plaudern"
Es ist bestimmt nicht leicht, ein Buch zu schreiben, das Jungs zwischen vierzehn und sechzehn Jahren gerne lesen. Aber wenn der zweite Satz "Regel Nummer eins: Es ist alles Bullshit" lautet, könnte es geklappt haben. Clifford Hubbard, aus dessen Mund diese Regel stammt, hält sich nicht lange auf, sondern springt gleich rein in sein verkorkstes Leben. Clifford oder "der Neandertaler", wie ihn die Mitschüler an der Happy Valley Highschool eben nicht im Spaß nennen, ist fast zwei Meter groß und wiegt mehr als einhundert Kilo. Er hat keine Freunde, einen toten Bruder, einen saufenden Vater und eine Mutter, die als Verkäuferin in einer der letzten Videotheken, die es auf dieser Erde noch geben mag, das Geld der Familie verdient. Das alles erzählt er auf den ersten paar Seiten. Erstaunlicherweise hat man danach noch nicht genug.
Denn Cliff präsentiert sich nicht als Opfer, sondern im wörtlichen und übertragenen Sinn als Erzähler seiner Geschichte, die eine Geschichte vom Außenseiter ist, der zu (fast) jedermanns Liebling wird. Als Ich-Erzähler ist er selbstironisch ("Körbchengröße B füllte ich locker aus und ging mittlerweile stramm auf die C zu"), aufrichtig vor allem, wenn es um den Suizid seines Bruders Shane geht ("Und jetzt stand ich da, mit nichts außer dieser klaffenden Lücke in meinem Leben") und direkt in der Einbeziehung seiner Leser ("Ihr wisst schon . . ."). Zu dem starken Eindruck von Unmittelbarkeit, der daraus entsteht, gesellt sich die Schnelligkeit. Der Autor Preston Norton wechselt oft und rasch die Szenen und er durchsetzt sie mit Dialogen im Teenager-Soziolekt, die so geschliffen sind, dass sein Buch an ein Drehbuch erinnert, was auch insofern naheliegt, als seine Hauptfigur ein Faible für Filme hat, besonders für Science-Fiction-Filme. Der weit vor seiner Zeit gedrehte "2001: Odyssee im Weltraum" ist einer von Cliffs liebsten Filmen. Er war auch der Lieblingsfilm seines Bruders.
Lange hat Cliff versucht zu verstehen, was sein älterer Bruder meinte, wenn er in Bezug auf die schwarzen Monolithen in diesem Film von einem "Tor des Lebens" sprach und Cliff provozierend fragte: "Willst du denn gar nicht wissen, was auf der anderen Seite ist?" In "Kurz mal mit dem Universum plaudern" nimmt Cliff diese Frage auf und macht sich damit zum Herren seines Schicksals. Das ist rührend, manchmal auch rührselig, oft ist es lustig, spannend und durchsetzt von immer wieder schlauen Gedanken zu vielen Dingen, die Heranwachsende beschäftigen. Es geht um Sex, Drugs und Rock 'n' roll, um Eltern und Lehrer, Tod und Teufel. Etwas Übernatürliches wohnt dem Geschehen inne, als ausgerechnet Aaron, schönster Junge der Schule und Topspieler der Football-Mannschaft, nach einem Bootsunfall in ein Koma fällt, aus dem er mit der festen Überzeugung erwacht, Gott höchstselbst gesehen zu haben. Dieser habe ihm mitgeteilt, dass sich die Dinge an der Happy Valley Highschool in fünf bestimmten Punkten ändern müssten, die Aaron fortan auf einer Liste mit sich herumträgt. Und um sie abzuarbeiten, muss er sich - Gott hat's befohlen - mit Cliff zusammentun. Dieser tritt mutig durch das Tor zu dem neuen Leben, das sich vor ihm öffnet. Egal ob Aaron nur einen Hirnschaden davongetragen oder tatsächlich Gott gesehen hat - die Liste klingt sinnvoll. Sie zielt auf Personen an der Schule, die die Gemeinschaft spalten, tyrannisieren oder ihr Drogen verkaufen. Sie zielt auf Schüler, Lehrer und einen Unbekannten mit dem sprechenden Namen HAL, der als begnadeter Hacker über allen anderen zu schweben scheint.
