Die einschneidendste Erfahrung, die aus den Lagerberichten der Gulag-Opfer spricht, ist die Entstellung des vertrauten humanistischen Menschenbilds.Die historische Aufarbeitung des Gulag-Geschehens setzte mit den Aktivitäten der Menschenrechtsorganisation "Memorial" ein. Ihrer Arbeit gingen die in Form von Autobiographie, Tagebuch und Erzählung verfassten Lagerberichte voraus, die bereits in den 60er und 70er Jahren publiziert wurden. Allein diese Texte der Überlebenden berichten über die Bedingungen in den Lagern, deren Aussehen und Anlage, über die Arbeitsabläufe und das Zusammenleben der Inhaftierten. Die Diskrepanz zwischen Erleben und Beschreiben, zwischen der Ungeheuerlichkeit des Geschehens und dem Willen, es in Sprache zu fassen, bestimmen ihren Duktus. Wie vermag sich die erinnerte Erfahrung im Nachhinein in einer neuen Gegenwart, der Gegenwart des Schreibens, darzustellen? Die Gulag-Texte unternehmen den Versuch, ein Wissen über den Menschen aufzudecken, das das Lager "offenbart" hat, und zugleich den Schock über die Erkenntnis zu vermitteln, dass das, was als menschlich galt, entweder in eine Vorlagerzeit gehört oder niemals seinem wirklichen Wesen entsprochen hat.Renate Lachmann geht es in ihren Analysen um eine Poetologie der Lagerliteratur. Sie bestimmt die formalen Prinzipien, deren sich die Verfasser bei der "Übersetzung" ihrer erinnerten Erfahrung physischer und psychischer Bedrohung in lesbare Texte bedient haben: die Wahl der Gattung, des Stils, das Verhältnis von faktographischen und fiktionalen Elementen. Das Buch ist ein Grundlagenwerk, dem es gelingt, zwischen dem Literarischen und dem Dokumentarischen der Lagertexte eine Balance zu wahren. Für das Verständnis der Lager und der durch sie aufgeworfenen radikalen Fragen ist es von entscheidender Bedeutung.
»eine unverzichtbare Lektüre, das leuchtende Beispiel einer äußerst kenntnisreichen und zugleich komplexen literaturwissenschaftlichen Recherche« (Elisabeth von Samsonow, Der Standard, 16.05.2020) »anrührend und unverzichtbar« (Hendrik Werner, Weser Kurier, 18.07.2019) »Renate Lachmann hat mit ihrem Buch mutig erforscht, welche tieferen Verstrickungen zwischen Lager und Literatur erkennbar sind«. (Aage A. Hansen Löve, wespennest Nr. 178, Mai 2020) »Diese herausragende Arbeit (...) erfüllt zweifellos den Anspruch, eine Poetologie der Lagerliteratur zu sein.« (Klaus Steinke, Informationsmittel für Bibliotheken, 27 (2019), 3 (09)) »Renate Lachmann hat mit dem vorliegenden Buch die herkulische Aufgabe gemeistert, diese Literatur eben als Literatur zu durchdenken und vorzustellen.« (Wolfgang Schuller, fachbuchjournal, Februar 2020) »Dieses neue Standardwerk (...) eröffnet neue Perspektiven in der Erforschung der Lagerliteratur.« (Natalia Borisova, Germanistik, 2020, Heft 1-2) »Das Buch sei zur Lektüre dringend empfohlen!« (Reinhard Ibler, Zeitschrift für Slavische Philologie 77.1 (2021)) »Es ist der große Verdienst dieses Buches, dass es solche paradoxen Figuren - wie das Phantastische der Realität, das Unmögliche des Erlebten (...) - entschlüsselt und aufzeigt« (Natalia Borisova, Die Welt der Slaven, Vol. 67, Nr. 2 (Februar 2022))