A comprehensive account of the neurobiological basis of language, arguing that species-specific brain differences may be at the root of the human capacity for language.
Language makes us human. It is an intrinsic part of us, although we seldom think about it. Language is also an extremely complex entity with subcomponents responsible for its phonological, syntactic, and semantic aspects. In this landmark work, Angela Friederici offers a comprehensive account of these subcomponents and how they are integrated. Tracing the neurobiological basis of language across brain regions in humans and other primate species, she argues that species-specific brain differences may be at the root of the human capacity for language.
Friederici shows which brain regions support the different language processes and, more important, how these brain regions are connected structurally and functionally to make language processes that take place in milliseconds possible. She finds that one particular brain structure (a white matter dorsal tract), connecting syntax-relevant brain regions, is present only in the mature human brain and only weakly present in other primate brains. Is this the "missing link” that explains humans' capacity for language?
Friederici describes the basic language functions and their brain basis; the language networks connecting different language-related brain regions; the brain basis of language acquisition during early childhood and when learning a second language, proposing a neurocognitive model of the ontogeny of language; and the evolution of language and underlying neural constraints. She finds that it is the information exchange between the relevant brain regions, supported by the white matter tract, that is the crucial factor in both language development and evolution.
Language makes us human. It is an intrinsic part of us, although we seldom think about it. Language is also an extremely complex entity with subcomponents responsible for its phonological, syntactic, and semantic aspects. In this landmark work, Angela Friederici offers a comprehensive account of these subcomponents and how they are integrated. Tracing the neurobiological basis of language across brain regions in humans and other primate species, she argues that species-specific brain differences may be at the root of the human capacity for language.
Friederici shows which brain regions support the different language processes and, more important, how these brain regions are connected structurally and functionally to make language processes that take place in milliseconds possible. She finds that one particular brain structure (a white matter dorsal tract), connecting syntax-relevant brain regions, is present only in the mature human brain and only weakly present in other primate brains. Is this the "missing link” that explains humans' capacity for language?
Friederici describes the basic language functions and their brain basis; the language networks connecting different language-related brain regions; the brain basis of language acquisition during early childhood and when learning a second language, proposing a neurocognitive model of the ontogeny of language; and the evolution of language and underlying neural constraints. She finds that it is the information exchange between the relevant brain regions, supported by the white matter tract, that is the crucial factor in both language development and evolution.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.03.2018Kommunikation war nicht der Anlass
Zuerst die Syntax, dann erst die Bedeutung: Angela Friederici zeigt, was die Hirnforschung über das Prozessieren von Sprache herausgefunden hat.
Grammatik gehört nicht zur höheren Sphäre des Geistes, heißt es in Theodor Fontanes "Stechlin". Von altersher gelten Satzbauregeln und Flexionsmuster als öde Formalien, unentbehrlich zwar als Gerüst für Konversation und Literatur, aber intellektuell so anregend wie ein Bausparvertrag. Angela Friederici zeigt nun, dass Grammatik geradezu die Essenz des "Höheren" ist. Denn sie und die ihr zugrunde liegenden Hirnfunktionen sind das Alleinstellungsmerkmal des Menschen gegenüber allen anderen Spezies.
Affen können zwar mit Gesten kommunizieren und sie lernen auch, einzelnen Symbolen Bedeutungen zuzuordnen. Aber nur der Mensch kann Sätze bilden, Informationsstrukturen nämlich, durch die einzelne Zeichen für Dinge, Eigenschaften und Vorgänge zu komplexen Aussagen über reale oder imaginierte Welten verknüpft werden. Die Syntax erst - so Friedericis zentrale Aussage - macht die Sprache zum Medium der kulturellen Evolution. Entscheidend dabei ist die Fähigkeit, hierarchische Muster zu bilden. Sie erlaubt uns zu tun, was in diesem Satz gerade geschieht, nämlich Informationen in Haupt- und Nebensätze zu gliedern und Satzteile, obwohl sie von anderen Satzteilen unterbrochen werden, logisch miteinander zu verbinden. Die kognitive Verarbeitungsleistung ist beachtlich, denn diese hierarchischen Strukturen müssen in ein rein lineares Medium umgesetzt werden: Wenn wir sprechen, folgen die Laute und Wörter strikt hintereinander.
