Mark Twain hat die deutsche Sprache "awful" genannt; Roland Kaehlbrandt zeigt uns, wie reizvoll sie sein kann. Er hat den Gebrauch der deutschen Sprache über viele Jahre beobachtet. Sein Logbuch skizziert -- immer kurzweilig, manchmal sarkastisch -- die Sprachpraxis in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Kaehlbrandt zeigt, wie wir unsere Sprache beschädigen, wenn wir sie für moralische Zwecke instrumentalisieren oder durch den Gebrauch von Imponierwörtern aushöhlen. Wer das Logbuch gelesen hat, wird eine Reihe von Fehlern nicht mehr machen wollen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2015Rettet das Deutsche vor seiner Selbstdemontage
Pflegebedürftiges Kulturprodukt: Roland Kaehlbrandt nimmt die Hochsprache vor ihren Verächtern in Schutz.
Von Wolfgang Krischke
Roland Kaehlbrandt ist ein Liebhaber der deutschen Sprache, und er scheut sich nicht, ihre Reize herauszustellen: ihre Differenziertheit und Geschmeidigkeit, zu der auch die gern bespöttelten Bandwurmwörter und Schachtelsätze beitragen. Das Lob auf Grammatik und Wortschatz soll dem Leser vor Augen führen, dass es sich lohnt, sich für die eigene Sprache zu engagieren - und sich um sie zu sorgen. Denn dazu sieht der Autor, der mit seinem Buch einen umfassenden Lagebericht zur deutschen Sprache vorlegen will, allen Grund.
Wer die Sprachdebatten, die in den vergangenen Jahren geführt wurden, verfolgt hat, wird allerdings wenig neue Fakten und Erkenntnisse in diesem Buch finden. Doch diesen Anspruch hat Kaehlbrandt, der seine Quellen gewissenhaft angibt, auch nicht. Ihm geht es darum, vorhandene Befunde zu einem Gesamtbild zu fügen. Dabei schlägt er bei allem Engagement einen dankenswert ruhigen Ton an. Er vermeidet Sprachverfallslitaneien, aber auch den tiefenentspannten Sprach-Hegelianismus vieler Linguisten, für die immer alles gut ist, wie es gerade ist, weil es ja sonst nicht so wäre. Gefahren für die Funktionstüchtigkeit und den Ausdrucksreichtum der Sprache sieht Kaehlbrandt auf mehreren Gebieten: An vorderer Stelle steht die beflissene Selbstanglisierung des Wissenschafts- und Hochschulbetriebs. Sie errichtet gegenüber der sie mit Steuern finanzierenden Bevölkerung neben der bestehenden fachlichsprachlichen noch eine fremdsprachliche Barriere. Und sie bringt mit der Stilllegung vieler deutscher Wissenschaftssprachen eine Quelle zum Versiegen, aus der sich der allgemeinsprachliche Wortschatz immer gespeist hat. Befördert wird diese Selbstdemontage des Deutschen durch eine auswärtige Sprachpolitik, die ihren Namen kaum verdient und - vor allem bei den deutschen Vertretern in der Europäischen Union - durch mangelnde Sprachloyalität und eine eilfertige Anerkennung anglo- und frankophoner Dominanzansprüche bestimmt ist.
Eine ähnliche Gleichgültigkeit gegenüber der eigenen Sprache zeigt sich jenseits der Politik im allgemeinen Sprachgebrauch, dessen Anglizismen oft genug nur Ausdruck von Imponiergehabe, Anbiederung an die angloamerikanische "Leitkultur" und dem Unwillen ist, die eigenen sprachlichen Ressourcen kreativ zu nutzen. Diesem Teil von Kaehlbrandts Diagnose kann man zustimmen. Für die Abschnitte, die sich der inneren Verfassung des Deutschen zuwenden, gilt das nicht uneingeschränkt. Hier sieht der Autor mehrere Faktoren am Werk, die die Hoch- und Bildungssprache zu unterhöhlen drohen. Dabei hat er mit einer Feststellung zweifellos recht: In den audiovisuellen Medien hat der zwanghafte Wunsch, "locker rüberzukommen", das Ideal einer gepflegten Bildungssprache weitgehend verdrängt, ganz zu schweigen vom Pöbelstil der Realityshows.
