Der Lebensqualität-Atlas setzt das Konzept der Lebensqualität in Daten und Fakten um. Lebensqualität bedeutet die Reinheit von Luft, Boden und Wasser, das Recht auf Arbeit, die Förderung von Kunst und Kultur, die Freiheit von Angst und die Chance auf ein gesundes Leben. Durch 56 Einzelindikatoren wird gemessen und dargestellt, wie die Lebensqualität in jedem einzelnen der 543 kreisfreien Städte und Landkreise Deutschlands beschaffen ist. Die Ergebnisse werden in mehrfarbigen Karten dargestellt. Die Bedeutung jedes einzelnen Indikators wird unter historischen und aktuellen Bezügen erläutert. Außerdem ist zu jedem Indikator eine Rangreihe der Städte und Landkreise, die vom ersten bis zum letzten Platz reicht, gebildet worden. Der Lebensqualität-Atlas liefert somit zum ersten Mal für das vereinte Deutschland die regionale Verteilung der Lebensqualität und beantwortet die Frage, wo diese besonders hoch, wo sie durchschnittlich und wo sie besonders niedrig ist."(...) Wer sich über die Situation von Umwelt, Kultur, Wohlstand, Versorgung, Sicherheit und Gesundheit in Deutschland einen ersten Ein- und Überblick verschaffen will, für den bietet der Lebensqualität-Atlas viele interessante Fakten und praktische Hilfe (...)"Frankfurter Rundschau, 2.7.96
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.12.1995Im Frieden der Bergischen Kaffeetafel
Aus deutschen Landen frisch auf den Tisch: Dieter Korczak vermißt die Lebensqualität in Stadt und Region
Absatz 2 des Artikels 2 des Grundgesetzes garantiert jedem Menschen das Recht auf Leben. War diese Bestimmung ursprünglich als klare Abgrenzung gegen die beispiellose Mißachtung menschlichen Lebens im Dritten Reich formuliert worden, so hat die höchstrichterliche Rechtsprechung diesen Passus mittlerweile mit zusätzlichem Gehalt gefüllt: Sie leitet aus Artikel 2 einen Anspruch auf Existenzsicherung her, der an den staatlichen Schutz des Lebens hohe Anforderungen stellt.
Somit obliegt es dem Staat, Fürsorgeeinrichtungen für Bedürftige zu schaffen oder für Umweltschutz zu sorgen, um Schäden und Gefahren für die Gesundheit des einzelnen abzuwenden. Der den Geist des Grundgesetzes bestimmende Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet die staatlichen Organe zusätzlich, ein möglichst einheitliches Niveau der Lebensqualität anzustreben.
Dennoch sind die unterschiedlichen Lebensbedingungen in Deutschland offensichtlich: Eine gerade erschienene Untersuchung von Dieter Korczak belegt einen Graben, der sich entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze erstreckt. Mit lediglich zwei Ausnahmen - der Kreise Lüchow-Dannenberg und Hof - liegen sämtliche Regionen, die eine stark oder gar extrem verbesserungswürdige Lebensqualität aufweisen, in den fünf neuen Bundesländern.
Lediglich in den großen Städten Ostdeutschlands erreicht der von Korczak errechnete Index befriedigende Werte - Folge der gegenüber ländlichen Gebieten generell besseren Versorgungseinrichtungen in den urbanen Zentren. Dort können die Bewohner jenes "pränatale Wohlbefinden" genießen, das nach Korczak Folge der Befriedigung unserer Bedürfnisse ist. Zur Erstellung seines "Lebensqualität-Atlas" hat der Autor deshalb in zweijähriger Arbeit über 30000 Einzelinformationen zu den Wohnbedingungen in den 543 Landkreisen und kreisfreien Städten Deutschlands ausgewertet. Resultat dieser Mühe ist eine Rangliste, die auf sechs Einzelindizes zu den Faktoren Umwelt, Wohlstand, Kultur, Sicherheit, Versorgung und Gesundheit beruht.
Was bedeutet nun Wohnen in Deutschlands "bester Stadt"? Zunächst einmal, daß man nach Tübingen ziehen muß, wo es sich laut Korczaks Untersuchung am angenehmsten leben läßt. Wo auch sonst fühlte man sich so pränatal wie in der akademischen Insel im deutschen Südwesten? Tübingen findet sich bei allen Faktoren im oberen Drittel der jeweiligen Rangliste, bei der Erhebung zur Gesundheitssituation (beruhend auf Einzeluntersuchungen zu Sterblichkeitsrate und Todesfälle durch Krebs-, Kreislauf- oder Atemwegserkrankungen) gar auf Platz eins.
