Ein autobiographischer Rückblick in Geschichten. Erzählkunststücke über die frühen Prägungen, die schönen und schmerzvollen Erfahrungen in einem langen Schriftstellerleben. Seit Hermann Peter Piwitt Mitte der sechziger Jahre debütierte, gilt er als ein äußerst wacher und kritischer Chronist der gesellschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik. Sein schriftstellerischer Rang wurde früh erkannt und nie bestritten. Nun, fast 80-jährig, schaut er auf Ereignisse seines Lebens zurück, allerdings nicht in einer brav und chronologisch Rückschau haltenden Autobiographie, sondern in erzählerischen Bravourstücken. Auf die Verhältnisse im Elternhaus, auf die frühen Erlebnisse in Frankfurt, die Lehrer, die Prägungen, die in der Jugend erfahren wurden und für sein Leben bestimmenden Einfluss gewannen. Immer wieder finden sich Erinnerungen an Einzelne, an Freunde, denen Dank abgestattet wird, weil sie wichtig waren, Helfer und manchmal auch Nothelfer. Naturgemäß werden auch die Erfahrungen des Autors Hermann Peter Piwitt mit dem sogenannten Literaturbetrieb ins Licht gesetzt, und ebenso naturgemäß zeigt sich, dass dieser Autor seinen Überzeugungen, dass es nottut, für eine gerechte Gesellschaft einzutreten, treu geblieben ist. Was bleibt? Ein Kinderlachen, eine Liebesnacht, die Amseln morgens, Gelächter ...
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Der Schriftsteller Hermann Peter Piwitt hat definitiv kein gepflegtes Mittelklasse-Leben geführt, stellt Helmut Böttiger fest, obwohl er durchaus auch ein Creative-Writing-Seminar besucht hat, aber das war Anfang der siebziger Jahre und überhaupt das erste seiner Art. Nein, Piwitt hat noch ein echtes Leben gehabt, seufzt Böttiger, kein leichtes, und auch keines, das so verlaufen ist, wie er sich das gewünscht hätte. Der Rezensent liest von diesem Leben in den Erinnerungen, die der fast Achtzigjährige nun herausgegeben hat. Wie polarisierend Piwitt einst gewesen ist, spürt Böttiger ebenso wie eine gewisse Verbitterung und die politischen Abgründe, an denen das Leben in den Siebzigern entlangschrammte. Die Seitenhiebe gegen "die Opportunisten in den Medien" registriert Böttiger ebenso wie lustige Episode über die Knickrigkeit der Hamburger. Was Böttiger aber besonders einnimmt, ist der "poetische Trotz", der bei aller Sprödigkeit durch diese Erinnerungen hindurchschimmert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.03.2014Strohballen der Hoffnung
Hermann Peter Piwitts autobiografische Aufzeichnungen „Lebenszeichen mit 14 Nothelfern“
sind eine aufschlussreiche zeithistorische Quelle über die Abgründe des 68er-Aufbruchs
VON HELMUT BÖTTIGER
Es gibt auch einen wie Hermann Peter Piwitt. Er wurde 1935 geboren und gehörte lange zu den herausragenden Autoren seiner Generation. In den Siebzigerjahren wurde er in einem Atemzug mit Nicolas Born, Peter Handke und Rolf-Dieter Brinkmann genannt. Piwitt war ein gefragter Kommentator und Kolumnist in den wichtigsten Feuilletons, im Spiegel analysierte er hellsichtig die Entwicklungen im Literaturbetrieb. Im Laufe der Jahre blieben aber nur noch konkret und die Frankfurter Rundschau übrig, Piwitt wurde irgendwann zu einer Randfigur. Angesichts des großen Erfolgs, den er etwa mit dem Roman „Die Gärten im März“ 1979 hatte, ist die Entwicklung seiner Karriere erstaunlich.
Piwitts Erinnerungen sind jetzt in einem schmalen Bändchen erschienen, es ist „Lebenszeichen mit 14 Nothelfern“ betitelt und versammelt kurze, oft fragmentarische autobiografische Blöcke und räsonierende Einschübe. Sehr plastisch beschreibt er das typisch naziverseuchte kleinbürgerliche Elternhaus: der Vater, ein kleiner Beamter, verkörpert exemplarisch die deutsche Misere. Piwitt setzt in stakkatoartigen Skizzen vor allem die sexuelle Repression ins Bild, aber auch jene weitverbreiteten Ressentiments im deutschen Bürgertum, die eine aufgeklärte oder gar liberale Bildungs-Atmosphäre jenseits von Nationalismus und dumpfer Engstirnigkeit schon lange vor dem NS-Regime ausschlossen. Das spezifisch Deutsche an Piwitts Prägungen zeigt sich jedoch auch an den kleinen gefühlvollen Momenten, die er mit dem Vater bei Spaziergängen erlebte, beim Bestimmen von Tieren und Pflanzen – davon blieb immer etwas, bis hin zu literarischen Obsessionen.
