Ein Roman, der behutsam ein Frauenleben mit seiner Zeit und der Kunst verwebt und ein Buch über weibliche Selbstermächtigung durch die Kraft der Kunst.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Ursel Bäumers Roman über Kindheit und Jugend der französisch-amerikanischen Künstlerin
Louise Bourgeois hat sich selbst immer wieder kommentiert, aus der Bedeutung ihrer Kindheit und Jugend für ihr künstlerisches Schaffen hat sie nie ein Hehl gemacht, im Gegenteil. In dem 2001 erschienenen aufschlussreichen Sammelband "Destruction of the Father. Reconstruction of the Father" ihrer Schriften und Interviews 1923 bis 2000 steht noch vor der Titulatur: "Ich heiße Louise Josephine Bourgeois. Ich wurde am 25. Dezember 1911 in Paris geboren. Der schöpferische Impuls für alle meine Arbeiten der letzten fünfzig Jahre, für alle meine Themen ist in meiner Kindheit zu suchen. Meine Kindheit hat nie ihre magische Kraft, nie ihr geheimnisvolles Dunkel, nie ihre Dramatik verloren."
Auf Selbstaussagen dieser Art baut Ursel Bäumers Roman "Louise" auf. Dennoch betont sie in einem "rechtlichen Hinweis" am Ende des Buchs ungewöhnlich ausführlich, dass der Roman reine Fiktion sei, weder Anspruch auf faktische Wahrheit noch auf Vollständigkeit erhebe und nicht mit einer Biographie zu verwechseln sei. Das versteht sich für einen Roman eigentlich von selbst, zumal einen der Art, die derzeit Konjunktur hat, vor allem wegen des gesteigerten Interesses an den Lebensläufen von Künstlern, zumal Künstlerinnen. Der Disclaimer ist allerdings vor dem Hintergrund zu verstehen, dass sich die Autorin diese Künstlerin in ihren frühen Jahren im Wortsinn zu eigen macht.
Als Louise Bourgeois zehn Jahre alt war, erkrankte ihre Mutter unheilbar an Tuberkulose, war immer wieder an ihr Bett gefesselt; sie starb im Jahr 1932. Der Vater Louis Bourgeois, ein selbstgefälliger Lebemann, betrog seine kranke Ehefrau notorisch. Die Mutter war davor eine begabte Weberin, die ihre junge Tochter, deren Talent fürs Zeichnen sie früh erkannte, zur Mithilfe für die Entwürfe der Ergänzungen in den alten Geweben ermutigte. Der Vater unterhielt in Paris eine Galerie für historische Tapisserien, und die Eltern betrieben gemeinsam südlich von Paris eine entsprechende Restaurierungswerkstatt.
Das sind die Eckdaten für Bäumer, die daraus ihre Geschichte konstruiert. Die Nähe zur Mutter und die Hassliebe zum unberechenbaren egozentrischen Vater wie auch der Umgang mit den wertvollen Gobelins und ihren Materialien spielen eine zentrale Rolle für die kindliche Protagonistin des Romans. Das war auch für das spätere Schaffen der realen Louise Bourgeois so.
Ursel Bäumer verfährt eigenwillig. Das beginnt schon mit der Wahl der Form als einer Icherzählung. Diese wechselt zwischen den Wahrnehmungen des noch kleinen Mädchens und der dann älteren "Louise" in ihren Zwanzigern, die schließlich 1938 in Paris den amerikanischen Kunsthistoriker Robert Goldwater kennenlernt, ihn noch im selben Jahr heiratet und mit ihm nach New York übersiedelt. Mit der Überfahrt dorthin endet der Roman. Seine Faktur ist sprachlich ausgefeilt und ambitioniert, mit nicht immer leicht nachvollziehbaren Wechseln der Zeitebenen, vielfachen Wiederholungen von Gedankensträngen bis hin zu wiederkehrenden einzelnen Sätzen. Das mehrfach eingestreute "nicht wahr", vermutlich angelehnt an das französische "n'est-ce pas", soll einen kolloquialen Ton erzeugen, wenn es etwa über die Mutter heißt: "Wie eine Spinne. Jeden Tag ein bisschen das reparieren, was gestern kaputtgegangen ist, nicht wahr? Wenn man lange genug lebt, wird man perfekt darin."