Norton bietet die Liste die Gelegenheit, sich an vielen Konfliktlinien abzuarbeiten, die sich durch die Schule, durch Montana und letztlich durch das ganze Land ziehen. Im kleinen Mikrokosmos der Highschool von Happy Valley spiegelt sich manche, auch auf großer, kulturpolitischer Bühne ausgetragene Auseinandersetzung wider. Besonders gilt das für den Auftritt der christlichen Schülergemeinde im Buch, die sich "Jesus Teens" nennen und, angeführt von der ebenso sendungs- wie selbstbewussten Esther, für sich in Anspruch nehmen, allein zu wissen, wem Gott sich wie offenbart. Dass er sich Aaron und Cliff ausgesucht haben könnte, halten sie für ausgeschlossen. Und auch Esthers Bruder Noah, der es als Einziger der Schule wagte, sich zu seiner Homosexualität zu bekennen und den "Jesus Teens" mit einem neuen "Homo-Hetero-Bund" entgegenzutreten, sprechen sie Gottes Segen ab. Dieser Streit gipfelt schließlich in einer skurrilen "Predigtbattle", bei der Vertreter beider Seiten gegeneinander antreten, um die versammelte Schülerschaft davon zu überzeugen, dass Gott keine Listen verschickt - beziehungsweise eben doch.
Wenig überraschend verläuft nicht nur dieses rhetorische Kräftemessen anders als geplant. So gut wie kein Plan zur Abarbeitung der Liste geht ohne Weiteres auf. Was die beiden neuen Freunde (und alle anderen) trotzdem erleben, ist, dass allein ihr Versuch, die Dinge anders anzugehen als sonst, eine Dynamik in Gang setzt, die sich bald nicht mehr aufhalten lässt, wie eine Lawine immer größer wird und fast jeden mitreißt, der im Weg steht. Hoffnung ist ansteckend, Transzendenz auch für jene erfahrbar, die nicht zu den "Jesus Teens" gehören - das sind die Erkenntnisse in diesem bemerkenswerten Buch. Es ist das erste Buch von Preston Norton, das ins Deutsche übersetzt wurde. In den USA erschien es bereits 2018 und geriet im vergangenen Jahr in die Mühlen des Kulturkampfes, von dem es erzählt. Im August hatte der "Alpine School District" in Utah angekündigt, insgesamt 52 Bücher von 41 Schriftstellern aus den Bibliotheken seiner Schulen entfernen zu wollen - wegen eines neuen Gesetzes im Bundesstaat, nach dem Bücher mit "sensitivem Material", vor allem vermeintlich pornographischen Inhalten, aussortiert werden sollen.
"Neanderthal opens the door to the universe", so der Titel des Originals von Norton, war eines dieser 52 Bücher, von denen sich knapp die Hälfte laut einer damaligen Mitteilung des P.E.N. America mit Fragen der Geschlechteridentität und sexuellen Orientierung beschäftigt. Nach heftigen Protesten entschied der "Alpine School District" anders: Die Bücher sollten doch nicht entfernt, sondern in gesonderten Bereichen der Bibliotheken versammelt werden, zu denen die Schüler nur Zutritt erhalten, wenn ihre Eltern explizit damit einverstanden sind. Bleibt zu hoffen, dass diese Sonderbereiche mit ihren schillernden Büchern dieselbe Anziehungskraft entfalten wie alle anderen verbotenen Früchte. LENA BOPP
Preston Norton: "Kurz mal mit dem Universum plaudern". Roman.
Aus dem Englischen von Jessika Komina und Sandra Knuffinke. Hanser Verlag, München 2022. 446 S., geb., 18,- Euro. Ab 14 J.
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"Mit seinen zahllosen popkulturellen Anspielungen bietet der Roman reichlich Andockstellen für Nerds, dazu eine rasant- herzzerreißende Geschichte, einen zur Identifikation einladenden Anti-Helden, der einen rotzig-lakonischen Erzählstil pflegt, und in ein ebenso unterhaltsames wie problembeladenes, schulisches Biotop eingebettet ist. ... Dieses Personal der sozialen, politischen und Generationen-Spaltung lässt Preston Norton mit größter Selbstverständlichkeit aufeinander los. Inklusive einer schön beiläufigen Lovestory, die Cliff erlebt, als sein Selbst- und Welthass abklingt." Gunda Bartels, Der Tagesspiegel, 04.08.2022
"Mühelos schreibt Norton über Religion und Toleranz, thematisiert die zerstörerische Wirkung von Drogen und die Schere zwischen Arm und Reich. Er macht gesellschaftliche Probleme zu selbstverständlichen Komponenten seiner Erzählung. ... Norton schreibt so vulgär wie ein Pausenhof sein kann, von speckigen Wichsgriffeln und Wackelärschen, ohne dabei seine Moral preiszugeben." Leo Kilz, Süddeutsche Zeitung, 10.03.2022