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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Marc Augé träumt von einer Zukunft auf zwei Rädern
Wer jetzt die Zeit nutzt, wenn die Nation vor dem Fußball sitzt, kann auf leeren Straßen einen Vorgeschmack darauf bekommen, wie das Zeitalter des Fahrrads aussehen könnte. Ein solches beschwört der französische Anthropologe Marc Augé in einem zwischen Pathos und Ironie changierenden Büchlein, das vor acht Jahren im Original erschien. Damals lag der letzte Tour-Sieg eines Franzosen auch schon 23 Jahre zurück, was Augé keineswegs überrascht: Die Tour de France sei durch die Perfektion der Fernsehbilder "ein Sport ohne Ort" geworden, der seine "Daseinsberechtigung" eingebüßt habe: "Weil in Frankreich der Mythos zugrunde geht, gewinnen die Franzosen keine Rennen mehr."
Den Profisport hinter sich lassend, wendet sich Augé der Wiederentdeckung des Fahrrads als einem "Bestandteil des sozialen Lebens im dritten Lebensabschnitt" zu - als einem Provinzphänomen. Denn für einen echten Zentralisten gibt es nur einen möglichen Aufenthaltsort: Paris. Und dort, bemerkt der Autor wohlwollend, sei die Handynutzung auf dem Rad noch immer und zum Glück die Ausnahme. Das "Phantom", die Ablenkung des ehemaligen Flaneurs durch ein Gerät, das Telefon, Fernseher und Computer in einem ist, hat wenigstens noch einen Gegner. Und damit Potential zur Utopie, weil das Rad den Stadtraum zurückerobern will und die Zentrierung auf sich selbst unterstützt, auch wenn die Nutzer des Pariser Leihradsystems Vélib' nur schnöde Touristen sind. Das Rad schärfe durch den Rückgriff auf kindliche Erinnerungen das Bewusstsein für Raum und Zeit und komme dem Zustand der "Flüssigkeit" am nächsten. Radler aller Länder, vereinigt euch!
hhm.
Marc Augé: "Lob des Fahrrads". Mit Zeichnungen von Philip Waechter. Aus dem Französischen von Michael Bischoff. Verlag C. H. Beck, München 2016. 104 S., Abb., geb., 9,99 [Euro].
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Claudia Mäder, Neue Züricher Zeitung, 28. Februar 2016
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