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»Der zweite Teil des beispiellosen literarischen Unterfangens von Antonio Scurati.« La Stampa Antonio Scurati setzt sein weltweit gefeiertes Epos über den Faschismus fort: Zu Beginn des Jahres 1925 siecht Benito Mussolini seinem Ende entgegen. Das jahrelange Tauziehen um den obersten Posten des Landes fordert offenbar seinen Tribut. Doch der jüngste Premierminister in der Geschichte Italiens weigert sich, an einem einfachen Magengeschwür zu verenden. Das Bild des glorreich siegenden Duce, der sich den Mord an Matteotti wie einen Verdienst ans Revers geheftet hat, scheint in weite Ferne…mehr

Produktbeschreibung
»Der zweite Teil des beispiellosen literarischen Unterfangens von Antonio Scurati.« La Stampa Antonio Scurati setzt sein weltweit gefeiertes Epos über den Faschismus fort: Zu Beginn des Jahres 1925 siecht Benito Mussolini seinem Ende entgegen. Das jahrelange Tauziehen um den obersten Posten des Landes fordert offenbar seinen Tribut. Doch der jüngste Premierminister in der Geschichte Italiens weigert sich, an einem einfachen Magengeschwür zu verenden. Das Bild des glorreich siegenden Duce, der sich den Mord an Matteotti wie einen Verdienst ans Revers geheftet hat, scheint in weite Ferne gerückt. Zur Befriedung der Zänkereien zwischen seinen Gefolgsleuten setzt er andere ein; die ungestüme Tochter Edda verheiratet er kurzerhand mit Galeazzo Ciano; Badoglio und Graziani werden mit der afrikanischen Mission betraut, die im Grauen von Giftgas und Konzentrationslagern mündet. Antonio Scurati schreibt den Weg von »M. Der Sohn des Jahrhunderts« auf beeindruckende Weise fort: Mit Hilfe der Verflechtung von Erzählung und Originalquellen entreißt er die Schlüsselfiguren und -ereignisse der Jahre 1925 bis 1932 dem Vergessen und findet einen ebenso intimen wie transparenten Zugang zur Person Mussolini. Der Roman endet mit dem zehnten Jahrestag der Revolution, als M. das gespenstische Denkmal für die faschistischen Märtyrer errichten lässt, das mehr noch als an vergangene Tote an heraufziehende Katastrophen zu gemahnen scheint.

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Autorenporträt
Antonio Scurati, 1969 in Neapel geboren, ist Professor für vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Mailand und schreibt für die Zeitungen Corriere della Sera and El País. Seine Romane sind in viele Sprachen übersetzt und wurden mehrfach mit Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Premio Mondello und dem Premio Campiello. Sein großes Romanprojekt zum Aufstieg des Faschismus in Europa machte ihn international berühmt. Alle drei erschienenen Bücher standen auf Platz eins der italienischen Bestsellerliste. Für »M. Der Sohn des Jahrhunderts« erhielt den wichtigsten Literaturpreis Italiens, den Premio Strega; »M. Der Mann der Vorsehung« wurde mit dem Prix du Livre Européen ausgezeichnet. Verena von Koskull, geboren 1970, studierte Italienisch und Englisch für Übersetzer sowie Kunstgeschichte in Berlin und Bologna. Seit 2002 ist sie als Literaturübersetzerin tätig, außerdem übersetzt sie für die Wochenzeitung DIE ZEIT.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension

Im Grunde findet Rezensent Marco Bertolaso den Ansatz löblich, den Antonio Scurati mit seiner Mussolini-Reihe verfolgt: weg vom "rituellen" Antifaschismus, stattdessen "Abschreckung durch Nähe", fasst der Kritiker zusammen. Nur gelingt das dem Autor im nun vorliegenden zweiten Band, der die Jahre 1925 bis 1932 behandelt, weniger gut als im ersten Band, meint Bertolaso, denn hier "menschelt" es dem Kritiker etwas zu sehr um den Diktator: Sehr "fähig", fleißig, zielgerichtet und auch kunstbegeistert werde Mussolini dem Leser präsentiert, und dabei eben zu wenig abschreckend, bemängelt Bertolaso. Hier geht Scuratis Methode für ihn nicht mehr auf. Mit den ausstehenden Bänden zur zunehmend brutalen Ausrichtung des Faschismus wird sich dieses Problem aber erledigen, vermutet der Kritiker, und einen "großen Dienst" erweise Scurati der italienischen Gesellschaft ohnehin.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.12.2021

Das Leiden des mächtigen Mannes
Wahrhaftigkeit statt Wahrheit: Antonio Scuratis Romanbiografie von Benito Mussolini beansprucht eine höhere Objektivität
Im Unterschied zu den meisten führenden Nationalsozialisten, zu Adolf Hitler vor allem, war der italienische Faschistenführer Benito Mussolini ein Mann von kräftiger Statur. Er wusste mit dem Vorschlaghammer umzugehen, er war Reiter und Autofahrer, und ein vielbeschäftigter Liebhaber war er auch. Manchen Literaten galt er als Literat, er konnte vor Künstlern beinahe als Künstler auftreten, und wenn er, aus der Nähe und genau betrachtet, zwar nicht ganz die heroische Statur besaß, die viele seiner Bildnisse zeigen, so fiel der Unterschied zwischen dem Privatmenschen und der öffentlichen Person doch nicht allzu groß aus.
