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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Doch die Antike stand ihnen gut: Richard Schuberth schildert den griechischen Aufstand gegen die Osmanen vor zweihundert Jahren als Tragikomödie
Was für ein Thema, der griechische Aufstand vom März 1821 gegen die osmanische Herrschaft! Der erste europäische Staat, der seine Unabhängigkeit von einem Imperium erkämpft. Die erste Guerillabewegung der Neuzeit, der es gelingt, eine humanitäre Intervention der Großmächte zu erzwingen. Ein Aufstand, der maßgeblich von einer einflussreichen Diaspora mit eigener Geheimorganisation vorbereitet wird. Ein Staats- und Nationsaufbau, der unter Aufsicht der Großmächte von einer ausländischen Dynastie - den bayerischen Wittelsbachern - betrieben wird. Ein Freiheitskrieg, der ganz Europa medial bewegt und mit dem sich im Zeitalter der Restauration liberal und demokratisch gesinnte Europäer, die "Philhellenen", solidarisieren.
Viele der Missverständnisse und Vorurteile, die jüngst Griechenland und Deutschland in der Euro-Krise entzweiten, lassen sich schon vor zweihundert Jahren beobachten: Denn die westeuropäischen Freischärler trafen nicht auf die Nachfahren von Perikles und Platon, sondern auf eine multiethnische, tief in der byzantinisch-orthodoxen Kultur verwurzelte südbalkanische Gesellschaft.
Für einen Historiker bietet der griechische Aufstand von 1821 Möglichkeiten der Deutung, die weit über eine eng geführte griechische Nationalgeschichte hinausgehen. Außerhalb Griechenlands blieb das 200-Jahr-Jubiläum weitgehend unbeachtet, und auf dem ansonsten so sehr auf Jahrestage bedachten deutschen Buchmarkt ist nur ein Verlag das Risiko einer neuen Darstellung eingegangen. Auch die Fachhistoriker haben geschwiegen. Und so ist "Lord Byrons letzte Fahrt" das Werk eines Schriftstellers, der mit Griechenland und dem osmanischen Balkan bislang wenig zu schaffen hatte. Dies kann ein Vorteil sein, denn ein unbefangener Blick von außen vermag große Linien, die der Spezialist oftmals übersieht, besser zu erkennen.
Inhaltlich nimmt sich Richard Schuberth zweierlei vor: Er will den griechischen Aufstand als Tragikomödie schildern; und er will zeigen, dass es sich bei den Aufständischen um eine vielsprachige orthodoxe Gesellschaft handelte und nicht eine bereits klar ausgebildete hellenische Nation. Entsprechend widmet er dem ethnisch-kulturellen Aspekt der südbalkanischen Gesellschaften vor Ausbruch des Aufstands viel Raum. Deutlich führt er dem Leser auch die komplexe soziale und regionale Schichtung in der Region vor Augen: reiche Grundbesitzer und Steuerpächter in der Peloponnes, Schiffsunternehmer auf den Inseln des Saronischen Golfs, Hirten und Räuber im Gebirge Mittelgriechenlands, die sultansloyalen aristokratischen Phanariotenfamilien in Konstantinopel, Bukarest und dem moldauischen Ia i, die venezianisch geprägten Ionischen Inseln, regionale muslimisch-albanische Warlords wie der in ganz Europa berühmte Ali Pascha von Ioannina.
Im Gegensatz zu der schablonenartigen Wahrnehmung der europäischen Philhellenen, die Griechen im Kampf gegen Türken sahen, erklärt Schuberth, dass es sich bei diesen Begriffen nicht um ethno-nationale Kategorien handelte - denn viele "Türken" sprachen Albanisch oder Griechisch und konnten sich mühelos mit "griechischen" Freischärlern verständigen, die oft orthodoxe Albaner (Arvaniten) waren.
