Als die Schweiz der Südsee wird Neuseeland immer wieder bezeichnet. Eine Assoziation, die die ruhigen Gletscherwelten der Gebirgskette der Südinsel, die saftigen Weiden, die zahlreichen Schafe und die gelassenen Bewohner nahelegen mögen. Doch nicht alles in Neuseeland entpuppt sich bei näherer Betrachtung als genügsam und leise. Isolierte, weit entfernte Inselwelten vulkanischen Ursprungs bringen ausreichend exzentrische Charaktere hervor. Der Reiseschriftsteller Joscha Remus hat die Inselwelt auch anders erfahren. So weiht ihn Weltmeister David Fagan in die rasante Kunst des Speed-Schafscherens ein. Remus streift mit einem Māori-Koch durch die Frischetheke des Dschungels. Er besteigt eifersüchtige Vulkane, übt sich im "kapa haka", dem ausdrucksstarken Kriegstanz der Māori, und entdeckt auf seiner literarischen Suche nach der Welt unserer Gegenfüßler und dem, was neuseeländische Identität ausmacht, die Reize von Schuhcreme, Nippelwärmern und Bergaustern.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.11.2009Reisebuch
Wohl bekomm’s
Das Ungewöhnliche ist die Norm: Geschichten aus Neuseeland
Joscha Remus lässt kein Festival aus. Er war bei der Weltmeisterschaft im Kriegstanz Kapa Haka, bei den Scherern in Masterton, die ein Schaf bei den „Golden Shears” in wenigen Sekunden von seiner Wolle befreien; und er war in Opotiki, das beim Mega Mud Slide zur schlammigsten Stadt der Welt wird. Es sind die ausgeflippten Bewohner, die er dort sucht: In seinem Buch „Der Kuss der langen weißen Wolke” aus der Reihe der Picus-Lesereisen erklärt Remus Neuseeland über seine Freaks. Wobei er das Verschrobene als das Normale verkauft.
Letztlich folgt der Schriftsteller und Journalist dennoch meist ausgetretenen Pfaden. In 18 zusammenhanglosen Kapiteln erwähnt er viel Bekanntes; vom Schokoladenkugelrollen in der Baldwin Street in Dunedin über die steilste Straße der Welt bis zur Hundertwasser-Toilette in Kawakawa. Und sucht das Kuriose im Bekannten: Weil es in Neuseeland oft regnet und sich nasse Schafe schlechter scheren lassen, mieten sich die Profis bei den „Golden Shears” einen Hangar und trocknen die Schafe mit einem Flugzeugmotor-Föhn. Selbst das Bild des emotionslosen Naturburschen, der das eben überfahrene Opossum von der Straße kratzt, um es zu verspeisen, bleibt nicht aus.
Um das kulinarische Neuseeland zu würdigen, schreckt Remus auch vor traditionellen Gerichten nicht zurück. „So haben meine Ahnen früher Menschenfleisch zubereitet”, sagt der Maori Rawiri. Hangi heißt diese traditionelle Zubereitungsmethode in einem Erdofen mit heißen Steinen. Allerdings isst Remus lediglich ein auf diese Art gekochtes Hähnchen. Seine Leidenschaft fürs Essenspringt sogar auf die Landschaftsbeschreibung des Franz-Josef-Gletschers über: „Talwärts dann Flug über Alpenkaramell-Eiscreme mit geschichteten dunklen Streifen und Schokostückchen.” Man kommt auf den Geschmack, sowohl kulinarisch als auch landschaftlich. Allerdings wird man selten richtig satt. So besucht Remus die bekannteste Köchin und Kochbuchautorin des Landes, Annabel Langbein, doch zwei Seiten später verlässt er sie schon wieder, um vom nächsten Festival zu berichten.
Beharrlicher sind da Dörthe und Volker Heyse in ihrem „Neuseeland-Lesebuch”, dafür verlangen sie ihren Lesern aber auch mehr Muse und Interesse ab. Volker Heyse, der bisher vor allem pädagogische Trainingsbücher geschrieben hat, ist mit seiner Frau oft nach Neuseeland gereist. Ihr Buch verspricht, dass es alles enthält, was man über das Land wissen müsse. Es ist ein Ratgeber und ein Lexikon. So erklären die Autoren das Geheimnis der Tätowierungen der Ureinwohner und was der Unterrock in der spöttischen Bezeichnung „Petticoat Government” mit der Regierung zu tun hat, denn in Neuseeland besetzen die Frauen viele wichtige Positionen in Politik und Wirtschaft. Aspekte, die für Langzeiturlauber durchaus von Nutzen und Interesse sind. Aber vieles von dem, was die Heyses ausbreiten, geht weit über das hinaus, was Neuseeland-Besucher für ihre Reise benötigen. So wird das Schulsystem ebenso erläutert wie die Frage, ob das Land ein eigenes Militär braucht – das jedoch oft sehr anschaulich, mit Hilfe von Tabellen, Experteninterviews und Umfragen. Ein Lesebuch aber – da führt der Titel in die Irre – ist das Werk nicht.
