Die Mordserie des NSU (2000-2006), der Terroranschlag von Anders Breivik (2011), das Attentat in München (2016), das Massaker von Christchurch, der Mord an Walter Lübcke (2019), die Anschläge von Halle (2019) und Hanau (2020): Rechtsextreme Gewalt beschäftigt uns schon lange - und in den letzten Jahren besonders massiv. Mit Wahlerfolgen radikaler Parteien, wie zuletzt in Schweden und Italien, droht der Rechtsextremismus mehrheitsfähig zu werden; im Zuge sozialer Proteste könnten extreme Gruppierungen zu einer umfassenden Bewegung zusammenfinden. Peter R. Neumann, einer der weltweit profiliertesten Experten, zeigt, wie real diese Gefahr ist - und wo ihre tieferen, ideologischen Wurzeln liegen. Statt nur einzelne Gruppen zu beschreiben, legt er das Wesen, die Logik des Rechtsextremismus frei - ebendas, was all diese Gruppen verbindet, ob Alte oder Neue Rechte, Neorassisten oder Identitäre, Reichsbürger oder Verschwörungstheoretiker, AfD oder Rassemblement National. Anhand zahlreicher Beispiele, von der völkischen Bewegung im 19. Jahrhundert bis zum Populismus der Gegenwart, zeigt Neumann: Am Anfang steht nicht der Hass, sondern die Angst. Ein Psychogramm des Rechtsextremismus - das zugleich eine dringende Warnung ist.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Eine starke Analyse rechtsextremer Bewegungen legt Peter R. Neumann hier vor, urteilt Rezensentin Laura Gabler. Die zentrale These ist, lernen wir, dass die Rechte vor allem von der Angst lebt, und zwar von der Angst vor der Veränderung, die die vom Liberalismus geprägte Moderne mit sich bringt. In der Reaktion auf diese Moderne geht es der Rechten, fährt Gablers Rekonstruktion fort, nicht nur ums Bewahren alter Strukturen, vielmehr betont sie auch Werte wie Identität, die sich auf vermeintlich nicht änderbare Kategorien wie die Herkunft beziehen. Manche Rechte wählen eher das Mittel der Flucht, lernt Gabler von Neumann, und sei es in versponnene Verschwörungstheorien, andere suchen den offenen Kampf, wobei rechte Parteien, die an die Macht kommen, ihre Positionen meist nicht verwirklichen können. Nur wie man der rechten Gefahr begegnen könnte: darüber erfährt die von dem Buch gleichwohl angetane Rezensentin nicht allzu viel.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.07.2024Ordnung, die sie meinen
Peter R. Neumann sondiert rechtsextreme Ideen und Bewegungen.
Rechtsextremismus kennt viele Erscheinungsformen. Das Spektrum reicht von den Reichsbürgern über die Identitären bis hin zu QAnon-Anhängern. Der Politikwissenschaftler Peter R. Neumann sondiert und ordnet in seinem Buch rechtsextreme Strömungen in Westeuropa und Nordamerika. Der Autor legt seinen Fokus dabei weniger auf bestimmte politische Anführer, Bewegungen oder Parteien als vielmehr auf die politische Ideengeschichte des Rechtsextremismus.
Trotz einer größer werdenden Vielfalt würden alle Formen des Rechtsextremismus, diese These zieht sich durch das gesamte Buch, auf derselben "Logik der Angst" beruhen, wie sie der Titel anführt. Diese Angst repräsentiere "den emotionalen Kitt, der Radikalisierer und Radikalisierte miteinander verbindet". Es sei eine Angst vor dem Verlust der eigenen Identität oder vor gesellschaftlichem Wandel, die von rechtsextremen Gruppierungen in Hass umgewandelt würde.
