Wissenschaftlicher Aufsatz aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Soziologie - Recht und Kriminalität, , Sprache: Deutsch, Abstract: Wer von einem nicht vorrangig juristisch bestimmten Verständnis von Völkermord oder Genozid entprechend der früheren Definition des deutschen Strafgesetzbuchs (§ 220a StGB) und der seit 2002 geltenden Bestimmung von Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Straftaten gegen das Völkerrecht entsprechend Völkerstrafgesetzbuch (VStGB, §§ 6 [und] 7) ausgeht, wird sich, nolens volens, auch in erweiterter wissenschaftlicher Perspektive mit dem Genozid- oder Völkermordkonzept Rafael Lemkins beschäftigen müssen (Lemkin 1944). Dieser zunächst polnische, dann US-amerikanische Völker(straf)rechtler hat als Besonderheit von Völkermord die biopolitisch-intergenerative Seite herausgearbeitet: „In this respect genocide is a new technique of occupation, aimed at winning the peace even though the war itself is lost.” Das heißt: Die bewusste - teilweise oder gesamte - Zerstörung nationaler, rassischer, religiöser oder ethnischer Gruppen durch bestimmte und präzisierte Vernichtungsmassnahmen (wie etwa jeweils vorsätzliche Tötung/en, schwere körperliche und/oder seelische Schädigung/en sowie gewaltsame Geburtenverhinderung/en oder/und Kinderentführung/en) ist nur dann und insofern Völkermord, wenn diese biopolitischen Massnahmen zukunftsbezogen wirken und dafür sorgen, dass (in mit Völkermorden typischerweise einhergehenden Kriegssituationen) die militärisch unterlegene Verliererseite gleichwohl und über Generationen hinaus zur biopolitischen Siegerseite wird. Diese Besonderheit von Völkermordpolitik lässt sich mit allgemeinen gattungsbezogenen Vernichtungskonzepten (homicide, omnicide) nicht fassen, weil, wenn die gesamte Menschheit Opfergruppe sein soll, es im Ergebnis hier folglich weder Sieger/Verlierer noch Opfer/Täter geben kann, sonern nur Verlierer/Opfer. Wenn auch nicht wie in der doppelten - nämlich biopolitisch-intergenerativen - Präzisierung, wie in Lemkins Hinweis herausgearbeitet, sondern eher unspezifisch-verallgemeinernd, so betont auch der Holocaust-Überlebende (und spätere US-Psychologe) Erwin Staub das antihumane Destruktionselement, das über Tötungen und Morden hinausgeht. Für Staub ist das Wesen des Bösen "the destruction of human beings [...] including not only killing, but the creation of conditions that compromise people's dignity, happiness and their ability to fulfill basic material needs" (Staub 1989, 25)