«Als Essayistin ist Siri Hustvedt unvergleichlich.» The Sunday Telegraph Wie sehen, erinnern und fühlen wir? Wie interagieren wir mit anderen Menschen? Was heißt es, zu schlafen, zu träumen oder zu sprechen? Was ist das Selbst? In diesem Buch sind 32 Essays versammelt, die thematisch das gesamte Spektrum von Hustvedts vielfältigen Interessen abdecken: von der Kunsttheorie über die Literatur und Philosophie, die Psychologie und Psychoanalyse bis hin zu den Neurowissenschaften. Und doch tauchen immer wieder ähnliche Fragen auf - die Grundfragen unseres Menschseins.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Am stärksten findet Rezensentin Dorion Weickmann Siri Hustvedts Essayband "Leben, Denken, Schauen" in seinen Randbezirken, also dem Leben und Schauen. Da tut die Autorin, was sie am besten kann: sie kommt vom konkreten Lebenshölzchen aufs Theoriestöckchen und geht dabei ebenso einfühlsam wie bildungsstrotzend vor, erklärt Weickmann. Auch die Kunstbetrachtungen haben der Rezensentin gefallen. Nur die Passagen über das Denken sind dann leider schwächer, bedauert Weickmann. Freud erscheint in allzu bekannten Sprachkleidern und Hustvedts eigene Sprachkritik wirkt nicht sehr kritisch, so die Rezensentin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.03.2014Die unstillbare Sehnsucht nach einem Anruf von Mickymaus
Philosophische Positionen in mundgerechten Portionen: Warum die Essays von Siri Hustvedt besser sind als ihre Romane
Es gibt Autoren, die besser Essays schreiben können als Romane. Bei der Amerikanerin Susan Sontag war das zum Beispiel der Fall. Sontag wollte vor allem als Schriftstellerin wahrgenommen werden, fand mit ihren Romanen aber nie die ersehnte Aufmerksamkeit. Für ihre Leser war und blieb sie mehr Intellektuelle als Dichterin, ein Einsatzkommando der politisch-moralischen Reflexion, keine Erzählerin. Ihre Abhandlungen über "Krankheit als Metapher", über die Fotografie oder über "Camp", eine ironische Attitüde des Gegen-den-Strich-Lesens massenkultureller Phänomene, machten Furore. Ihre Romane hinterließen dagegen keinen überwältigenden Eindruck.
Bei Siri Hustvedt ist das ähnlich. Zwar heißt es von Hustvedt immer, sie sei Schriftstellerin und Romanautorin, von Essays ist da erst einmal gar nicht die Rede. Doch liegt das wohl vor allem daran, dass Siri Hustvedt mit Paul Auster verheiratet ist und die beiden (neben Jonathan Safran Foer und Nicole Krauss) als Brooklyns bekanntestes Schriftstellerehepaar gelten. Hustvedts Romane werden viel gelesen und freundlich besprochen. Erst vor einer Woche ist in Amerika ihr neuer Roman "The Blazing World" erschienen. Allerdings wirken in diesen Romanen Philosophiegeschichte und Psychoanalyse oft aufgesetzt hineinmontiert - also gerade das, womit die Autorin in ihren Essays so besonders brilliert.
Als sie vor vier Jahren "Die zitternde Frau" veröffentlichte, "Eine Geschichte meiner Nerven", war die Autorin essayistisch auf ihrem vorläufigen Höhepunkt angekommen. Bei öffentlichen Auftritten war es vorgekommen, dass sie am ganzen Körper zu zittern angefangen hatte. Nicht ein bisschen, sondern so heftig, dass ihre Mutter den Eindruck hatte, einer Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl beizuwohnen. Erschrocken über die sich wiederholende Erfahrung, versuchte Hustvedt, ihr theoretisches, psychoanalytisches und medizinhistorisches Wissen an sich zu erproben und eine Selbstdiagnose zu stellen: Was nützt mir die ganze Theorie? Was bedeutet sie für mein Leben? So fragte sie in ihrem Selbsterkundungsbuch, das in der Form eines persönlichen Essays geschrieben war, jener Gattung also, die im sechzehnten Jahrhundert mit Michel de Montaigne entstand.
Siri Hustvedt beherrscht diese Form, mit der sie "ich" sagt und nicht "man", mit der sie sich bewusst einbringen und sich nicht hinter den Konventionen eines akademischen Beitrags verstecken will, in beeindruckender Weise: "Meine Essays sind eine Form von geistigen Reisen, von einem Zugehen auf Antworten, wobei ich mir intensiv dessen bewusst bin, dass ich nie ans Ende der Straße gelangen werde", schreibt sie im Vorwort zu der gerade erschienenen Sammelausgabe kürzerer Essays aus den Jahren 2006 und 2011. "Ich benutze meine eigenen Erfahrungen auf dieselbe Art, wie ich die Erfahrungen anderer benutze - als Einblicke, um eine Idee weiterzuentwickeln."
