Hersch Lauterpacht, of whom this book is an intimate biography by his son, Elihu, was one of the most prolific and influential international lawyers of the first half of the twentieth century. Having come to England from Austria in the early 1920s, he first researched and taught at the London School of Economics before moving to Cambridge in 1937 to become Whewell Professor of International Law. He did valuable work to enhance relations with the United States during the Second World War and was active after the war in the prosecution of William Joyce and the major Nazi war criminals. For ten years he was also involved in various significant items of professional work and in 1955 he was elected a judge of the International Court of Justice. The book contains many extracts from his correspondence, the interest of which will extend to lawyers, historians of the period and beyond.
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Frankfurter Allgemeine ZeitungDamit Weltpolitik unter der Herrschaft des Rechts bleibt
Das Vermächtnis eines herausragenden Völkerrechtlers: Die großen Themen im Werk von Hersch Lauterpacht sind in unseren Zeiten der "humanitären Intervention" von ungebrochener Aktualität.
Ein sehr englischer Engländer müsse er sein, der Vertreter der Regierung Seiner Majestät in der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen, die sich im Sommer 1947 an die Ausarbeitung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte machte. Eric Beckett, Rechtsberater des Foreign Office, stellte sich einen Kandidaten vor, der "durch sein Leben und seine Erbanlagen" durchdrungen sei "von der wirklichen Bedeutung der Menschenrechte, so wie wir sie in diesem Land verstehen". Der in Cambridge lehrende Völkerrechtler Hersch Lauterpacht, der 1945 den Band "An International Bill of the Rights of Man" vorgelegt hatte und als führender Experte gelten konnte, kam für Beckett nicht in Betracht. Lauterpacht sei zwar ein herausragender Völkerrechtler, aber am Ende eben doch "ein Jude, der unlängst erst aus Wien gekommen" sei.
Dabei hatte Hersch Lauterpacht, seit 15 Jahren Untertan Seiner Majestät, in seinen 23 Jahren im Vereinigten Königreich nicht nur eine steile Karriere absolviert, sondern auch als Erster das britische Verfassungsrecht systematisch nach menschenrechtlichen Garantien durchforstet. Vehement kritisierte er das Projekt einer nur deklaratorischen Menschenrechtserklärung ohne rechtliche Bindungswirkung. Damit gehe man hinter die teilweise verbindlichen Vorschriften der UN-Charta zurück und versäume, zunächst gründlich über das Verhältnis des Einzelnen zum Staat nachzudenken. Denn um die Menschenrechte institutionell zu verankern und universal durchsetzbar zu machen, seien Veränderungen in Recht und Praxis der Staaten unabdingbar. Lauterpachts Werk sollte die Völkerrechtsentwicklungen des zwanzigsten Jahrhunderts nachhaltig prägen. Eine Mitwirkung an den grundlegenden Texten der internationalen Nachkriegsordnung aber versagten ihm, der seit den dreißiger Jahren immer wieder eng mit der britischen Regierung zusammengearbeitet hatte, die Ressentiments im Foreign Office.
Als Lauterpacht 1954 für das Richteramt am Internationalen Gerichtshof nominiert wurde, wurden noch einmal Stimmen laut, die meinten, der Gelehrte sei nicht "durch und durch britisch", in dieser Hinsicht qualifiziere ihn weder Herkunft noch Name und Ausbildung. Doch diesmal hatte das Außenministerium entschieden, den Platz auf der Richterbank im Haager Friedenspalast mit dem "bei weitem Herausragendsten" unter den britischen Völkerrechtlern zu besetzen, der auch international hohes Ansehen genoss.
Einen ganz unmittelbaren Blick auf öffentliches und privates Leben des 1960 verstorbenen Völkerrechtlers erlaubt nun die von seinem Sohn Elihu Lauterpacht vorgelegte, lang erwartete Biographie. Mit dem Werk des Vaters haben sich in Einzelstudien so eminente Juristen wie Arnold McNair, C.W. Jenkins, Gerald Fitzmaurice und Shabtai Rosenne beschäftigt; in jüngerer Zeit haben es Martti Koskenniemi und dessen Schülerin Reut Paz unternommen, die Völkerrechtslehre Lauterpachts auch von seiner biographischen Erfahrung her zu entschlüsseln. Eine Gesamtdarstellung aber fehlte bislang; für den zweiundachtzigjährigen Elihu Lauterpacht war sie offenkundig eine Sohnespflicht, auch wenn er bekennt, dass er sich der Aufgabe nur zögernd genähert habe - der allzu großen Nähe zum Gegenstand wegen.
