Leichte Sprache erzählt die Geschichte von vier Frauen, die mit der Diagnose einer geistigen Behinderung in einer betreuten Wohnung im gentrifizierten Barcelona leben. Nati beschreibt ihre Symptomatik als »Schiebetüren-Syndrom«: Unter Druck verändert sich ihr Verhältnis zur Umwelt. Alle vier haben Lernschwierigkeiten. Marga ist Analphabetin und sexuell überaus aktiv, Àngels stottert, Patri hat Logorrhö. In integrativen Tanzgruppen und in der Hausbesetzerszene Barcelonas versuchen die Frauen, sich von der Bevormundung durch staatliche Einrichtungen und Justiz zu befreien und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. So scharfsinnig wie wütend demaskiert die Tänzerin Nati die Ideologie der nach den Vorstellungen der »neoliberalen Macho-Faschos« funktionierenden Gesellschaft, ihre Cousine Àngels entdeckt mit »leichter Sprache« ein Instrument der Teilhabe und verfasst ihre Lebensgeschichte auf WhatsApp mit erstaunlicher Poesie. Vielstimmig erzählt Cristina Morales vom Leben dieser Frauen und montiert dabei Gerichtsakten, Protokolle der anarchistischen Okupas und ein Fanzine zu einem großen Roman.
Perlentaucher-Notiz zur FAS-Rezension
Rezensentin Novina Göhlsdorf imponiert die Wut, die ihr in Cristina Morales' Buch entgegenschlägt. Es geht darin um vier als geistig behindert angesehene Frauen, die sich auf je eigene Weise gegen die Beschränkungen wehren, die ihnen auferlegt werden. Eine protestiert in einem sich als "inklusiv" ausgebenden Tanzkurs gegen die Verwischung von existierenden Unterschieden, eine besetzt eine leerstehende Wohnung und lebt promiskuitiv, und eine verfasst in einer WhatsApp-Gruppe einen Roman in vermeintlich "leichter Sprache", die sie dabei jedoch unterläuft und als "erzieherisches Instrument entlarvt", so Göhlsdorf. Dass die Autorin und Tänzerin bei einem Job als Übersetzerin auf einem Polizeirevier selbst Erfahrungen mit sprachlicher Machtausübung und Unterdrückung gemacht hat und an einem inklusiven Tanzkurs teilgenommen hat, wie die Kritikerin bei einem Treffen mit Morales erfährt, hält sie dabei für bemerkenswert. Vor diesem Hintergrund wird die Sprache des Buchs - "akribisch zersetzend", wütend, dabei nicht gewaltfrei und auf keinen Fall leicht - noch interessanter für die Kritikerin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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