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Marthas Flügel und Bettys blaues Sofa 24 Verschwundene. Deportiert aus dem Haus, in dem Ingke Brodersen wohnt. Ein »Judenhaus«. Einige flüchten, andere verstecken sich. Von ihnen erzählt die Historikerin. Und von denen, die heute Zuflucht suchen. Hanns-Stephan ist zwölf, als er 1939 in London Liverpool Station auf dem Bahnsteig steht. Gerettet mit dem Kindertransport. Seine Mutter stirbt im Bombenhagel. Sein Vater Siegfried Jacob taucht unter und überlebt. Ihm gehört das Haus, in das andernorts vertriebene Juden zwangseingewiesen werden. Ein sogenanntes »Judenhaus«, wie es auch in anderen…mehr

Produktbeschreibung
Marthas Flügel und Bettys blaues Sofa 24 Verschwundene. Deportiert aus dem Haus, in dem Ingke Brodersen wohnt. Ein »Judenhaus«. Einige flüchten, andere verstecken sich. Von ihnen erzählt die Historikerin. Und von denen, die heute Zuflucht suchen. Hanns-Stephan ist zwölf, als er 1939 in London Liverpool Station auf dem Bahnsteig steht. Gerettet mit dem Kindertransport. Seine Mutter stirbt im Bombenhagel. Sein Vater Siegfried Jacob taucht unter und überlebt. Ihm gehört das Haus, in das andernorts vertriebene Juden zwangseingewiesen werden. Ein sogenanntes »Judenhaus«, wie es auch in anderen Ländern Europas zu finden war. Als Ingke Brodersen in eine Wohnung im vierten Stock genau dieses Hauses einzieht, weiß sie nichts von Martha, Clara und Bertha. In einer beeindruckenden Recherche rekonstruiert sie die Lebenswege der Verfolgten. Und sie wendet sich denen zu, die heute Vertriebene sind: Safed aus Bosnien oder Aziz und Rana aus Kabul. So ist ihr Buch ein bewegendes Zeugnis des Gedenkens und gelebter Mitmenschlichkeit. »Dieses Buch erzählt von 24 Verschwundenen. 1942 deportiert aus dem Haus, in dem ich wohne. Und von den anderen, die entkamen. Ich lernte sie alle erst Jahre nach meinem Einzug kennen. Ich erzähle ihre Geschichten. Und meine.« Ingke Brodersen
Autorenporträt
Die Historikerin Ingke Brodersen war Herausgeberin der politischen Buchreihe rororo aktuell und leitete ab 1990 den Verlag Rowohlt Berlin. Für das Goethe Institut gab sie eine mehrsprachige europäische Zeitschrift heraus. An Berliner Schulen führte sie acht Jahre lang Demokratie- und Kommunikations-Trainings durch. Seit den 1990er Jahren begleitet sie Flüchtlinge beim Ankommen. Die Geschichte der deutschen Juden ist oft Gegenstand ihrer zahlreichen Publikationen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.04.2023

In unserem Haus
Ingke Brodersen forscht Opfern der Schoa nach

Die Historikerin, auch langjährige Leiterin des Rowohlt Berlin Verlags Ingke Brodersen hat ein eindringliches Buch vorgelegt, das den Lebens- und in vielen Fällen Todesgeschichten von vierundzwanzig jüdischen Mietern des Jugendstilhauses im Berliner Bayerischen Viertel nachgeht, in dem sie heute lebt. Ausgehend von der Frage, die ihr Mann und sie sich stellten, als sie mit ihrer kleinen Tochter in die Berchtesgadener Straße 37, im vierten Stock, einzogen: Wer lebte in den Jahren 1933 bis 1945 in unserem Haus, in unserer Wohnung?

