"Dem deutschen Volke" lautet die Inschrift über dem Portal des Reichstagsgebäudes in Berlin. Doch die Bevölkerung ist in unserer heutigen Form der Demokratie ein Akteur ohne besonders großen Einfluss. Abgeordnete, die die Interessen der Menschen vertreten? Pustekuchen! Lobbykontakte und elitäre Netzwerke sind entscheidend. Monopoly ist ein extrem gerechtes Spiel dagegen. – Wir müssen die Spielregeln unserer Demokratie ändern! Wir brauchen mehr Basis, mehr außerparlamentarische Bewegungen, brauchen Volksvertreter, die nicht ihrem korrumpierten Gewissen verpflichtet sind. Dann haben wir auch die Möglichkeit, die Corona-Krise als Chance zu nutzen und die Millionen Menschen von Fridays for Future, die für eine bessere Politik demonstrieren, nicht der Klimaschutzlobby zum Fraß vorzuwerfen.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Robert Probst empfiehlt das Buch des Parlamentariers Marco Bülow für bessere Sicht in Sachen Lobbyismus und Entfremdung zwischen Politik und Wählern. Das Buch hat laut Probst zwei große Vorteile: Erstens, Bülow kann die Insiderperspektive, daher sind seine Problemanalysen zur Demokratiekrise für Probst glaubwürdig. Zweitens: Der Autor kann als Publizist auch wissenschaftlich fundiert, pointiert und lesbar schreiben. Theorie und Praxis werden also für Probst auf verständliche Weise vereint, wenn Bülow die Post-Demokratie unter der Berliner Glocke analysiert und mit eigenen Erlebnissen garniert, etwa aus seiner Zeit in der SPD-Fraktion.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.09.2021House
of Milchglas
Der Abgeordnete Marco Bülow
wettert gegen Politlobbyismus
Dem nächsten Bundestag werden vermutlich mehr als 900 Abgeordnete angehören, Überhang- und Ausgleichsmandate sowie eine Nicht-Reform des Wahlrechts machen es möglich. Ganz abgesehen davon, dass für so viele Parlamentarier gar nicht genug Büros in Berlin vorhanden sind, darf man den Neulingen (und wohl auch sehr vielen Altgedienten, Masken-Dealern und Amthoristen) dann „Lobbyland“ von Marco Bülow zur Lektüre empfehlen. Es ist ein Buch, das einen von der Theorie der Politikwissenschaft in die Berliner Realität wirft, weil es die Mechanismen offenlegt, wie wirklich regiert wird. Aber es ist vor allem auch einmal ein ziemlich ehrliches, wohl plagiatfreies Politikerbuch – Marco Bülow ist nämlich ein Insider, ein Bundestagsabgeordneter, der „Klartext“ schreibt.
Bülow ist seit 2002 Parlamentarier, zunächst für die NRW-SPD; 2018 trat er aus und engagiert sich seitdem für Die PARTEI von Martin Sonneborn. Es geht ihm beim Schreiben nicht ums satirische Madigmachen oder Fundamentalkritik, sondern darum, ein Problembewusstsein zu schaffen für die vielfältigen Krisen der Demokratie. Damit ist er nicht der Erste, aber er kann als Abgeordneter sehr viel glaubwürdiger die Problemanalysen der Wissenschaft mit dem Betrieb unter der „Berliner Glocke“ verbinden als viele andere. Dass er als Publizist pointiert und flüssig schreiben kann, ist auch kein Nachteil.
Es geht ihm nicht nur um das Lobbyieren der Industrie und Wirtschaft bei den Abgeordneten (wie der Buchtitel suggeriert), sondern um die „Entfremdung“ der Wähler von den Gewählten insgesamt, einer Kombination aus Profitlobbyismus, Fraktionszwang und Konzentration auf Parteien, die das Parlament entwertet. Alles gut unterfüttert mit Post-Demokratie-Modellen und wissenschaftlicher Literatur. Viele Probleme basieren, so Bülow, auf Spielregeln, die sich das Parlament selbst gegeben hat – die man also ändern könnte (wenn denn eine Mehrheit wollte, was sehr unwahrscheinlich ist, weil man ja vor allem auf die Wiederwahl und die Karriere spekuliert). Besonders erhellend sind in dem Zusammenhang Anekdoten und Erlebnisse in seiner Zeit in der SPD-Fraktion, wo Widerworte nicht gern gehört werden („Die SPD ist der Meister des Kompromisses vom Kompromiss vom Kompromiss geworden“). Wer also wissen will, warum man für Transparenz im Bundestag mehr braucht als ein windelweiches Lobbyregister, dürfte hier fündig werden.