In ihrem Buch liefert die Direktorin am Leipziger Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften eine umfassende Darstellung der Neurobiologie der Sprache auf dem aktuellen Stand der Forschung - einer Forschung, die sie in den vergangenen Jahrzehnten selbst mit einer Vielzahl wichtiger Studien vorangetrieben hat. Dabei verfolgt Friederici als Linguistin, Psychologin und Neurowissenschaftlerin einen Ansatz, der die Bezeichnung "interdisziplinär" wirklich verdient. Sie zeigt, dass die scheinbar abstrakten Kategorien der Syntax, der Wortgrammatik und der Satzlogik in unterschiedlichen Regionen und Schaltkreisen des Gehirns ihre genauen biologischen Entsprechungen haben.
Die Darstellung ist dicht, aber durch einleitende und zusammenfassende Abschnitte, durch begriffliche Erläuterungen im Text und ein ausführliches Glossar im Anhang auch für Leser nachvollziehbar, die keinen neurowissenschaftlichen Hintergrund haben. Die zahlreichen Illustrationen bieten wertvolle Orientierungshilfe. Eigene Kapitel widmet Friederici dem kindlichen Spracherwerb und der Rolle der Sprache in der stammesgeschichtlichen Entwicklung des Menschen.
Die Autorin macht deutlich, wie aufwendig die technischen und experimentellen Verfahren der neurolinguistischen Forschung sind, auf denen die vorgestellten Einsichten beruhen. Bildgebende Methoden haben eine Fülle von neuen Erkenntnissen gebracht. Sie erlauben es, das Gehirn in Aktion zu beobachten, während die Testperson Sprachaufgaben löst. Kombiniert man die so erzeugten Bilder mit der Messung der Hirnströme, lässt sich die Sprachverarbeitung zeitlich und räumlich in kleinste Komponenten zergliedern. Sie entpuppt sich als ein Prozess, der äußerst arbeitsteilig und zugleich hochgradig vernetzt abläuft und in Sekundenbruchteilen aus gerade registrierten Lautfolgen die Bedeutungen von Mitteilungen und Fragen, Befehlen, Flüchen oder Liebeserklärungen extrahiert.
Für Friederici steht bei alldem die Grammatik und insbesondere die Syntax im Vordergrund. Das mag auf den ersten Blick verwundern, geht es bei der Sprache doch eigentlich um Bedeutung. Doch Friederici zeigt, dass die Syntax beim Verstehen und Produzieren von Sätzen von der ersten Millisekunde an entscheidend beteiligt ist und der eigentlich semantischen Interpretation noch vorauseilt. Sobald das Gehirn die ersten Töne als Sprache identifiziert hat, analysiert ein kleines Areal im Stirnlappen der linken Hirnhälfte die Lautfolgen auf ihre grammatischen Merkmale hin und gewinnt so Informationen über Wortarten und ihre Abfolge, über Flexionsendungen und grammatische Funktionswörter, wie zum Beispiel Konjunktionen oder Präpositionen.
Daraus leitet das Gehirn "online" die Struktur des gerade einkommenden Satzes ab. Die Inhalte der "bedeutungsschweren" Verben, Substantive oder Adjektive werden dann mit diesen grammatischen Informationen zur Satzbedeutung verrechnet. In unserer alltäglichen Wahrnehmung sind diese unbewusst ablaufenden Prozesse ununterscheidbar miteinander verwoben. Durch Experimente mit bedeutungsleeren, aber syntaktisch konstruierten Sätzen lassen sie sich jedoch im Labor entwirren und testen. Dass der linke Stirnlappen hier eine entscheidende Rolle spielt, ist für sich genommen keine Überraschung. Schon lange weiß man, dass Schädigungen im dort gelegenen Broca-Areal das Erzeugen oder Verstehen grammatischer Strukuren behindern. Friederici und ihr Team haben aber herausgefunden, dass bei grammatisch komplexen Sätzen auch noch ein Areal im linken Schläfenlappen ins Spiel kommt.
