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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
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Unvernünftige Ausgaben müssen manchmal schon sein: Lambert Wiesing sondiert den Hang zum Luxus
Luxus ist, was wir nicht haben. Zumindest in der von Helmut Schelsky einst proklamierten nivellierten Mittelstandsgesellschaft. Zumindest im Blick auf die Jachten, Villen und Oldtimer der wirklich Reichen, an deren statistischer Häufigkeit man erkennen kann, dass diese Mittelstandsgesellschaft so nivelliert nun doch nicht ist. Luxus ist dann eben, was wir uns trotzdem gönnen, von Zeit zu Zeit zumindest, als kleine irrationale Flucht aus dem in rationalen Zweck-Mittel-Relationen geordneten Alltag, in dem ein exklusiver Rotwein aus dem Burgund als Begleiter für einen Abend oder ein originales Kunstwerk als Schmuck des Wohnzimmers ziemlich übertrieben erscheint.
Dass, wer zur Zeitmessung eine handgefertigte mechanische Uhr benutzt oder einen alten englischen Sportwagen, um den Weg zur Arbeit zurückzulegen, einen übertriebenen, irrationalen - zum Beispiel monetären - Aufwand betreibt, ist für den in Jena lehrenden Philosophen Lambert Wiesing der Ausgangspunkt einer anregenden Rettung der Luxusphänomene. Luxus wird hier zu einer existentiellen Trotzreaktion, zu einem Aufbegehren gegen die instrumentelle Vernunft. In ihm zeigt sich der Eigensinn des Subjekts angesichts einer durchfunktionalisierten Welt; kurz: "Luxus ist der Dadaismus des Besitzens."
Luxus hält - so die mit feinem, phänomenologischem Besteck entfaltete These dieses Buchs - für den sich seiner Autonomie versichernden Menschen eine genuin ästhetische Erfahrung bereit. Wiesing knüpft, um diese Erfahrung zu beschreiben, an Schillers Vorstellung an, dass der Mensch nur dort ganz Mensch ist, wo er spielt, wo der Gegensatz von Sinnlichkeit und Vernunft aufgehoben ist und wo dem Subjekt dies augenblickshaft bewusst wird. Entsprechend glaubt Wiesing: "Der Mensch erfährt Luxus nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist da ganz Mensch, wo er Luxus erfährt."
Man muss von den eigenen Luxusgütern schon ziemlich berauscht sein, um hier nicht augenblicklich Widerspruch einzulegen: Warum sollte eine genuin ästhetische Erfahrung ausgerechnet im ästhetischen Sperrbezirk des Besitzens stattfinden? Wird nicht gerade die ästhetische Erfahrung spätestens seit Immanuel Kant mit der Zauberformel des "interesselosen Wohlgefallens" freigehalten von jedem Zweck? Und ruht nicht die Idee des Werts der Kultur, von öffentlichen Museen, Theatern und Opernhäusern letztlich auf der Vorstellung, die Erfahrung des Schönen als ästhetische eben interesselos und jenseits des Besitzens machen zu können?
Dreh- und Angelpunkt dieser plausibel entfalteten und gut zu lesenden philosophischen Untersuchung ist dann also der Begriff des Besitzes, den Wiesing auf der einen Seite vom Protz, auf der anderen Seite vom Komfort abgrenzt. Während Protz als eine Form sozialer Kommunikation stets die öffentliche Zurschaustellung braucht, kann die Luxuserfahrung auch in der Sphäre des Privaten zelebriert werden. Und während Komfort als rein sinnliches Erleben gesucht wird, kann Luxus auch ganz schön unbequem daherkommen: Jeder japanische Kleinwagen dürfte mehr Fahrkomfort bieten als ein Aston Martin DB4 GT Zagato von 1960. Nur wer einen solchen Wagen besitzt, weiß, wie es ist, ihn zu besitzen, und zugleich weiß man, wie unvernünftig es ist, ein solches Auto zu fahren. Wobei Wiesing zwischen bloßem Eigentum und dem Besitzen unterscheidet: Eigentum kann man haben, ohne jenes Bewusstsein davon, wie es ist, etwas zu besitzen. Deswegen kann dem Besitzer auch nicht gleichgültig sein, was er besitzt.
In dieser engen, durch Gefühlsqualitäten aufgeladenen Beziehung zu Objekten, verbunden mit der enthusiastischen Kennerschaft, die Voraussetzung für eine solche Beziehung ist, liegt für Wiesing eine besondere Pointe des Luxus verborgen: Der Enthusiast des Besitzens kann keine interesselose Haltung zu seinen Gegenständen einnehmen, er kann - anders als der Ästhetizist der reinen Schönheitserfahrung - etwa nicht von den Entstehungsbedingungen absehen, kann keine kontemplative Distanz zwischen sich und die Dinge bringen: "Wer einen Teppich wegen seiner Millionen von Knoten in seinem Irrationalismus zu schätzen weiß, interessiert sich eben auch für die Frage, wer diese Knoten eigentlich geknüpft hat." Dass der irrationale Enthusiast der Luxusgüter sich gegenüber dem interesselos adorierenden Ästhetizisten am Ende sogar als der erweist, dem sich eine moralisch aufgeklärte ästhetische Erfahrung eröffnet, kann durchaus als eine Anstiftung zum Luxus gelesen werden. Von Zeit zu Zeit zumindest.
THORSTEN JANTSCHEK
Lambert Wiesing: "Luxus".
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2015. 222 S., geb., 24,95 [Euro].
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