Zu den 14 „Nothelfern“ des Titels gehören gleich am Anfang zwei Lehrer, die den späteren Autor stützten; Piwitt nennt im Verlauf des Textes alle, denen er etwas in seinem Leben verdankt. An der Frankfurter Universität gewann Piwitt mit Wolfgang Maier einen Lebensfreund. Von diesem Schriftsteller, mit dem zusammen er das legendäre erste deutsche „creative-writing“-Seminar am Literarischen Colloquium Berlin 1964 besuchte, stammt auch ein dem Buch vorangestelltes Zitat. Maier starb früh, im Alter von 39 Jahren, 1973 war das, und Piwitt zeichnet das bohemehafte Leben mit ihm nach, den von Alkohol gezeichneten Alltag, als Schriftsteller von der Hand in den Mund lebend.
Das Berliner Milieu der damaligen Jahre wird sehr scharf umrissen. Eine besondere Verbindung hatte Piwitt auch mit Günter Bruno Fuchs, dem zarten, vagabundierenden Lyriker und Alkoholiker – „er starb früh und erbärmlich“. Günter Grass gestaltete den Schutzumschlag von Piwitts erstem Buch, er wirkte, heißt es, wie eine „sehr produktive Mischung aus Krämer und Erdgeist“. Am intensivsten und auch sehnsuchtvollsten bleiben die stadtnahen Wanderungen mit dem engsten Freund Nicolas Born in Erinnerung, das Baden im Wannsee, die abendliche Einkehr am Savignyplatz.
Im Laufe der Siebzigerjahre registriert Piwitt polemisch, in welchen Niederungen sich der politische Furor der Sechziger verläuft, es sei beispielsweise eine „Seuche ausgebrochen namens ‚Esskultur‘“: „Jeder Piefke entdeckte den Gourmet in sich.“ Er beschreibt, wie er den Tischgenossen ihre Genüsse madigzumachen versucht: Hummer (die Tiere werden vier Wochen lang mit zusammengebundenen Scheren in Kühlboxen zusammengepfercht) oder Garnelen (mit Antibiotika vollgepumpt, damit sie in ihrem eigenen Kot hinsiechen können). Die Reaktion darauf verzeichnet er genauso gewissenhaft: „Alles musst du uns kaputtmachen.“
Piwitt schloss sich nie einer Partei an, blieb aber politisch immer bei seinen frühen Überzeugungen. Seine Erinnerungen sind sprunghaft, die Geschehnisse werden nicht näher analysiert oder beschrieben. Man ahnt, dass er sehr polarisierend gewirkt haben muss, er deutet es hier nur an: „Ich hielt fest an dem, was ich bei meinem Lehrer Adorno gelernt hatte. Nämlich dass der dialektische Materialismus die Natur der Dinge selbst, beziehungsweise ihre Zusammenhänge, allein nicht erklärt. Er ist nur ein Modell, ein Arbeitsmodell, das wir uns machen, um gewisser Phänomene und Zumutungen Herr zu werden; wie die Religionen es waren, die Kirche, der Kapitalismus, das Dezimalsystem, die Kausalität. Aber eben als solches hat der Sozialismus ein Recht auf eine zweite Chance.“
Besonders stark erscheint der Widerwille gegen die Heimatstadt Hamburg. Einmal sitzt Piwitt an der Theke neben einem älteren Herrn. Der Kneipier weist Piwitt anschließend darauf hin, wer das gewesen sei: Erwin Seeler, der Vater von Uwe, dem berühmten Fußballspieler. Erwin arbeite immer noch im Hafen, als Stauervize: „Uwe, wissen Sie, ist knickerig“.
Damit ist der Charakter Hamburgs umrissen, aber auch das Funktionieren der Gesellschaft überhaupt. Einige heftige Seitenhiebe versetzt Piwitt den Opportunisten in den Medien. Oft klingt Verbitterung aus den Zeilen. Am prägnantesten wird dies bei der Schilderung des Hauses in einem umbrischen Dorf, das Piwitt mit seiner Frau fast zwanzig Jahre lang bewohnte – die Klage über den Verfall durch Profitgier, Konsum und Egoismus wird begleitet von Sätzen, die den Sommertagen am See gelten und dem „zum Heulen schönen Blick“ aus dem Fenster.