Es liegt in einem Gebiet, das in erster Linie für die Verarbeitung von Wortbedeutungen zuständig ist. Zwischen diesem Areal und den Syntax-Zellen im Stirnlappen verläuft ein Nervenfaserbündel, das dem wechselseitigen Informationsaustausch dient. Die beiden Areale kooperieren, wenn es darum geht, die Beziehung von Satzgliedern zueinander zu bestimmen und damit die Logik des Satzes zu entschlüsseln. Friederici sieht in diesem Schaltkreis ein lange gesuchtes Kernelement der spezifisch menschlichen Sprachfähigkeit. Bei Affen ist diese Nervenverbindung nämlich kaum vorhanden. Gestützt wird die These dadurch, dass diese Verbindung auch bei Kindern zunächst nur schwach ausgeprägt ist und dann allmählich reift. Das entspricht der sprachlichen Entwicklung: Erst ab einem Alter von etwa acht Jahren an arbeiten die beiden Hirnareale ähnlich effektiv zusammen wie bei Erwachsenen. Und von da an können Kinder auch komplexere Satzstrukturen immer routinierter verarbeiten. Dass diese Faserverbindung bei Patienten mit Syntax-Defekten zurückgebildet ist, passt ebenfalls ins Bild.
Die neurolinguistische Laborwissenschaft findet, bei aller Empirie, nicht im theoriefreien Raum statt. Über ihren eigenen theoretischen Rahmen lässt Angela Friederici den Leser nicht im Unklaren. Sie vertritt einen engen Begriff von Sprache und stimmt darin mit Noam Chomsky überein, von dem auch das Vorwort des Buchs stammt. Zur Sprache in diesem Sinne gehören nur Grammatik, Lautmuster und Wortschatz. Als kommunikative Fähigkeit verstanden, geht Sprache allerdings darüber hinaus: Dass wir in dem Satz "Es ist aber kalt hier drinnen" eine Aufforderung erkennen und nicht nur eine neutrale Aussage über eine Temperaturempfindung, liegt daran, dass wir den Kontext miteinbeziehen und uns in unser Gegenüber versetzen.
Diese kommunikativen Aspekte hält Friederici zwar nicht für unwichtig, sie spielen in ihrem Sprachmodell aber nur eine untergeordnete Rolle. Dasselbe gilt für die Steuerung der Artikulation oder der zeichensprachlichen Gestik, ohne die die kognitiv erzeugten Sprachmuster niemanden erreichen würden. Mit Chomsky teilt Friederici die Auffassung, dass Sprache im Kern keine soziale Fertigkeit, sondern eine angeborene kognitive Fähigkeit ist. Sie werde zwar für die Kommunikation genutzt, sei aber wohl nicht zu diesem Zweck entstanden. Vergleichen lässt sich das vielleicht mit den Flügeln der Schmetterlinge, die ursprünglich nur der Regelung der Körpertemperatur dienten.
Für die generative Universalgrammatik der Chomsky-Schule bilden die neurolinguistischen Forschungsergebnisse eine wichtige Bestätigung. Die Schützenhilfe dürfte umso willkommener sein, als diese sprachwissenschaftliche Richtung in den letzten Jahren zunehmend in die Kritik geraten war. Viele Sprach- und Kognitionswissenschaftler sehen in den hochabstrakten Syntaxanalysen Chomskyscher Prägung mit ihrem biologischen Erklärungsanspruch bislang nämlich nur Glasperlenspiele, garniert mit naturwissenschaftlicher Rhetorik.
