Die Klimakatastrophe, die wir jetzt erleben, hätte verhindert werden können. Vor dreißig Jahren gab es die Chance, den Planeten zu retten - doch sie wurde verspielt. Nathaniel Rich schildert in dieser dramatischen Reportage, wie es zu diesem wahrhaft globalen Versagen kam. Wir folgen einer Gruppe von Wissenschaftlern, Aktivisten und Politikberatern rund um den Umweltlobbyisten Rafe Pomerance und den Nasa-Forscher James Hansen, die Ende der siebziger Jahre erstmals erkennen, dass sich die Erderwärmung desaströs beschleunigt, aber auch, was dagegen zu tun ist - beinahe alles, was wir heute darüber wissen, stammt aus dieser Zeit. Rich schildert ein Jahrzehnt erbitterter Kämpfe um Öffentlichkeit, Anerkennung, politische Maßnahmen - und wie diese 1989, kurz vor dem Durchbruch, tragisch scheitern. Eine historische Reportage, die aktueller nicht sein könnte: Wir bekommen in den kommenden Jahren das zu spüren, was vor drei Jahrzehnten versäumt wurde - so wie unser gegenwärtiges Scheitern das Schicksal des Planeten in naher Zukunft besiegelt. Die Erde in ihrer heutigen Gestalt ist bereits verloren, sie wurde damals verloren - und so erzählt Rich hier die Geschichte eines beispiellosen Menschheitsversagens.
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Rezensent Volkart Wildermuth empfiehlt das Buch von Nathaniel Rich, damit keiner sagen kann, er hätte nichts gewusst vom Klimawandel und den damit zusammenhängenden politischen Lügen. Was sich zwischen 1979 und 1989 in Sachen Klimapolitik tat oder auch nicht, vermittelt der Autor laut Rezensent lebendig und detailreich anhand von Interviews. Aktuell ist das Thema schon wegen seiner Bezüge zu "Fridays for Future", findet Wildermuth. Greta Thunberg würde er gerne ein Exemplar des Buches schenken, damit die Aktivistin lernt, worauf es bei der nächsten Klima-Konferenz ankommt.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.06.2019Mit Extremen leben lernen
Eine Lektüre, die zornig machen kann: Nathaniel Rich zeigt, dass die Folgen des Klimawandels schon in den späten siebziger Jahren bekannt waren.
Im Jahr 1979 lag die Konzentration des Treibhausgases Kohlendioxid in der Atmosphäre bei rund 335 ppm. Das war ein Wert, der schon deutlich höher lag als vor Beginn der Industrialisierung, aber zugleich ein Wert, der keine Gefahr für Mensch und Natur bedeutet. 335 ppm bringt keine überschwemmten Küsten mit sich, keine Dauerdürren und keine abgestorbenen Korallenriffe.
Im Jahr 1979, argumentiert Nathaniel Rich in seinem Buch "Losing Earth", wäre es ein Leichtes gewesen, eine bedrohliche Erhitzung der Atmosphäre und die ebenso bedrohliche Versauerung des Ozeans mit Kohlensäure aufzuhalten.
Aber wusste man 1979 überhaupt schon vom Risiko des Klimawandels? Kam der nicht viel später ins kollektive Bewusstsein, etwas beim "Erdgipfel" 1992 in Rio de Janeiro? Oder noch später, 2009 bei den aufsehenerregenden Verhandlungen in Kopenhagen? Für viele Jugendliche, die bei den "Fridays for Future" demonstrieren, ist die Entdeckung der Klimagefahr biographisch gesehen so neu, dass das Jahr 1979, der Bezugspunkt dieses Buchs, wie eines aus der Urzeit erscheinen muss. Unmöglich, dass die epochalen Risiken, von denen wir heute wissen, schon vor vierzig Jahren bekannt gewesen sind.