Die Arbeit stützt sich vor allem auf ein umfangreiches Konvolut von Briefen, die zwischen Hersch, seiner Frau Rachel und dem Sohn Eli Lauterpacht über einen Zeitraum von fast dreißig Jahren gewechselt wurden. Es sind oft sehr persönliche Dokumente, der Leser wird ins enge Beziehungsgeflecht einer Kleinfamilie hineingenommen. Das ist nicht ohne Ambivalenzen, zumal Elihu Lauterpacht eine stärker objektivierende, psychologische Deutung nach eigenem Bekenntnis nicht leisten konnte. Ausgeglichen wird diese Schwäche des Buches durch die intime Werkkenntnis des Autors, die mit seiner engen Vertrautheit mit dem Protagonisten einhergeht. Elihu Lauterpacht, der sich in den Fußstapfen seines Vaters selbst einen Namen in Wissenschaft und Praxis des Völkerrechts, gemacht hat, hat von 1970 bis 2004 in fünf Bänden dessen gesammelte Schriften herausgegeben.
Die großen Themen im Werk Lauterpachts sind von ungebrochener Aktualität: die Stellung des Individuums im Völkerrecht, der Schutz der Menschenrechte, die Relativität nationalstaatlicher Souveränität, das internationale Strafrecht. Seine Produktivität als Autor sieben gewichtiger Monographien und etlicher Aufsätze und Rezensionen, als Herausgeber des von Lassa Oppenheim begründeten Völkerrechtslehrbuchs, des British Yearbook of International Law und der International Law Reports, als Richter und Rechtsberater bleibt anregend auch für künftige Entwicklungen des Völkerrechts.
Geboren 1897 in Galizien, beginnt Hersch Lauterpacht seine juristischen Studien an der Universität von Lemberg, dem polnischen Lwów, heute Lwiw in der Ukraine. 1918 geht der leidenschaftliche Zionist nach Wien - der Numerus clausus der polnischen Universitätsbehörden zwingt ihn dazu. Seine Studien der Rechts- und Politikwissenschaften - unter anderem bei Hans Kelsen - schließt er jeweils mit der Promotion ab. Er engagiert sich im Jüdischen Hochschulausschuss und wird 1922 zum Vorsitzenden der World Union of Jewish Students gewählt.
In den Weihnachtsferien 1922, die er eigentlich in der Staatsbibliothek verbringen will, verlobt sich Hersch Lauterpacht in Berlin mit der palästinensischen Jüdin Rachel Steinberg, einer schönen, selbstbewussten und unabhängigen Frau, die ihr Klavierstudium in Wien abbricht und künftig den Alltag des Gelehrten organisieren wird. Im Privaten ist der menschlich so gewinnende Lauterpacht nicht weniger resolut als in seiner Arbeitsdisziplin: Weder die Braut noch deren Eltern wurden um ihre Zustimmung gefragt, stattdessen telegraphierte Hersch der ganzen Familie gleich das Faktum der Verlobung.
Der selbstbewusste Lauterpacht, mit unterlegenen Geistern schnell ungeduldig und in rechtsberatenden Funktionen nie ein wirklicher Teamplayer, hatte eine durchaus autoritäre Seite. Es sei doch paradox, vermerkt der von Kindheit an zum Völkerrechtsgelehrten bestimmte Elihu Lauterpacht mit leiser Ironie, dass sein stets um die Selbstbestimmung des Individuums besorgter Vater sich über die Autonomie des Sohnes so wenig Gedanken gemacht habe. Für Hersch Lauterpacht, der seine eigenen Eltern nach dem Abschied von Lemberg nur noch wenige Male sah, wurde die Kleinfamilie mit Frau und Sohn zum engsten Bezugspunkt. Als die drei während des Krieges für längere Zeit getrennt sind, entfaltet sich ein reger Briefwechsel. Hersch gibt Rachel detaillierte Anweisungen zur Haushaltsführung, ermahnt Eli zu diszipliniertem Studium.
Bereits seit 1938 hat Lauterpacht den prestigeträchtigen Whewell Chair of International Law in Cambridge inne, auf dem er seinem Mentor Arnold McNair nachfolgte. Seit seiner Ankunft in London hatte McNair Lauterpacht nachdrücklich gefördert. An der London School of Economics wurde er zunächst Lecturer, von 1935 an Reader. Die Wahl auf den Lehrstuhl in Cambridge markierte auch für Lauterpacht selbst den neben der Wahl auf die Richterbank des IGH bedeutsamsten Moment seiner Karriere. Das innige Gratulationsschreiben seiner Mutter Deborah gehört zu den bewegenden Dokumenten des Buches. Ihr Sohn wird sie nicht wiedersehen.