Es ist ein spröder Ton, der in diesen späten Aufzeichnungen herrscht. Man spürt tiefe Aggressionen und Verletzungen, ahnt etwas von den Abgründen des 68er-Aufbruchs, den Kollateralschäden des Marsches durch die Institutionen. Piwitts Erinnerungen sind deshalb eine interessante literatur- und zeitgeschichtliche Quelle. Sie sind es auch, weil so etwas wie ein poetischer Trotz bleibt. Am Schluss steht ein schönes literarisches Bild der Hoffnung: Während eines Mittelalterspektakels auf dem Marktplatz im schleswig-holsteinischen Heide vergnügen sich die Jugendlichen abseits des offiziellen Festspiels auf den herbeigekarrten Strohballen: „Sie fallen übereinander her, sie möchten einander am liebsten unter ihren Armen voll Stroh begraben.“
Hermann Peter Piwitt: Lebenszeichen mit 14 Nothelfern. Wallstein Verlag, Göttingen 2014. 144 Seiten, 17,90 Euro.
Was von den einstigen
Hoffnungen bleibt, ist nur ein
schöner poetischer Trotz
Besonders hadert Piwitt mit dem Hamburger Krämergeist: Auf unserem Bild hat sich der Fußballer Uwe Seeler 1955 als Kapitän verkleidet.
Foto: Sven Simon
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Hermann Peter Piwitts autobiografische Aufzeichnungen „Lebenszeichen mit 14 Nothelfern“
sind eine aufschlussreiche zeithistorische Quelle über die Abgründe des 68er-Aufbruchs
VON HELMUT BÖTTIGER
Es gibt auch einen wie Hermann Peter Piwitt. Er wurde 1935 geboren und gehörte lange zu den herausragenden Autoren seiner Generation. In den Siebzigerjahren wurde er in einem Atemzug mit Nicolas Born, Peter Handke und Rolf-Dieter Brinkmann genannt. Piwitt war ein gefragter Kommentator und Kolumnist in den wichtigsten Feuilletons, im Spiegel analysierte er hellsichtig die Entwicklungen im Literaturbetrieb. Im Laufe der Jahre blieben aber nur noch konkret und die Frankfurter Rundschau übrig, Piwitt wurde irgendwann zu einer Randfigur. Angesichts des großen Erfolgs, den er etwa mit dem Roman „Die Gärten im März“ 1979 hatte, ist die Entwicklung seiner Karriere erstaunlich.
Piwitts Erinnerungen sind jetzt in einem schmalen Bändchen erschienen, es ist „Lebenszeichen mit 14 Nothelfern“ betitelt und versammelt kurze, oft fragmentarische autobiografische Blöcke und räsonierende Einschübe. Sehr plastisch beschreibt er das typisch naziverseuchte kleinbürgerliche Elternhaus: der Vater, ein kleiner Beamter, verkörpert exemplarisch die deutsche Misere. Piwitt setzt in stakkatoartigen Skizzen vor allem die sexuelle Repression ins Bild, aber auch jene weitverbreiteten Ressentiments im deutschen Bürgertum, die eine aufgeklärte oder gar liberale Bildungs-Atmosphäre jenseits von Nationalismus und dumpfer Engstirnigkeit schon lange vor dem NS-Regime ausschlossen. Das spezifisch Deutsche an Piwitts Prägungen zeigt sich jedoch auch an den kleinen gefühlvollen Momenten, die er mit dem Vater bei Spaziergängen erlebte, beim Bestimmen von Tieren und Pflanzen – davon blieb immer etwas, bis hin zu literarischen Obsessionen.
Zu den 14 „Nothelfern“ des Titels gehören gleich am Anfang zwei Lehrer, die den späteren Autor stützten; Piwitt nennt im Verlauf des Textes alle, denen er etwas in seinem Leben verdankt. An der Frankfurter Universität gewann Piwitt mit Wolfgang Maier einen Lebensfreund. Von diesem Schriftsteller, mit dem zusammen er das legendäre erste deutsche „creative-writing“-Seminar am Literarischen Colloquium Berlin 1964 besuchte, stammt auch ein dem Buch vorangestelltes Zitat. Maier starb früh, im Alter von 39 Jahren, 1973 war das, und Piwitt zeichnet das bohemehafte Leben mit ihm nach, den von Alkohol gezeichneten Alltag, als Schriftsteller von der Hand in den Mund lebend.