Nun mag es zweifelhaft sein, ob die Beschränkung auf Mortalitätsziffern hinreichend zur Feststellung des Gesundheitsniveaus einer Stadt ist. Auch eine Erkrankung ohne Todesfolge mindert die Lebensqualität eines Menschen erheblich; zumindest hätte man also chronische Erkrankungen einbeziehen sollen.
Aber natürlich ist es billig, an der Datenauswahl Korczaks herumzumäkeln, denn in seinem Atlas steckt Aufwand genug. Allerdings wird ein Autor Kritik wohl dulden müssen, wenn er im zweiten Satz proklamiert, sein Buch gebe die "objektiven Lebensbedingungen" wieder, um noch auf derselben Seite zuzugestehen, die Auswahl und Gewichtung der Indikatoren sei nach "rationalen, aber letztlich subjektiven" Erwägungen des Verfassers erfolgt. Da muß die Objektivität des späteren Ergebnisses bereits geziemend bezweifelt werden.
Objektives Wohlbefinden
Es fehlen Faktoren wie öffentlicher Personennahverkehr oder Gewerbestruktur, die sicherlich aussagekräftiger für das Niveau der Lebensqualität sind als "Arbeitsunfähigkeit wegen psychiatrischer Erkrankung". In diesem wie in einigen anderen Fällen scheint allein die Verfügbarkeit von Datenmaterial ausschlaggebend für die Aufnahme in den Atlas gewesen zu sein. Auch das Warenangebot blieb unberücksichtigt, auch wenn ein rationaler Mensch sicherlich zugunsten einer angemessenen Versorgung gewisse Abstriche an Umwelt und Gesundheit machen würde. Lieber fett und verweichlicht, als in der Natur verhungert.
Hinzu kommt eine fragwürdige Gleichgewichtung innerhalb der einzelnen Indikatoren. So erhielt Berlin für seine 137 Kinos und 338 Bibliotheken dieselbe Punktzahl wie Stuttgart mit 38 Filmtheatern beziehungsweise 80 Bibliotheken. Wer jemals versucht hat, in Stuttgart Dokumentarfilme zu sehen oder ein Exemplar der vor fünfzig Jahren eingestellten Dortmunder Zeitung "Tremonia" zu finden, weiß, was solche Zahlenunterschiede besagen können. Wären die erhobenen Daten auf die Bevölkerungszahl bezogen worden, hätte man gegen dieses Verfahren nichts einwenden können, so aber ist die Bewertung allzu bequem ausgefallen.
Auch die sicherlich unumgängliche Beschränkung auf rein quantitative Erhebungen bei Kultur- oder Versorgungseinrichtungen verzerrt das Ergebnis beträchtlich: Eine hohe Zahl von Altenheimplätzen sagt über die Lebensqualität ihrer Bewohner ebensowenig aus wie die bloße Anzahl von Bibliotheken über deren Buchbestand und den damit verbundenen Gewinn an Lebensqualität für die Besucher. Die größte Schwäche liegt jedoch in einer anderen Form der Generalisierung: Tübingen als angeblich "beste Stadt" ist nicht so einfach vergleichbar mit Plauen auf Platz 348. Denn Plauen - von ähnlicher Größe - ist durch eine Laune der Geschichte kreisfreie Stadt, Tübingen dagegen wurde von Korczak nicht als einzelne Stadt, sondern als Landkreis bewertet, also mit dem gesamten Umland, das natürlich mehr Grünflächen, gesündere Luft und niedrigere Mieten aufweist als die Kreisstadt selbst. Dafür aber profitiert wiederum der ganze Landkreis von den kulturellen Einrichtungen der Stadt. Selbstverständlich wäre Tübingen auch als kreisfreie Stadt in der Spitzengruppe vertreten, ob aber dann noch vor den nächstplazierten (kreisfreien) Bonn und Münster scheint mehr als zweifelhaft.