In drei Abschnitten hat sie die Texte des neuen Bandes zusammengefasst: "Leben, Denken, Schauen". Wobei die ersten unmittelbar aus ihrem Leben hervorgegangen sind und die des zweiten Abschnitts von einem intellektuellen Rätsel angetrieben werden. Hier findet man einen Vortrag, den sie an der Universität in Washington oder jenen mit dem Titel "Freuds Tummelplatz", den sie 2011 im Rahmen der 38. Sigmund-Freud-Vorlesung in Wien gehalten hat. Der dritte Teil dann ist der bildenden Kunst und Künstlern gewidmet.
Erlebtes, Erinnertes, Gelesenes und Erzähltes geben sich in diesen Texten die Hand: In "Variationen über das Begehren" schlägt sie einen Bogen von einem Mickymaus-Telefon, das eine ihrer Schwestern sich in ihrer Kindheit unbedingt zu Weihnachten wünschte und das die ganze Familie in Atem hielt, zu einem Patienten in einer Psychiatrie, in der sie Schreibkurse gab, der ein Gedicht über die unerwiderte Sehnsucht nach der Präsenz eines anderen schrieb. Aus beiden Geschichten macht sie eine Parabel über das Begehren nach Dialog.
Sie schreibt über den Unterschied von Vater- und Mutterschaft, jongliert dabei mit Mythologie, Psychoanalyse, literarischen Texten von Virginia Woolf, der amerikanischen Dichterin Susan Howe, Montaigne und eigenen Erfahrungen. Und wenn sie die Bildhauerin Louise Bourgeois mit den Worten "Bei Kunst geht es nicht um Kunst. Bei Kunst geht es ums Leben" zitiert, dann natürlich affirmativ: Sie schreibe nicht über Kunst, um sie zu erklären, sondern um zu erforschen, was zwischen ihr und dem Bild emotional und intellektuell vorgegangen sei. Sie sehe das Objekt, aber schon der Akt des Sehens schließe die Kluft zwischen ihr und ihm.
Dass Siri Hustvedt in vielen dieser Texte "ich" sagt, wirkt - darin besteht ihre Kunst - tatsächlich niemals eitel. Es sei gerechtfertigt, die "Ich"-Perspektive zu verwenden, wenn das Ich als ein handelndes und nicht bloß als ein urteilendes in Erscheinung trete, heißt eine journalistische Regel. Für Hustvedt allerdings geht es gar nicht ums Handeln oder Nichthandeln: "Mein Schreiben in der ersten Person", sagt sie, "stellt eine philosophische Position dar, der zufolge die Idee einer Dritte-Person-Objektivität bestenfalls eine Arbeitsfiktion ist." Niemand könne seiner Subjektivität wirklich entgehen. So benutzt sie intime Erfahrungen, um Erkenntnis zu stiften. Sie lässt uns durchs Schlüsselloch blicken und überrascht uns dahinter mit einem Panorama. Das ist es, was ihre Essays so lesenswert macht und so besonders.
JULIA ENCKE
Siri Hustvedt: "Leben, Denken, Schauen". Essays. Aus dem Englischen von Uli Aumüller und Erica Fischer.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2014. 490 S., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Philosophische Positionen in mundgerechten Portionen: Warum die Essays von Siri Hustvedt besser sind als ihre Romane
Es gibt Autoren, die besser Essays schreiben können als Romane. Bei der Amerikanerin Susan Sontag war das zum Beispiel der Fall. Sontag wollte vor allem als Schriftstellerin wahrgenommen werden, fand mit ihren Romanen aber nie die ersehnte Aufmerksamkeit. Für ihre Leser war und blieb sie mehr Intellektuelle als Dichterin, ein Einsatzkommando der politisch-moralischen Reflexion, keine Erzählerin. Ihre Abhandlungen über "Krankheit als Metapher", über die Fotografie oder über "Camp", eine ironische Attitüde des Gegen-den-Strich-Lesens massenkultureller Phänomene, machten Furore. Ihre Romane hinterließen dagegen keinen überwältigenden Eindruck.
Bei Siri Hustvedt ist das ähnlich. Zwar heißt es von Hustvedt immer, sie sei Schriftstellerin und Romanautorin, von Essays ist da erst einmal gar nicht die Rede. Doch liegt das wohl vor allem daran, dass Siri Hustvedt mit Paul Auster verheiratet ist und die beiden (neben Jonathan Safran Foer und Nicole Krauss) als Brooklyns bekanntestes Schriftstellerehepaar gelten. Hustvedts Romane werden viel gelesen und freundlich besprochen. Erst vor einer Woche ist in Amerika ihr neuer Roman "The Blazing World" erschienen. Allerdings wirken in diesen Romanen Philosophiegeschichte und Psychoanalyse oft aufgesetzt hineinmontiert - also gerade das, womit die Autorin in ihren Essays so besonders brilliert.