Zu diesen Kritikern gehört ein Wissenschaftler, der bis vor kurzem ein paar Straßen von Angela Friederici entfernt forschte - Michael Tomasello vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Der Verhaltensforscher bestreitet nicht, dass Sprache etwas rein Menschliches ist, wohl aber, dass es sich um eine im Kern formale Fähigkeit handelt, die völlig unabhängig von kommunikativen Zwecken entstanden ist. Er sieht die Sprache vielmehr als Ergebnis des menschlichen Vermögens, sich in andere zu versetzen, dauerhaft zu kooperieren und ein echtes "Wir-Gefühl" zu entwickeln, zu dem Affen nicht fähig sind. Dass Kinder ihre Muttersprache scheinbar mühelos lernen, liegt demzufolge auch nicht an sprachspezifischen Schaltkreisen, sondern beruht auf allgemeineren kognitiven Fähigkeiten. Dazu gehört ihr enormes Gedächtnis, die Fähigkeit, schnelle Abfolgen von Sinneseindrücken zu verarbeiten, Muster zu erkennen und Analogien zu bilden.
Es wird spannend sein zu sehen, welche Rolle die Befunde von Friederici und ihren Kollegen in den künftigen Diskussionen spielen und ob sie sich tatsächlich als empirische Basis für die Theorie von der angeborenen Universalgrammatik bewähren werden.
WOLFGANG KRISCHKE.
Angela D. Friederici: "Language in Our Brain". The Origins of a Uniquely Human Capacity. Vorwort von Noam Chomsky.
The MIT Press, Cambridge, Mass., 2017. 304 S., geb., 38,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zuerst die Syntax, dann erst die Bedeutung: Angela Friederici zeigt, was die Hirnforschung über das Prozessieren von Sprache herausgefunden hat.
Grammatik gehört nicht zur höheren Sphäre des Geistes, heißt es in Theodor Fontanes "Stechlin". Von altersher gelten Satzbauregeln und Flexionsmuster als öde Formalien, unentbehrlich zwar als Gerüst für Konversation und Literatur, aber intellektuell so anregend wie ein Bausparvertrag. Angela Friederici zeigt nun, dass Grammatik geradezu die Essenz des "Höheren" ist. Denn sie und die ihr zugrunde liegenden Hirnfunktionen sind das Alleinstellungsmerkmal des Menschen gegenüber allen anderen Spezies.
Affen können zwar mit Gesten kommunizieren und sie lernen auch, einzelnen Symbolen Bedeutungen zuzuordnen. Aber nur der Mensch kann Sätze bilden, Informationsstrukturen nämlich, durch die einzelne Zeichen für Dinge, Eigenschaften und Vorgänge zu komplexen Aussagen über reale oder imaginierte Welten verknüpft werden. Die Syntax erst - so Friedericis zentrale Aussage - macht die Sprache zum Medium der kulturellen Evolution. Entscheidend dabei ist die Fähigkeit, hierarchische Muster zu bilden. Sie erlaubt uns zu tun, was in diesem Satz gerade geschieht, nämlich Informationen in Haupt- und Nebensätze zu gliedern und Satzteile, obwohl sie von anderen Satzteilen unterbrochen werden, logisch miteinander zu verbinden. Die kognitive Verarbeitungsleistung ist beachtlich, denn diese hierarchischen Strukturen müssen in ein rein lineares Medium umgesetzt werden: Wenn wir sprechen, folgen die Laute und Wörter strikt hintereinander.
In ihrem Buch liefert die Direktorin am Leipziger Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften eine umfassende Darstellung der Neurobiologie der Sprache auf dem aktuellen Stand der Forschung - einer Forschung, die sie in den vergangenen Jahrzehnten selbst mit einer Vielzahl wichtiger Studien vorangetrieben hat. Dabei verfolgt Friederici als Linguistin, Psychologin und Neurowissenschaftlerin einen Ansatz, der die Bezeichnung "interdisziplinär" wirklich verdient. Sie zeigt, dass die scheinbar abstrakten Kategorien der Syntax, der Wortgrammatik und der Satzlogik in unterschiedlichen Regionen und Schaltkreisen des Gehirns ihre genauen biologischen Entsprechungen haben.
Die Darstellung ist dicht, aber durch einleitende und zusammenfassende Abschnitte, durch begriffliche Erläuterungen im Text und ein ausführliches Glossar im Anhang auch für Leser nachvollziehbar, die keinen neurowissenschaftlichen Hintergrund haben. Die zahlreichen Illustrationen bieten wertvolle Orientierungshilfe. Eigene Kapitel widmet Friederici dem kindlichen Spracherwerb und der Rolle der Sprache in der stammesgeschichtlichen Entwicklung des Menschen.