Alle diese Einwendungen sollen nicht das Verdienst Korczaks mindern, sie sollen aber seinen Anspruch der "Darstellung der objektiven Lebensqualität" in Frage stellen. Zumal wohl nichts so irreführend ist wie der Versuch einer Rationalisierung und Entindividualisierung menschlicher Empfindungen - und nichts anderes ist letztlich der vorliegende "Lebensqualität-Atlas". Der Rezensent ist mit großem Vergnügen von Platz eins der Lebensqualität auf Platz 183 abgestiegen, denn sein individuelles Wohlbefinden hat sich aus mannigfachen Gründen durch den Umzug vermehrt.
Korczaks Arbeit könnte (und sollte) aber für einen anderen als den individuellen Bereich als Entscheidungshilfe fruchtbar sein: für die öffentliche Hand, die es sich im Verein mit den Bürgern betroffener Regionen zur Aufgabe machen müßte, von Korczak benannte Defizite zu beheben. So betrachtet ist das Buch eine willkommene Argumentationsgrundlage, die nicht zuletzt auch die Notwendigkeit weiterer Transferzahlungen nach Ostdeutschland zwingend nachweist. Erst nach Angleichung der Lebensqualität ist dem Recht auf Leben gemäß Artikel zwei des Grundgesetzes Genüge getan.
Botenstoff der Glücksgefühle
Allerdings sollte man sich bei der Lektüre des Atlas auf sein Zahlenmaterial und die sehr gelungenen Graphiken beschränken, denn Korczaks Begleittext ist bisweilen inkommensurabel. Sachliche Fehler sind rar, auch wenn es seltsam anmutet, wenn Hamburg mit seiner 1919 gegründeten Hochschule als "alte Universitätsstadt" bezeichnet wird. Doch die wahren Defizite liegen im stilistischen Bereich: Da paart sich Umgangssprache mit Wissenschaftsjargon ("Glücksgefühle setzen Botenstoffe [Endorphine] in unserem Körper frei, die von Synapse zu Synapse springen und durch unsere Nervenbahnen schwappen"), da werden Selbstverständlichkeiten erläutert ("Die Gebiete im Regenschatten sind auffallend trockener" - ja, wo denn sonst?), und das Bildungsgut des Autors wird wohlgefällig ausgebreitet, das sich aber zumeist auf bloße Titelzitate beschränkt oder in so fundierten Ansichten kulminiert, wie daß "die Bergische Kaffeetafel offensichtlich keinen Anlaß zu Gewalttätigkeit und Aggression gibt". Schließlich liegt der Oberbergische Kreis im Bereich "Sicherheit" ganz vorn. Vermutlich glaubt Korczak, daß die Einwohner des dabei letztplazierten brandenburgischen Wittstock beim Essen wüst aufeinander einprügeln. ANDREAS PLATTHAUS
Dieter Korczak: "Lebensqualität-Atlas". Umwelt, Kultur, Wohlstand, Versorgung, Sicherheit und Gesundheit in Deutschland. Westdeutscher Verlag, Opladen 1995. 242 S., Abb., br., 68,- DM.
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Aus deutschen Landen frisch auf den Tisch: Dieter Korczak vermißt die Lebensqualität in Stadt und Region
Absatz 2 des Artikels 2 des Grundgesetzes garantiert jedem Menschen das Recht auf Leben. War diese Bestimmung ursprünglich als klare Abgrenzung gegen die beispiellose Mißachtung menschlichen Lebens im Dritten Reich formuliert worden, so hat die höchstrichterliche Rechtsprechung diesen Passus mittlerweile mit zusätzlichem Gehalt gefüllt: Sie leitet aus Artikel 2 einen Anspruch auf Existenzsicherung her, der an den staatlichen Schutz des Lebens hohe Anforderungen stellt.
Somit obliegt es dem Staat, Fürsorgeeinrichtungen für Bedürftige zu schaffen oder für Umweltschutz zu sorgen, um Schäden und Gefahren für die Gesundheit des einzelnen abzuwenden. Der den Geist des Grundgesetzes bestimmende Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet die staatlichen Organe zusätzlich, ein möglichst einheitliches Niveau der Lebensqualität anzustreben.
Dennoch sind die unterschiedlichen Lebensbedingungen in Deutschland offensichtlich: Eine gerade erschienene Untersuchung von Dieter Korczak belegt einen Graben, der sich entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze erstreckt. Mit lediglich zwei Ausnahmen - der Kreise Lüchow-Dannenberg und Hof - liegen sämtliche Regionen, die eine stark oder gar extrem verbesserungswürdige Lebensqualität aufweisen, in den fünf neuen Bundesländern.