Und doch ist genau das die zentrale These von Richs Buch: "Fast jedes Gespräch, das wir 2019 über den Klimawandel führen, wurde schon 1979 geführt." Und Rich führt auch den Nachweis für diese Behauptung. Akribisch zeichnet der amerikanische Journalist und Schriftsteller den Weg nach, den eine unscheinbare Mitteilung der amerikanischen Umweltagentur EPA mit dem Aktenzeichen EPA-600/7-78-019 nahm. Rafe Pomerance, Mitarbeiter der Umweltorganisation "Friends of the Earth", entdeckte in ihr die Aussage, dass die weitere Nutzung fossiler Brennstoffe innerhalb von zwei bis drei Jahrzehnten zu erkennbaren und schädlichen Veränderungen der Erdatmosphäre führen würde. Schnell fand Pomerance dann heraus, dass sich eine Gruppe von Wissenschaftlern bereits in den Jahren zuvor mit dem Treibhauseffekt beschäftigt hatte, ja dass bereits 1957 die Forscher Roger Revelle und Hans Suess von einem "riesenhaften geophysikalischen Experiment" gesprochen hatten.
Rich erzählt in seinem Buch Geschichten aus Anhörungssälen und Hinterzimmern, hauptsächlich in Washington, D.C. Er zeichnet nach, wie der Klimamodellierer Jim Hansen als Experte gerufen, dann aber daran gehindert wurde, als Regierungsbeamter seine Einschätzung der Lage kundzutun. Er legt dar, wie die Idee einer CO2-Steuer schnell aufkam und ebenso schnell wieder zu den Akten gelegt wurde. Und er berichtet, wie die Erkenntnis der Gefahren für die Klimastabilität auf die immer selben Bedenken stieß: Man müsste kurzfristig unbequeme und unbeliebte Maßnahmen ergreifen, um eine in der Zukunft liegende Gefahr zu bekämpfen. "Frühestens um die Jahrhundertwende" würden negative Konsequenzen spürbar, hieß es in einem der Berichte. Das erschien einmal beruhigend weit weg. Die Entscheidung der Politik fiel stets dagegen, konsequent zu handeln. "Politische Probleme hatten Lösungen, und das Klimaproblem hatte keine", schreibt Rich.
Stets sind es in Richs Rekonstruktion Wissenschaftler, die diese Gefahren wieder zurück auf die Tagesordnung brachten - und stets scheiterten sie an einer Mauer von Lobbyinteressen der Fossilindustrie. Deren Wirken und Methoden beleuchtet Rich nicht so stark, wie es nötig gewesen wäre. Doch es wird deutlich, wie früh und wie effektiv eine Strategie zum Einsatz kam, die bis heute funktioniert: wo immer möglich, Zweifel an der etablierten Wissenschaft zu streuen und die Kosten von wirksamem Handeln zu übertreiben.
Die Lektüre von Richs trockenem Buch kann wahlweise depressiv oder zornig machen. Denn so haarsträubend die frühe Kenntnis der Gefahr aus heutiger Sicht erscheinen mag, sind die Mechanismen der Verharmlosung und Leugnung doch aus der Gegenwart allzu vertraut. Wenn heute Publizisten von einer angeblichen "Klimareligion" handeln, Rechtspopulisten gegen demonstrierende Jugendliche giften und Vertreter von Regierungsparteien verlautbaren lassen, man dürfe in der Klimapolitik nichts überstürzen, dann setzt sich Richs Chronik der Ignoranz einfach fort. Dabei müssten diese Leute nichts anderes tun, als in eine Prognose des Ölkonzerns Exxon aus dem Jahr 1982 zu schauen: Sie sagte für das Jahr 2019 einen CO2-Wert von 415 ppm und eine Erderwärmung von einem Grad voraus - ein Volltreffer, denn das sind ziemlich exakt die tatsächlichen heutigen Werte.