Marco Bülow tritt übrigens als Direktkandidat in Dortmund erneut an, er glaubt offenbar noch an die Selbstheilungskräfte der Politik. Ohne Witz.
ROBERT PROBST
Marco Bülow:
Lobbyland.
Wie die Wirtschaft
unsere Demokratie kauft. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2021.
208 Seiten, 15 Euro.
E-Book: 9,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Der Abgeordnete Marco Bülow
wettert gegen Politlobbyismus
Dem nächsten Bundestag werden vermutlich mehr als 900 Abgeordnete angehören, Überhang- und Ausgleichsmandate sowie eine Nicht-Reform des Wahlrechts machen es möglich. Ganz abgesehen davon, dass für so viele Parlamentarier gar nicht genug Büros in Berlin vorhanden sind, darf man den Neulingen (und wohl auch sehr vielen Altgedienten, Masken-Dealern und Amthoristen) dann „Lobbyland“ von Marco Bülow zur Lektüre empfehlen. Es ist ein Buch, das einen von der Theorie der Politikwissenschaft in die Berliner Realität wirft, weil es die Mechanismen offenlegt, wie wirklich regiert wird. Aber es ist vor allem auch einmal ein ziemlich ehrliches, wohl plagiatfreies Politikerbuch – Marco Bülow ist nämlich ein Insider, ein Bundestagsabgeordneter, der „Klartext“ schreibt.
Bülow ist seit 2002 Parlamentarier, zunächst für die NRW-SPD; 2018 trat er aus und engagiert sich seitdem für Die PARTEI von Martin Sonneborn. Es geht ihm beim Schreiben nicht ums satirische Madigmachen oder Fundamentalkritik, sondern darum, ein Problembewusstsein zu schaffen für die vielfältigen Krisen der Demokratie. Damit ist er nicht der Erste, aber er kann als Abgeordneter sehr viel glaubwürdiger die Problemanalysen der Wissenschaft mit dem Betrieb unter der „Berliner Glocke“ verbinden als viele andere. Dass er als Publizist pointiert und flüssig schreiben kann, ist auch kein Nachteil.
Es geht ihm nicht nur um das Lobbyieren der Industrie und Wirtschaft bei den Abgeordneten (wie der Buchtitel suggeriert), sondern um die „Entfremdung“ der Wähler von den Gewählten insgesamt, einer Kombination aus Profitlobbyismus, Fraktionszwang und Konzentration auf Parteien, die das Parlament entwertet. Alles gut unterfüttert mit Post-Demokratie-Modellen und wissenschaftlicher Literatur. Viele Probleme basieren, so Bülow, auf Spielregeln, die sich das Parlament selbst gegeben hat – die man also ändern könnte (wenn denn eine Mehrheit wollte, was sehr unwahrscheinlich ist, weil man ja vor allem auf die Wiederwahl und die Karriere spekuliert). Besonders erhellend sind in dem Zusammenhang Anekdoten und Erlebnisse in seiner Zeit in der SPD-Fraktion, wo Widerworte nicht gern gehört werden („Die SPD ist der Meister des Kompromisses vom Kompromiss vom Kompromiss geworden“). Wer also wissen will, warum man für Transparenz im Bundestag mehr braucht als ein windelweiches Lobbyregister, dürfte hier fündig werden.
Marco Bülow tritt übrigens als Direktkandidat in Dortmund erneut an, er glaubt offenbar noch an die Selbstheilungskräfte der Politik. Ohne Witz.
ROBERT PROBST
Marco Bülow:
Lobbyland.
Wie die Wirtschaft
unsere Demokratie kauft. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2021.
208 Seiten, 15 Euro.
E-Book: 9,99 Euro.
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