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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Peter Schäfer über die Geschichte des Antisemitismus
Die Kontinuität von 1700 Jahren jüdischen Lebens in Deutschland, die in diesem Jahr gefeiert wird, geht zurück auf ein Gesetz, das Konstantin der Große im Dezember 321 erließ. An die Ratsherren von Köln gerichtet, verfügte der Kaiser, dass Juden in den Stadtrat berufen werden können. Dieser früheste bekannte Beleg für die Existenz einer jüdischen Gemeinde am Rhein klingt nach einer Aufwertung, aber so eindeutig war das nicht. Denn die Maßnahme bedeutete auch das Ende der bisherigen Freistellung der Juden von solchen Ämtern, die hohe finanzielle Belastungen mit sich bringen konnten.
Andere gesetzliche Regelungen, die Konstantin und weitere spätantike Herrscher trafen, waren eindeutig gegen Juden gerichtet - beispielsweise das Verbot des Übertritts zum Judentum oder des Neubaus von Synagogen. Sie standen in einer Tradition des Antisemitismus, die zu jenem Zeitpunkt schon mehrere hundert Jahre alt war. Und die bis heute anhält, mit dem furchtbarsten Kapitel in der Schoa.
Autoren versuchen immer wieder, das schwer zu Greifende des Antisemitismus in Metaphern zu verpacken. Der Judaist Peter Schäfer spricht in seiner "Kurzen Geschichte des Antisemitismus" von einer "vielköpfigen Hydra". Denn eine seiner Kernaussagen ist, dass der heutige Antisemitismus nur "in der kumulierten Präsenz aller Facetten" verstanden werden könne, die sich im Laufe von mehr als zweitausend Jahren ergeben haben. In Anpassung an veränderte gesellschaftliche Umstände hat der Antisemitismus sich immer wieder neu erfunden, wobei ältere Elemente durch neuere nicht notwendigerweise abgelöst wurden, sondern weiterlebten und intensiviert werden konnten.
Beginnend in der Antike, geht Schäfer dieser Entwicklung in acht chronologischen Kapiteln kenntnisreich und quellengesättigt nach. Als ein Leitmotiv macht er die Vorstellung von den Juden als einer gottlosen und menschenfeindlichen Gruppe aus, die sich in hellenistischer Zeit herausbildete, vermutlich in Ägypten. Sie hängt wohl mit der für Griechen wie für Römer befremdlichen Gottesvorstellung der Juden und mit deren besonderen Identitätsmerkmalen zusammen, allen voran der Beschneidung und dem Schweinefleischverbot. Allein damit lässt sich aber nicht die Wucht der antijüdischen Vorwürfe und Repressionen erklären, von denen die Quellen schon in vorchristlicher Zeit berichten: von angeblichen Menschenopfern der Juden über Sondersteuern bis zu ersten Pogromen. Als generelles Kernelement des Antisemitismus identifiziert Schäfer "eine ständige Ambivalenz zwischen Hass auf die Juden und Angst vor den Juden".
Unter den Bedingungen des frühen und bald herrschenden Christentums verschärfte sich die Lage für die Juden noch. In dem Kapitel zu dieser Phase fächert Schäfer die theologische Auseinandersetzung des Neuen Testaments und spätantiker christlicher Autoren mit dem Judentum auf. Stärker als im klassischen Islam entdeckt er im Christentum jener Zeit die Saat einer Feindschaft zum Judentum, die in der Folgezeit immer wieder aufgehen sollte. Zumal sie durch wirtschaftliche Motive verstärkt wurde: Da die von Zünften ausgeschlossenen Juden zunehmend auf den Geldverleih eingeengt waren, entstand das Bild vom Wucherer.
Auch in den Zeiten von Aufklärung und Emanzipation verschwanden die Vorurteile nicht - im Gegenteil fanden sie im Zuge des entstehenden Nationalbewusstseins im neunzehnten Jahrhundert neuen Ausdruck: in der Rede vom jüdischen Fremdkörper. Sie verband sich mit Rassentheorien, aber wie Schäfer zeigt, waren auch die älteren Motive weiter vorhanden.
Mit dem Übergang von der Katastrophe der Schoa zum Fortwirken des Antisemitismus nimmt das Buch einen etwas anderen Ton an und wird meinungsfreudiger. Das gilt insbesondere für Gegenwartsfragen, die Schäfer am Ende erörtert, etwa israelbezogenen Antisemitismus oder den Antisemitismusvorwurf als Mittel in politischen Auseinandersetzungen. Es fällt schwer, hier nicht auch ein Echo von Erfahrungen zu vernehmen, die der Autor selbst gemacht hat. Nachdem ihm eine Reihe von Fehlern bei der Führung des Hauses vorgehalten worden waren, trat Schäfer vor knapp zwei Jahren als Direktor des Jüdischen Museums Berlin zurück.
Seine Antworten gibt er in den letzten Abschnitten des Buches, das mit dem Fazit endet, dass es Antisemitismus auch weiter geben wird, womöglich in neuen Ausprägungen; wohingegen die öffentlichen Formeln der Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit zur "quasireligiösen Ritualisierung" zu erstarren drohten.
CHRISTIAN MEIER
Peter Schäfer:
"Kurze Geschichte des
Antisemitismus".
C. H. Beck Verlag,
München 2020.
335 S., geb., 26,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Christian Meier
"Ein Meisterwerk, das sich leicht und packend liest."
Süddeutsche Zeitung
"Ein extrem sachliches Buch, unaufgeregt durch und durch. Ein Buch, das spannender ist als manch ein Krimi."
Deutschlandfunk, Andreas Main
"Konzis navigiert Schäfer, nüchterner Stilist, verpflichtet dem Informieren und nicht dem Verzeichnen, in Kurze Geschichte des Antisemitismus durch die Jahrtausende."
Der Standard, Alexander Kluy
"Ein augenöffnendes und bedrückendes Buch." Chrismon
"(ein) große(r) Erkenntnisgewinn, den die Lektüre dieses die europäische Geschichte durchmessende (...) Werk (...) bereithält." Dresdner Neueste Nachrichten, Ulfrid Kleinert
"Der Judaist Peter Schäfer hat eine 'Kurze Geschichte des Antisemitismus' geschrieben, die lange erschüttert."
WDR 3 Gutenbergs Welt, Walter van Rossum
"Peter Schäfer hat ein klares und einprägsames Buch geschrieben, dem viele Leser zu wünschen sind."
General-Anzeiger
"Eine Fülle an historischer Information, die kompakt und gleichzeitig doch auch in Details gehend einen wirklich großen Bogen des Themas schafft."
Die Furche, Otto Friedrich
"Prägnant und sachlich nimmt er die Entwicklung der Judenfeindlichkeit von ihren Wurzeln bis in die Gegenwart unter die Lupe." Donaukurier