Mussolini war eine Gestalt, der man zugetraut hätte, dass sie in die Tradition der kleinen, späten Caesaren hätte eintreten können. Aus ihm hätte ein Volkstribun wie Cola di Rienzo oder Camillo Benso von Cavour werden können, und vielleicht war er sogar einer: Einen großen Teil des italienischen Volkes jedenfalls hatte er während der längeren Zeit seiner zwanzig Jahre währenden Herrschaft auf seiner Seite.
Der zweite Band des biografischen Romans, den der Mailänder Schriftsteller Antonio Scurati dem „Duce“ widmet, beginnt mit Bauchschmerzen. Mussolini muss sich blutig übergeben, der Körper krümmt sich in großer Pein, vom Menschen ist nichts übrig als ein wunder Verdauungsapparat. „Ringsum tanzt das Zimmer einen Ringelreihen aus offenen Magengeschwüren.“ Mussolini kommt darüber hinweg.
Dass das Buch mehr Roman als Biografie ist, erweist sich in solchen Passagen. Scurati inszeniert das Leiden des mächtigen Mannes, er sucht in der Geschichte des Leibes nach einer Auskunft über den Menschen, die der Lebenslauf nicht hergibt. An solchen Stellen wird der Stil immer wieder mimetisch. Zum Schmuck der Adjektive, der Wiederholungen und der langen, stark rhythmisierten Sätze neigt Scurati ohnehin. Zuweilen ist es, als imitiere er absichtlich die sprachlichen Girlanden d’Annunzios oder die donnernde Rhetorik Mussolinis. Andere Teile des Buchs halten sich so eng an die historischen Dokumente, dass sie als Geschichtsschreibung durchgehen könnten. Ob man durch diese Mischung des Faktischen mit dem Ausgesponnenen mehr und Besseres über Mussolini und den italienischen Faschismus erfährt als in den Biografien von R. J. B. Bosworth, Wolfgang Schieder oder Hans Woller, muss nicht entschieden werden: Man liest etwas anderes.
Der erste Band dieses auf drei Bücher angelegten Romans setzt mit „Gründung der Kampfbünde“ im März 1919 ein. Der große Krieg war gerade erst zuendegegangen und Italien allseits von Gewalt gezeichnet. Das Buch endet mit der Ermordung Giacomo Matteottis, des Generalsekretärs der sozialistischen Partei, einem Ereignis, das die Herrschaft der Faschisten über Italien ins Wanken brachte. Der zweite Band nun beginnt, indem Scurati erzählt, wie Mussolini das Land einer Diktatur unterwirft, trotz aller Bauchschmerzen. Die liberale Opposition, „Aventinianer“ genannt, übernimmt dabei die Rolle, die den alten Caesaren gegenüber die republikanischen Aristokraten innehatten.
Das Buch endet mit den Feiern zum zehnten Jahrestag der „faschistischen Revolution“ im Oktober 1932 und mit dem Blick über eine „ausgeweidete“, weil von neuen, riesenhaften Gebäuden geprägte Stadt, in der ein faschistisches Zeitalter angebrochen sein soll und die Menschen Jo-Jo spielen. Dazwischen, im Februar 1929, wird das Konkordat zwischen der katholischen Kirche und dem italienischen Staat geschlossen: „Die Glocken schallen unaufhörlich, der Regen rauscht hernieder, in Rom ist es zur Mittagszeit fast dunkel, und vor der Lateranbasilika verliert sich der vom gefühlsmächtigen Gesang zersauste Scheitel zwischen irdischer und himmlischer Herrlichkeit im trüben Winterlicht.“
Seinem panoramatischen, aber streng der Chronologie verpflichteten literarischen Verfahren bleibt Scurati auch im zweiten Band treu, selbstverständlich. Die Geschichte erscheint aufgelöst in kurze Szenen, zu denen jeweils einige originale Zitate gestellt werden. Man folgt dem Werdegang Mussolinis in Etappen, Woche für Woche, manchmal Tag für Tag. Der Effekt ist ein dreifacher: Zunächst einmal bleibt das Buch lesbar, trotz seines Umfangs und trotz der Menge an Stoff, die bewältigt werden muss. Sodann erscheint das Leben des „Duce“ aufgelöst in lauter Stationen, an denen er auf wechselnde Umstände und Gelegenheiten reagieren muss. Erst über sie wird er zu dem, was er dann schließlich verkörpert.
