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Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Der philippinische Autor Jose Dalisay vermählt in seinem Roman "Last Call Manila" ein soziales Porträt seiner Heimat mit dem Krimi-Genre. Er wirft dabei einen Blick auf jene Menschen, die als Arbeitsheer in den reichen Ländern sonst unsichtbar bleiben.
An einem wolkenverhangenen Samstag landet auf dem Flughafen von Manila eine Maschine aus Saudi-Arabien. Sie hat aus Jeddah einen Zinksarg mitgebracht. Darin liegt die Leiche einer jungen Frau. Ihr Name ist außen an der hellen Holzkiste, die den Sarg beim Transport schützen soll, angebracht. Den Papieren ist nicht viel mehr zu entnehmen als die Todesursache: "Ertrinken". Für die Beamten des Zolllagers in Manila ist das ein alltäglicher Anblick, pro Jahr empfangen sie mehrere Hundert Philippiner, die im Sarg zurück in ihre Heimat gelangen. Doch für den Polizisten Walter Zamora, der die Nachricht vom Tod der jungen Frau ihrer Familie überbringen soll, ist es ein Schock, hat er ebenjene junge Frau, die dort im Sarg liegen soll, doch erst am Vorabend ganz munter in einer Bar singen hören.
Natürlich ist Aurora Cabahug, so der Name der angeblich Toten, quicklebendig. Die junge Sängerin weiß aber auch, wer da unter ihrer Identität im Ausland arbeitete. Ihre Schwester hatte sich zwei Jahre zuvor Auroras Pass geliehen, um als Kindermädchen in den Dienst eines angeblichen Prinzen in Saudi-Arabien zu treten und so Geld für ihren eigenen kleinen Sohn, der derweil bei der Schwester lebte, nach Hause schicken zu können.
Der philippinische Schriftsteller Jose Dalisay beginnt seinen Roman "Last Call Manila" mit einem Blick auf jene, die als Arbeitsheer in den reichen Ländern der Nordhalbkugel fast unsichtbar sind. Er tut dies weder anklagend noch mahnend; er nimmt diesen gesellschaftlichen Umstand vielmehr als Ausgangspunkt für eine Handlung, die ein soziales Porträt der heutigen Philippinen mit dem Krimi-Genre vermählt.
Während der Polizist Walter und die Sängerin Aurora sich gemeinsam auf die mehr als sechsstündige Fahrt nach Manila begeben, um den Sarg mit der toten Schwester abzuholen, gehen reportagehafte Reisebeobachtungen in kurze politische Abhandlungen und geschichtliche Abrisse über. Der Schatten einer Machete in einem Palmenhain am Wegesrand lässt Walter über die kommunistische "New People's Army" nachsinnen, die in den ländlichen Gebieten noch immer Anhänger hat. Und wenn Walters Wagen mal über Kies, mal über Beton, mal über Asphalt der Hauptstadt Manila entgegenrollt, dann kann er an den unterschiedlichen Straßenbelägen die Wahljahre der verschiedenen Provinzen sowie die Parteizugehörigkeit der Gouverneure ablesen.
Solche Hintergründe vermittelt Dalisay geradezu beiläufig, man meint darin den analytischen Blick des ehemaligen Journalisten zu entdecken, denn bevor der 1954 geborene Autor sich dem literarischen Schreiben widmete, hatte er sich nach einem abgebrochenen Collegebesuch sein Geld als Zeitungsreporter verdient. Den Universitätsabschluss holte er später nach, die Faszination für die Geschichten der Menschen seines Heimatlandes blieb. Er verarbeitete sie in Drehbüchern und vor allem in Kurzgeschichten und Romanen, für die er zahlreiche Auszeichnungen und Preise erhielt, die ihn bis nach Amerika und Australien brachten, wo er an Universitäten über Politik und Kultur seiner Heimat lehrte. Er gilt als einer der berühmtesten Autoren der Philippinen.
"Last Call Manila" ist sein zweiter Roman, erschienen 2008. Nun liegt das Buch erstmals in deutscher Übersetzung vor, die den lakonischen Stil einfängt, mit dem Dalisay über Kriminalität, Korruption und andere Verbrechen schreibt. Von Grausamkeiten, die Menschen sich gegenseitig zufügen, erzählt er kühl, jedoch nie verharmlosend, nie ohne Mitleid. Gebrochen wird die Nüchternheit, wenn der Autor Menschen und Landschaften beschreibt. Da schwingen sich Vergleiche zu poetischen Bildern auf, wenn es bei der Beschreibung eines Hauses etwa heißt: "Ein Papierdrache, ursprünglich rot, hatte sich in einer Antenne auf dem Dach verfangen und hing dort wie die zerfledderte Fahne eines Landes, das vergessen hatte, wie lange es sich schon im Krieg befand."
Oder auch, wenn Aurora während der Autofahrt im Gespräch mit dem Polizisten über die Todesursache ihrer Schwester wütend wird und sich das auch in ihrer Körpersprache äußert: "Ihr Hände suchten nach etwas, woran sie sich festhalten konnten, Walter hatte Sorge, dass sie auf die Sonnenblende einschlagen würde, aber sie hielt kurz inne, ballte die Hände zu Fäusten, öffnete sie wieder und legte sie langsam zurück in den Schoß wie heimkehrende Vögel."
So kurz und treffend, wie er diese Bilder projiziert, gelingt es Dalisay auch, die Figuren lebendig werden zu lassen, die sein Buch bevölkern. Mit wenigen Sätzen zeichnet er Lebensumstände, Kindheiten, Affären nach und lässt aus Nebenfiguren Charaktere werden, deren Handlungen und Motivationen man schon nach einem Absatz nachvollziehen kann. So trifft man auf den knapp zweihundert Seiten kleine und große Gauner, Sängerinnen, Putzfrauen, Angestellte und Polizisten - Frauen und Männer, die von einem besseren Leben träumen und am Ende doch feststellen müssen, dass dem Schicksal, in einem armen Land unter ärmlichen Verhältnissen geboren zu sein, kaum zu entrinnen ist. MARIA WIESNER
Jose Dalisay: "Last Call Manila".
Aus dem Englischen von Niko Fröba.
Transit Verlag, Berlin 2023.
224 S., br., 22,- Euro.
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