Der erste Teil des Buches beleuchtet die intellektuellen Wurzeln und Kernbestandteile rechten Denkens. Neumann macht dabei zunächst einen tiefsitzenden Pessimismus aus, der für die rechte Weltsicht charakteristisch sei. Fortschritt sei aus ihrer Sicht zwar möglich, aber niemals von Dauer. Diese Weltsicht, die Neumann weit zurückverfolgt, präge ihr Handeln und ihre politischen Ziele. Ein weiterer wichtiger Aspekt sei die Sehnsucht nach Ordnung, die sich als Reaktion auf die Herausforderungen der liberalen Moderne, vor allem seit der Französischen Revolution, entwickelt habe. Dabei gehe es nicht nur um "ein relativ harmloses Verlangen nach Stabilität und das Bedürfnis, gewachsene Institutionen oder gesellschaftliche Normen in Zeiten enormer Veränderung zu bewahren", sondern auch um eine "teils radikale Zurückweisung neuer Gleichheitsansprüche im Namen einer vermeintlich 'natürlichen' Ordnung oder Hierarchie". Für Neumann spielt auch Identität eine zentrale Rolle im rechten Denken. Sie werde oft mit angeborenen oder schwer veränderbaren Eigenschaften wie Herkunft oder Kultur begründet.
Im zweiten Teil des Buches widmet sich Neumann den Denklogiken und Handlungsstrategien, die aus den intellektuellen Wurzeln erwachsen. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang Neumanns Unterscheidung zwischen verschiedenen Varianten des Rechtsextremismus, die er grob in "Flucht" und "Kampf" unterteilt. Die Flucht als eine Form des Widerstandes könne dabei den Rückzug aufs Land bedeuten, aber genauso die "Emigration" ins Innere, wie sie von den sogenannten Reichsbürgern praktiziert wird.
Auf der anderen Seite würden viele Rechtsextremisten aber auch "die aktive Auseinandersetzung mit der liberalen Moderne" suchen. Neumann zeigt, dass sich der rechtsextreme Widerstand dabei nicht nur auf eine einzige Arena oder Methode beschränkt. Er manifestiere sich im Parlament, auf der Straße, im Internet und im Untergrund.
Beachtenswert ist Neumanns kritische Betrachtung von rechten Parteien an der Macht. Anhand verschiedener Beispiele von rechtspopulistischen und -extremistischen Parteien zeigt er, dass sie in Machtpositionen bisher nur wenige ihrer Politikversprechen umsetzen konnten. An ihrer Macht zur Polarisierung der Gesellschaft und zur Destabilisierung politischer Systeme würde das aber nichts ändern.
Abschließend widmet sich Neumann einigen Handlungsempfehlungen zur Bekämpfung von Rechtsextremismus, darunter die Verhinderung von Mobilisierungsver-suchen von Extremisten und Maßnahmen zur Verringerung der Attraktionskraft rechtsextremer Ideologien. An dieser Stelle hätte man sich noch konkretere Handlungsanweisungen gewünscht. Doch dieses Manko verblasst vor dem Hintergrund der sorgfältigen und konzis vorgetragenen Analyse, die das Buch bietet. In einer Zeit, in der die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit rechtsextremen Bewegungen und Ideologien geboten ist, gewährt Neumann tiefe Einblicke in diese Welt. LAURA GABLER
Peter R. Neumann: "Logik der Angst". Die rechtsextreme Gefahr und ihre Wurzeln.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2023.
208 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
Peter R. Neumann sondiert rechtsextreme Ideen und Bewegungen.
Rechtsextremismus kennt viele Erscheinungsformen. Das Spektrum reicht von den Reichsbürgern über die Identitären bis hin zu QAnon-Anhängern. Der Politikwissenschaftler Peter R. Neumann sondiert und ordnet in seinem Buch rechtsextreme Strömungen in Westeuropa und Nordamerika. Der Autor legt seinen Fokus dabei weniger auf bestimmte politische Anführer, Bewegungen oder Parteien als vielmehr auf die politische Ideengeschichte des Rechtsextremismus.
Trotz einer größer werdenden Vielfalt würden alle Formen des Rechtsextremismus, diese These zieht sich durch das gesamte Buch, auf derselben "Logik der Angst" beruhen, wie sie der Titel anführt. Diese Angst repräsentiere "den emotionalen Kitt, der Radikalisierer und Radikalisierte miteinander verbindet". Es sei eine Angst vor dem Verlust der eigenen Identität oder vor gesellschaftlichem Wandel, die von rechtsextremen Gruppierungen in Hass umgewandelt würde.