Die Autorin macht deutlich, wie aufwendig die technischen und experimentellen Verfahren der neurolinguistischen Forschung sind, auf denen die vorgestellten Einsichten beruhen. Bildgebende Methoden haben eine Fülle von neuen Erkenntnissen gebracht. Sie erlauben es, das Gehirn in Aktion zu beobachten, während die Testperson Sprachaufgaben löst. Kombiniert man die so erzeugten Bilder mit der Messung der Hirnströme, lässt sich die Sprachverarbeitung zeitlich und räumlich in kleinste Komponenten zergliedern. Sie entpuppt sich als ein Prozess, der äußerst arbeitsteilig und zugleich hochgradig vernetzt abläuft und in Sekundenbruchteilen aus gerade registrierten Lautfolgen die Bedeutungen von Mitteilungen und Fragen, Befehlen, Flüchen oder Liebeserklärungen extrahiert.
Für Friederici steht bei alldem die Grammatik und insbesondere die Syntax im Vordergrund. Das mag auf den ersten Blick verwundern, geht es bei der Sprache doch eigentlich um Bedeutung. Doch Friederici zeigt, dass die Syntax beim Verstehen und Produzieren von Sätzen von der ersten Millisekunde an entscheidend beteiligt ist und der eigentlich semantischen Interpretation noch vorauseilt. Sobald das Gehirn die ersten Töne als Sprache identifiziert hat, analysiert ein kleines Areal im Stirnlappen der linken Hirnhälfte die Lautfolgen auf ihre grammatischen Merkmale hin und gewinnt so Informationen über Wortarten und ihre Abfolge, über Flexionsendungen und grammatische Funktionswörter, wie zum Beispiel Konjunktionen oder Präpositionen.
Daraus leitet das Gehirn "online" die Struktur des gerade einkommenden Satzes ab. Die Inhalte der "bedeutungsschweren" Verben, Substantive oder Adjektive werden dann mit diesen grammatischen Informationen zur Satzbedeutung verrechnet. In unserer alltäglichen Wahrnehmung sind diese unbewusst ablaufenden Prozesse ununterscheidbar miteinander verwoben. Durch Experimente mit bedeutungsleeren, aber syntaktisch konstruierten Sätzen lassen sie sich jedoch im Labor entwirren und testen. Dass der linke Stirnlappen hier eine entscheidende Rolle spielt, ist für sich genommen keine Überraschung. Schon lange weiß man, dass Schädigungen im dort gelegenen Broca-Areal das Erzeugen oder Verstehen grammatischer Strukuren behindern. Friederici und ihr Team haben aber herausgefunden, dass bei grammatisch komplexen Sätzen auch noch ein Areal im linken Schläfenlappen ins Spiel kommt.
Es liegt in einem Gebiet, das in erster Linie für die Verarbeitung von Wortbedeutungen zuständig ist. Zwischen diesem Areal und den Syntax-Zellen im Stirnlappen verläuft ein Nervenfaserbündel, das dem wechselseitigen Informationsaustausch dient. Die beiden Areale kooperieren, wenn es darum geht, die Beziehung von Satzgliedern zueinander zu bestimmen und damit die Logik des Satzes zu entschlüsseln. Friederici sieht in diesem Schaltkreis ein lange gesuchtes Kernelement der spezifisch menschlichen Sprachfähigkeit. Bei Affen ist diese Nervenverbindung nämlich kaum vorhanden. Gestützt wird die These dadurch, dass diese Verbindung auch bei Kindern zunächst nur schwach ausgeprägt ist und dann allmählich reift. Das entspricht der sprachlichen Entwicklung: Erst ab einem Alter von etwa acht Jahren an arbeiten die beiden Hirnareale ähnlich effektiv zusammen wie bei Erwachsenen. Und von da an können Kinder auch komplexere Satzstrukturen immer routinierter verarbeiten. Dass diese Faserverbindung bei Patienten mit Syntax-Defekten zurückgebildet ist, passt ebenfalls ins Bild.