Das Berliner Milieu der damaligen Jahre wird sehr scharf umrissen. Eine besondere Verbindung hatte Piwitt auch mit Günter Bruno Fuchs, dem zarten, vagabundierenden Lyriker und Alkoholiker – „er starb früh und erbärmlich“. Günter Grass gestaltete den Schutzumschlag von Piwitts erstem Buch, er wirkte, heißt es, wie eine „sehr produktive Mischung aus Krämer und Erdgeist“. Am intensivsten und auch sehnsuchtvollsten bleiben die stadtnahen Wanderungen mit dem engsten Freund Nicolas Born in Erinnerung, das Baden im Wannsee, die abendliche Einkehr am Savignyplatz.
Im Laufe der Siebzigerjahre registriert Piwitt polemisch, in welchen Niederungen sich der politische Furor der Sechziger verläuft, es sei beispielsweise eine „Seuche ausgebrochen namens ‚Esskultur‘“: „Jeder Piefke entdeckte den Gourmet in sich.“ Er beschreibt, wie er den Tischgenossen ihre Genüsse madigzumachen versucht: Hummer (die Tiere werden vier Wochen lang mit zusammengebundenen Scheren in Kühlboxen zusammengepfercht) oder Garnelen (mit Antibiotika vollgepumpt, damit sie in ihrem eigenen Kot hinsiechen können). Die Reaktion darauf verzeichnet er genauso gewissenhaft: „Alles musst du uns kaputtmachen.“
Piwitt schloss sich nie einer Partei an, blieb aber politisch immer bei seinen frühen Überzeugungen. Seine Erinnerungen sind sprunghaft, die Geschehnisse werden nicht näher analysiert oder beschrieben. Man ahnt, dass er sehr polarisierend gewirkt haben muss, er deutet es hier nur an: „Ich hielt fest an dem, was ich bei meinem Lehrer Adorno gelernt hatte. Nämlich dass der dialektische Materialismus die Natur der Dinge selbst, beziehungsweise ihre Zusammenhänge, allein nicht erklärt. Er ist nur ein Modell, ein Arbeitsmodell, das wir uns machen, um gewisser Phänomene und Zumutungen Herr zu werden; wie die Religionen es waren, die Kirche, der Kapitalismus, das Dezimalsystem, die Kausalität. Aber eben als solches hat der Sozialismus ein Recht auf eine zweite Chance.“
Besonders stark erscheint der Widerwille gegen die Heimatstadt Hamburg. Einmal sitzt Piwitt an der Theke neben einem älteren Herrn. Der Kneipier weist Piwitt anschließend darauf hin, wer das gewesen sei: Erwin Seeler, der Vater von Uwe, dem berühmten Fußballspieler. Erwin arbeite immer noch im Hafen, als Stauervize: „Uwe, wissen Sie, ist knickerig“.
Damit ist der Charakter Hamburgs umrissen, aber auch das Funktionieren der Gesellschaft überhaupt. Einige heftige Seitenhiebe versetzt Piwitt den Opportunisten in den Medien. Oft klingt Verbitterung aus den Zeilen. Am prägnantesten wird dies bei der Schilderung des Hauses in einem umbrischen Dorf, das Piwitt mit seiner Frau fast zwanzig Jahre lang bewohnte – die Klage über den Verfall durch Profitgier, Konsum und Egoismus wird begleitet von Sätzen, die den Sommertagen am See gelten und dem „zum Heulen schönen Blick“ aus dem Fenster.
Es ist ein spröder Ton, der in diesen späten Aufzeichnungen herrscht. Man spürt tiefe Aggressionen und Verletzungen, ahnt etwas von den Abgründen des 68er-Aufbruchs, den Kollateralschäden des Marsches durch die Institutionen. Piwitts Erinnerungen sind deshalb eine interessante literatur- und zeitgeschichtliche Quelle. Sie sind es auch, weil so etwas wie ein poetischer Trotz bleibt. Am Schluss steht ein schönes literarisches Bild der Hoffnung: Während eines Mittelalterspektakels auf dem Marktplatz im schleswig-holsteinischen Heide vergnügen sich die Jugendlichen abseits des offiziellen Festspiels auf den herbeigekarrten Strohballen: „Sie fallen übereinander her, sie möchten einander am liebsten unter ihren Armen voll Stroh begraben.“
Hermann Peter Piwitt: Lebenszeichen mit 14 Nothelfern. Wallstein Verlag, Göttingen 2014. 144 Seiten, 17,90 Euro.
Was von den einstigen
Hoffnungen bleibt, ist nur ein
schöner poetischer Trotz
Besonders hadert Piwitt mit dem Hamburger Krämergeist: Auf unserem Bild hat sich der Fußballer Uwe Seeler 1955 als Kapitän verkleidet.
Foto: Sven Simon
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