Zu den schlimmen Nachrichten dieser Tage gehört, dass der Anstieg der CO2-Konzentration sich sogar noch beschleunigt. Für das Jahr 2050 prognostizierten die Exxon-Experten bereits 500 ppm und zwei Grad Erwärmung. Hinter den bescheiden anmutenden zwei Grad verbergen sich ungeheure Hitzemengen; in der letzten Eiszeit, als die Gletscher sich Hunderte Meter hoch türmten, war es durchschnittlich nur fünf Grad kälter. Deshalb war den Experten, die Rich zitiert, auch schon in den siebziger und achtziger Jahren klar: Mit jedem Grad Celsius, um das die Temperatur steigt, sinken die Freiheitsgrade für die Gesellschaft. Wir bewegen uns, steuert die Politik nicht um, eben nicht auf einen Weltuntergang zu, sondern auf sein Gegenteil: den Beginn einer Welt, in der es für die Jugendlichen von heute zu einem bitter eingeschränkten Alltag gehören wird, die existentiellen Folgen von Klimaextremen zu bewältigen.
CHRISTIAN SCHWÄGERL
Nathaniel Rich: "Losing Earth".
Aus dem Englischen von Willi Winkler. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2019. 240 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Lektüre, die zornig machen kann: Nathaniel Rich zeigt, dass die Folgen des Klimawandels schon in den späten siebziger Jahren bekannt waren.
Im Jahr 1979 lag die Konzentration des Treibhausgases Kohlendioxid in der Atmosphäre bei rund 335 ppm. Das war ein Wert, der schon deutlich höher lag als vor Beginn der Industrialisierung, aber zugleich ein Wert, der keine Gefahr für Mensch und Natur bedeutet. 335 ppm bringt keine überschwemmten Küsten mit sich, keine Dauerdürren und keine abgestorbenen Korallenriffe.
Im Jahr 1979, argumentiert Nathaniel Rich in seinem Buch "Losing Earth", wäre es ein Leichtes gewesen, eine bedrohliche Erhitzung der Atmosphäre und die ebenso bedrohliche Versauerung des Ozeans mit Kohlensäure aufzuhalten.
Aber wusste man 1979 überhaupt schon vom Risiko des Klimawandels? Kam der nicht viel später ins kollektive Bewusstsein, etwas beim "Erdgipfel" 1992 in Rio de Janeiro? Oder noch später, 2009 bei den aufsehenerregenden Verhandlungen in Kopenhagen? Für viele Jugendliche, die bei den "Fridays for Future" demonstrieren, ist die Entdeckung der Klimagefahr biographisch gesehen so neu, dass das Jahr 1979, der Bezugspunkt dieses Buchs, wie eines aus der Urzeit erscheinen muss. Unmöglich, dass die epochalen Risiken, von denen wir heute wissen, schon vor vierzig Jahren bekannt gewesen sind.
Und doch ist genau das die zentrale These von Richs Buch: "Fast jedes Gespräch, das wir 2019 über den Klimawandel führen, wurde schon 1979 geführt." Und Rich führt auch den Nachweis für diese Behauptung. Akribisch zeichnet der amerikanische Journalist und Schriftsteller den Weg nach, den eine unscheinbare Mitteilung der amerikanischen Umweltagentur EPA mit dem Aktenzeichen EPA-600/7-78-019 nahm. Rafe Pomerance, Mitarbeiter der Umweltorganisation "Friends of the Earth", entdeckte in ihr die Aussage, dass die weitere Nutzung fossiler Brennstoffe innerhalb von zwei bis drei Jahrzehnten zu erkennbaren und schädlichen Veränderungen der Erdatmosphäre führen würde. Schnell fand Pomerance dann heraus, dass sich eine Gruppe von Wissenschaftlern bereits in den Jahren zuvor mit dem Treibhauseffekt beschäftigt hatte, ja dass bereits 1957 die Forscher Roger Revelle und Hans Suess von einem "riesenhaften geophysikalischen Experiment" gesprochen hatten.