Hierin und in der generellen Skepsis vieler Lehrer und Linguisten gegenüber hochsprachlichen Normierungen sieht Kaehlbrandt wichtige Gründe dafür, dass ihre Beherrschung im öffentlichen Bewusstsein an Wert und Bedeutung verloren hat. Die praktischen Folgen liegen für ihn auf der Hand: Bei Schülern und Studenten schwinden Rechtschreibkenntnisse und die Fähigkeit, sich differenziert mit Hilfe komplexer Satzstrukturen, eines nuancierten Wortschatzes und anspruchsvoller Textmuster auszudrücken.
Nun kann Kaehlbrandt für die Orthographie zwar auf Studien verweisen, die sein Urteil stützen. Für die anderen Sprachbereiche aber begnügt er sich mit einzelnen Fallbeispielen und Erlebnisberichten von Lehrern und Dozenten, die das düstere Bild bestätigen. Wer sich aber an den Hochschulen umsieht, kann auch das Gegenteil erleben: Lebendige, zugleich präzise formulierte Referate und stilistisch anspruchsvoll geschriebene Hausarbeiten sind, wenn auch nicht der Regelfall, so doch auch keine Seltenheit. Das legt ein differenzierteres Urteil nahe, als Kaehlbrandt es fällt: Es scheint, dass bildungssprachliche Fähigkeiten nicht generell abnehmen, sich aber in den Klassen und Seminaren immer größere Niveau-Unterschiede auftun.
Eine andere Gefahr, die das Spachsystem direkter betrifft, sieht der Autor in den Sprachmischungen, die durch die Einflüsse der Migrantensprachen entstehen. Sie sollen zur Abschleifung grammatischer Feinheiten und Kreolisierung des Deutschen führen. Hier beruft sich Kaehlbrandt auf ein Buch des Linguisten Uwe Hinrichs, das er einer kritischeren Lektüre hätte unterziehen sollen: Hinrichs zentrale These, dass die Kreolisierung bereits die deutsche Standardsprache in großem Umfang erfasst habe, beruht nämlich eher auf Impressionen als auf systematisch erhobenen Daten. Hinzu kommt, dass etliche Phänomene, die Hinrichs - und in seinem Fahrwasser Kaehlbrandt - dem Einfluss aktueller Sprachmischungen zuschreibt, tatsächlich Ausdruck eines langfristigen Sprachwandels sind, dem das Deutsche seit Jahrhunderten unterliegt (F.A.Z. vom 25. November 2013).
Einen wichtigen Bezugspunkt der Darstellung bildet der Vergleich der französischen mit der deutschen sprachpolitischen Geschichte: Während Frankreich mit der Académie française früh auf eine zentrale normgebende Instanz setzte, war die Standardisierung des Deutschen in stärkerem Maße ein sich selbst organisierender Prozess, der durch einzelne Sprachpfleger entscheidend vorangetrieben wurde. Der Verfasser irrt jedoch, wenn er ausgerechnet die Brüder Grimm zu diesen Normgebern zählt. Gerade sie standen aus ihrem romantischen Sprachverständnis heraus Regelwerken sehr distanziert gegenüber, und ihr Wörterbuch hatte - aufgrund des Umfangs und der sich über ein Jahrhundert hinziehenden Erscheinungsdauer - kaum Einfluss auf das Volk und seine Sprache. Gottsched und Adelung hingegen, die als Grammatiker und Orthographen der Aufklärungszeit die Standardisierung des Deutschen tatsächlich nachhaltig beförderten, finden erstaunlicherweise keine Erwähnung.
Ungeachtet dieser sachlichen Schnitzer hat Kaehlbrandts Einschätzung, dass zur Unterstützung und Weiterentwicklung der deutschen Hochsprache ein Schuss französischen Sprachstolzes und ein stärker institutionalisiertes Engagement hilfreich wären, einiges für sich. Die Geschichte lehrt nämlich, dass die Existenz einer Hoch- und Bildungssprache keine Selbstverständlichkeit darstellt. Sie ist Ergebnis jahrhundertelanger gesellschaftlicher Arbeit, ein Kulturprodukt also. Wenn Kaehlbrandt das Bewusstsein dafür bei den Entscheidungsträgern schärfte, wäre einiges gewonnen.
Roland Kaehlbrandt: "Logbuch Deutsch." Wie wir sprechen, wie wir schreiben.
Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main. 2015. 254 S., br., 14,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Pflegebedürftiges Kulturprodukt: Roland Kaehlbrandt nimmt die Hochsprache vor ihren Verächtern in Schutz.