Lediglich in den großen Städten Ostdeutschlands erreicht der von Korczak errechnete Index befriedigende Werte - Folge der gegenüber ländlichen Gebieten generell besseren Versorgungseinrichtungen in den urbanen Zentren. Dort können die Bewohner jenes "pränatale Wohlbefinden" genießen, das nach Korczak Folge der Befriedigung unserer Bedürfnisse ist. Zur Erstellung seines "Lebensqualität-Atlas" hat der Autor deshalb in zweijähriger Arbeit über 30000 Einzelinformationen zu den Wohnbedingungen in den 543 Landkreisen und kreisfreien Städten Deutschlands ausgewertet. Resultat dieser Mühe ist eine Rangliste, die auf sechs Einzelindizes zu den Faktoren Umwelt, Wohlstand, Kultur, Sicherheit, Versorgung und Gesundheit beruht.
Was bedeutet nun Wohnen in Deutschlands "bester Stadt"? Zunächst einmal, daß man nach Tübingen ziehen muß, wo es sich laut Korczaks Untersuchung am angenehmsten leben läßt. Wo auch sonst fühlte man sich so pränatal wie in der akademischen Insel im deutschen Südwesten? Tübingen findet sich bei allen Faktoren im oberen Drittel der jeweiligen Rangliste, bei der Erhebung zur Gesundheitssituation (beruhend auf Einzeluntersuchungen zu Sterblichkeitsrate und Todesfälle durch Krebs-, Kreislauf- oder Atemwegserkrankungen) gar auf Platz eins.
Nun mag es zweifelhaft sein, ob die Beschränkung auf Mortalitätsziffern hinreichend zur Feststellung des Gesundheitsniveaus einer Stadt ist. Auch eine Erkrankung ohne Todesfolge mindert die Lebensqualität eines Menschen erheblich; zumindest hätte man also chronische Erkrankungen einbeziehen sollen.
Aber natürlich ist es billig, an der Datenauswahl Korczaks herumzumäkeln, denn in seinem Atlas steckt Aufwand genug. Allerdings wird ein Autor Kritik wohl dulden müssen, wenn er im zweiten Satz proklamiert, sein Buch gebe die "objektiven Lebensbedingungen" wieder, um noch auf derselben Seite zuzugestehen, die Auswahl und Gewichtung der Indikatoren sei nach "rationalen, aber letztlich subjektiven" Erwägungen des Verfassers erfolgt. Da muß die Objektivität des späteren Ergebnisses bereits geziemend bezweifelt werden.
Objektives Wohlbefinden
Es fehlen Faktoren wie öffentlicher Personennahverkehr oder Gewerbestruktur, die sicherlich aussagekräftiger für das Niveau der Lebensqualität sind als "Arbeitsunfähigkeit wegen psychiatrischer Erkrankung". In diesem wie in einigen anderen Fällen scheint allein die Verfügbarkeit von Datenmaterial ausschlaggebend für die Aufnahme in den Atlas gewesen zu sein. Auch das Warenangebot blieb unberücksichtigt, auch wenn ein rationaler Mensch sicherlich zugunsten einer angemessenen Versorgung gewisse Abstriche an Umwelt und Gesundheit machen würde. Lieber fett und verweichlicht, als in der Natur verhungert.
Hinzu kommt eine fragwürdige Gleichgewichtung innerhalb der einzelnen Indikatoren. So erhielt Berlin für seine 137 Kinos und 338 Bibliotheken dieselbe Punktzahl wie Stuttgart mit 38 Filmtheatern beziehungsweise 80 Bibliotheken. Wer jemals versucht hat, in Stuttgart Dokumentarfilme zu sehen oder ein Exemplar der vor fünfzig Jahren eingestellten Dortmunder Zeitung "Tremonia" zu finden, weiß, was solche Zahlenunterschiede besagen können. Wären die erhobenen Daten auf die Bevölkerungszahl bezogen worden, hätte man gegen dieses Verfahren nichts einwenden können, so aber ist die Bewertung allzu bequem ausgefallen.