SUSANNE WEISSMANN
DÖRTHE UND VOLKER HEYSE: Das Neuseeland-Lesebuch. Alles, was Sie über Neuseeland wissen müssen. Mana-Verlag, Berlin 2009. 320 Seiten, 22,80 Euro.
JOSCHA REMUS: Lesereise Neuseeland. Der Kuss der langen weißen Wolke. Picus Verlag, Wien 2009. 132 Seiten, 14,90 Euro.
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Wohl bekomm’s
Das Ungewöhnliche ist die Norm: Geschichten aus Neuseeland
Joscha Remus lässt kein Festival aus. Er war bei der Weltmeisterschaft im Kriegstanz Kapa Haka, bei den Scherern in Masterton, die ein Schaf bei den „Golden Shears” in wenigen Sekunden von seiner Wolle befreien; und er war in Opotiki, das beim Mega Mud Slide zur schlammigsten Stadt der Welt wird. Es sind die ausgeflippten Bewohner, die er dort sucht: In seinem Buch „Der Kuss der langen weißen Wolke” aus der Reihe der Picus-Lesereisen erklärt Remus Neuseeland über seine Freaks. Wobei er das Verschrobene als das Normale verkauft.
Letztlich folgt der Schriftsteller und Journalist dennoch meist ausgetretenen Pfaden. In 18 zusammenhanglosen Kapiteln erwähnt er viel Bekanntes; vom Schokoladenkugelrollen in der Baldwin Street in Dunedin über die steilste Straße der Welt bis zur Hundertwasser-Toilette in Kawakawa. Und sucht das Kuriose im Bekannten: Weil es in Neuseeland oft regnet und sich nasse Schafe schlechter scheren lassen, mieten sich die Profis bei den „Golden Shears” einen Hangar und trocknen die Schafe mit einem Flugzeugmotor-Föhn. Selbst das Bild des emotionslosen Naturburschen, der das eben überfahrene Opossum von der Straße kratzt, um es zu verspeisen, bleibt nicht aus.
Um das kulinarische Neuseeland zu würdigen, schreckt Remus auch vor traditionellen Gerichten nicht zurück. „So haben meine Ahnen früher Menschenfleisch zubereitet”, sagt der Maori Rawiri. Hangi heißt diese traditionelle Zubereitungsmethode in einem Erdofen mit heißen Steinen. Allerdings isst Remus lediglich ein auf diese Art gekochtes Hähnchen. Seine Leidenschaft fürs Essenspringt sogar auf die Landschaftsbeschreibung des Franz-Josef-Gletschers über: „Talwärts dann Flug über Alpenkaramell-Eiscreme mit geschichteten dunklen Streifen und Schokostückchen.” Man kommt auf den Geschmack, sowohl kulinarisch als auch landschaftlich. Allerdings wird man selten richtig satt. So besucht Remus die bekannteste Köchin und Kochbuchautorin des Landes, Annabel Langbein, doch zwei Seiten später verlässt er sie schon wieder, um vom nächsten Festival zu berichten.
Beharrlicher sind da Dörthe und Volker Heyse in ihrem „Neuseeland-Lesebuch”, dafür verlangen sie ihren Lesern aber auch mehr Muse und Interesse ab. Volker Heyse, der bisher vor allem pädagogische Trainingsbücher geschrieben hat, ist mit seiner Frau oft nach Neuseeland gereist. Ihr Buch verspricht, dass es alles enthält, was man über das Land wissen müsse. Es ist ein Ratgeber und ein Lexikon. So erklären die Autoren das Geheimnis der Tätowierungen der Ureinwohner und was der Unterrock in der spöttischen Bezeichnung „Petticoat Government” mit der Regierung zu tun hat, denn in Neuseeland besetzen die Frauen viele wichtige Positionen in Politik und Wirtschaft. Aspekte, die für Langzeiturlauber durchaus von Nutzen und Interesse sind. Aber vieles von dem, was die Heyses ausbreiten, geht weit über das hinaus, was Neuseeland-Besucher für ihre Reise benötigen. So wird das Schulsystem ebenso erläutert wie die Frage, ob das Land ein eigenes Militär braucht – das jedoch oft sehr anschaulich, mit Hilfe von Tabellen, Experteninterviews und Umfragen. Ein Lesebuch aber – da führt der Titel in die Irre – ist das Werk nicht.
SUSANNE WEISSMANN
DÖRTHE UND VOLKER HEYSE: Das Neuseeland-Lesebuch. Alles, was Sie über Neuseeland wissen müssen. Mana-Verlag, Berlin 2009. 320 Seiten, 22,80 Euro.
JOSCHA REMUS: Lesereise Neuseeland. Der Kuss der langen weißen Wolke. Picus Verlag, Wien 2009. 132 Seiten, 14,90 Euro.
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