Von Wolfgang Krischke
Roland Kaehlbrandt ist ein Liebhaber der deutschen Sprache, und er scheut sich nicht, ihre Reize herauszustellen: ihre Differenziertheit und Geschmeidigkeit, zu der auch die gern bespöttelten Bandwurmwörter und Schachtelsätze beitragen. Das Lob auf Grammatik und Wortschatz soll dem Leser vor Augen führen, dass es sich lohnt, sich für die eigene Sprache zu engagieren - und sich um sie zu sorgen. Denn dazu sieht der Autor, der mit seinem Buch einen umfassenden Lagebericht zur deutschen Sprache vorlegen will, allen Grund.
Wer die Sprachdebatten, die in den vergangenen Jahren geführt wurden, verfolgt hat, wird allerdings wenig neue Fakten und Erkenntnisse in diesem Buch finden. Doch diesen Anspruch hat Kaehlbrandt, der seine Quellen gewissenhaft angibt, auch nicht. Ihm geht es darum, vorhandene Befunde zu einem Gesamtbild zu fügen. Dabei schlägt er bei allem Engagement einen dankenswert ruhigen Ton an. Er vermeidet Sprachverfallslitaneien, aber auch den tiefenentspannten Sprach-Hegelianismus vieler Linguisten, für die immer alles gut ist, wie es gerade ist, weil es ja sonst nicht so wäre. Gefahren für die Funktionstüchtigkeit und den Ausdrucksreichtum der Sprache sieht Kaehlbrandt auf mehreren Gebieten: An vorderer Stelle steht die beflissene Selbstanglisierung des Wissenschafts- und Hochschulbetriebs. Sie errichtet gegenüber der sie mit Steuern finanzierenden Bevölkerung neben der bestehenden fachlichsprachlichen noch eine fremdsprachliche Barriere. Und sie bringt mit der Stilllegung vieler deutscher Wissenschaftssprachen eine Quelle zum Versiegen, aus der sich der allgemeinsprachliche Wortschatz immer gespeist hat. Befördert wird diese Selbstdemontage des Deutschen durch eine auswärtige Sprachpolitik, die ihren Namen kaum verdient und - vor allem bei den deutschen Vertretern in der Europäischen Union - durch mangelnde Sprachloyalität und eine eilfertige Anerkennung anglo- und frankophoner Dominanzansprüche bestimmt ist.
Eine ähnliche Gleichgültigkeit gegenüber der eigenen Sprache zeigt sich jenseits der Politik im allgemeinen Sprachgebrauch, dessen Anglizismen oft genug nur Ausdruck von Imponiergehabe, Anbiederung an die angloamerikanische "Leitkultur" und dem Unwillen ist, die eigenen sprachlichen Ressourcen kreativ zu nutzen. Diesem Teil von Kaehlbrandts Diagnose kann man zustimmen. Für die Abschnitte, die sich der inneren Verfassung des Deutschen zuwenden, gilt das nicht uneingeschränkt. Hier sieht der Autor mehrere Faktoren am Werk, die die Hoch- und Bildungssprache zu unterhöhlen drohen. Dabei hat er mit einer Feststellung zweifellos recht: In den audiovisuellen Medien hat der zwanghafte Wunsch, "locker rüberzukommen", das Ideal einer gepflegten Bildungssprache weitgehend verdrängt, ganz zu schweigen vom Pöbelstil der Realityshows.
Hierin und in der generellen Skepsis vieler Lehrer und Linguisten gegenüber hochsprachlichen Normierungen sieht Kaehlbrandt wichtige Gründe dafür, dass ihre Beherrschung im öffentlichen Bewusstsein an Wert und Bedeutung verloren hat. Die praktischen Folgen liegen für ihn auf der Hand: Bei Schülern und Studenten schwinden Rechtschreibkenntnisse und die Fähigkeit, sich differenziert mit Hilfe komplexer Satzstrukturen, eines nuancierten Wortschatzes und anspruchsvoller Textmuster auszudrücken.
Nun kann Kaehlbrandt für die Orthographie zwar auf Studien verweisen, die sein Urteil stützen. Für die anderen Sprachbereiche aber begnügt er sich mit einzelnen Fallbeispielen und Erlebnisberichten von Lehrern und Dozenten, die das düstere Bild bestätigen. Wer sich aber an den Hochschulen umsieht, kann auch das Gegenteil erleben: Lebendige, zugleich präzise formulierte Referate und stilistisch anspruchsvoll geschriebene Hausarbeiten sind, wenn auch nicht der Regelfall, so doch auch keine Seltenheit. Das legt ein differenzierteres Urteil nahe, als Kaehlbrandt es fällt: Es scheint, dass bildungssprachliche Fähigkeiten nicht generell abnehmen, sich aber in den Klassen und Seminaren immer größere Niveau-Unterschiede auftun.
