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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Lieber Urlaub als Revolte: Hans Pleschinskis neuer Roman
Vor dieser Heldin kann man schon Angst bekommen. Denn Christine Perlacher weiß es meistens besser. Zumindest im Kopf. Zwar ruft sie sich am Anfang ihres hundertsechzig Seiten langen inneren Monologs noch strikt selbst zur Räson: "Man hat weder das Recht noch die Fähigkeit, alles zu bewerten." Diese eigene Vorgabe aber hindert die zweiundvierzigjährige Erzählerin in Hans Pleschinskis neuem Roman keineswegs daran, in der Folge ständig und überall über ihre Mitmenschen herzuziehen. Sei es der Kleidungsgeschmack deutscher Touristen ("pastellfarbene Textilien, die nichts bedeuteten, die nur knitterfest waren") oder die hiesige Fernsehunterhaltung ("zotige Dauertalk-Berserkerinnen, oftmals aus dem Kölner Raum"). Sei es die Gewerkschafts-Chefetage ("Klüngel wie am Stammtisch") oder ihr eigener Bürokollege ("Widerspruchsapostel und Vertreter des Anti-Lebens"). Seien es die Jungen ("wippende Autisten") oder die Alten ("Fäkalkolporteure"). Und natürlich erst recht das andere Geschlecht ("Diese knochigen Kanten, die blaue Flecken hinterließen, dies bißchen haarige Gehänge und dieses irgendwie selbstständige Lanzengewehr"): im steten Reflexionsstrom der ebenso hämischen wie amüsant-beflissenen Nörglerin Perlacher bekommen alle ihr Fett weg. Ganz so, als hätte sie die "In"- und "Out"-Selektionssucht unserer Zeit als Reflex verinnerlicht, springt ihr Bewertungsapparat dauernd an, um dann vor sich hin zu rattern. Allerdings pflegt Perlacher ihre Lästerlust ganz im stillen, nur für sich allein.
Man würde es durchaus verstehen, wenn sich Pleschinskis Heldin einmal lauthals beschweren würde. Arbeitet die gebürtige Münchnerin, deren Name eigentlich nach gutsituierter Arztgattin klingt, doch dort, wo die deutsche Wirtschaftsflaute besonders hart zuschlägt: an der Armutsfront. Perlacher ist gelernte Sozialhelferin mit Fachgebiet Sozialbetrug. In ihrer Wahlheimat Hamburg zieht sie von Haus zu Haus, um Stütze-Schnorrern auf die Schliche zu kommen. "Kein Traumjob", wie sie selber sagt. Doch als hedonistisches, wenn auch spöttisches Gemüt der von Matthias Politycki einst ausgerufenen "78er-Generation", der sich auch ihr Schöpfer zugehörig fühlt, nimmt die Erzählerin ihr Los als "Hamster im Laufrad" des Sozialstaates klaglos hin. Nur, wenn im Februar zum allgemeinen Krisenlamento auch noch matschiges Wetter hinzukommt, gönnt sie sich eine kurze Auszeit. Dann ist auch Christine Perlacher reif für die Insel, nämlich für ihr "Glückseiland" Teneriffa. Seit vier Jahren schon fährt die Singlefrau, die neben ihrer aufreibenden Arbeit auch noch vier aufreibende Liebesaffären unterhält, auf die Kanareninsel. Immer nur für eine Woche. Immer ohne Begleitung. Und immer, ganz deutsche Urlauberin, in dieselbe Pension.