Die neurolinguistische Laborwissenschaft findet, bei aller Empirie, nicht im theoriefreien Raum statt. Über ihren eigenen theoretischen Rahmen lässt Angela Friederici den Leser nicht im Unklaren. Sie vertritt einen engen Begriff von Sprache und stimmt darin mit Noam Chomsky überein, von dem auch das Vorwort des Buchs stammt. Zur Sprache in diesem Sinne gehören nur Grammatik, Lautmuster und Wortschatz. Als kommunikative Fähigkeit verstanden, geht Sprache allerdings darüber hinaus: Dass wir in dem Satz "Es ist aber kalt hier drinnen" eine Aufforderung erkennen und nicht nur eine neutrale Aussage über eine Temperaturempfindung, liegt daran, dass wir den Kontext miteinbeziehen und uns in unser Gegenüber versetzen.
Diese kommunikativen Aspekte hält Friederici zwar nicht für unwichtig, sie spielen in ihrem Sprachmodell aber nur eine untergeordnete Rolle. Dasselbe gilt für die Steuerung der Artikulation oder der zeichensprachlichen Gestik, ohne die die kognitiv erzeugten Sprachmuster niemanden erreichen würden. Mit Chomsky teilt Friederici die Auffassung, dass Sprache im Kern keine soziale Fertigkeit, sondern eine angeborene kognitive Fähigkeit ist. Sie werde zwar für die Kommunikation genutzt, sei aber wohl nicht zu diesem Zweck entstanden. Vergleichen lässt sich das vielleicht mit den Flügeln der Schmetterlinge, die ursprünglich nur der Regelung der Körpertemperatur dienten.
Für die generative Universalgrammatik der Chomsky-Schule bilden die neurolinguistischen Forschungsergebnisse eine wichtige Bestätigung. Die Schützenhilfe dürfte umso willkommener sein, als diese sprachwissenschaftliche Richtung in den letzten Jahren zunehmend in die Kritik geraten war. Viele Sprach- und Kognitionswissenschaftler sehen in den hochabstrakten Syntaxanalysen Chomskyscher Prägung mit ihrem biologischen Erklärungsanspruch bislang nämlich nur Glasperlenspiele, garniert mit naturwissenschaftlicher Rhetorik.
Zu diesen Kritikern gehört ein Wissenschaftler, der bis vor kurzem ein paar Straßen von Angela Friederici entfernt forschte - Michael Tomasello vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Der Verhaltensforscher bestreitet nicht, dass Sprache etwas rein Menschliches ist, wohl aber, dass es sich um eine im Kern formale Fähigkeit handelt, die völlig unabhängig von kommunikativen Zwecken entstanden ist. Er sieht die Sprache vielmehr als Ergebnis des menschlichen Vermögens, sich in andere zu versetzen, dauerhaft zu kooperieren und ein echtes "Wir-Gefühl" zu entwickeln, zu dem Affen nicht fähig sind. Dass Kinder ihre Muttersprache scheinbar mühelos lernen, liegt demzufolge auch nicht an sprachspezifischen Schaltkreisen, sondern beruht auf allgemeineren kognitiven Fähigkeiten. Dazu gehört ihr enormes Gedächtnis, die Fähigkeit, schnelle Abfolgen von Sinneseindrücken zu verarbeiten, Muster zu erkennen und Analogien zu bilden.
Es wird spannend sein zu sehen, welche Rolle die Befunde von Friederici und ihren Kollegen in den künftigen Diskussionen spielen und ob sie sich tatsächlich als empirische Basis für die Theorie von der angeborenen Universalgrammatik bewähren werden.
WOLFGANG KRISCHKE.
Angela D. Friederici: "Language in Our Brain". The Origins of a Uniquely Human Capacity. Vorwort von Noam Chomsky.
The MIT Press, Cambridge, Mass., 2017. 304 S., geb., 38,- [Euro].
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