Mit Ausnahme einer Nichte fällt die gesamte in Lemberg zurückgebliebene Familie dem Holocaust zum Opfer. Lauterpacht macht sich nach dem Vorrücken der Deutschen über das Schicksal seiner Angehörigen keine Illusionen. "Du weisst alles über Lwów", schreibt er im Juli 1941 an Rachel. "Ich gebe meinen Gefühlen nicht gern Ausdruck, aber die Sache verfolgt mich beständig wie ein Alptraum." Es ist ein Albtraum, der ihm nachts den Schlaf raubt, über den er aber schweigt. Nur zwei Mal wird die Familie in Lwów in den Briefen kurz erwähnt. Am Schreibtisch ist er derweil mit Fragen der künftigen Verfolgung der deutschen Kriegsverbrechen und des internationalen Menschenrechtsschutzes befasst. Als Berater trägt er im ersten Nürnberger Prozess zur Eröffnungs- und Schlussansprache des britischen Hauptanklägers Hartley Shawcross bei. "Es war eine unvergessliche Erfahrung, zum ersten Mal in der Geschichte einen souveränen Staat auf der Anklagebank zu sehen", schreibt er an seine Frau Rachel.
Die Unterwerfung der Gesamtheit der internationalen Beziehungen unter die Herrschaft des Rechts ist für Hersch Lauterpacht zentraler Aspekt jener "Grotian Tradition in International Law", die er 1946 in einem Aufsatz beschreibt. Der Text, den er für seinen besten hielt, ist ein Bekenntnis zum Naturrecht als Völkerrechtsquelle, zur sozialen Natur des Menschen, aber auch zu Menschenrechten und Grundfreiheiten des Einzelnen. Seinen Kritikern aus dem Lager des außenpolitischen Realismus setzt Lauterpacht hier einen Idealismus entgegen, der aus dem Werk von Hugo Grotius schöpft. Dieser habe das Völkerrecht nicht nur zum Teil einer umfassenden Rechtsordnung gemacht, sondern es auch als universalen moralischen Code verstanden - und ihm so auf neue Weise Würde und Autorität verliehen.
ALEXANDRA KEMMERER
Elihu Lauterpacht: "The Life of Hersch Lauterpacht".
Cambridge University Press, Cambridge 2010. 506 S., 26 Abb., geb., 85,- £.
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Das Vermächtnis eines herausragenden Völkerrechtlers: Die großen Themen im Werk von Hersch Lauterpacht sind in unseren Zeiten der "humanitären Intervention" von ungebrochener Aktualität.
Ein sehr englischer Engländer müsse er sein, der Vertreter der Regierung Seiner Majestät in der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen, die sich im Sommer 1947 an die Ausarbeitung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte machte. Eric Beckett, Rechtsberater des Foreign Office, stellte sich einen Kandidaten vor, der "durch sein Leben und seine Erbanlagen" durchdrungen sei "von der wirklichen Bedeutung der Menschenrechte, so wie wir sie in diesem Land verstehen". Der in Cambridge lehrende Völkerrechtler Hersch Lauterpacht, der 1945 den Band "An International Bill of the Rights of Man" vorgelegt hatte und als führender Experte gelten konnte, kam für Beckett nicht in Betracht. Lauterpacht sei zwar ein herausragender Völkerrechtler, aber am Ende eben doch "ein Jude, der unlängst erst aus Wien gekommen" sei.
Dabei hatte Hersch Lauterpacht, seit 15 Jahren Untertan Seiner Majestät, in seinen 23 Jahren im Vereinigten Königreich nicht nur eine steile Karriere absolviert, sondern auch als Erster das britische Verfassungsrecht systematisch nach menschenrechtlichen Garantien durchforstet. Vehement kritisierte er das Projekt einer nur deklaratorischen Menschenrechtserklärung ohne rechtliche Bindungswirkung. Damit gehe man hinter die teilweise verbindlichen Vorschriften der UN-Charta zurück und versäume, zunächst gründlich über das Verhältnis des Einzelnen zum Staat nachzudenken. Denn um die Menschenrechte institutionell zu verankern und universal durchsetzbar zu machen, seien Veränderungen in Recht und Praxis der Staaten unabdingbar. Lauterpachts Werk sollte die Völkerrechtsentwicklungen des zwanzigsten Jahrhunderts nachhaltig prägen. Eine Mitwirkung an den grundlegenden Texten der internationalen Nachkriegsordnung aber versagten ihm, der seit den dreißiger Jahren immer wieder eng mit der britischen Regierung zusammengearbeitet hatte, die Ressentiments im Foreign Office.