Dank jahrelanger Recherchen kommt Brodersen den Spuren der Vertriebenen immer näher. Sie nennt die Bewohner oft bei ihren Vornamen, "als seien sie gute Freunde", nicht ohne sich die Frage zu stellen, ob dies eine zulässige Grenzübertretung sei. Sie erzählt von Martha, Edith, Betty, Hermann, Kurt und den anderen, die in die Vernichtungsmaschinerie der Nationalsozialisten gerieten. So oft man von ähnlichen Schicksalen gehört und gelesen haben mag, in dieser Aufarbeitung der Geschichten jener Männer und Frauen, die Brodersen als ihre "Schützlinge" empfindet, erfährt die Ära der Terrorjahre eine erschreckende Präsenz. Kannte die Autorin anfangs kaum mehr als die Namen der Unglücklichen, so stellte sich später "eine innere Verbundenheit mit ihnen ein, mit der ich gar nicht gerechnet hatte und auf die ich anfangs auch nicht vorbereitet war".

Dank der eindringlichen Nachforschungen wird nicht zuletzt eine der Taten des Reichsministers Albert Speer deutlich: Hitlers Stararchitekt plante den Umbau Berlins und sorgte im Vorfeld dafür, dass die Hauptstadt zum Vorreiter der "Judenwohnungsentmietungsaktionen" wurde. Tausende Wohnungen wurden geräumt, Mieter und Wohnungsbesitzer vor ihrem Abtransport in sogenannten "Judenhäusern" untergebracht - im Nazijargon fortan "Entmietete".

In ein solches Judenhaus verwandelte sich auch die Berchtesgadener Straße 37, in eine Art Ghettohaus, in dem oft mehrere ängstlich auf ihre Deportation Wartende in einer Wohnung zusammengepfercht hausen mussten. Die "Judenwohnungen" waren für "arische" Mitbewohner klar erkennbar an einem schwarzen Stern an der Tür - jeder im Haus wusste Bescheid. Und als die Juden fort waren, schien niemand sonderlich überrascht. Ihr Verschwinden - "Abwanderung ins Protektorat" lautete der Euphemismus - endete in den meisten Fällen in den Gaskammern.

Brodersens Vater war Wehrmachtssoldat. Er starb, als sie ein Kind war. "Wo war er zuletzt gewesen? Sicherlich in Russland, aber wo dort?" Was dieses Buch von anderen über die Schoa unterscheidet, ist das Verfahren der Autorin, autobiographische Momente mit einfließen zu lassen, sei es als schleswig-holsteinische Buchhandelsgehilfin, sei es als Pädagogin im bolivianischen La Paz, vor allem aber bezüglich ihres Umgangs mit Flüchtlingen aus Bosnien, Syrien, Afghanistan. Sie vergleicht deren Schicksal in keiner Weise mit der unbedingten Vernichtungsgefahr, in der sich Juden im nationalsozialistischen Deutschland befanden. Aber sie lässt erkennen, welche Abgründe der Verlorenheit sich für die ihrer Heimat Beraubten auftun, denen sie teils als Deutschlehrerin, oft als beratende Freundin zur Seite steht: "Manchmal macht die spürbare Fremdheit sie stumm. Alle wissen, dass es kein Zurück gibt." PETER STEPHAN JUNGK

Ingke Brodersen: "Lebewohl, Martha". Die Geschichten der jüdischen Bewohner meines Hauses.

Kanon Verlag, Berlin 2023. 288 S., geb., 26,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Im Buch der Historikerin Ingke Brodersen werden die Jahre des Naziterrors "erschreckend präsent" für Rezensent Peter Stephan Jungk. Brodersen hat in mehrjähriger Recherchearbeit die Schicksale der jüdischen Bewohner des Hauses rekonstruieren können, in dem sie heute wohnt, so der Kritiker.  Ihr Haus war ein sogenanntes "Judenhaus", in dem all die jüdischen Familien zusammengebracht wurden, die aus ihren eigenen Häusern verrieben worden waren, quasi ein Ghetto. Von diesem aus wurden die meisten Menschen in Todeslager deportiert. Die Nähe, die die Autorin in ihrer Schilderung zu ihren ehemaligen Hausbewohnern aufbaut, hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck beim Rezensenten und verdeutlicht die "Abgründe der Verlorenheit", die sich für die Betroffenen auftaten.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Die beeindruckende Recherche eines Hauses, die seinen jüdischen Bewohner:innen ihre Geschichte zurückgibt.« Michael Wildt