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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Einfach schreiben, wovor sich die Leute gern fürchten: Nina Pauer richtet Klischees vom medialen Teufelszeug an
Nina Pauers neues Buch kündigt im Untertitel gleich seine Diagnose an: "Wie wir vor lauter Kommunizieren unser Leben verpassen". Damit ist alles vorweggenommen. Unser Kommunikationsverhalten macht uns neurotisch, einsam und krank. Es ist nicht das erste kritische Anliegen, das die Autorin im Ton desperater Dringlichkeit formuliert.
Nina Pauer ist Autorin bei der Wochenzeitung "Die Zeit" und bekleidet dort seit einiger Zeit den Posten einer durch Jahrgang ('82) und Herkunft (frisch von der Uni) authentifizierten Generationenversteherin. Sie ist in dieser Funktion zuständig für die Schieflagen ihrer Alterskohorte, die mit fünfjähriger Alterstoleranz auch jene der Rezensentin sein könnte - wenn sich nur nicht der Abstand so unüberbrückbar groß anfühlen würde. Doch niemand anderes als die Leserin ist mit dem Erzähl-"Wir" angesprochen. Oder um es mit Nina Pauers letztem Buch, "Wir haben keine Angst. Gruppentherapie einer Generation", zu sagen: "Vielleicht sollen wir uns ja wirklich mal zusammensetzen. Jetzt ernsthaft. Und zwar alle zusammen, zu einer großen Gruppentherapie. Um endlich einmal richtig schön alles zu thematisieren."
Natürlich ist es nicht ohne Reiz, die Neurosen deutscher Mittelschichtskinder mit ein bisschen Soziologenrüstzeug (Umfragen, Stimmungsbilder) in gesellschaftliche Massenpathologien zu übersetzen. Wenn Nina Pauer in ihrem Generationenbuch mit einer faktisch zu Unrecht verschreckten Generation ins Gericht geht - einer Generation, die angeblich irrationale Zukunftsängste kultiviere, an Entscheidungsstau und Optionsüberfluss leide -, dann liegt in dieser publizistischen Generalanklage durchaus etwas Gemeinschaftsstiftendes. Ähnlich argumentierte Nina Pauer kürzlich in einem Zeitungsartikel über neue Geschlechterrollen. "Der junge Mann von heute feiert nicht trunken vor Glück mit seiner neuen Liebsten - er steht abseits und fröstelt. Verkopft, gehemmt, unsicher, nervös und ängstlich ist er, melancholisch und ratlos. Er hat seine Rolle verloren." Rums! Von der Rolle also? Unter Pfarrerstöchtern: Kennen wir das nicht seit Menschengedenken - zähe Wartezeiten bis zum erlösenden ersten Kuss?
Nina Pauer tat damals in ihrem Artikel so, als sei der empfindsame junge Mann das Fatigue-Syndrom unserer Zeit, dabei lässt sich doch leicht nachweisen, dass er eine alte Kamelle ist. Wer einmal seine Nase in Goethes Werther gesteckt hat, wird zugeben müssen, dass erst die verhinderte Liebe die wahre Liebe ist und diese Vorstellung bis in Nina Pauers romantisches Beziehungsbild - zupackender Schöngeist knackt selbstbewusste Powerfrau - hineinragt. Ausgestorben ist die Menschheit dadurch eher nicht. Nina Pauer aber baut auf den Frust ihrer Leserinnen (und auf die Verunsicherung ihrer Leser). Sie macht sich ein Ressentiment zunutze, das naturgemäß auch Wahres birgt. Neuer Problemfall ist der junge Multitasker - ein Verwandter des verdrucksten Jünglings. Denn auch er scheitert an der ganz normalen Realität.
Eine junge Frau namens Anna ist so manisch mit ihrem iPhone beschäftigt, dass sie darüber ihre Mutter verprellt. Markus hat einen Burn-out. Seiner Freundin und dem kleinen Sohn hat er sich entfremdet. Pauer wird nicht müde, den digitalen Wahnsinn, den Kontakte-Overkill bei gleichzeitiger Freundschaftsarmut, zu schildern. Man will ja gern glauben, dass es so etwas gibt - Menschen, die ihren Kommunikationsprothesen hemmungslos verfallen. Doch fällt einem kaum jemand aus dem eigenen Umfeld ein, der auf lange Sicht derart ungefiltert und schutzlos draufloskommuniziert. In der Regel bringt jedes neue Medium zuerst dereguliertes Nutzerverhalten hervor. Erst allmählich stellen sich Umgangsformen ein.
"Wir werden senden und empfangen bis zum kognitiven Kollaps." Dieser Satz klingt engagiert, aber natürlich bleibt er seinen Nachweis schuldig und schlägt Funken aus einer vagen Technikskepsis. 1964 hat Umberto Eco einen Aufsatz zur Massenkultur geschrieben. In "Apokalyptiker und Integrierte" analysierte er präzise die Argumentationsweise der konservativen Kulturkritik. "Es scheint hier eine mühsam verhüllte enttäuschte Leidenschaft am Werk zu sein, eine verratene Liebe oder eine unterdrückte Sinnlichkeit, ähnlich der des Moralisten, der ein Bild der Obszönität anklagt und dabei dem Sog des Gegenstandes, dem er seine Verachtung bekundet, zu erliegen droht." Nina Pauer hat in diesem Sinne einen neuen Fetisch gefunden. Sie stellt dem falschen virtuellen Leben ein richtiges analoges entgegen - und erhöht damit das erstere.
"Das Gefühl, nicht mehr zu wissen, wo das eigene Zentrum liegt, ist neu", behauptet sie, was natürlich Mumpitz ist, wenn man sich in der Kulturgeschichte umschaut: vom Fragmentspleen der Romantik über die expressionistische Literatur bis hin zum postmodernen Pastiche. Es ist müßig, Argumente zu sammeln, um die Thesen dieses Buchs zu widerlegen oder zumindest zu differenzieren. Es wäre dagegen interessant, etwas über die wachsende Zahl der Internetspielsüchtigen zu lesen oder über die vielfältigen sozialen Wirkungen der Kommunikationsplattform Facebook, die etwa der Ethnologe Daniel Miller in seinem Buch "Das wilde Netzwerk" für die Gesellschaft von Trinidad beschrieben hat (F.A.Z. vom 19. März). Nina Pauer kann leider nur ein paar Klischees vom multimedialen Teufelszeug beisteuern. Das ist so wohlfeil wie wirkungslos, weil auf dem Boden solcher Kulturkritik vor allem eins gedeiht: die Angstlust.
KATHARINA TEUTSCH
Nina Pauer: "LG ;-)". Wie wir vor lauter Kommunizieren unser Leben verpassen.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012. 224 S., br., 14,99 [Euro].
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