Auch die sicherlich unumgängliche Beschränkung auf rein quantitative Erhebungen bei Kultur- oder Versorgungseinrichtungen verzerrt das Ergebnis beträchtlich: Eine hohe Zahl von Altenheimplätzen sagt über die Lebensqualität ihrer Bewohner ebensowenig aus wie die bloße Anzahl von Bibliotheken über deren Buchbestand und den damit verbundenen Gewinn an Lebensqualität für die Besucher. Die größte Schwäche liegt jedoch in einer anderen Form der Generalisierung: Tübingen als angeblich "beste Stadt" ist nicht so einfach vergleichbar mit Plauen auf Platz 348. Denn Plauen - von ähnlicher Größe - ist durch eine Laune der Geschichte kreisfreie Stadt, Tübingen dagegen wurde von Korczak nicht als einzelne Stadt, sondern als Landkreis bewertet, also mit dem gesamten Umland, das natürlich mehr Grünflächen, gesündere Luft und niedrigere Mieten aufweist als die Kreisstadt selbst. Dafür aber profitiert wiederum der ganze Landkreis von den kulturellen Einrichtungen der Stadt. Selbstverständlich wäre Tübingen auch als kreisfreie Stadt in der Spitzengruppe vertreten, ob aber dann noch vor den nächstplazierten (kreisfreien) Bonn und Münster scheint mehr als zweifelhaft.
Alle diese Einwendungen sollen nicht das Verdienst Korczaks mindern, sie sollen aber seinen Anspruch der "Darstellung der objektiven Lebensqualität" in Frage stellen. Zumal wohl nichts so irreführend ist wie der Versuch einer Rationalisierung und Entindividualisierung menschlicher Empfindungen - und nichts anderes ist letztlich der vorliegende "Lebensqualität-Atlas". Der Rezensent ist mit großem Vergnügen von Platz eins der Lebensqualität auf Platz 183 abgestiegen, denn sein individuelles Wohlbefinden hat sich aus mannigfachen Gründen durch den Umzug vermehrt.
Korczaks Arbeit könnte (und sollte) aber für einen anderen als den individuellen Bereich als Entscheidungshilfe fruchtbar sein: für die öffentliche Hand, die es sich im Verein mit den Bürgern betroffener Regionen zur Aufgabe machen müßte, von Korczak benannte Defizite zu beheben. So betrachtet ist das Buch eine willkommene Argumentationsgrundlage, die nicht zuletzt auch die Notwendigkeit weiterer Transferzahlungen nach Ostdeutschland zwingend nachweist. Erst nach Angleichung der Lebensqualität ist dem Recht auf Leben gemäß Artikel zwei des Grundgesetzes Genüge getan.
Botenstoff der Glücksgefühle
Allerdings sollte man sich bei der Lektüre des Atlas auf sein Zahlenmaterial und die sehr gelungenen Graphiken beschränken, denn Korczaks Begleittext ist bisweilen inkommensurabel. Sachliche Fehler sind rar, auch wenn es seltsam anmutet, wenn Hamburg mit seiner 1919 gegründeten Hochschule als "alte Universitätsstadt" bezeichnet wird. Doch die wahren Defizite liegen im stilistischen Bereich: Da paart sich Umgangssprache mit Wissenschaftsjargon ("Glücksgefühle setzen Botenstoffe [Endorphine] in unserem Körper frei, die von Synapse zu Synapse springen und durch unsere Nervenbahnen schwappen"), da werden Selbstverständlichkeiten erläutert ("Die Gebiete im Regenschatten sind auffallend trockener" - ja, wo denn sonst?), und das Bildungsgut des Autors wird wohlgefällig ausgebreitet, das sich aber zumeist auf bloße Titelzitate beschränkt oder in so fundierten Ansichten kulminiert, wie daß "die Bergische Kaffeetafel offensichtlich keinen Anlaß zu Gewalttätigkeit und Aggression gibt". Schließlich liegt der Oberbergische Kreis im Bereich "Sicherheit" ganz vorn. Vermutlich glaubt Korczak, daß die Einwohner des dabei letztplazierten brandenburgischen Wittstock beim Essen wüst aufeinander einprügeln. ANDREAS PLATTHAUS
Dieter Korczak: "Lebensqualität-Atlas". Umwelt, Kultur, Wohlstand, Versorgung, Sicherheit und Gesundheit in Deutschland. Westdeutscher Verlag, Opladen 1995. 242 S., Abb., br., 68,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"... Wer sich über die Situation von Umwelt, Kultur, Wohlstand, Versorgung, Sicherheit und Gesundheit in Deutschland einen ersten Ein- und Überblick verschaffen will, für den bietet der Lebensqualität-Atlas viele interessante Fakten und praktische Hilfe ..." (Frankfurter Rundschau, 2.7.1996)