Zu Beginn der Fastenzeit hatte ich mich gefragt, ob es nicht höchste Zeit wäre, statt Autofasten oder Handyfasten einmal bewusst sorgfältiger mit Sprache umzugehen. In den unterschiedlichsten Medien schien das Ende jeglicher Gesprächskultur eingeläutet worden zu sein. Vermutungen wurden zunehmend
als Tatsachen verbreitet, Diskussionspartner persönlich diskreditiert. Schließlich brachte mich die um…mehrZu Beginn der Fastenzeit hatte ich mich gefragt, ob es nicht höchste Zeit wäre, statt Autofasten oder Handyfasten einmal bewusst sorgfältiger mit Sprache umzugehen. In den unterschiedlichsten Medien schien das Ende jeglicher Gesprächskultur eingeläutet worden zu sein. Vermutungen wurden zunehmend als Tatsachen verbreitet, Diskussionspartner persönlich diskreditiert. Schließlich brachte mich die um sich greifende manipulative Verpackung von Provokationen und Unterstellungen in Frageform auf die Palme, vom Fragesteller anschließend damit verharmlost, er/sie hätte ja nur eine Frage gestellt und wäre demnach völlig unschuldig an der folgenden Entgleisung der Diskussion. In dieser Ausgangssituation erhoffte ich mir Aufklärung von Daniel-Pascal Zorn, was genau in "Diskussionen" abläuft.
Der studierte Philosoph brachte mich wieder auf den Teppich zurück mit seiner Charakterisierung von populistischem und dogmatischem Denken und Argumentieren im Gegensatz zu demokratischem Denken. Zorn warnt, selbst der Begriff Populismus etikettiere; denn er sei keine Eigenschaft, sondern eine Form der Argumentation. Populismus mit daraus folgender dogmatischer Dynamik führe schließlich zu totalitärem Denken, so Zorn. Populistischer Argumentation sei nur etwas entgegenzusetzen, wenn man auch auf das Wie einer Rede achte. Der Begriff falsches Dilemma definiert eine inzwischen verbreitete Haltung, die keine Zwischentöne mehr toleriert: bist du nicht für mich/meine Ansicht, bist du gegen mich. Neben Dogmatischer Setzung, Exzess der Positionierung und Bestätigungsfehler (alles ausblenden, was der eigenen Sicht widerspricht) sei falsches Dilemma eine der Strategien populistischen Denkens. Zorns Charakterisierung dogmatischen und populistischen Denkens mutet angesichts der politischen Entwicklung der letzten Wochen beinahe schadenfroh an; denn wer wird sich nach seiner geduldigen Erklärung von Dogmatismus noch über die Abläufe wundern können?
Für Dogmatiker ist ihr Weltbild völlig logisch, jeder Widerspruch wird deshalb als Provokation empfunden. Dogmatiker würdigen Vertreter anderer Meinungen herab mit pseudomedizinischen Diagnosen, sexistischen oder biologistischen Etikettierungen. Dogmatiker begründen nicht. Dogmatiker sehen sich gern selbst als schweigende Mehrheit, als Opfer/Minderheit. Sie finden stets einen Schuldigen, der eine Entwicklung provoziert habe. Der Schritt zur gefühlten Marginalisierung mit daraus folgender Verschwörungstheorie ist dann meist nicht mehr weit. Dogmatisches Denken verschafft Menschen Sicherheit, dogmatisches Argumentieren soll den Sprecher unangreifbar gegenüber Kritik machen. Doch eine „dogmatische Schleife“ führe dazu, dass sich jemand, der provoziert, um so stärker angegriffen fühlt, je mehr er selbst provoziert. Ähnlichkeiten mit derzeit regierenden Staatsoberhäuptern sind natürlich rein zufällig …
Dass populistische Argumentationsformen und dogmatische Denkweisen keine neuen Erscheinungen in der Folge des Web 2.0 sind, sondern bereits seit der Antike bekannt, ist immerhin eine tröstliche Botschaft. Zorn will mit seiner Analyse von verbreiteten Argumentationsmustern die Strategien derer offenlegen, die die Offenheit in demokratischen Gesellschaften gegen diese Gesellschaften ausspielen. Das ist ihm gelungen. Im Schnittpunkt von Philosophie, Psychologie, Rhetorik und Geschichte hat Zorns Buch mir passende Denkanstöße gegeben – und war mit seinem überschaubaren Umfang für einen Philosophie-Anfänger gut zu bewältigen.