So entsteht eine durchaus dichte Atmosphäre. Bäumer versucht, die verschlungene Gemachtheit der Tapisserien, das Gewebe, die Textur eben, bis in die Vorgeschichten der Eltern von "Louise" in ihrem Text nachzuvollziehen. Mit der Schilderung der zerstörerischen Häuslichkeit und der daraus resultierenden Gefühle von Einsperrung und Verletzung der Ich-Figur mag ihr der Familienroman über die Jugend einer Künstlerin vorgeschwebt haben. Doch die Struktur führt mitunter beim Lesen zu dem Gefühl, in eine Endlosschleife involviert zu sein.
Besonders starkgemacht ist die Funktion der Mutter, der die Aufmerksamkeit und Zuneigung seitens "Louise" gilt. Es ist bekannt, dass die Mutter in Bourgeois' inzwischen auf der ganzen Welt anzutreffenden Spinnen-Skulpturen repräsentiert ist, die oft den Titel "Maman" tragen. Aber die fast ungebrochen positive Besetzung der Mutter im Roman nimmt doch den Plastiken, die bis zur Riesengröße von mehr als neun Meter Höhe existieren, ihre theatralische Mehrdeutigkeit. Auch ohne an Arachnophobie zu denken, eignet diesen Schöpfungen eine angsteinflößende Dimension, ein irritierendes Moment von Macht. Dass in die "Spider"-Plastiken die Ambivalenz dem herrschsüchtigen Vater gegenüber und Gefühle von Ohnmacht und Unterdrückung eingegangen sind, weiß man besser schon vor der Lektüre.
Seit inzwischen vier Jahrzehnten zählt Louise Bourgeois, die 2010 im Alter von 98 Jahren verstarb, unumstritten zu den wichtigsten Künstlern, Männern und Frauen, unserer Gegenwart. Dass ihre Arbeiten inzwischen außerdem zu den höchstbezahlten von Künstlerinnen gehören, ist nur korrekt. In der Wertschätzung spiegelt sich die - in jedem Sinn ungeheure - Vieldeutigkeit ihres OEuvres. Entsprechend bekannt ist Robert Mapplethorpes Fotografie aus dem Jahr 1982, in dem ihre späte Weltkarriere mit einer Retrospektive im Museum of Modern Art in New York begann. Damals siebzig Jahre alt, posiert Louise Bourgeois in einem dunklen Zottelmantel, unter dem Arm die Latex-über Gips-Skulptur "Fillette", was auf Französisch "Kleines Mädchen" bedeutet, in der unzweideutigen Form eines überdimensionalen Phallus. Sie lächelt maliziös - oder wie ein boshaftes kleines Mädchen? - in die Kamera.
Unbestreitbar eignet "Fillette" in der grotesken Monstrosität eine witzige Komponente, was Bourgeois 1981 in einem Interview so kommentierte: "Aber das ist nicht damit gemeint. Die Dinge sind wirklich spaßig, aber es ist nicht mein Wunsch, sie als solche darzustellen. Ich hatte nicht diesen Wunsch, es hat sich einfach so ergeben, weil das Leben so komisch ist. Das Leben ist so lächerlich."
In der ungebrochen tiefen Ernsthaftigkeit von Ursel Bäumers "Louise" lässt sich kaum eine Ahnung finden von diesem Aspekt einer nachgerade verspielten Bösartigkeit, Louise Bourgeois' zentraler Strategie ihrer späteren Aufarbeitung, die sämtliche ihrer Werke untergründet. Der reichlich pathetische Prolog und Epilog helfen da wenig. Das ist schade. Deshalb ist eine Kindheits- und Jugendhistorie zu lesen, mit allen Zutaten freudscher Psychologie. Aber die Nähe zu Louise Bourgeois mit ihrer Alleinstellung in der zeitgenössischen Kunst muss, wie auch immer fiktiv gestaltet, Behauptung bleiben. ROSE-MARIA GROPP
Ursel Bäumer: "Louise". Roman.
Nagel und Kimche, Zürich 2023. 222 S., geb., 24,- Euro.
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