»Liebesnähe« ist die Geschichte einer Frau und eines Mannes, die sich zufällig in einem einsam gelegenen Hotel treffen. Vom ersten Augenblick dieser Begegnung an erleben beide eine rasch wachsende Anziehung. Sie sind zu vorsichtig, miteinander zu sprechen und verlegen sich stattdessen auf ein virtuoses Spiel von Zeichen und Andeutungen. Im Hintergrund dieser Annäherung zieht die Besitzerin der Hotelbuchhandlung als geheime Mittlerin ihre eigenen Fäden: Sie »füttert« die beiden Liebenden mit Büchern, die - wie der Liebestrank in »Tristan und Isolde« - eine ganz eigene, magische Wirkung entfalten und aus dem Liebesspiel schließlich ein kaum noch durchschaubares Labyrinth aus Erlebtem, Geträumtem und Gelesenem machen. »Liebesnähe« ist nach den Romanen »Die große Liebe« (2003) und »Das Verlangen nach Liebe« (2007) der dritte Band einer Trilogie von in sich abgeschlossenen Romanen, in denen es um das Geheimnis der Liebesverständigung geht. »Liebesnähe« greift aber auch die Themen von stummer und sprachlicher Kommunikation in Ortheils letztem Roman »Die Erfindung des Lebens« auf: Erst langsam entdecken die Liebenden die jeweils eigene Sprache der Liebe mit all ihrem unverwechselbarem Vokabular.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Konzeptgefühl: Hanns-Josef Ortheils "Liebesnähe"
Die Liebe ist eine Himmelsmacht. Sie befeuert den Schriftsteller Hanns-Josef Ortheil zu immer neuen Experimenten am mysteriösen Objekt der Begierde. Je verzwickter die Lage, je undurchschaubarer die erotischen Verhältnisse, desto begieriger macht er sich auf zu immer neuen Expeditionen, um ein ozeanisches Gefühl zu enträtseln. Am spannendsten gelang ihm das mit seinem Bestseller "Die große Liebe" (2003), der die konfliktreiche Begegnung zwischen einer italienischen Meeresbiologin und einem deutschen Fernsehredakteur schildert. Bereits in etwas kitschige Schieflage geriet vier Jahre später der Roman "Das Verlangen nach Liebe" (2007), der Feldforschung auf dem Gebiet der romantischen Liebe betrieb.
Jetzt beschließt Ortheil seine Trilogie der Leidenschaft mit "Liebesnähe", einem Roman, der nochmals die Verzückung der Annäherung und die Inbrunst großer Emotionen feiert. Wieder schlägt die literarische Stunde der Passion. Aber ach, es ist ein Papiertiger, der einsam auf dem Pfad der Begierde durch unwegsames Dschungelgebiet schleicht. "Liebesnähe", ein ziselierter Roman über die Anziehung zwischen einer Frau und einem Mann, die sich zufällig in einem prächtigen Hotel in den Bergen treffen, ist Konzeptliteratur, ausgedacht und konstruiert. Eine mit verbalen Versatzstücken und Anspielungen aus Kunst, Literatur und Musik zusammengebaute Leidenschaft. Ortheil legt mit seinem Buch eine artifiziell flirrende Abhandlung über die diffizilen Momente einer Liaison vor, die einem Realitätstest kaum standhalten würde. Kein Wunder, dass der Funke nicht zünden will.
Worum geht es? Zwischen der Künstlerin Jule und Johannes, einem Schriftsteller mit Schreib- und Liebesblockade, entspinnen sich geheime Fäden. Ihre Zufallsbegegnung im Luxushotel entwickelt sich zu einer Art geschwisterlicher Wahlverwandtschaft. Die anspielungsreichen Gespräche im Hotel ufern in eine rätselvolle Beziehung aus, die sich aus dem Austausch von allerlei Zeichen und Botschaften ergibt und die am Ende doch noch in einer realen Liebesbegegnung gipfelt. Zuvor allerdings muss erst noch Klippe um Klippe gemeistert werden. Denn die Annäherung ist schwierig, Kommunikation beinahe unmöglich. Die Distanz überwinden die beiden mit altmodischen wie mit modernen Mitteln: Strategisch plazierte Zettelchen mit geheimnisvollen Botschaften gehören genauso zum Kommunikationskonzept wie E-Mails als erotisierende Weckrufe, verschlüsselte SMS, erquickende Handyanrufe oder komplizierte Installationen von Kameras in der Nähe von Pools und Hotelbetten. Außerdem mischt Jule Klänge von altjapanischen Trommeln, Bilder von gefilmten Buchdeckeln wie dem "Kopfkissenbuch" der Hofdame Sei Shonagon sowie zahlreiche Selbstaufnahmen, mit und ohne Hotelbademantel, auf und neben dem Bett, zu einem eigenen Video zusammen.
Damit nicht genug: Im Hintergrund zieht eine Art Liebeslehrerin und Aufsichtsdame die Fäden und gibt von Fall zu Fall die für die semiamourösen Begegnungen nötigen Regieanweisungen. Katharina ist die Witwe eines bekannten Galeriebesitzers, die jetzt als weise gewordene Hotelbuchhändlerin die sich anbahnenden zarten Bande unterstützt. Sie empfiehlt als Aphrodisiakum inspirierende Liebesbücher, zeigt sich als gute Zuhörerin, die den Weg weist und Konflikte entschärft, und entpuppt sich zu guter Letzt als Stiefmutter von Jule, die ihre wahre Identität vor dem langjährigen Freund Johannes lange verborgen hielt - der Kreis der Wahlverwandtschaft hat sich geschlossen.
Die Wirkung dieses literarischen Liebestranks auf den Leser bleibt verwirrend. Ist das nun geschriebener Sex? Ist es gelebte und aufgeschriebene Liebe, mit einem Stich ins Voyeuristische? Ist es das Tagebuch einer verqueren Beziehung? Oder ist es ganz einfach das Protokoll einer auf virtuellen Freuden gründenden Expedition ins Innere eines ebenso kapriziösen wie flüchtigen Gefühls? Hélas, was immer wir vor uns haben: "Liebesnähe" ist ein Zaubertrank ohne Wirkung. Vielleicht, weil dieser Roman mehr analysiert und reflektiert als erzählt. Auf jeden Fall aber ist es ein missglückter Versuch, ein quecksilbriges Gefühl literarisch wirkungsvoll zu bändigen.
PIA REINACHER
Hanns-Josef Ortheil: "Liebesnähe". Roman.
Luchterhand Literaturverlag, München 2011. 393 S., geb., 21,99 [Euro].
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