Zu kurz kommt in der Darstellung gegenüber dem ethnischen Element freilich die Bedeutung der Religion, die sich nicht auf eine Kirchengeschichte beschränken lässt. Denn der Aufstand begann im Zeichen des Kreuzes, das die Rebellen auf ihre Fahnen hefteten, als Kampf von Orthodoxen gegen Muslime, in der Tradition vieler ähnlicher, freilich gescheiterter Erhebungen. Der religiöse Gegensatz erklärt auch die Brutalität der Kriegführung. Beide Seiten begingen Massaker - jene an Christen wurden in ganz Europa bekannt, so die Metzelei auf Chios durch ein Gemälde von Eugène Delacroix, während das ebenso schreckliche Ende der Muslime von Tripolitsa in der Peloponnes nicht zu einem Medienereignis wurde.
Der Krieg zog sich über Jahre hin. Die Fronten waren oft wenig klar, da lokale Bandenführer eigene Interessen verfochten. Schon bald setzte ein Krieg im Krieg zwischen den Aufständischen ein, deren Führer erbittert um die Macht und die Staatsform stritten. Wurden schon die Diasporagriechen von vielen Aufständischen abgelehnt, so erging es vielen ausländischen Freiwilligen angesichts der verbreiteten Xenophobie oft noch schlimmer. Es waren aber diese beiden Gruppen, die den Aufbau eines "hellenischen" Staates vorantrieben: Denn vor der europäischen Öffentlichkeit ließ sich der Aufstand mit Bezug auf die Antike viel besser legitimieren, als wenn Staatsmännern und Zeitungslesern die Realität des osmanischen Südbalkans vermittelt worden wäre. Diaspora und Philhellenen machten aus dem südbalkanischen Religionskrieg den Freiheitskampf für ein neues Hellas.
Zu den klarsichtigsten Beobachtern, die sich nicht von der eigenen klassischen Bildung blenden ließen, gehörte der Titelheld von Schuberths Buch, Lord Byron, den die heroische Männlichkeit albanischer Krieger und Warlords anzog. Schuberths erzählerischer Ansatz der Tragikomödie gelingt am ehesten noch dann, wenn er die Desillusionierung vieler antikebegeisterter Freiwilliger angesichts des ihnen abstoßend und unverständlich erscheinenden Verhaltens der vielsprachigen Orthodoxen schildert, die so wenig mit dem idealisierten Altertum gemein hatten. Sichtlich fasziniert, zeichnet er das Milieu blasierter britischer Poeten-Aktivisten und anderer europäischer Abenteurer und Hochstapler.
Das enorme menschliche Leid und das politische Ringen um den Staatsaufbau lassen sich hingegen kaum als Tragikomödie erfassen; zudem unterläuft der Autor mit der oft leichtfertigen Verwendung des Genozid-Begriffs seinen eigenen kompositorischen Kunstgriff. Es ist dies nicht die einzige Schwäche des Buches. Den Appell zu Differenziertheit konterkariert Schuberth mit Aussagen des Stils, die Geschichte des Aufstands sei "angesogen mit Testosteron, Brutalität und Homophilie". Noch schwerer aber wiegt seine nonchalante Unkenntnis der umfangreichen Forschung in griechischer Sprache. Störend wirken auch die Fehler bei griechischen Namen und Begriffen. Offensichtlich wurde der Text nicht lektoriert: dem Leser wären "wabernde Heuschreckenplagen", "Amazoninnen" oder Jupiter in Athen erspart geblieben. Der Göttervater Zeus hätte dem Autor aber vor allem gegrollt, weil er dem Leser nicht verdeutlicht, was er in der Hand hält: ein durch Fußnoten und Bibliographie als wissenschaftliches Werk camoufliertes Geschichtenbuch, das ohne den Anspruch auf "wellenumspielte und sonnendurchstrahlte" Konzepte besser gelungen wäre. OLIVER JENS SCHMITT
Richard Schuberth: "Lord Byrons letzte Fahrt". Eine Geschichte des griechischen Unabhängigkeitskrieges.
Wallstein Verlag, Göttingen 2021. 533 S., geb., 29,90 Euro.
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