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Michael Weins' Roman "Lazyboy" erzählt von Türen, die sich zu häufig öffnen
Die Idee dieses Gedankenexperiments besticht. Man stelle sich vor, man öffnet eine Tür und findet sich im Möbelhaus, Schwimmbad oder Parkhaus wieder, in einer Schmetterlingsfarm in Aumühle, in Würzburg, Amsterdam oder auf der Schwäbischen Alb. Gegen die Orte lässt sich nichts einwenden, nur kommen sie wirklich ungelegen, wenn man eigentlich ins Bad oder zum Bus wollte. Und peinlich werden diese Dislozierungen, wenn sie einem in Nachtwäsche widerfahren.
Michael Weins erzählt in seinem Roman gedankenreich die phantastische Geschichte des Heiner Boie. Dieser Tür-Reisende ist ein ehemaliger DJ, der nun als Musikjournalist eine heiße Feder führt, obwohl er Musik öde findet. Sein Drogenkonsum macht ihn nicht gerade zu einem stabilen Erzähler, so dass zunächst fraglich bleibt, ob es einen Riss in der Realität gibt oder der Erzähler einen Sprung in der Schüssel hat. Dem Leser begegnet Boie zu Anfang dieses hochkomischen Romans als fröhlicher Selbststilisierer mit Neigung zu Abwegen, chronisch unzuverlässig und unfähig, schönen Frauen zu widerstehen. Er weiß über sich und seine Schwächen Bescheid, ist sich aber keiner Schuld bewusst: "Was ich will, ist dauerhaft möglichst wenig Verantwortung im Leben."
Seine unfreiwilligen Tür-Exkursionen treiben Boie zur Psychotherapeutin und schließlich scheinbar immer tiefer in den Wahnsinn. Denn eines Tages gelangt der Lazyboy auch noch in eine eigentümliche Kapselwelt, eine Stadt namens Beek, die durch eine Wand geteilt wird. In ihr trifft er auf Doppelgängerinnen seiner Freundin und seiner Therapeutin. Man erwartet und empfängt ihn als eine Art Messias, als den langersehnten "Mittler", der die beiden Hälften der Stadt wiedervereinigen soll. Davon erhoffen sich die von einer Einöde umgebenen und in einer zeitlosen Starre des Nichtalterns gefangenen Bewohner von Beek einen Wiederanschluss ans Leben, die Rückgewinnung der Fähigkeit, sterben zu können. Boie ist nun an einer Art klaustrophobischem Ziel angekommen. Er soll eine Tür in der Wand zwischen den beiden Beeks durchschreiten und damit die erlösende Einheit stiften. Ein Kinderspiel, wären die raumzeitlichen Verhältnisse nicht unlogisch und läge in der wirklichen Welt nicht Boies Freundin Monika nach einem Autounfall im Koma.
Eine Flut eigenartiger Parallelen türmt sich auf. Die komatöse Freundin wird unter Umständen geschädigt bleiben, zwischen ihren beiden Hirnhälften wird die Verbindung wohl zerstört sein. Das erinnert an die Topographie von Beek. Und schließlich mündet die bis zuletzt spannende Geschichte in eine augenöffnende Selbstbegegnung. Dem Autor gelingt es, das Märchen ins Reale herumzureißen.
Michael Weins, Jahrgang 1971, lässt seine sympathisch ziellose Hauptfigur mit der Selbstironie des Verlierers erzählen, dem Narzissmus eines Peter Pan in Therapie, mit Hang und Talent zum Hirngespinst und der Bildwucht eines Drogenerfahrenen. Dass Weins selbst Psychologe ist, kann man dem Text ablauschen. Er hat eine gelungene Großmetapher für die Grunderfahrung gefunden, dass man im Laufe eines Lebens häufig eben nicht dort ankommt, wo man hinwill, aber auf Umwegen und mit etwas Glück oder Unglück bei sich selbst. Ein kleines, bewegliches, raffiniert verspieltes Kunststück, eine freundliche Parabel. Und wenn die letzte Tür des Romans zufällt, ist auf überraschende Weise alles klar - na ja, fast alles.
KIRSTEN VOIGT
Michael Weins: "Lazyboy".
Roman.
Mairisch Verlag, Hamburg 2011. 336 S., geb., 18,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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