Und schließlich gestattet die Technik, zwischen dem Menschlichen und dem Politischen zu wechseln, wobei das kurze Format eine Intensität des Erzählens fördert, deren Voraussetzung gleichsam das Luftholen zwischen den einzelnen Abschnitten ist. Der Autor ist in diesen Szenen stets gegenwärtig, nicht nur als Regisseur und Dramaturg eines weiten Panoramas, sondern auch als Kommentator. Manchmal verliert er sich dabei in großzügigen Verallgemeinerungen: „Nur selten halten die Menschen dieses enthemmten Jahrhunderts inne und denken über das unausweichliche Ende nach.“ Aber so etwas passiert ihm zum Glück nicht allzu oft.
Antonio Scurati beansprucht für seinen Roman einen Grad von Objektivität, der höher sein soll, als es in seinen Augen einer wissenschaftlichen Biografie zukäme. Und gewiss: die Frage, wie das, was war, sich tatsächlich abspielte, kann auch die Wissenschaft nicht beantworten. Den Unterschied versucht der Schriftsteller nicht mit mehr Wahrheit (auf diesem Gebiet gibt es nur noch wenig zu gewinnen), sondern mit mehr Wahrhaftigkeit aufzuheben.
Weil er dabei diskret bleibt und nicht den Versuch macht, Mussolini in einen Dämon zu verwandeln, um dann selber – wie es der Historiker Ian Kershaw in seiner Hitler-Biografie tat – am Dämonischen teilzuhaben, geht das Verfahren auf. Der Leser lernt, wie die Dinge ineinandergreifen, auf der einen Seite die innere Motivation des Dikators, auf der anderen eine Zeit des historischen Umbruchs, in der sich Menschen als tatkräftig und erfolgreich erweisen, von denen fünf Jahre vor ihrer jeweiligen Machtergreifung kaum jemand gehört hatte. So entsteht mehr als nur die Lebensgeschichte eines Mannes, bei dem der Wille zur Macht kaum von seinem Opportunismus zu trennen ist: Antonio Scurati schreibt zugleich die Geschichte einer Bewegung.
Der Autor hält, so sagt er zumindest, sein Werk für eine aufklärerische, gegen den Faschismus gerichtete Schrift. Er täuscht sich mit diesem Anspruch über sich selbst, zum eigenen Vorteil. Volkspädagogische Absichten sind ihm fremd. Stattdessen erhält der Leser eine detaillierte Vorstellung davon, was Faschismus ist: die Ideologie eines Staates, der von seinen Bürgern verlangt, ihre persönlichen Belange einer Allgemeinheit zu unterwerfen, die sich als die innen- und außenpolitische Macht eben dieses Staates definiert.
Faschismus ist eine Radikalisierung der Idee vom „nationalen Interesse“ und als solche der Demokratie näher, als es deren Verteidiger manchmal wahrhaben wollen. Wie dieses Prinzip im Fall Benito Mussolinis funktioniert, im Alltag, in kleinen und großen politischen Entscheidungen, in den jeweiligen Funktionsträgern – davon handelt letztendlich dieses Werk, und dafür braucht es tatsächlich drei dicke Bände.
THOMAS STEINFELD
Manche Teile des Buches
könnten als
Geschichtsschreibung durchgehen
Fast ein Volkstribun: Einen großen Teil des italienischen Volkes wusste Benito Mussolini auf seiner Seite, hier im Jahr 1936.
Foto: AP
Antonio Scurati: M. Der Mann der Vorsehung.
Aus dem Italienischen
von Verena von Koskull.
Klett-Cotta Verlag,
Stuttgart 2021.
636 Seiten, 28 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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»Faschismus ist eine Radikalisierung der Idee vom 'nationalen Interesse' und als solche der Demokratie näher, als es deren Verteidiger manchmal wahrhaben wollen. Wie dieses Prinzip im Fall Benito Mussolinis funktioniert, im Alltag, in kleinen und großen politischen Entscheidungen, in den jeweiligen Funktionsträgern - davon handelt letztendlich dieses Werk, und dafür braucht es tatsächlich drei dicke Bände.« Thomas Steinfeld, Süddeutsche Zeitung, 09. Dezember 2021 Thomas Steinfeld Süddeutsche Zeitung 20211209