Als Lauterpacht 1954 für das Richteramt am Internationalen Gerichtshof nominiert wurde, wurden noch einmal Stimmen laut, die meinten, der Gelehrte sei nicht "durch und durch britisch", in dieser Hinsicht qualifiziere ihn weder Herkunft noch Name und Ausbildung. Doch diesmal hatte das Außenministerium entschieden, den Platz auf der Richterbank im Haager Friedenspalast mit dem "bei weitem Herausragendsten" unter den britischen Völkerrechtlern zu besetzen, der auch international hohes Ansehen genoss.
Einen ganz unmittelbaren Blick auf öffentliches und privates Leben des 1960 verstorbenen Völkerrechtlers erlaubt nun die von seinem Sohn Elihu Lauterpacht vorgelegte, lang erwartete Biographie. Mit dem Werk des Vaters haben sich in Einzelstudien so eminente Juristen wie Arnold McNair, C.W. Jenkins, Gerald Fitzmaurice und Shabtai Rosenne beschäftigt; in jüngerer Zeit haben es Martti Koskenniemi und dessen Schülerin Reut Paz unternommen, die Völkerrechtslehre Lauterpachts auch von seiner biographischen Erfahrung her zu entschlüsseln. Eine Gesamtdarstellung aber fehlte bislang; für den zweiundachtzigjährigen Elihu Lauterpacht war sie offenkundig eine Sohnespflicht, auch wenn er bekennt, dass er sich der Aufgabe nur zögernd genähert habe - der allzu großen Nähe zum Gegenstand wegen.
Die Arbeit stützt sich vor allem auf ein umfangreiches Konvolut von Briefen, die zwischen Hersch, seiner Frau Rachel und dem Sohn Eli Lauterpacht über einen Zeitraum von fast dreißig Jahren gewechselt wurden. Es sind oft sehr persönliche Dokumente, der Leser wird ins enge Beziehungsgeflecht einer Kleinfamilie hineingenommen. Das ist nicht ohne Ambivalenzen, zumal Elihu Lauterpacht eine stärker objektivierende, psychologische Deutung nach eigenem Bekenntnis nicht leisten konnte. Ausgeglichen wird diese Schwäche des Buches durch die intime Werkkenntnis des Autors, die mit seiner engen Vertrautheit mit dem Protagonisten einhergeht. Elihu Lauterpacht, der sich in den Fußstapfen seines Vaters selbst einen Namen in Wissenschaft und Praxis des Völkerrechts, gemacht hat, hat von 1970 bis 2004 in fünf Bänden dessen gesammelte Schriften herausgegeben.
Die großen Themen im Werk Lauterpachts sind von ungebrochener Aktualität: die Stellung des Individuums im Völkerrecht, der Schutz der Menschenrechte, die Relativität nationalstaatlicher Souveränität, das internationale Strafrecht. Seine Produktivität als Autor sieben gewichtiger Monographien und etlicher Aufsätze und Rezensionen, als Herausgeber des von Lassa Oppenheim begründeten Völkerrechtslehrbuchs, des British Yearbook of International Law und der International Law Reports, als Richter und Rechtsberater bleibt anregend auch für künftige Entwicklungen des Völkerrechts.
Geboren 1897 in Galizien, beginnt Hersch Lauterpacht seine juristischen Studien an der Universität von Lemberg, dem polnischen Lwów, heute Lwiw in der Ukraine. 1918 geht der leidenschaftliche Zionist nach Wien - der Numerus clausus der polnischen Universitätsbehörden zwingt ihn dazu. Seine Studien der Rechts- und Politikwissenschaften - unter anderem bei Hans Kelsen - schließt er jeweils mit der Promotion ab. Er engagiert sich im Jüdischen Hochschulausschuss und wird 1922 zum Vorsitzenden der World Union of Jewish Students gewählt.
In den Weihnachtsferien 1922, die er eigentlich in der Staatsbibliothek verbringen will, verlobt sich Hersch Lauterpacht in Berlin mit der palästinensischen Jüdin Rachel Steinberg, einer schönen, selbstbewussten und unabhängigen Frau, die ihr Klavierstudium in Wien abbricht und künftig den Alltag des Gelehrten organisieren wird. Im Privaten ist der menschlich so gewinnende Lauterpacht nicht weniger resolut als in seiner Arbeitsdisziplin: Weder die Braut noch deren Eltern wurden um ihre Zustimmung gefragt, stattdessen telegraphierte Hersch der ganzen Familie gleich das Faktum der Verlobung.