Rich erzählt in seinem Buch Geschichten aus Anhörungssälen und Hinterzimmern, hauptsächlich in Washington, D.C. Er zeichnet nach, wie der Klimamodellierer Jim Hansen als Experte gerufen, dann aber daran gehindert wurde, als Regierungsbeamter seine Einschätzung der Lage kundzutun. Er legt dar, wie die Idee einer CO2-Steuer schnell aufkam und ebenso schnell wieder zu den Akten gelegt wurde. Und er berichtet, wie die Erkenntnis der Gefahren für die Klimastabilität auf die immer selben Bedenken stieß: Man müsste kurzfristig unbequeme und unbeliebte Maßnahmen ergreifen, um eine in der Zukunft liegende Gefahr zu bekämpfen. "Frühestens um die Jahrhundertwende" würden negative Konsequenzen spürbar, hieß es in einem der Berichte. Das erschien einmal beruhigend weit weg. Die Entscheidung der Politik fiel stets dagegen, konsequent zu handeln. "Politische Probleme hatten Lösungen, und das Klimaproblem hatte keine", schreibt Rich.
Stets sind es in Richs Rekonstruktion Wissenschaftler, die diese Gefahren wieder zurück auf die Tagesordnung brachten - und stets scheiterten sie an einer Mauer von Lobbyinteressen der Fossilindustrie. Deren Wirken und Methoden beleuchtet Rich nicht so stark, wie es nötig gewesen wäre. Doch es wird deutlich, wie früh und wie effektiv eine Strategie zum Einsatz kam, die bis heute funktioniert: wo immer möglich, Zweifel an der etablierten Wissenschaft zu streuen und die Kosten von wirksamem Handeln zu übertreiben.
Die Lektüre von Richs trockenem Buch kann wahlweise depressiv oder zornig machen. Denn so haarsträubend die frühe Kenntnis der Gefahr aus heutiger Sicht erscheinen mag, sind die Mechanismen der Verharmlosung und Leugnung doch aus der Gegenwart allzu vertraut. Wenn heute Publizisten von einer angeblichen "Klimareligion" handeln, Rechtspopulisten gegen demonstrierende Jugendliche giften und Vertreter von Regierungsparteien verlautbaren lassen, man dürfe in der Klimapolitik nichts überstürzen, dann setzt sich Richs Chronik der Ignoranz einfach fort. Dabei müssten diese Leute nichts anderes tun, als in eine Prognose des Ölkonzerns Exxon aus dem Jahr 1982 zu schauen: Sie sagte für das Jahr 2019 einen CO2-Wert von 415 ppm und eine Erderwärmung von einem Grad voraus - ein Volltreffer, denn das sind ziemlich exakt die tatsächlichen heutigen Werte.
Zu den schlimmen Nachrichten dieser Tage gehört, dass der Anstieg der CO2-Konzentration sich sogar noch beschleunigt. Für das Jahr 2050 prognostizierten die Exxon-Experten bereits 500 ppm und zwei Grad Erwärmung. Hinter den bescheiden anmutenden zwei Grad verbergen sich ungeheure Hitzemengen; in der letzten Eiszeit, als die Gletscher sich Hunderte Meter hoch türmten, war es durchschnittlich nur fünf Grad kälter. Deshalb war den Experten, die Rich zitiert, auch schon in den siebziger und achtziger Jahren klar: Mit jedem Grad Celsius, um das die Temperatur steigt, sinken die Freiheitsgrade für die Gesellschaft. Wir bewegen uns, steuert die Politik nicht um, eben nicht auf einen Weltuntergang zu, sondern auf sein Gegenteil: den Beginn einer Welt, in der es für die Jugendlichen von heute zu einem bitter eingeschränkten Alltag gehören wird, die existentiellen Folgen von Klimaextremen zu bewältigen.
CHRISTIAN SCHWÄGERL
Nathaniel Rich: "Losing Earth".
Aus dem Englischen von Willi Winkler. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2019. 240 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Es gibt Geschichten, die verändern die Art und Weise, wie man die Welt sieht und versteht, und "Losing Earth" von Nathaniel Rich ist so eine. Auf einmal ist all das, was man eh wusste, in einer neuen Klarheit und Dringlichkeit greifbar, mit einem Knall wird deutlich, was es bedeutet, im Zeitalter der Katastrophe zu leben. Georg Diez Spiegel Online 20190225