Als sie vor vier Jahren "Die zitternde Frau" veröffentlichte, "Eine Geschichte meiner Nerven", war die Autorin essayistisch auf ihrem vorläufigen Höhepunkt angekommen. Bei öffentlichen Auftritten war es vorgekommen, dass sie am ganzen Körper zu zittern angefangen hatte. Nicht ein bisschen, sondern so heftig, dass ihre Mutter den Eindruck hatte, einer Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl beizuwohnen. Erschrocken über die sich wiederholende Erfahrung, versuchte Hustvedt, ihr theoretisches, psychoanalytisches und medizinhistorisches Wissen an sich zu erproben und eine Selbstdiagnose zu stellen: Was nützt mir die ganze Theorie? Was bedeutet sie für mein Leben? So fragte sie in ihrem Selbsterkundungsbuch, das in der Form eines persönlichen Essays geschrieben war, jener Gattung also, die im sechzehnten Jahrhundert mit Michel de Montaigne entstand.
Siri Hustvedt beherrscht diese Form, mit der sie "ich" sagt und nicht "man", mit der sie sich bewusst einbringen und sich nicht hinter den Konventionen eines akademischen Beitrags verstecken will, in beeindruckender Weise: "Meine Essays sind eine Form von geistigen Reisen, von einem Zugehen auf Antworten, wobei ich mir intensiv dessen bewusst bin, dass ich nie ans Ende der Straße gelangen werde", schreibt sie im Vorwort zu der gerade erschienenen Sammelausgabe kürzerer Essays aus den Jahren 2006 und 2011. "Ich benutze meine eigenen Erfahrungen auf dieselbe Art, wie ich die Erfahrungen anderer benutze - als Einblicke, um eine Idee weiterzuentwickeln."
In drei Abschnitten hat sie die Texte des neuen Bandes zusammengefasst: "Leben, Denken, Schauen". Wobei die ersten unmittelbar aus ihrem Leben hervorgegangen sind und die des zweiten Abschnitts von einem intellektuellen Rätsel angetrieben werden. Hier findet man einen Vortrag, den sie an der Universität in Washington oder jenen mit dem Titel "Freuds Tummelplatz", den sie 2011 im Rahmen der 38. Sigmund-Freud-Vorlesung in Wien gehalten hat. Der dritte Teil dann ist der bildenden Kunst und Künstlern gewidmet.
Erlebtes, Erinnertes, Gelesenes und Erzähltes geben sich in diesen Texten die Hand: In "Variationen über das Begehren" schlägt sie einen Bogen von einem Mickymaus-Telefon, das eine ihrer Schwestern sich in ihrer Kindheit unbedingt zu Weihnachten wünschte und das die ganze Familie in Atem hielt, zu einem Patienten in einer Psychiatrie, in der sie Schreibkurse gab, der ein Gedicht über die unerwiderte Sehnsucht nach der Präsenz eines anderen schrieb. Aus beiden Geschichten macht sie eine Parabel über das Begehren nach Dialog.
Sie schreibt über den Unterschied von Vater- und Mutterschaft, jongliert dabei mit Mythologie, Psychoanalyse, literarischen Texten von Virginia Woolf, der amerikanischen Dichterin Susan Howe, Montaigne und eigenen Erfahrungen. Und wenn sie die Bildhauerin Louise Bourgeois mit den Worten "Bei Kunst geht es nicht um Kunst. Bei Kunst geht es ums Leben" zitiert, dann natürlich affirmativ: Sie schreibe nicht über Kunst, um sie zu erklären, sondern um zu erforschen, was zwischen ihr und dem Bild emotional und intellektuell vorgegangen sei. Sie sehe das Objekt, aber schon der Akt des Sehens schließe die Kluft zwischen ihr und ihm.
Dass Siri Hustvedt in vielen dieser Texte "ich" sagt, wirkt - darin besteht ihre Kunst - tatsächlich niemals eitel. Es sei gerechtfertigt, die "Ich"-Perspektive zu verwenden, wenn das Ich als ein handelndes und nicht bloß als ein urteilendes in Erscheinung trete, heißt eine journalistische Regel. Für Hustvedt allerdings geht es gar nicht ums Handeln oder Nichthandeln: "Mein Schreiben in der ersten Person", sagt sie, "stellt eine philosophische Position dar, der zufolge die Idee einer Dritte-Person-Objektivität bestenfalls eine Arbeitsfiktion ist." Niemand könne seiner Subjektivität wirklich entgehen. So benutzt sie intime Erfahrungen, um Erkenntnis zu stiften. Sie lässt uns durchs Schlüsselloch blicken und überrascht uns dahinter mit einem Panorama. Das ist es, was ihre Essays so lesenswert macht und so besonders.
JULIA ENCKE
Siri Hustvedt: "Leben, Denken, Schauen". Essays. Aus dem Englischen von Uli Aumüller und Erica Fischer.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2014. 490 S., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Als Essayistin ist Siri Hustvedt unvergleichlich. The Sunday Telegraph