Der selbstbewusste Lauterpacht, mit unterlegenen Geistern schnell ungeduldig und in rechtsberatenden Funktionen nie ein wirklicher Teamplayer, hatte eine durchaus autoritäre Seite. Es sei doch paradox, vermerkt der von Kindheit an zum Völkerrechtsgelehrten bestimmte Elihu Lauterpacht mit leiser Ironie, dass sein stets um die Selbstbestimmung des Individuums besorgter Vater sich über die Autonomie des Sohnes so wenig Gedanken gemacht habe. Für Hersch Lauterpacht, der seine eigenen Eltern nach dem Abschied von Lemberg nur noch wenige Male sah, wurde die Kleinfamilie mit Frau und Sohn zum engsten Bezugspunkt. Als die drei während des Krieges für längere Zeit getrennt sind, entfaltet sich ein reger Briefwechsel. Hersch gibt Rachel detaillierte Anweisungen zur Haushaltsführung, ermahnt Eli zu diszipliniertem Studium.
Bereits seit 1938 hat Lauterpacht den prestigeträchtigen Whewell Chair of International Law in Cambridge inne, auf dem er seinem Mentor Arnold McNair nachfolgte. Seit seiner Ankunft in London hatte McNair Lauterpacht nachdrücklich gefördert. An der London School of Economics wurde er zunächst Lecturer, von 1935 an Reader. Die Wahl auf den Lehrstuhl in Cambridge markierte auch für Lauterpacht selbst den neben der Wahl auf die Richterbank des IGH bedeutsamsten Moment seiner Karriere. Das innige Gratulationsschreiben seiner Mutter Deborah gehört zu den bewegenden Dokumenten des Buches. Ihr Sohn wird sie nicht wiedersehen.
Mit Ausnahme einer Nichte fällt die gesamte in Lemberg zurückgebliebene Familie dem Holocaust zum Opfer. Lauterpacht macht sich nach dem Vorrücken der Deutschen über das Schicksal seiner Angehörigen keine Illusionen. "Du weisst alles über Lwów", schreibt er im Juli 1941 an Rachel. "Ich gebe meinen Gefühlen nicht gern Ausdruck, aber die Sache verfolgt mich beständig wie ein Alptraum." Es ist ein Albtraum, der ihm nachts den Schlaf raubt, über den er aber schweigt. Nur zwei Mal wird die Familie in Lwów in den Briefen kurz erwähnt. Am Schreibtisch ist er derweil mit Fragen der künftigen Verfolgung der deutschen Kriegsverbrechen und des internationalen Menschenrechtsschutzes befasst. Als Berater trägt er im ersten Nürnberger Prozess zur Eröffnungs- und Schlussansprache des britischen Hauptanklägers Hartley Shawcross bei. "Es war eine unvergessliche Erfahrung, zum ersten Mal in der Geschichte einen souveränen Staat auf der Anklagebank zu sehen", schreibt er an seine Frau Rachel.
Die Unterwerfung der Gesamtheit der internationalen Beziehungen unter die Herrschaft des Rechts ist für Hersch Lauterpacht zentraler Aspekt jener "Grotian Tradition in International Law", die er 1946 in einem Aufsatz beschreibt. Der Text, den er für seinen besten hielt, ist ein Bekenntnis zum Naturrecht als Völkerrechtsquelle, zur sozialen Natur des Menschen, aber auch zu Menschenrechten und Grundfreiheiten des Einzelnen. Seinen Kritikern aus dem Lager des außenpolitischen Realismus setzt Lauterpacht hier einen Idealismus entgegen, der aus dem Werk von Hugo Grotius schöpft. Dieser habe das Völkerrecht nicht nur zum Teil einer umfassenden Rechtsordnung gemacht, sondern es auch als universalen moralischen Code verstanden - und ihm so auf neue Weise Würde und Autorität verliehen.
ALEXANDRA KEMMERER
Elihu Lauterpacht: "The Life of Hersch Lauterpacht".
Cambridge University Press, Cambridge 2010. 506 S., 26 Abb., geb., 85,- £.
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Review of the hardback: 'Hersch Lauterpacht was widely and rightly regarded as the greatest international legal scholar of the twentieth century. His brilliant if too brief tenure as a judge of the International Court of Justice matched his scholarly attainments. His son Elihu has now written a superb biography of his father that will attract the admiration of the international legal fraternity of the twenty-first century.' Stephen M. Schwebel, Former President of the International Court of Justice (1981-2000)