Der erste Teil des Buches beleuchtet die intellektuellen Wurzeln und Kernbestandteile rechten Denkens. Neumann macht dabei zunächst einen tiefsitzenden Pessimismus aus, der für die rechte Weltsicht charakteristisch sei. Fortschritt sei aus ihrer Sicht zwar möglich, aber niemals von Dauer. Diese Weltsicht, die Neumann weit zurückverfolgt, präge ihr Handeln und ihre politischen Ziele. Ein weiterer wichtiger Aspekt sei die Sehnsucht nach Ordnung, die sich als Reaktion auf die Herausforderungen der liberalen Moderne, vor allem seit der Französischen Revolution, entwickelt habe. Dabei gehe es nicht nur um "ein relativ harmloses Verlangen nach Stabilität und das Bedürfnis, gewachsene Institutionen oder gesellschaftliche Normen in Zeiten enormer Veränderung zu bewahren", sondern auch um eine "teils radikale Zurückweisung neuer Gleichheitsansprüche im Namen einer vermeintlich 'natürlichen' Ordnung oder Hierarchie". Für Neumann spielt auch Identität eine zentrale Rolle im rechten Denken. Sie werde oft mit angeborenen oder schwer veränderbaren Eigenschaften wie Herkunft oder Kultur begründet.
Im zweiten Teil des Buches widmet sich Neumann den Denklogiken und Handlungsstrategien, die aus den intellektuellen Wurzeln erwachsen. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang Neumanns Unterscheidung zwischen verschiedenen Varianten des Rechtsextremismus, die er grob in "Flucht" und "Kampf" unterteilt. Die Flucht als eine Form des Widerstandes könne dabei den Rückzug aufs Land bedeuten, aber genauso die "Emigration" ins Innere, wie sie von den sogenannten Reichsbürgern praktiziert wird.
Auf der anderen Seite würden viele Rechtsextremisten aber auch "die aktive Auseinandersetzung mit der liberalen Moderne" suchen. Neumann zeigt, dass sich der rechtsextreme Widerstand dabei nicht nur auf eine einzige Arena oder Methode beschränkt. Er manifestiere sich im Parlament, auf der Straße, im Internet und im Untergrund.
Beachtenswert ist Neumanns kritische Betrachtung von rechten Parteien an der Macht. Anhand verschiedener Beispiele von rechtspopulistischen und -extremistischen Parteien zeigt er, dass sie in Machtpositionen bisher nur wenige ihrer Politikversprechen umsetzen konnten. An ihrer Macht zur Polarisierung der Gesellschaft und zur Destabilisierung politischer Systeme würde das aber nichts ändern.
Abschließend widmet sich Neumann einigen Handlungsempfehlungen zur Bekämpfung von Rechtsextremismus, darunter die Verhinderung von Mobilisierungsver-suchen von Extremisten und Maßnahmen zur Verringerung der Attraktionskraft rechtsextremer Ideologien. An dieser Stelle hätte man sich noch konkretere Handlungsanweisungen gewünscht. Doch dieses Manko verblasst vor dem Hintergrund der sorgfältigen und konzis vorgetragenen Analyse, die das Buch bietet. In einer Zeit, in der die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit rechtsextremen Bewegungen und Ideologien geboten ist, gewährt Neumann tiefe Einblicke in diese Welt. LAURA GABLER
Peter R. Neumann: "Logik der Angst". Die rechtsextreme Gefahr und ihre Wurzeln.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2023.
208 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
In einer Zeit, in der die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit rechtsextremen Bewegungen und Ideologien geboten ist, gewährt Neumann tiefe Einblicke in diese Welt. Frankfurter Allgemeine Zeitung
Eine starke Analyse rechtsextremer Bewegungen legt Peter R. Neumann hier vor, urteilt Rezensentin Laura Gabler. Die zentrale These ist, lernen wir, dass die Rechte vor allem von der Angst lebt, und zwar von der Angst vor der Veränderung, die die vom Liberalismus geprägte Moderne mit sich bringt. In der Reaktion auf diese Moderne geht es der Rechten, fährt Gablers Rekonstruktion fort, nicht nur ums Bewahren alter Strukturen, vielmehr betont sie auch Werte wie Identität, die sich auf vermeintlich nicht änderbare Kategorien wie die Herkunft beziehen. Manche Rechte wählen eher das Mittel der Flucht, lernt Gabler von Neumann, und sei es in versponnene Verschwörungstheorien, andere suchen den offenen Kampf, wobei rechte Parteien, die an die Macht kommen, ihre Positionen meist nicht verwirklichen können. Nur wie man der rechten Gefahr begegnen könnte: darüber erfährt die von dem Buch gleichwohl angetane Rezensentin nicht allzu viel.
© Perlentaucher Medien GmbH
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