Eine andere Gefahr, die das Spachsystem direkter betrifft, sieht der Autor in den Sprachmischungen, die durch die Einflüsse der Migrantensprachen entstehen. Sie sollen zur Abschleifung grammatischer Feinheiten und Kreolisierung des Deutschen führen. Hier beruft sich Kaehlbrandt auf ein Buch des Linguisten Uwe Hinrichs, das er einer kritischeren Lektüre hätte unterziehen sollen: Hinrichs zentrale These, dass die Kreolisierung bereits die deutsche Standardsprache in großem Umfang erfasst habe, beruht nämlich eher auf Impressionen als auf systematisch erhobenen Daten. Hinzu kommt, dass etliche Phänomene, die Hinrichs - und in seinem Fahrwasser Kaehlbrandt - dem Einfluss aktueller Sprachmischungen zuschreibt, tatsächlich Ausdruck eines langfristigen Sprachwandels sind, dem das Deutsche seit Jahrhunderten unterliegt (F.A.Z. vom 25. November 2013).
Einen wichtigen Bezugspunkt der Darstellung bildet der Vergleich der französischen mit der deutschen sprachpolitischen Geschichte: Während Frankreich mit der Académie française früh auf eine zentrale normgebende Instanz setzte, war die Standardisierung des Deutschen in stärkerem Maße ein sich selbst organisierender Prozess, der durch einzelne Sprachpfleger entscheidend vorangetrieben wurde. Der Verfasser irrt jedoch, wenn er ausgerechnet die Brüder Grimm zu diesen Normgebern zählt. Gerade sie standen aus ihrem romantischen Sprachverständnis heraus Regelwerken sehr distanziert gegenüber, und ihr Wörterbuch hatte - aufgrund des Umfangs und der sich über ein Jahrhundert hinziehenden Erscheinungsdauer - kaum Einfluss auf das Volk und seine Sprache. Gottsched und Adelung hingegen, die als Grammatiker und Orthographen der Aufklärungszeit die Standardisierung des Deutschen tatsächlich nachhaltig beförderten, finden erstaunlicherweise keine Erwähnung.
Ungeachtet dieser sachlichen Schnitzer hat Kaehlbrandts Einschätzung, dass zur Unterstützung und Weiterentwicklung der deutschen Hochsprache ein Schuss französischen Sprachstolzes und ein stärker institutionalisiertes Engagement hilfreich wären, einiges für sich. Die Geschichte lehrt nämlich, dass die Existenz einer Hoch- und Bildungssprache keine Selbstverständlichkeit darstellt. Sie ist Ergebnis jahrhundertelanger gesellschaftlicher Arbeit, ein Kulturprodukt also. Wenn Kaehlbrandt das Bewusstsein dafür bei den Entscheidungsträgern schärfte, wäre einiges gewonnen.
Roland Kaehlbrandt: "Logbuch Deutsch." Wie wir sprechen, wie wir schreiben.
Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main. 2015. 254 S., br., 14,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Schon Mark Twain stichelte gegen die "alphabetischen Prozessionen" der deutschen Sprache, nun nimmt der Philologe Roland Kaehlbrandt die Kombinationsvielfalt unter die Lupe, informiert Uwe Justus Wenzel. Im Gegensatz zu Twain gehe es Kaehlbrandt in seinem "Logbuch Deutsch" aber keinesfalls um eine Diffamierung, sondern vielmehr um eine Lobpreisung des Deutschen und nicht zuletzt um einen Weckruf, die Sprache nicht weiter zu "verludern", erklärt der Kritiker. Zunächst liest Wenzel Huldigungen von Begriffen wie "fremdschämen" oder "Datenautobahn", denen er einen Erkenntnismehrwert attestiert. Vor allem aber folgt der Kritiker interessiert Kaehlbrandts Ausführungen über das "Imponierdeutsch" des politischen und ökonomischen Establishments, das Begriffe von lärmender Leere generiere. Auch mit Anglizismen und der Banalisierung durch gendergerechte Sprache ist der Autor nicht zufrieden, so der Rezensent, der diesen Aufruf zu mehr Sprachgefühl mit Gewinn gelesen hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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