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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Vermutlich ist dieser schmale Roman deshalb so befremdlich, weil er einen Großteil unserer Vorstellungen mit, wie es scheint, diebischer Freude unterläuft - jene der Moral und des Geschmacks eingeschlossen. Die siebzigjährige Jo fliegt von Birmingham nach Zürich, um dort in einer Einrichtung für Sterbehilfe ihrem Leben ein selbstgewähltes Ende zu setzen. Jo leidet, wie die Ärzte ihr prognostiziert haben, unheilbar an Leberkrebs. Wer sich kurz noch einmal den Titel des Romans in Erinnerung ruft - "Leberknödel" -, der mag eine Vorstellung von Selfs Provokationslevel haben.
Dass Jo den Giftbecher in letzter Sekunde ablehnen wird, ist nicht sonderlich überraschend. Schon im Flugzeug in die Schweiz hat sie sich mit Absturzängsten gequält, was sie an ihrer Entschlossenheit zum Sterben zumindest zweifeln ließ. Vor allem scheint es die Geringschätzung ihrer Tochter zu sein, von der Jo sich zwar begleiten lässt, die sie aber für faul, dicklich und raffgierig hält, die letztendlich den Ausschlag gibt, am Leben zu bleiben: So schnell will sie der verwöhnten Mittdreißigerin das Erbe nicht überlassen. Verkorkste Mutter-Tochter-Beziehungen haben eben die Eigenschaft, ungewöhnliche Entscheidungen zu bedingen.
Die Dynamik, die im gerade noch bewahrten Leben von Jo nun eintritt, ist allerdings eher ungewöhnlich. Die bisher siechende, inkontinente, nicht ohne eine hohe Dosis von Schmerztabletten auskommende Patientin verwandelt sich innerhalb kurzer Zeit in eine blühende alte Dame. Ein Wunder? Das jedenfalls wollen ihr ein paar eifrige Katholiken weismachen, deren Hauptanliegen indes darin besteht, den frevelhaften Machenschaften des Freitod-Instituts ein Ende zu bereiten. Ein wenig magischen Realismus scheint Will Self seinem Roman tatsächlich beigegeben zu haben, um diesen schließlich aber mit scharfem säkularem Besteck zu sezieren. Nachdem Jo sich hoffnungsvoll für das Leben entschieden hat, führt Self genüsslich dessen alltägliche Erbärmlichkeit vor Augen. Wie zu erwarten war, überzieht dieser Autor die Geschichte der vermeintlichen Wunderheilung einer sterbenskranken Freitod-Kandidatin wieder einmal mit seinem handfestem Zynismus. Wofür also die ganze Qual? Von Will Self ist keine Antwort zu erwarten. Oder vielleicht doch: Die Kapitel hat er nach der Satzfolge eines Requiems überschrieben. Von einer Lebenden hat er also schon längst nicht mehr erzählt.
WIEBKE POROMBKA.
Will Self: "Leberknödel". Roman.
Aus dem Englischen von Gregor Hens.
Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2015. 208 S., geb., 18,- [Euro].
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