Wie schon frühere Helden und Heldinnen Pleschinskis - man denke nur an die sich selbst entdeckende Altenpflegerin "Gabi Lenz" aus dem gleichnamigen Roman, den jungen Weltenbummler Frank in "Nach Ägypten" - steckt auch Christine Perlacher eigentlich in einer tiefen Sinnkrise. Und ganz im Geiste der Romantik begibt auch sie sich auf Reisen, um auf die dräuenden Fragen ihrer angeknacksten Existenz eine Antwort zu finden. Nur lesen sich Aufruhr und Suche, wie so oft bei Pleschinski, auch in ihrem Fall alles andere als dramatisch. Denn Perlacher nimmt ihre Lebensenttäuschung selbst denkbar gelassen. Ihr Ausstieg ist von daher nur ein kurzfristiger, abgefederter Schritt, der sie bezeichnenderweise nicht auf die hohen Wipfel oder in die tiefen Wälder der Verzweiflung führt, sondern ins "leichte Licht" eines Sonnenstrandes. Das liest sich wie eine éducation sentimentale, die im Nachklang von Postmoderne und Globalisierung gewissermaßen nur noch im Miniaturformat ausfällt. Schließlich hat Perlacher die allgemeine und ihre eigene Krise schon viel zu oft durchdacht und bespöttelt, als daß sie noch an den einen roten Faden oder an die eine große Lösung glauben könnte. "Mußte ihr etwas Ungeheuerliches zustoßen?" überlegt sie einmal kurz im Flugzeug. "Daß sie sich wieder neu, stark und zielsicher fühlte? Was konnte es sein? Eine Liebe? Ein Krieg? Eine Erleuchtung?" Diese Fragen erweisen sich schnell als rhetorische Fragespielchen einer ironisch geschulten Bildungsbürgerin, die allenfalls noch auf Erlösung im Augenblick hofft. Ihre "frühen Träume", ahnt sie längst, "werden sich nicht mehr erfüllen". So gibt sie sich, endlich auf Teneriffa angekommen, lieber den Ratschlag: "Sieh zu, daß du gesellig, demütig und ohne zu große Peinlichkeit weiterkommst."
"Leichtes Licht" ist eher ein tagebuchartiges Selbstgespräch als ein Roman, der für die kleinen Antworten, die kleinen Fluchten und die kleinen Freuden plädiert - angesichts einer deutschen Jammerei, die geradezu hysterisch das wirkungsvolle Sofortrezept verlangt. Unter der südlichen Sonne entpuppt sich die Erzählerin tatsächlich als eine Lieblingsfigur ihres Autors, auch wenn sie ausnahmsweise in Frauenkleidern herumläuft. Es ist die Figur des stets elegant ausstaffierten, geistreich witzelnden Dandys, für den ein gutes Leben keines der guten Vorsätze, sondern vielmehr eines des guten Stils ist. Entsprechend legt auch Perlacher viel Wert auf ihr äußeres Erscheinungsbild und gibt sich sinnlichen Genüssen hin, während Zukunftspläne und überhaupt alles, was auf einen berechenbaren "Effekt" abzielt, ihr von vorneherein suspekt sind. Sie haßt jede Art von inszeniertem "Fun", schläft gern aus, hat sich extra einen gepunkteten Hosenanzug für den Kurztrip schneidern lassen. Und natürlich geht sie auch nicht einfach ins nächstbeste Restaurant, sondern feiert statt dessen regelrechte "Essensfeste", um hier "exquisiten Sprit zu ordern und völlig sorglos die Seele baumeln zu lassen".
Lieber Ausschweifung als die Revolte: So lautet das Motto dieser Lebefrau, welchem - aller luxuriösen Vergnüglichkeit zum Trotz - unvermeidlich der schal-traurige Beigeschmack einer "Resignationswahrheit" anhaftet. Daneben birgt ein Handlungsgerüst, das überwiegend aus einem Gedankenreport im Bewußtseinsstrom besteht, zwangsläufig den Nachteil, daß sich kein Spannungsbogen aufbauen kann. Nicht einmal der eigentlich übliche Urlaubsflirt ereignet sich in "Leichtes Licht", aber die Handlungsarmut ist vom Autor beabsichtigt. Schließlich sucht seine Heldin ja gerade das Versinken im Augenblick, den völligen Stillstand der Zeit, das "Nichts", wie sie immer wieder nachdrücklich betont. Das reine Genußerlebnis avanciert bei Pleschinski wieder einmal zum letzten Refugium menschlicher Würde und Freiheit. Und wenn schließlich selbst Perlachers stets ratternder Kopf beim Sonnenbaden endlich einmal abschaltet, wird das als nichts Geringeres als etwas "Göttliches" gefeiert. "Leichtes Licht" kann man insofern als interessante Apologie jener neuen Bescheidenheit lesen, die sich just überall entfaltet - und deren Credo eines kleinen Glücks am Strand doch um so zweifelhafter anmutet, je mehr sie auf jede kritische Einmischung verzichtet.
GISA FUNCK.
Hans Pleschinski: "Leichtes Licht". Roman. C. H. Beck Verlag, München 2005. 159 S., geb., 14,90 [Euro].
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